
Stellenwert der Nierenbiopsie
Autor:innen:
Dr. Steffen Löwen
Priv.-Doz. Dr. Sabina Sevcenco
Abteilung für Urologie und Andrologie
Klinik Donaustadt, Wien
Mit zunehmender Verfügbarkeit und Qualität bildgebender Verfahren hat auch die zufällige Entdeckung suspekter Nierenläsionen stetig zugenommen. Nicht immer ist eine chirurgische Sanierung möglich oder sinnvoll, die Biopsie der Läsion kann hier für die weitere Therapieplanung entscheidend sein.
Keypoints
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Die Biopsie suspekter Nierenläsionen ist ein sicherer und diagnostisch wertvoller Eingriff.
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Bei richtiger Fragestellung kann eine Biopsie entscheidend für die weitere Therapieplanung sein.
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Die Nierenbiopsie ist besonders bei der Planung einer „Active Surveillance“, einer ablativen Therapie sowie einer systemischen Therapie im metastasierten Stadium indiziert.
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Die Sensitivität und die Spezifität der Untersuchung sind hoch (>99%),es sind jedoch etwa 8% der entnommenen Proben diagnostisch nicht aussagekräftig.
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Es sollte keine invasive Diagnostik ohne therapeutische Konsequenz erfolgen.
Nach der Diagnose einer suspekten Nierenläsion in der Bildgebung kann die Nierenbiopsie einen wichtigen Beitrag zur weiteren Abklärung leisten. Besonders bei Raumforderungen <4cm (T1a) spielt die histologische Klassifizierung vor einer geplanten Operation eine wichtige Rolle, da T1a-Tumoren in bis zu 50% der Fälle benigne Tumoren sind und das Risiko für eine Übertherapie hoch ist.1 Bei bildmäßig eindeutig malignem Befund und gegebener Operabilität des Tumors stellt die Biopsie allerdings eine vermeidbare Behandlungsverzögerung dar. Es sollte daher immer eine genaue Abwägung der therapeutischen Konsequenz erfolgen.
Indikationen Nierenbiopsie
Gemäß den EAU-Leitlinien ist die Biopsie suspekter Läsionen bei den folgenden Indikationen gerechtfertigt:2
„Active Surveillance“
Diese konservative Herangehensweise kann bei Patienten mit hohem OP-Risiko gewählt werden, beispielsweise bei älteren Patienten sowie bei Patienten mit ausgeprägten Komorbiditäten. Die histologische Charakterisierung des Tumors erlaubt hier eine Abschätzung des Progressionsrisikos und damit eine bessere Selektion von Patienten, die für eine „Active Surveillance“ geeignet sind. Die Indikation der histologischen Abklärung sollte in diesem Patientenkollektiv besonders kritisch hinterfragt und bei fehlender Konsequenz von einer Biopsie Abstand genommen werden.
Geplante Tumorablation
Die Tumorablation eignet sich für kleinere Tumoren bei Patienten mit erhöhtem OP-Risiko. Das Ansprechen auf eine Radiofrequenzablation oder Kryoablation ist dabei vom histologischen Subtyp des Tumors abhängig. So zeigt das klarzellige Nierenzellkarzinom ein schlechteres Ansprechen als das papilläre Nierenzellkarzinom (5-Jahres-Überlebensrate: 89,7% vs. 100%; p=0,041).3 Bei der Planung einer lokalen Tumorablation kann sich die Intervention nach Biopsie mit benignem Befund auch als obsolet erweisen. In einer rezenten Studie führte die Biopsie einer suspekten Läsion bei 27,5% der Patienten zur Vermeidung einer aktiven Behandlung (chirurgischer Eingriff oder lokal ablative Therapie).4
Geplante systemische Therapie
Eine Nierenbiopsie kann im Stadium des metastasierten Renalzellkarzinoms für die Planung einer systemischen Therapie zielführend sein. Eine Typisierung des Tumors durch molekularpathologische Tests ermöglicht hier eine Abschätzung des Ansprechens auf eine Immuntherapie.5,6
Sonstige Indikationen
Abseits der oben genannten Szenarien ist eine Nierenbiopsie bei den folgenden Indikationen zu erwägen:6
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Einzelniere: Hier kann die bioptische Abklärung eines Nierentumors die OP-Indikation verifizieren und bei benignem Befund eine potenziell mit Verlust der Nierenfunktion einhergehende Operation verhindern.6
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Extrarenaler Primärtumor: Bei einem Primum außerhalb der Niere ist bei einer Nierenläsion eher von einem Renalzellkarzinom als von einer Metastase auszugehen,7 die Biopsie kann auch hier entscheidend für die weitere Therapieplanung sein.
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Verdacht auf Nierenabszess: Ein Abszess der Niere kann in der Bildgebung als suspekte Läsion gewertet werden. Bei nicht eindeutigem Laborbefund ist eine Biopsie möglich, um die infektiöse Ursache der Raumforderung zu bestätigen.
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Verdacht auf Lymphom: Das meist sekundäre Lymphom der Niere wird für die weitere Behandlung mittels Biopsie klassifiziert.
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Multiple Nierenläsionen: Vererbbare Syndrome wie das hereditäre papilläre Nierenzellkarzinom (HPRCC) sind oft durch multiple und bilateral auftretende Nierenläsionen gekennzeichnet. Da bei diesen Krankheitsbildern nicht immer eine Operation notwendig ist, sollte die Diagnosesicherung mittels Biopsie erfolgen.
Vorbereitung und Durchführung
Für die Planung der Biopsie muss die technische Durchführbarkeit im Sinne eines sicheren Zugangsweges gegeben sein. Der Patient sollte ausführlich über den Eingriff aufgeklärt werden und die für die Atemmanöver notwendige Compliance aufweisen. Alternativ ist auch eine Biopsie in Sedierung möglich. Zu den Kontraindikationen zählen ein deutlich erhöhtes Blutungsrisiko bzw. die nicht pausierte Einnahme von Antikoagulanzien sowie eine hämodynamische oder respiratorische Instabilität.6 Die Biopsie wird in der Regel sonografisch oder CT-gezielt durchgeführt. Die sonografische Technik erlaubt niedrigere Kosten und eine Bildgebung in Echtzeit. Zusätzlich bleiben dadurch wertvolle CT-Untersuchungsslots frei und die Untersuchung erfolgt ohne den Einsatz ionisierender Strahlung. Kleinere, sonografisch schwer darzustellende oder schwer erreichbare Tumoren werden in der Regel CT-gezielt biopsiert. Die Biopsie erfolgt dabei in koaxialer Technik. Dabei wird unter sonografischer oder computertomografischer Kontrolle eine Hohlnadel mit einem Mandrin unmittelbar an die Tumorgrenze herangeführt. Die Verletzung wichtiger anatomischer Strukturen (z.B. von Gefäßen oder des Ureters) kann durch sorgfältige Planung des Stichkanals vermieden werden. Nach Entfernung des Mandrins wird die Biopsienadel dann durch die Hohlnadel in Koaxialtechnik an den Tumor herangeführt. In der Folge werden multiple Stanzbiopsien entnommen. Diese Konstruktion verringert das Risiko für Fehlplatzierungen, erleichtert die Gewebeentnahme und ermöglicht es, das Risiko für eine Tumoraussaat im Bereich des Stichkanals zu minimieren.
Alternativ ist auch eine Feinnadelaspirationsbiopsie möglich, bei der eine sehr dünne Nadel verwendet wird, um Zellen oder Flüssigkeit aus der Niere zu aspirieren. Da mittels Stanzbiopsie deutlich mehr Zellmaterial gewonnen werden kann, ist diese Methode aufgrund der erhöhten diagnostischen Sicherheit zu bevorzugen. Empfohlen wird die Entnahme von zumindest zwei Stanzzylindern, wobei besonders bei großen Tumoren Proben aus der peripheren Zone entnommen werden sollten, um die Biopsie zentraler Nekrosen und damit das Risiko für eine nicht aussagekräftige Histologie zu vermeiden. Besonders die Biopsie zystischer Läsionen erweist sich selten als diagnostisch und ist auch aufgrund potenziell austretender Zystenflüssigkeit kontraindiziert.
Nebenwirkungen und Fehlerquellen
Die Diagnostik mittels Biopsie weist ein niedriges Risiko für den Patienten auf, besonders in koaxialer Technik. Neben dem Risiko für subkapsuläre und perirenale Hämatome, die postinterventionell in unterschiedlicher Ausprägung häufig zufinden sind (bis 80%), zählen transfusionspflichtige Blutungen (1,5%) sowie die Entstehung eines Pneumothorax (0,6%) zu den wichtigen, wenngleich seltenen Komplikationen.6 Das Risiko füreine Tumoraussaat im Bereich des Stichkanals wird in der Literatur besonders bei papillären Tumoren beschrieben, wobei die derzeitige Datenlage diesbezüglich unzureichend ist und keine aussagekräftige Risikostratifizierung zulässt.8 Die Nierenbiopsie weist im Falle einer diagnostisch verwertbaren Histologie eine hohe Sensitivität und Spezifität auf (>99%).8 Jedoch sind etwa 8% der Biopsien diagnostisch nicht verwertbar und erfordern bei Bedarf eine Wiederholung des Eingriffes.
Literatur:
1 Frank I et al.: Solid renal tumors: an analysis of pathological features related to tumor size. J Urol 2003; 170(6):2217-20 2 Ljungberg B et al.: EAU-Guidelines on renal cell carcinoma 2023. Präsentiert am EAU Annual Congress, Milan 2023. ISBN 978-94-92671-19-6 3 Lay AH et al.: Oncologic efficacy of radio frequency ablation for small renal masses: clear cell vs papillary subtype. J Urol 2015; 194(3): 653-7 4 Amaral BS et al.: Renal tumor biopsy: rationale to avoid surgery in small renal masses. Curr Urol Rep 2021; 22(9): 46 5 Sahni VA, SG Silverman: Biopsy of renal masses: when and why. Cancer Imaging 2009; 9(1): 44-55 6 Schuster AH, Reimann N: Biopsies of kidney lesions: when and how? Radiologe 2018; 58(10): 906-13 7 Sanchez-Ortiz RF et al.: A renal mass in the setting of a nonrenal malignancy: when is a renal tumor biopsy appropriate? Cancer 2004; 101(10): 2195-201 8 Marconi L et al.: Systematic review and meta-analysis of diagnostic accuracy of percutaneous renal tumour biopsy. Eur Urol 2016; 69(4): 660-73