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Prävention von Steinrezidiven
Urologik
Autor:
Dr. Benedikt Becker
Abteilung für Urologie<br> Asklepios Klinik Barmbek, Hamburg<br> E-Mail: ben.becker@asklepios.com
30
Min. Lesezeit
16.05.2018
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<p class="article-intro">Die weltweite Prävalenz von Nierensteinen wird aktuell mit einer Spanne von 0,2–26,1 % angegeben. Die Inzidenz in industrialisierten Ländern liegt derzeit bei ca. 4–10 % mit einer Geschlechterverteilung von 1,6:1 (♂:♀). Die Rezidivrate nach initialem Steinereignis liegt bei 50 % ohne Metaphylaxe und für Patienten nach eingeleiteter Therapie bei 10 % .<sup>1, 2</sup> In Konkordanz zu der hohen Rezidivrate steht eine niedrige Compliancerate der Patienten in Bezug auf die Metaphylaxe.<sup>3</sup></p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die aktuellen Leitlinien zur Vorbeugung und Metaphylaxe der Urolithiasis sollten vom Arzt und vom Patienten verstanden werden, damit sie im täglichen Leben optimal umgesetzt werden können.</li> <li>Patienten mit Residualfragmenten <1mm gelten nicht als steinfrei und haben ein deutlich erhöhtes Risiko für ein Rezidiv.</li> <li>„Stone MD: Nierensteine“ ist die erste App für Patienten mit Urolithiasis, welche die wichtigsten Aspekte der Steinmetaphylaxe in der Urologie erfasst sowie weitere nützliche Funktionen für Patienten mit Urolithiasis beinhaltet.</li> </ul> </div> <h2>Aktuelle Leitlinie</h2> <p>Die Leitlinien der EAU geben vor, dass bei jedem Patienten mit Urolithiasis eine Steinanalyse erfolgen sollte.<sup>4</sup> Aus den o.g. Zahlen ergibt sich, dass jedoch dadurch 50 % dieser Patienten überdiagnostiziert wären und bis zu 60 % übertherapiert. Deshalb ist die Unterscheidung zwischen Patienten mit einem hohen und einem niedrigen Risiko für die Ausbildung eines Steinrezidivs notwendig. Risikofaktoren für eine rezidivierende Steinbildung sind ein frühes Auftreten der ersten Steinepisode, eine positive Familienanamnese, gastrointestinale Erkrankungen (z.B. Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa), Infektsteinbildung, Einnahme von speziellen Medikamenten (z.B. Indinavir), anatomische Besonderheiten (z.B. Hufeisennieren oder Ureterozelen) und Residualsteine nach vorausgegangener Therapie.<sup>4</sup> Die aktuellen Leitlinien zur metabolischen Diagnostik und Metaphylaxe zeigen „Flowcharts“, mit deren Hilfe die Ärzte den Patienten eine optimale Metaphylaxe anbieten können. Allerdings stützt sich die Entscheidungsfindung auf klar definierte Steinzusammensetzungen, sodass es bei veränderten Steinzusammensetzungen zu Überschneidungen der Entscheidungsbäume kommt. Durch diese Komplexität wird die leitliniengerechte Behandlung erschwert und ist für den Patienten häufig undurchsichtig und unverständlich.</p> <h2>Risikofaktoren für ein Steinrezidiv</h2> <p>Eine aktuelle Studie von Hein et al. zeigt, dass die intraoperative „Steinfreiheit“ einen entscheidenden Faktor für das Rezidivrisiko darstellt. Es konnte gezeigt werden, dass Patienten mit Residualsteinen <1mm, welche zu klein sind, um mit dem Körbchen entfernt zu werden, ein deutlich höheres Risiko für ein Rezidiv nach 5 Jahren haben als die Patienten, welche intraoperativ komplett steinfrei waren (47,1 vs. 19,1 % ).<sup>5</sup> Patienten mit Residualfragmenten <1mm sollten also nicht als „steinfrei“ angesehen werden und müssen über ein mögliches Rezidiv im weiteren Verlauf aufgeklärt werden.<br /> Ein weiterer wichtiger Aspekt zur Abschätzung des Rezidivrisikos ist die Steinlast/ Verkalkung der Papillen. Hierfür haben Borofsky et al. eine Klassifikation entwickelt, die das Auftreten und das Ausmaß papillärer Verkalkungen bei Patienten mit Nephrolithiasis beschreibt.<sup>6</sup> Hierbei wird jeder Papille eine Punktzahl zu folgenden Bereichen zugeordnet: Verstopfung, Erosion, Konturenverlust und Anzahl der Randall-Plaques. Verstopfung, Erosion und Konturenverlust werden mit den Punktzahlen 0, 1 oder 2 bewertet. Die Anzahl an Randall-Plaques wird mit a, b oder c eingestuft. Das Ergebnis setzt sich aus beiden Punktzahlen zusammen. So würde eine vollkommen unauffällige Papille die niedrigste mögliche Punktzahl von 0(a) erhalten. Die auffälligste Papille erhält die höchstmögliche Punktzahl von 6(c). Durch diese Einteilung soll das Bewusstsein für die Bedeutung von auffälligen Papillen geschaffen werden, da die betreffenden Patienten von der Einleitung einer Nierensteinmetaphylaxe profitieren würden.</p> <h2>Soziale Medien zur Unterstützung der Compliance</h2> <p>Das Wachstum der mobilen Gesundheitstechnologie schreitet rasant voran. Um das Bewusstsein für die metabolische Abklärung von Patienten mit Nierensteinen zu schärfen, hat die Endourological Society eine neue Aufklärungskampagne initiiert, in der monatlich Themen von gesellschaftlichem Interesse als Podcasts im Internet hochgeladen werden (Audiodatei 1/18 „Medical Management of Kidney Stones“).<br /> Dank des technischen Fortschritts und der breiten Anwendung von Smartphones verschiebt sich die Metaphylaxe zunehmend auch in die Verantwortung des Patienten. Aktuell existieren jedoch keine wissenschaftlichen Standards oder unabhängigen Regulatoren dazu, welche Gesundheit- Apps veröffentlicht werden. Pereira- Azevedo et al. sowie Stevens et al. postulieren, dass bis zu 62 % der aktuell erhältlichen urologischen Apps erhebliche Mängel aufweisen und nur bei 13,4 % der Apps Fachleute an der Erstellung mitgearbeitet haben.<sup>7, 8</sup> Einen wichtigen Beitrag zur digitalen Prävention und Metaphylaxe von Urolithiasis wird von den Entwicklern der mobilen App „Stone MD: Nierensteine“ geleistet (Abb. 1). Die App enthält relevante wissenschaftlich fundierte Funktionen, um Patienten mit Nierensteinen zusätzlich zu regelmäßigen Arztbesuchen zu unterstützen.<br /> Unter der Menüoption „Test“ haben die Patienten die Möglichkeit, ihr individuelles Risiko für eine erneute Nierensteinbildung zu berechnen. Diese Kalkulation basiert auf dem wissenschaftlich anerkannten ROKS-Nomogramm, welches im Jahr 2014 publiziert wurde.<br />9 Anhand der Angaben zu Alter, Geschlecht, Größe, Gewicht, körperlicher Aktivität, Art des Nierensteins und fünf weiteren Fragen zur Anamnese des Patienten wird das Rezidivrisiko nach 2, 5 und 10 Jahren berechnet.<br /> Unter der Menüoption „Wasserbilanz“ wird den Patienten die empfohlene Trinkmenge pro Tag angezeigt. Bei Eingabe der getrunkenen Menge wird gleichzeitig die prozentuale Verteilung zwischen der bereits getrunkenen und der noch zu trinkenden Menge aufgeführt. Außerdem haben die Patienten die Möglichkeit, „Push-Benachrichtigungen“ als Erinnerung zur Flüssigkeitsaufnahme einzustellen, um eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr über den Tag zu gewährleisten. Bereits 1996 konnten Borghi et al. zeigen, dass eine erhöhte Flüssigkeitsaufnahme (>2 Liter/Tag vs. <2 Liter/ Tag) zu einer Senkung der Rezidivrate um 50 % führt.<sup>10</sup><br /> Unter der Funktion „Nahrungsmittelbilanz“ haben die Patienten die Möglichkeit, von über 800 verschiedenen Lebensmitteln den Gehalt von Kalzium, Proteinen, Kalorien, Oxalaten, Zitraten und Purinen einzusehen. Durch das Hinzufügen zum „persönlichen Warenkorb“ (inkl. Gewicht) wird die tägliche Aufnahme der Inhaltsstoffe aufsummiert.<br /> Unter dem Punkt „pH-Tagebuch“ können die Patienten die selbst gemessenen Urin-pH-Werte sowie ein eventuell eingenommenes Medikament zur Alkalisierung/ Ansäuerung des Urins direkt in das Smartphone eingeben. Durch die Eingabe und die grafische Darstellung der Werte mit Markierung des Zielbereichs können die Patienten und die behandelnden Ärzte den pH-Wert des Urins über den Verlauf verfolgen, auswerten und die Therapie so optimieren.<br /> In einem zusätzlichen Bereich „Stent Radar“ können die Patienten die Seite der Harnleiterschiene sowie das Datum der Einlage und der geplanten Entfernung bzw. des Wechsels der DJ-Harnleiterschiene notieren. Mit dieser Funktion werden die Patienten durch Push-Benachrichtigungen an die Entfernung bzw. den Wechsel erinnert, sodass im Falle einer vergessenen DJ-Harnleiterschiene der Arzt zeitgerecht aufgesucht werden kann.<br /> „Stone MD: Nierensteine“ ist die erste mobile App in der Steinmetaphylaxe. Diese App könnte die Compliance der Patienten signifikant erhöhen und dadurch das Risiko für ein Rezidiv senken.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Urologik_Uro_1802_Weblinks_urologik_1802_s20_abb1.jpg" alt="" width="1417" height="1058" /></p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Neisius A, Preminger GM: Stones in 2012: epidemiology, prevention and redefining therapeutic standards. Nat Rev Urol 2013; 10: 75-7 <strong>2</strong> Kruck S et al.: Interventional stress in renal stone treatment. J Endourol 2011; 25: 1069-73 <strong>3</strong> Ather MH et al.: Tailored metabolic workup for urolithiasis – the debate continues. J Coll Physicians Surg Pak 2017; 27: 101-4 <strong>4</strong> Türk C et al.: EAU Guidelines on Diagnosis and Conservative Management of Urolithiasis. Eur Urol 2016; 69: 468-74 <strong>5</strong> Hein S et al.: Endoscopically determined stone clearance predicts disease recurrence within 5 years after retrograde intrarenal surgery. J Endourol 2016; 30: 644-9 <strong>6</strong> Borofsky MS et al.: A proposed grading system to standardize the description of renal papillary appearance at the time of endoscopy in patients with nephrolithiasis. J Endourol 2016; 30: 122-7 <strong>7</strong> Pereira-Azevedo N et al.: mHealth in urology: a review of experts’ involvement in app development. PloS One 2015; 10: e0125547 <strong>8</strong> Stevens DJ et al.: Smartphone apps for urolithiasis. Urolithiasis 2015; 43: 13-9 <strong>9</strong> Rule AD et al.: The ROKS nomogram for predicting a second symptomatic stone episode. J Am Soc Nephrol JASN 2014; 25: 2878-86 <strong>10</strong> Borghi L et al.: Urinary volume, water and recurrences in idiopathic calcium nephrolithiasis: a 5-year randomized prospective study. J Urol 1996; 155: 839-43</p>
</div>
</p>