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Johann Lucas Schönlein (1793–1864) Teil 1
Urologik
Autor:
Univ.-Doz. Dr. Peter Paul Figdor
Archivar der ÖGU<br> Urologisches Archiv Wien<br> E-Mail: ppfigdor.uroarchiv@gmx.at
30
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30.03.2017
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<p class="article-intro">Der in Bamberg geborene Johann Lucas Schönlein war im zweiten und dritten Drittel des 19. Jahrhunderts ein in Deutschland sehr geschätzter Arzt. Da Rudolf Virchow ihn sehr bewundert und weit über 100 Seiten über Schönlein geschrieben hat, möchte ich die Betrachtungen mit einer Rede Virchows beginnen, die dieser am 23. Januar 1865, dem ersten Jahrestag des Todes von Schönlein, hielt.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Rudolf Virchow (1821–1902) hielt die folgende „Gedächtnisrede“ in der Aula der Berliner Universität: „Wir haben ihn 19 Jahre unter uns wirken sehen in der Zeit seines noch kräftigen Mannesalters. In der langen Reihe ruhmvoller Namen, welche die Annalen dieser Hochschule während der ersten 50 Jahre ihres Bestehens zieren, ist der seinige einer der ruhmvollsten. Aber das ist nicht der einzige, nicht der Hauptgrund, weshalb wir ihn betrauern. Denn nicht hier ist der Ort, wo er die Zeitgenossen gelehrt hat, bewundernd zu ihm aufschauen, nicht hier die Stätte, zu welcher die Nachwelt blicken wird, wenn sie den Meister in seinem Schaffen, in seiner eigentlichen Werkstatt sich vergegenwärtigen will. Er ist nicht aus der Berliner Schule hervorgegangen und er hat keine Berliner Schule zurückgelassen. Wie so viele seiner Amtsgenossen, welche der Ruf der Staatsregierung aus den verschiedenen Ländern Deutschlands hier versammelt, ist er als ein fertiger Mann zu uns getreten. Die Zeit der schwersten Kämpfe lag hinter ihm, und doch war sein Herz nicht bei uns, sondern in dem Lande, wo er äusserlich in den Kämpfen unterlegen war [Würzburg?]. Zu keiner Zeit liess er seine Collegen fühlen, dass das Geschick ihn über sie erhoben habe; zu keiner Zeit setzte er eine künstliche Schranke zwischen sich, den grossen Meister, und seine Schüler, die vielleicht erst Anfänger waren; niemals verschloss er sich im Stolze des Wissens vor der Macht der fortstreitenden Erkenntnisse. Als er schon Leibarzt des Königs von Preussen war, trug er kein Bedenken, seinen alten Schüler Eisenmann im Kerker auf der Feste Rosenberg zu besuchen (1845). So blieb er geistig jung, als er nicht mehr arbeitsfrisch war; so blieb er den Collegen ein College, den Freunden ein Freund; so wurde er ein Muster wahrer Humanität und Liberalität im guten, klassischen Sinne des Wortes. Nichts Menschliches ward ihm fremd.“<br /> Da Virchow – wie Schönlein – die Gegend um Bamberg liebte und Schönlein in seiner Heimat begraben ist, spricht Virchow auch von einem anderen Bamberger, der ebenfalls dort begraben ist: „Dort in dem alten Dom ist der Leichnam des Papstes Clemens II. beigesetzt, den einst ein starker deutscher König aus fränkischem Stamm [Heinrich III, 1046] vom Bischof zu Bamberg zum Papst von Rom ernannt und eingesetzt hatte; sein todter Leib liegt wieder in der Heimath, zum Zeichen, dass er mehr Mensch als Priester war.“ Virchow fährt fort und schwärmt von Franz Ludwig von Erthal (1730–1795), der von 1779 bis zu seinem Tod Fürstbischof von Würzburg und Bamberg war. Er beschreibt ihn als „den edelsten und freisinnigsten Regenten seiner Zeit, dem Unterricht seine ganz besondere Aufmerksamkeit und Theilnahme zuwendend. Die Thatsache, dass ein Priester an der Würzburger Universität Kantische Philosophie vortragen durfte, wirft gewiss ein helles Licht auf den Zustand der Geister in seinem Lande. Erthal führte an seiner Universität ein Pflichtjahr mit Mathematik und praktischer Philosophie vor Beginn des Fachstudiums ein; nur die Juristen waren davon befreit. Selbst die Theologen hatten dieses Pflichtjahr zu machen. Dem Fürsten zur Seite stand Carl von Dalberg, der auch ein eifriger Bewunderer der Philosophie war.“ Von Dalberg (1744–1817) half vor allem der Bevölkerung sehr. So erlaubte er es, dass die Menschen sich in einem sehr kalten Winter aus den fürstlichen Wäldern Holz holen durften. Dies trug ihm eine Rüge des Fürstbischofs ein.<br /> Von Dalberg hielt sehr viel von Napoleon und er wurde Primas des 1806 in Paris gegründeten Rheinbundes. Dieser Konföderation deutscher Staaten (der „Anti- Habsburger“) gehörten zahlreiche der protestantischen deutschen Fürsten an. Doch das „napoleonische Hoch“ war bald zu Ende, und für Napoleons Anhänger kamen schlechte Zeiten. Der Rheinbund brach nach Napoleons Niederlage in der Völkerschlacht bei Leipzig 1813 zusammen. Erwähnenswert ist, dass Dalberg als seinen Leibarzt Philipp Bozzini, den Begründer der Endoskopie, ausgewählt hatte.</p> <h2>Schönleins frühe Jahre</h2> <p>Es wird über den Bau von großen Krankenhäusern gesprochen (siehe Paris oder Wien), was anscheinend wichtig war, um den Studenten die Möglichkeit zu geben, den Verlauf der Krankheiten der Patienten leichter und länger zu lernen. Dies war offensichtlich ein wichtiger Teil des „Schönlein’schen Lehrprogramms“. Virchow erwähnt an offenen (nicht militärischen) großen Krankenhäusern ein in Bamberg neu gebautes Krankenhaus und ganz besonders das „Juliusspital“ in Würzburg: „Die Würzburger Hochschule genoss schon seit ihrer Wiederherstellung durch Bischof Julius (1562) den ganz besonderen Vorzug unter den deutschen Universitäten, dass ein grosses und mit fürstlicher Munificenz [Freigebigkeit, Großzügigkeit] ausgestattetes Krankenhaus, das in der Geschichte der deutschen Medicin so berühmt gewordene Juliusspital, ihr zur Verfügung stand, und dann schon früh alle medicinischen Anstalten, einschliesslich des anatomischen Theaters, mit dem Krankenhause in eine nähere Verbindung gebracht wurden. So war hier eine Concentration der Studien gewonnen, wie sie an keinem anderen Orte bestand, und zugleich ein so reiches Beobachtungsmaterial dargeboten, wie es mit Ausnahme von Wien und Prag nirgends auf deutschem Boden ein Universitätslehrer zu seiner Verfügung hatte.“ (Die Berliner Charité diente damals nur für den Unterricht der Militär-Akademie.) Im Juliusspital erfolgte der rasante Aufstieg Schönleins.<br /> Johann Lucas Schönlein wurde am 30. November 1793 als Sohn eines wohlhabenden Seilermeisters in Bamberg geboren. Kaum ein Jahr nach dem Tod des Fürstbischofs von Würzburg und Bamberg Franz Ludwig von Erthal wurden – nach der Niederlage Österreichs gegen Frankreich – die beiden Fürstenbistümer in den Staat Bayern eingegliedert. Dalberg wurde Primas, der höchste Bischof in Deutschland, und residierte in Regensburg. Das alles zeigt, dass der junge Schönlein in einer politisch recht schwierigen Situation in Europa seiner Schulpflicht nachkam. Der junge Schönlein vollendete seine Gymnasialbildung (1804–1811) und im Herbst des Jahres 1811 begann er sein Studium an der Universität Landshut. Virchow schreibt, „dass Landshut damals eine der frischesten Universitäten Deutschlands war; und in allen Fakultäten lehrten berühmte Männer. Man war damals an den Wendepunkt zwischen alter und neuer Medicin auch in Preussen angekommen. Es sollte sich entscheiden, ob die Medizin durch Beobachtung oder durch Speculation, ob sie naturwissenschaftlich oder philosophisch aufzubauen sei.“<br /> Was der große Berliner (Zell-)Pathologe Virchow uns hier mit viel Freude berichtet, ist nichts anderes als das, was wir unseren Lesern seit vielen Monaten versucht haben etwas näherzubringen, nämlich die neue Medizin, die „moderne, kausale Medizin“. Dies soll dann im zweiten Teil dieses Referats (im nächsten Heft) besprochen werden. Vorläufig zurück zu Virchow: „Es geht hier um Tiedemann in Landshut. Dieser verlangte, dass die Medizin Naturwissenschaft werde, und meinte, dass dies nur möglich wäre, wenn die ganze Physik, Chemie und alle Naturwissenschaften auf sie angewendet“ werden. Wir meinen, dass Tiedemanns Aussage überflüssig ist, denn wenn etwas Neues hinzukommt, wird dies sowieso rasch verwendet werden. So wurden beispielsweise die ersten medizinischen Röntgenbilder – noch vor dem ersten Vortrag von Röntgen in Deutschland – 1896 im Allgemeinen Krankenhaus in Wien angefertigt. Eduard Haschek, Assistent von Röntgens Freund, dem Physiker Franz Exner, nahm die erste Angiografie vor. Und auch das erste Röntgenbild einer Doppelzehe, das für die Operation benötigt wurde, entstand dort.<br /> Schönleins Medizinstudium begann nicht in der üblichen Art und Weise, sondern zunächst mit den Nebenfächern Mineralogie, Botanik und Zoologie, Physik und Chemie bei Prof. Georg Augustin Bertele (1767–1818). Erst später begann er mit der Medizin. Schönlein blieb nicht lange in Landshut. Bereits 1813 arbeitete er im Juliusspital in Würzburg, das, vor allem seit Caspar von Siebold dort arbeitete, berühmt geworden war. Siebold war Professor für Anatomie, Chirurgie und Geburtshilfe und gilt als Begründer der modernen akademischen Chirurgie. Einer seiner Söhne eröffnete an der Berliner Charité die neue Universitätsfrauenklinik mit einer eigenen Abteilung für Geburtshilfe. Die Siebolds waren auch sehr früh interessiert an der Endoskopie. Im August 1817 habilitierte Schönlein in Würzburg und wurde im September 1817 Privatdozent. Seine weitere Karriere verlief bemerkenswert rasch. Da der damalige Vorstand der medizinischen Klinik, Nicolaus Anton Friedreich, schwer an den Augen erkrankte, wurde Schönlein 1819 stellvertretend mit der Leitung der Klinik betraut. 1820 wurde er zum Extraordinarius und 1824 zum Ordinarius der speziellen Pathologie und Therapie sowie zum Vorstand der Klinik ernannt. Virchow: „Der Strom der Studierenden lenkte sich von jener Zeit an in immer steigender Breite nach Würzburg. Es war eine Gärung in den Gemütern, wie sie noch nie vorher an einem Orte in Deutschland bestanden hatte, vergleichbar derjenigen, welche durch Boerhaave in Leiden angeregt worden war.“<br /> Bei seinen Schülern war Schönlein überaus beliebt. Virchow zitierte in seinem Vortrag, was einer von Schönleins Studenten 1835 auf eine glücklicherweise falsche Todesnachricht hin geschrieben hatte: „So ruft einer seiner Schüler aus: ,Hat er nicht Würzburg zum Wallfahrtsort für deutsche Aerzte gemacht, wie es Rom für die Künstler ist! Hat er nicht Fremde aller Nationen und unter ihnen die Söhne der erlauchtesten Männer an seinen Vortrag gefesselt? Hat nicht selbst sein von einem Unwissenden auf das Empörendste verstümmeltes Wort den wunderbarsten Anklang gefunden? Keine Schriften hinterlässt Schönlein, aber sein Wort wird unsterblich bleiben; keine Ehrenzeichen und Titel verherrlichten ihn, und doch wird man noch lange von der unbegrenzten Liebe, von dem Enthusiasmus sprechen, mit dem ihm seine Schüler anhingen. Sein Wort war gross und wahr, seine Lippen wurden nie durch das Alltägliche, Gemeine entweiht.“<br /> Was wir an Schönlein schätzen, ist, dass er den Studenten die Möglichkeit gegeben hat, den ganzen Ablauf der Erkrankung der Patienten mitzuerleben, selbst kennenzulernen. Eine ähnliche Möglichkeit bestand schon – spätestens – am Beginn des 19. Jahrhunderts in der Charité in Paris an der Klinik von Corvisart. Dort wurde auch die Erlaubnis erteilt, dass eine Information über die „wahrscheinliche, vermutete Krankheit“ des Patienten an dessen Bett zu befestigen sei. Das Ganze wurde von einem eigenen Oberarzt überwacht. So stand insbesondere am Beginn der „modernen, kausalen Medizin“ neben dem Obduktionsbefund auch noch die Krankengeschichte des Patienten zur Verfügung. Auf diese Weise lernten die jungen Ärzte nicht nur durch die Obduktion, sondern bereits aus dem Krankheitsverlauf Krankheitszeichen gut zu erkennen. Schließlich musste doch das Ziel sein, dass auch ein paar Patienten überlebten!<br /> Wir müssen annehmen, dass Schönlein ein bemerkenswert gutes Gedächtnis hatte, da er Krankheiten rasch gut erkannte. Virchow schrieb: „Aber die Symptome, die Zeichen verwandelten sich bei ihm allmählich in Phänomene, in Erscheinungen, die seine Aufmerksamkeit auch fesselten … Aus der Aneinanderreihung der Erscheinungen, welche nicht bloß zeitlich aufeinander folgten, sondern auch ursächlich auseinander hervorgingen, ergab sich schließlich die Kenntnis von dem Krankheitsprocess.“<br /> Und weiter bemerkte Virchow: „Es wird das Wort ohne allen weiteren Zusatz verwendet, als wäre dieses Wort ursprünglich für die Medizin gemacht.“ Nun, dies stimmt – zumindest für das Deutsche – ganz sicher nicht! Schönlein war sicherlich in Europa ein sehr gesuchter Arzt. Aber wir können der Beschreibung nicht beistimmen; wie heißt es hier bei Virchow: „Aber kein Schriftsteller des Altertums kannte es [den „Process“ in der Medizin] in diesem Sinne, keine der lebenden romanischen Sprachen ist noch in diesem Augenblick im Stande, es ohne Zusatz, ohne Interpretation anzuwenden. Es ist eine rein deutsche Erfindung. Es ist zugleich die Signatur der Schönlein’schen Lehre …“<br /> 1832 wurde Schönlein aus politischen Gründen seiner Ämter enthoben und verlor seine Professur. Um seiner Verhaftung zu entgehen, flüchtete er bei Nacht in einem Boot auf dem Main. 1833 ging er nach Zürich, wo er Professor für klinische Medizin wurde. Zunächst stand ihm dort nur eine kleine Abteilung mit wenigen Betten zur Verfügung. Als ein größeres, von ihm in Zürich geplantes Spital fertig wurde, erhielt er 1839 die Berufung nach Berlin. Dort wurde er Ordinarius und Leibarzt von König Friedrich Wilhelm IV. Anscheinend kam es in dieser Zeit nicht mehr zu großen wissenschaftlichen Arbeiten. Als königlicher Leibarzt oder aufgrund seiner Tätigkeit im Ausland war er wohl zu beschäftigt und zu wichtig. Oder er war nebenbei beschäftigt mit dem Bau seines Hauses in Bamberg, seinen Töchtern, seinen Sammlungen und vielem mehr. Ein Jahr nach dem Thronverzicht des Königs 1858 trat Schönlein in den Ruhestand und kehrte in seine Heimatstadt Bamberg zurück. Wir haben wohl einiges bezüglich Schönlein im nächsten Heft zu besprechen.</p></p>
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<p>beim Verfasser</p>
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