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Molekulare Aspekte beim jungen Blasenkarzinompatienten
Leading Opinions
Autor:
PD Dr. med. Roland Seiler
Departement für Urologie,<br/> Inselspital Bern, Schweiz<br/> E-Mail: roland.seiler@insel.ch
30
Min. Lesezeit
02.05.2019
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<p class="article-intro">Das Blasenkarzinom ist eine Erkrankung des älteren Menschen; das durchschnittliche Alter bei Diagnose liegt bei 73 Jahren. Jedoch hat sicher jeder Urologe in seiner Praxis Blasenkarzinompatienten behandelt, die erstaunlich jung waren. Dies wird in grösseren Zystektomieserien und nationalen Datenbanken bestätigt. Es werden immer wieder Blasenkarzinome bei Patienten diagnostiziert, die jünger als 50 Jahre alt sind. Der jüngste in der Literatur beschriebene Patient mit einem Blasenkarzinom war gerade mal 10 Jahre alt. Es stellt sich die Frage: Was macht diese Patienten speziell? Müssen besondere diagnostische Massnahmen veranlasst werden oder ist die Therapie anders?</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Keimzell- und somatische Mutationen können beim jungen Blasenkarzinompatienten eine Rolle spielen.</li> <li>Eine genetische Abklärung sollte bei Patienten jünger als 50 Jahre abgewogen werden.</li> <li>Präliminäre Daten lassen einen molekularen Unterschied beim jungen Blasenkarzinompatienten vermuten.</li> </ul> </div> <p>Hochdurchflusstechnologien wie Next- Generation- oder Sanger-Sequenzierung sowie Microarray-Analysen haben erlaubt, die molekulare Landschaft des Blasenkarzinoms zu charakterisieren. Verschiedene Gruppen und Konsortien haben sich daran beteiligt und unser Verständnis für die Biologie des Blasenkarzinoms erheblich verbessert. Dadurch erhielten wir Einsicht in Mutationen der DNA, die im Blasenkarzinom häufig gefunden werden können. Es wurden molekulare Klassen (sogenannte Subtypen) entdeckt, die Blasenkarzinome in klinisch und biologisch relevante Gruppen einteilen lassen. Allerdings wurden diese Arbeiten nicht vor dem Hintergrund des jungen Blasenkarzinompatienten durchgeführt.</p> <h2>Klassierung und Signifikanz von genetischen Veränderungen in Karzinomen</h2> <p>Permanente Veränderungen der DNA werden Mutationen genannt, welche grob in zwei Kategorien klassiert werden können: Keimbahn- und somatische Mutationen. Keimbahnmutationen sind in Keimzellen vorhanden und können somit an Nachkommen übertragen werden. Einige Keimbahnmutationen werden mit einem erhöhten Risiko, Karzinome zu entwickeln, in Verbindung gebracht. Das prominenteste Beispiel hierfür ist Angelina Jolie. Bei ihr wurde eine Keimbahnmutation in <em>BRCA1</em> nachgewiesen. Dieses Gen ist verantwortlich für die Koordination der DNAReparatur, was uns ermöglicht, während des Lebens die DNA intakt zu halten. Keimbahnmutationen in <em>BRCA1</em> sind stark mit der Entwicklung von Mammakarzinomen vergesellschaftet, was Angelina Jolie dazu bewegt hat, eine bilaterale Mastektomie durchführen zu lassen. Die zweite Klasse sind somatische Mutationen, welche während der Karzinomentstehung und -entwicklung erworben werden. Sie können somit weder in Keimzellen noch in Nichtkarzinomzellen gefunden werden. Um diesen beiden Klassen von Mutationen gerecht zu werden, wird für die Analyse von Karzinomen immer zwei Proben vom selben Patienten sequenziert: Karzinom- und Nichtkarzinomgewebe. Das Nichtkarzinomgewebe wird für die «Normalisierung» des Genoms des Patienten verwendet und erlaubt zusätzlich eine exakte Charakterisierung der somatischen Mutationen. Das Spektrum von somatischen Mutationen kann dann verwendet werden, um die Evolution, molekulare Klasse und mögliche therapeutische Targets zu beschreiben. In den bisher durchgeführten Hochdurchsatzanalysen hat man sich bisher fast ausschliesslich auf somatische Mutationen fokussiert. Allerdings könnten v.a. beim jungen Blasenkarzinompatienten auch Keimbahnmutationen eine Rolle spielen.</p> <h2>Genomische Alterationen beim jungen Blasenkarzinompatienten</h2> <p>Es gibt nur wenige Untersuchungen von Keimzellmutationen beim Blasenkarzinom. Diese Arbeiten haben eine limitierte Anzahl von Genen untersucht und Kohorten verwendet, die hinsichtlich epidemiologischer Aspekte nicht ausgeglichen waren. Daher sind die bisher existierenden Daten zu Keimzellmutationen beim Blasenkarzinom mit Vorsicht zu geniessen.<br /> Bezüglich somatischer Mutationen sind die derzeit verfügbaren Datensätze nicht speziell für diese Fragestellung erstellt worden. Interessanterweise zeigen jedoch präliminäre Daten, dass Blasenkarzinome von jungen Patienten weniger häufig Mutationen in <em>RB1</em> und<em> TP53</em> aufweisen, dass hingegen <em>HRAS</em> häufiger mutiert ist. Weiter stellte man fest, dass die gesamte Anzahl von somatischen Mutationen bei Blasenkarzinomen von jüngeren Patienten geringer ist, was sich auch in einer geringeren Anzahl von sogenannten Neoantigenen widerspiegelt.</p> <h2>Veränderungen des Transkriptoms beim jungen Blasenkarzinompatienten</h2> <p>Das Verständnis des Transkriptoms des Blasenkarzinoms wurde dramatisch durch die Entdeckung von sogenannten molekularen Subtypen verbessert. Basierend auf Genexpression, also des Transkriptoms, können Blasenkarzinome in Gruppen, sogenannte molekulare Subtypen, eingeteilt werden. In den letzten Jahren wurde eine Vielzahl von Subtypen, Modellen und Methoden beschrieben. Erst in den letzten Monaten hat sich die «Bladder Cancer Molecular Taxonomy Group», ein Konsortium aller in diesem Feld involvierten Gruppen, auf einen Konsensus von sechs molekularen Subtypen geeinigt. Interessanterweise kann man feststellen, dass jüngere Patienten öfter ein Blasenkarzinom vom luminal-papillären Subtyp haben (Abb. 1). Konsistent mit den Charakteristika dieses Subtyps zeigen Blasenkarzinome von jungen Patienten oft eine geringe Infiltration von Immunzellen und eine geringe Aktivität von Immunsignalwegen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Uro_1901_Weblinks_a2-abb1.jpg" alt="" width="635" height="412" /></p> <h2>Genetische Abklärung: Empfehlung für den klinischen Alltag</h2> <p>Im klinischen Alltag fällt immer wieder eine familiäre Häufung von Blasenkarzinomen auf. Dies könnte auf eine mögliche hereditäre Komponente, wie beim Mammakarzinom, hindeuten. Allerdings beobachtet man oft auch eine familiäre Häufung der Exposition mit Hauptrisikofaktoren für das Blasenkarzinom (Nikotinabusus, Exposition gegenüber Noxen aus der Umwelt). Daher dürfte die gelegentliche familiäre Häufung des Blasenkarzinoms nicht ausschliesslich einer hereditären Komponente, sondern auch der Exposition gegenüber Risikofaktoren zuzuschreiben sein.</p> <p>Aufgrund fehlender Evidenz gibt es keine Richtlinien für die Empfehlung einer genetischen Abklärung beim Blasenkarzinom. Daher scheint es derzeit vernünftig zu sein, sich an die Empfehlungen bei anderen Karzinomen zu halten. Bei anderen Karzinomen sollte eine genetische Abklärung erwogen werden bei:</p> <ul> <li>Patienten, die jünger als 50 Jahre sind,</li> <li>3 oder mehr diagnostizierten Fällen von Mamma-, Ovarial-, Pankreas- und/oder Prostatakarzinom bei engen Verwandten, inklusive des Patienten,</li> <li>synchronen oder metachronen Karzinomen*.</li> </ul> <p>* Sollte in Bezug auf das Blasenkarzinom nicht verwendet werden, weil dieses oft multifokal wächst und rezidiviert.<br /> Urotheliale Karzinome vor allem im oberen Harntrakt (Nierenbecken und Harnleiter) treten häufiger bei Patienten mit einem Lynch-Syndrom auf. Dieses ist verursacht durch einen Defekt in sogenannten Missmatch-Repair-Genen (<em>MLH1</em>, <em>MSH2</em>, <em>MSH6</em> oder <em>PMS2</em>). Obwohl dieser Zusammenhang beim Blasenkarzinom weniger gut untersucht ist, kann empfohlen werden, bei Patienten, die jünger als 50 Jahre alt sind, nach einem Lynch-Syndrom zu suchen. Eine immunhistochemische Untersuchung dieser vier Marker (MLH1, MSH2, MSH6 und PMS2) ist eine billige und überall verfügbare Methode für ein einfaches Screening auf ein Lynch-Syndrom.</p> <p>Wenn eine genetische Beratung und Diagnostik durchgeführt werden, sollte der zuweisende Arzt verschiedene mögliche Konsequenzen kennen: Das Finden einer Keimzellmutation kann Folgen für Verwandte haben. Bei Karzinomen mit bekannter hereditärer Komponente (z.B. Mammakarzinom), bleibt das erhöhte familiäre Risiko bestehen, auch wenn keine Keimzellmutation beim Patienten nachgewiesen werden kann. Daneben sollte beim Blasenkarzinom die genetische Abklärung keinen Einfluss auf die Therapie oder das Follow-up haben, da hierfür die Datenlage zu schwach ist.</p></p>
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