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Interstitielle Zystitis/Blasenschmerzsyndrom (IC/BPS) – ein leidvolles Beschwerdebild

<p class="article-intro">Unterschiedliche Definitionen, eine Vielfalt an ätiopathologischen Faktoren und das Vorhandensein von zahlreichen Differenzialdiagnosen erschwerten die Diagnosefindung „IC/BPS“ erheblich. Viel zu lange Zeit vergeht daher, bis Patienten einer adäquaten Therapie zugeführt werden können. Diese sollte multidisziplinär und multimodal in Zentren mit großer Erfahrung erfolgen.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Die interstitielle Zystitis/das Blasenschmerzsyndrom (IC/BPS) z&auml;hlt zum chronischen Beckenschmerzsyndrom, welches f&uuml;r den Arzt wie den Patienten eine gro&szlig;e Herausforderung darstellt.<br /> Beim Beckenschmerzsyndrom unterscheidet man prinzipiell gyn&auml;kologische Ursachen und nicht-gyn&auml;kologische Ursachen.<sup>1</sup> Eine der h&auml;ufigsten gyn&auml;kologischen Ursachen ist die Endometriose, welche in jedem Fall ausgeschlossen werden sollte.<sup>2</sup> Zu den nicht-gyn&auml;kologischen Ursachen z&auml;hlen chirurgische, gastrointestinale, ortho- neuro-muskul&auml;re, psychische/ psychosomatische, neurologische und nicht zuletzt urologische Faktoren. Aus der praktischen Erfahrung heraus scheinen orthop&auml;dische Ursachen, insbesondere vertebrogene Faktoren, sehr h&auml;ufig Beckenschmerzen im Sinne einer Schmerzausstrahlung zu verursachen. Nicht selten werden die Beschwerden auch als Blasenschmerzen empfunden.</p> <h2>Definition</h2> <p>Definitionsgem&auml;&szlig; liegt bei der IC/BPS ein zumindest sechs Monate anhaltender chronischer Beckenschmerz mit Druck bzw. Missempfinden in Bezug auf die Harnblase vor. Dieser Schmerz steigert sich charakteristischerweise bei zunehmender Blasenf&uuml;llung, d.h., er variiert mit dem F&uuml;llungszustand der Harnblase. <sup>3</sup> Ein weiteres Symptom des (unteren) Harntraktes wie beispielsweise persistierender Harndrang oder erh&ouml;hte Miktionsfrequenz muss ebenfalls gegeben sein. Dies f&uuml;hrt jedoch zur gro&szlig;en Schwierigkeit der sogenannten &bdquo;verwechselbaren Erkrankungen&ldquo; (&bdquo;confusable diseases&ldquo;) (Tab. 1). Die IC/ BPS muss damit als Ausschlussdiagnose gesehen werden.<br /> Gerade diese Schwierigkeit sowie die unterschiedlich ausgepr&auml;gte Symptomatik mit sehr differenter &Auml;tiopathogenese bedingt eine lange Odyssee der Patienten, welche zum Teil Jahrzehnte ben&ouml;tigen, bis die entsprechende Diagnose gestellt wird.<sup>4</sup> Durch vermehrte Aufkl&auml;rungsarbeit scheint jedoch das Krankheitsbild IC/ BPS mehr und mehr ins Bewusstsein der &auml;rztlichen Kollegen zu r&uuml;cken, was den Leidensweg betroffener Patienten deutlich verk&uuml;rzen d&uuml;rfte.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Urologik_Uro_1803_Weblinks_s11_tab1.jpg" alt="" width="500" height="743" /></p> <h2>Epidemiologie</h2> <p>Epidemiologisch k&ouml;nnen Patienten jeder Altersklasse betroffen sein &ndash; so auch Kinder, welche in fr&uuml;heren Definitionen strikt ausgeschlossen waren. Die h&ouml;chste Pr&auml;valenz findet sich im mittleren Lebensalter. Frauen sind neunmal h&auml;ufiger betroffen als M&auml;nner. Die Pr&auml;valenz der IC/ BPS wird bei Frauen mit 52&ndash; 500 pro 100 000 und bei M&auml;nnern mit 8&ndash;41 pro 100 000 angegeben.<sup>4</sup> Eine Studie von Berry et al. untersuchte die Pr&auml;valenz der IC/BPS bei erwachsenen Frauen mittels Telefoninterview. <sup>5</sup> Bei 32 474 von 131 691 Haushalten fand sich eine erwachsene weibliche Person, welche Blasensymptome angab. Die Autoren errechneten eine Pr&auml;valenz der IC/ BPS bei 6,53 % mit hoher Sensitivit&auml;t und bei 2,70 % mit hoher Spezifit&auml;t (81 % Sensitivit&auml;t vs. 83 % Spezifit&auml;t f&uuml;r IC/BPS vs. Endometriose, Vulvodynie und/oder &uuml;beraktive Blase). Die IC/BPS k&ouml;nnte damit h&auml;ufiger vorkommen als urspr&uuml;nglich angenommen. Dennoch gilt die interstitielle Zystitis mit nachgewiesenen Blasenschleimhautl&auml;sionen (Glomerulationen, Rhagaden und/oder Hunner-L&auml;sionen) immer noch als seltene Erkrankung (&bdquo;orphan disease&ldquo;), welche in Europa mit einer Pr&auml;valenz von &lt;5/10 000 Einwohner definiert ist.</p> <h2>Pathogenese</h2> <p>&Auml;tiopathogenetisch werden f&uuml;r die IC/ BPS genetische Disposition, Voroperationen, Infektionen, Defekte der Glycosaminoglycan- Schicht, Urothell&auml;sionen, Ver&auml;nderungen durch urotheliale Mediatoren, Mastzellaktivierung, Entz&uuml;ndung und Autoimmunerkrankungen sowie ein Mangel an Tamm-Horsfall-Protein diskutiert. Auch psychosoziale Aspekte spielen eine wesentliche Rolle. Die IC/BPS tritt h&auml;ufig gemeinsam mit funktionellen somatischen Syndromen (FSS) wie beispielsweise Fibromyalgie, Fatique, Reizdarmsyndrom etc. auf. Sie ist h&auml;ufig auch assoziiert mit Depressionen und Panikst&ouml;rungen.</p> <h2>Diagnostik</h2> <p>F&uuml;r Diagnose und Therapie ist die Zeit der wichtigste Faktor. Patient und Arzt ben&ouml;tigen au&szlig;erordentlich viel Geduld, was bereits zu Beginn der Arzt-Patienten- Interaktion thematisiert werden sollte. F&uuml;r die Diagnosefindung ist eine ausf&uuml;hrliche Anamnese grundlegend, welche allumf&auml;nglich im Sprechstundenalltag einer niedergelassenen Praxis zumeist nur sehr schwierig durchgef&uuml;hrt werden kann. Frageb&ouml;gen und Miktions-Trink- Tageb&uuml;cher k&ouml;nnen hilfreich sein. Dem schlie&szlig;t sich die k&ouml;rperliche Untersuchung mit Schmerzmapping, vaginaler Untersuchung bzw. beim Mann digitorektaler Untersuchung an. Urosonografie und Urinuntersuchung sind als selbstverst&auml;ndlich vorauszusetzen. Eine funktionelle Beurteilung des unteren Harntrakts sollte mittels Zystomanometrie erfolgen. Hierbei wurde fr&uuml;her der Kaliumchloridtest als Provokationstest genutzt. Dieser birgt jedoch das Risiko, alle Erkrankungen mit LUDE (&bdquo;lower urinary dysfunctional epithelium&ldquo;) zu detektieren. Er ist somit f&uuml;r die Diagnose IC/BPS zu unspezifisch. Alternativ steht der Lidocaintest zur Verf&uuml;gung, bei welchem eine zweite Zystomanometrie nach Instillation von Lidocain und Natriumbicarbonat erfolgt. Der Lidocaintest gibt zumindest einen guten Hinweis darauf, ob die Schmerzproblematik vesikogen ist.<br /> Ein Hydrodistensionstest in Narkose (80cm H<sub>2</sub>O) soll die morphologische Kapazit&auml;t der Blase ermitteln. Ferner lassen sich unter/nach Hydrodistension Ver&auml;nderungen der Blasenschleimhaut aufzeigen. Hierzu z&auml;hlen die oben erw&auml;hnten Glomerulationen (petechiale Einblutungen der Blasenschleimhaut), wasserfallartige Blutungen, Urothelabschilferungen und Unterblutungen, Rhagaden und Hunner-L&auml;sionen. Der Hydrodistensionstest sollte mit einem Blasenmapping komplettiert werden. Hierbei werden aus unterschiedlichen Blasenquadranten tiefe Biopsien entnommen, sodass Detrusormuskulatur sicher miterfasst ist. Die pathologische Begutachtung sollte sich nach der Publikation von Nordling (2004)<sup>6</sup> richten. Somit ist eine standardisierte Ausz&auml;hlung von Mastzellen gew&auml;hrleistet. In der Zusammenschau der insbesondere endoskopischen Befunde kann die IC/BPS entsprechend Tabelle 2 klassifiziert werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Urologik_Uro_1803_Weblinks_s11_tab2.jpg" alt="" width="600" height="296" /></p> <h2>Therapie</h2> <p>Therapeutisch finden sich die M&ouml;glichkeiten der oralen, intravesikalen, (semi-) interventionellen und operativen Therapie. Als orale Medikation steht das im europ&auml;ischen Raum neuerdings zugelassene Medikament Pentosanpolysulfat zur Verf&uuml;gung, dessen Kosten nun auch von den Krankenkassen &uuml;bernommen werden. Des Weiteren ist ein modernes Schmerzregime gemeinsam mit den Schmerztherapeuten zu erarbeiten. Hierbei werden h&auml;ufig auch Antidepressiva wie Amitriptylin angewendet. Amitriptylin weist neben seiner analgetischen Wirkung auch einen Mastzellen- stabilisierenden Effekt auf und gilt als H1-Blocker. Antihistaminika wie Cimetidin (H2-Blocker) und Hydroxyzin (H1-Blocker) sowie Immunsuppressiva (Cyclosporin A, Azathioprin, Methotrexat) z&auml;hlen ebenfalls zu den oralen Therapeutika bei IC/BPS. Jocham et al. konnten in ihrer Versorgungsstudie jedoch nachweisen, dass die orale Medikation in nur ca. 50 % der F&auml;lle zu einer Verbesserung f&uuml;hrt.<sup>4</sup> Hier&uuml;ber sollten die Patienten bereits bei Therapiebeginn aufgekl&auml;rt werden.<br /> An intravesikalen Therapeutika stehen Dimethylsulfoxid (DMSO), Heparin, Lidocain, Hyalurons&auml;ure, Chondroitinsulfat und Pentosanpolysulphat zur Verf&uuml;gung. Gute Erfolge scheinen sich unter der Kombination von Heparin, Lidocain und Natriumbicarbonat einzustellen, wobei der Patient in den intermittierenden Selbstkatheterismus eingewiesen sein sollte, um die Therapie selbst dreimal pro Woche durchf&uuml;hren zu k&ouml;nnen. Die Therapie kann und sollte bis zu 12 Monate fortgef&uuml;hrt werden. Sie hat im Vergleich zur Instillationstherapie mit Hyalurons&auml;ure und/oder Chondroitinsulfat den Vorteil, deutlich kosteng&uuml;nstiger zu sein. Letztere Therapien werden meist von den Krankenkassen nicht bezahlt, sodass die Patienten die Kosten selbst zu tragen haben (ca. 60&euro; pro Instillation). Jocham et al. konnten zeigen, dass die Instillationstherapie bei nur 46&ndash;63 % der Patienten zu einer Verbesserung f&uuml;hrt. Die besten Erfolge werden bei Verwendung der EMDA-Therapie (&bdquo;electromotive drug administration&ldquo;) mit 61,34 % erzielt.<br /> Als semiinvasive Ma&szlig;nahmen gelten der Hydrodistensionstest und die intravesikale Injektionstherapie mit Botulinumtoxin. Der Hydrodistensionstest, welcher auch als Diagnostikum eingesetzt werden sollte (siehe oben), f&uuml;hrt zu einer Sch&auml;digung submuk&ouml;ser Nervenfasern und damit zu einer Abnahme der afferenten Aktivit&auml;t. Der Erfolg ist jedoch mit wenigen Monaten von nur kurzer Dauer. Dennoch empfinden viele Patienten diese Therapieoption aufgrund ihres raschen Wirkungseintritts als sehr hilfreich. Einen guten Effekt zeigt auch die intravesikale Injektion von Botulinumtoxin. Die Beschwerdelinderung h&auml;lt jedoch ebenfalls nur wenige Monate an. Beide Eingriffe lassen sich aber durchaus kombinieren. Hervorragende Ergebnisse mit mehrj&auml;hrigem Erfolg zeigt die transurethrale Resektion oder Fulguration von Schleimhautrhagaden und/oder Hunner- L&auml;sionen. Des Weiteren stehen die sakrale (S3) sowie die pudendale Neuromodulation zur Verf&uuml;gung. Als Ultima Ratio muss die (radikale) Zystektomie in Betracht gezogen werden. Die Literatur zeigt hier eine bis zu 100 % ige Erfolgsrate auf. Sicherzustellen ist jedoch im Vorfeld, dass es sich auch eindeutig um eine vesikogene Schmerzsymptomatik handelt.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Wozniak S: Chronic pelvic pain. Ann Agric Environ Med 2016; 23: 223-6 <strong>2</strong> Neis K J, Neis F: Chronic pelvic pain: cause, diagnosis and therapy from a gynaecologist&lsquo;s and an endoscopist&lsquo;s point of view. Gynecol Endocrinol 2009; 25: 757-61 <strong>3</strong> van de Merwe JP et al.: Diagnostic criteria, classification, and nomenclature for painful bladder syndrome/interstitial cystitis: an ESSIC proposal. Eur Urol 2008; 53: 60-7 <strong>4</strong> Jocham D et al.: The care situation of patients with interstitial cystitis in Germany: results of a survey of 270 patients. Urologe A 2013; 52: 691-702 <strong>5</strong> Berry SH et al.: Prevalence of symptoms of bladder pain syndrome/interstitial cystitis among adult females in the United States. J Urol 2011; 186: 540-4 <strong>6</strong> Nordling J et al.: Primary evaluation of patients suspected of having interstitial cystitis (IC). Eur Urol 2004; 45: 662-9 <strong>7</strong> Vij M et al.: Interstitial cystitis: diagnosis and management. Eur J Obstet Gynecol Reprod Biol 2012; 161: 1-7</p> </div> </p>
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