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Restfragmente nach flexibler Ureterorenoskopie – das altbekannte Problem in einem neuen Licht
Urologik
Autor:
Prof. Dr. Dr. med. univ. Arkadiusz Miernik, FEBU
Leiter der Sektion für Urotechnologie<br> Universitätsklinikum Freiburg<br> Medizinische Fakultät<br> Klinik für Urologie<br> E-Mail: arkadiusz.miernik@uniklinik-freiburg.de
30
Min. Lesezeit
16.05.2018
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<p class="article-intro">Die chirurgische Behandlung der Harnsteinerkrankung hat sich über die letzten 30 Jahre dynamisch weiterentwickelt. Die offene Chirurgie wurde durch endoskopische Techniken nahezu komplett ersetzt. Darüber hinaus konnten sich neue Zertrümmerungstechniken, wie zum Beispiel die Holmiumlaser-basierte Lithotripsie, flächendeckend in der Versorgung von Steinpatienten etablieren. Die Bedeutung der extrakorporalen Lithotripsie (ESWL) lässt aktuell hingegen nach.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Restfragmente (RF) nach flexibler Ureterorenoskopie (fURS) haben klinisch eine große Bedeutung. Daher soll der Begriff „clinically insignificant residual fragments“ (CIRF) nicht mehr verwendet werden.</li> <li>Insbesondere Niedrigrisikopatienten profitieren von kompletter Steinfreiheit.</li> <li>Patienten mit RF nach fURS sollten daher über das erhöhte Risiko für ein erneutes Steinereignis aufgeklärt werden und eine engmaschige fachurologische Nachsorge erfahren.</li> </ul> </div> <p>In der Ära der ESWL wurde der Begriff „klinisch insignifikante Residualfragmente“ (auch Restfragmente; „clinically insignificant residual fragments“, CIRF) in den urologischen Sprachgebrauch eingeführt. Diese Reststeine werden als Desintegrate mit einem Durchmesser von bis zu vier Millimetern definiert, die nach Lithotripsie im Nierenbeckenkelchsystem verbleiben. Aus der praktischen Perspektive wurde lange Zeit angenommen, dass sie den Harntrakt auf natürlichem Wege verlassen, ohne klinisch relevante Komplikationen zu verursachen. Die Residualfragmente (RF) können theoretisch nach ESWL, aber auch nach einer endoskopischen Zertrümmerung (zum Beispiel im Rahmen einer flexiblen Ureterorenoskopie [fURS] oder perkutanen Nephrolitholapaxie) entstehen.</p> <h2>Flexible Ureterorenoskopie</h2> <p>In den letzten Jahren wurde ein Trend in Richtung der operativen Anwendung der flexiblen Endoskopie in Kombination mit Laserenergiequellen für die Behandlung der Urolithiasis des oberen Harntraktes beobachtet. Die flexible Ureterorenoskopie (fURS) ermöglicht einen relativ unkomplizierten und schnellen Zugang zum Nierenbecken und meist eine umfangreiche Inspektion aller Kelche. Diese Tendenz spiegelt sich in der absoluten Zahl der durchgeführten fURS-Behandlungen in entwickelten Ländern wider. Darüber hinaus wird die Indikation für eine fURS hinsichtlich der maximalen Steingröße aufgelockert, sodass auch größere Fragmente (insbesondere über 2cm im Durchmesser) zunehmend auf retrogradem Weg therapiert werden. Der transureterale Zugang besitzt jedoch bekannte Limitationen, die vor allem auf die anatomischen Gegebenheiten des Harntraktes zurückzuführen sind. Diese können zur Verlängerung der Operationszeiten beitragen, insbesondere bei der Behandlung größerer Steinmassen. Um diese Einschränkungen zu überwinden, wurden spezielle Desintegrationstechniken vorgestellt. Eine davon empfiehlt zum Beispiel das Pulverisieren („dusting“) von Steinen (Erzeugung von Sand und Gries). Hier gilt eine ähnliche Annahme wie bei CIRF, wonach die kleinen Fragmente den Harntrakt spontan verlassen sollen.</p> <h2>Bedeutung von Restfragmenten</h2> <p>Allgemein ist wenig über die postoperativen Verläufe von Patienten mit RF bekannt. Auch die klinische Bedeutung von RF in Hinblick auf längere Beobachtungszeiträume wurde wissenschaftlich bisher nicht ausreichend eruiert. Es fehlen entsprechende qualitativ hochwertige Studien. Die bisher erreichten Evidenzgrade sind niedrig. Die verfügbaren Publikationen beschreiben Fallstudien, wobei auch die Definition von RF nicht einheitlich ist. In der Literatur werden Beobachtungszeiträume von 15 Monaten bis zu 4,9 Jahren beschrieben. Die aus klinischer Sicht viel interessanteren Wiederbehandlungsraten liegen zwischen 19,6 und 48,6 % .</p> <h2>Untersuchungen zu Restfragmenten</h2> <p>Soll sich also der Urologe wegen Restfragmenten Sorgen machen? Es wurden einige Untersuchungen durchgeführt, um diese Frage zu beantworten. Unsere Gruppe untersuchte zum Beispiel 100 konsekutive Patienten, die mittels fURS bei Nierenkonkrementen behandelt worden waren. Wir erfassten die Inzidenz von steinbedingten Wiederbehandlungen der ipsilateralen Seite, die Zeit zwischen der primären und sekundären Behandlung, die Spätkomplikationen sowie weitere relevante Faktoren. Zusätzlich wurden die Patienten in eine Niedrig- und in eine Hochrisikogruppe im Sinne der Empfehlung der Leitlinien stratifiziert. Die mittlere Beobachtungszeit betrug 59 Monate. Das wichtigste Ergebnis der Studie war, dass 33,3 % der Niedrigrisikopatienten mit vorhandenen RF nach fURS über eine Wiederbehandlung der ipsilateralen Seite aufgrund eines Steinereignisses berichtet haben. Dagegen meldeten Niedrigrisikopatienten ohne RF keine Wiederbehandlungen auf der initial therapierten Seite. Das ist ein wichtiger Evidenzzugewinn, der neues Licht auf den postoperativen Verlauf nach fURS wirft. Bei Hochrisikopatienten wurde dieser Unterschied nicht beobachtet. Hier hatten RF nach fURS statistisch keinen Einfluss auf die Wiederbehandlungsraten (Abb. 1).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Urologik_Uro_1802_Weblinks_urologik_1802_s18_abb1.jpg" alt="" width="2187" height="1411" /></p> <h2>Konsequenzen für den urologischen Alltag</h2> <p>Nach der initialen Begeisterung hinsichtlich der scheinbar unübertreffbaren Performance der hochminiaturisierten flexiblen Endoskopie für die intrarenale Chirurgie müssen nun einige Erkenntnisse relativiert werden. Aus der Studie haben wir gelernt, dass das moderne chirurgische Management von Nierensteinen immer das Erreichen einer kompletten Steinfreiheit als Ziel haben muss. Darüber hinaus sollten Patienten mit Restfragmenten nicht als „steinfrei“ deklariert werden. In Zukunft sind weitere technische Verbesserungen in den bekannten Feldern der Steintherapie zu erwarten. Bei der ESWL sind Arbeiten zu neuen Kamerasystemen, Ankopplungstechniken und neuen Profilen der Stoßwellen publiziert worden. Die Lasertechnik erfährt derzeit eine rasante Weiterentwicklung. Hier werden neue potente Energiequellen, ebenfalls neue Profile der Laserpulse und bessere Laserfasern vorgestellt. Im Bereich des endourologischen Instrumentariums werden regelmäßig neue Gerätschaften wie zum Beispiel die Steinfangkörbchen präsentiert. Auch die Einführung von flexiblen Ureterorenoskopen zum einmaligen Gebrauch und der Robotertechnik verschiebt weiter die Indikationsstellung zugunsten der retrograden intrarenalen Chirurgie.</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Restfragmente klinisch von deutlich größerer Bedeutung sind als bisher angenommen. Der Begriff CIRF sollte nicht mehr verwendet werden. Die Restfragmente beeinflussen den postoperativen Verlauf von Steinpatienten. Das Vorliegen von RF nach fURS zeigt negative statistische Effekte hinsichtlich der Wiederbehandlungsraten ca. 2 Jahre nach der Primärbehandlung. Insbesondere die Niedrigrisikopatienten profitieren von der kompletten Steinfreiheit. Diese Patientengruppe sollte über die aktuelle Evidenzlage aufgeklärt werden. Für den Kliniker ergibt sich daraus die Notwendigkeit einer engmaschigeren Kontrolle dieser Patienten, um eine erneute Steinbildung in der Niere rechtzeitig zu erkennen.</p> </div></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> de la Rosette J, Denstedt J: Update from third international consultation on stone disease. World J Urol 2017; 35(9): 1299-1300 <strong>2</strong> Hein S et al.: Clinical significance of residual fragments in 2015: impact, detection, and how to avoid them. World J Urol 2016; 34(6): 771-8 <strong>3</strong> Hein S et al.: Endoscopically determined stone clearance predicts disease recurrence within 5 years after retrograde intrarenal surgery. J Endourol 2016; 30(6): 644-9 <strong>4</strong> Miernik A et al.: Urinary stone analysis – what does the future hold in store? Aktuelle Urologie 2017; 48(2): 127-31</p>
</div>
</p>
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