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Harnröhrenrekonstruktion unter Verwendung von freien Mundschleimhauttransplantaten
Leading Opinions
Autor:
Dr. med. Oliver Engel
Oberarzt<br> Uniklinik Hamburg-Eppendorf<br> E-Mail: o.engel@uke.de
30
Min. Lesezeit
22.03.2018
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<p class="article-intro">Die Harnröhrenstriktur ist eine Erkrankung mit hohem Rezidivrisiko. Das richtige OP-Verfahren ist entscheidend für guten Erfolg und hängt von Lokalisation und Strikturlänge ab. Freie Mundschleimhauttransplantate können ubiquitär und in unterschiedlichen Techniken verwendet werden. Sie führen zu sehr guten Langzeitergebnissen.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Harnröhrenplastiken mit Mundschleimhaut sind Mittel der Wahl bei rezidivierten und langstreckigen Strikturen.</li> <li>Mundschleimhaut kann ubiquitär und in unterschiedlichen Strikturlängen eingesetzt werden.</li> <li>Die Wahl der richtigen OPTechnik ist wichtig, um eine gute Blutversorgung der Mundschleimhaut zu gewährleisten.</li> </ul> </div> <p>Die Harnröhrenstriktur ist eine rezidivierende Erkrankung. Die Intensität der Narbenbildung und die Strikturlänge nehmen nach häufigen endoskopischen Behandlungen im Laufe der Zeit zu. Bougierungen und endoskopische Operationen haben ihre Grenzen. Bei frühzeitigen Rezidiven sollten operative Verfahren in Betracht gezogen werden, die eine gute Langzeiterfolgsrate aufweisen, um eine fortschreitende Narbenbildung zu vermeiden. Die offene Resektion der Narbe und End-zu-End-Anastomose sind ein operatives Verfahren mit sehr guten Langzeitergebnissen und Mittel der Wahl bei posttraumatischen Strikturen, mit einer Langzeitrestrikturrate von 18 % .<sup>1</sup> Des Weiteren eignet sich diese Methode bei kurzen Strikturen, solange eine problemlose Mobilisation und spannungsfreie Anastomose der Harnröhrenenden gelingen, ohne eine zu starke Verkürzung der Harnröhre zu riskieren. Gerade in der Nähe des Sphinkters kann eine notwendige Mobilisation des proximalen Harnröhrenstumpfes problematisch sein. Die Rate an erektiler Dysfunktion liegt in der vorderen Harnröhre bei 5 % , die für Fistelbildung bei 3 % .<sup>2</sup><br /> Als Alternative steht seit den 1990er- Jahren die Verwendung freier Mundschleimhauttransplantate zur Verfügung.<sup>3</sup> Da die Harnröhre hierbei nur eröffnet und nicht reanastomosiert wird, besteht keine Gefahr der Verkürzung der Harnröhre, wie sie bei der End-zu-End- Anastomose bei längeren Strikturen berichtet wird.<sup>4</sup> Auch können sphinkternahe Strikturen damit schonend versorgt werden. In Abhängigkeit von der Strikturlokalisation kann Mundschleimhaut als Onlay oder Inlay Verwendung finden.<sup>5</sup> Unterschiedliche Strikturlängen können durch individuelle Anpassung der Transplantatlänge bei der Entnahme adäquat versorgt werden. Sollte die komplette Urethralplatte vernarbt sein und eine vollständige Exzision des Harnröhrenanteils erforderlich machen, kann Mundschleimhaut auch zum streckenweise kompletten Harnröhrenersatz in einem zweizeitigen Verfahren angewendet werden. Histopathologische Untersuchungen haben gezeigt, dass Mundschleimhaut in die Umgebung einwächst, ohne sich histologisch zu verändern und ohne von Narbengewebe überwuchert zu werden.<sup>6</sup> So kann Mundschleimhaut ihre positiven Eigenschaften erhalten. Hierzu zählen die Anpassung ans feuchte Milieu, die schnelle Wundheilung und die guten immunologischen Eigenschaften, die sie auch im Mundraum auszeichnet. Im Folgenden werden die unterschiedlichen Techniken, die sich freier Mundschleimhauttransplantate bedienen, beschrieben.</p> <h2>Mundschleimhautplastiken in der Onlay- oder Inlay-Technik</h2> <p>Unter Mundschleimhaut-Onlay versteht man die ventrale Augmentation der Harnröhre mit Mundschleimhaut. Hierzu wird das Corpus spongiosum ventral inzidiert, bis ein ventrales Aufklappen der Harnröhre, distal der Striktur, möglich ist. Über eine Knopfsonde oder einen Führungsdraht kann dann die Striktur nach proximal mit dem Messer durchtrennt werden. Sobald ein weites Lumen proximal der Striktur erreicht wird, ist die gesamte Striktur ventral eröffnet. Voraussetzung für das Einnähen eines Mundschleimhauttransplantates ist, dass die dorsale Urethralplatte noch erhalten ist und damit eine seitliche Adaptation in Form einer fortlaufenden Naht möglich ist. Nun kann die Länge der zu substituierenden Strecke gemessen werden, damit später im Mundraum eine möglichst kleine, der maximal nötigen Transplantatlänge entsprechende Läsion entsteht. Nach Entnahme des Mundschleimhauttransplantates wird dieses durch bereits vorgelegte Haltenähte proximal fixiert und anschliessend fortlaufend, Seit-zu- Seit an die Harnröhrenschleimhaut genäht (Abb. 1). Danach wird das Corpus spongiosum über dem Transplantat verschlossen (Abb. 2). Mit der kompletten Deckung des Transplantates durch das Corpus spongiosum ist die sofortige Blutversorgung des Transplantates gewährleistet und gleichzeitig wird eine spätere Divertikelbildung verhindert. Aufgrund des kräftig ausgebildeten Corpus spongiosum im proximalen Harnröhrenabschnitt ist das Onlay die Technik der Wahl in diesem Bereich.<br /> Um zu verstehen, warum im distalen Abschnitt der Harnröhre eine Inlay-Technik erforderlich wird, muss man sich die Anatomie des Corpus spongiosum klarmachen. Das Corpus spongiosum ist im proximalen Harnröhrenabschnitt, ungefähr bis zum penobulbären Übergang, ventral sehr kräftig ausgebildet. In diesem Bereich ist ein separates Vernähen zur Deckung des Transplantates mit ausreihend spongiösem Gewebe möglich. Je weiter distal, umso dünner wird das Corpus spongiosum. Im Bereich der penilen Harnröhre ist das Corpus spongiosum so dünn ausgebildet, dass ein Verschluss über einem Mundschleimhauttransplantat nicht in der Weise möglich ist, dass genügend spongiöses Gewebe das Transplantat anschliessend deckt. Aus diesem Grund muss in dem Bereich ein Inlayoder auch dorsales Onlay-Verfahren Anwendung finden.<br /> Hierzu stehen mehrere Techniken zur Verfügung. Beim klassischen Asopa<sup>7</sup> wird die Harnröhre zunächst ventral über der Striktur eröffnet. Anschliessend erfolgt eine dorsale Inzision des strikturierten Abschnittes bis ca. 1cm in die gesunde Schleimhaut hinein. Nach Präparation eines gut durchbluteten Transplantatbettes wird ebenfalls die zu ersetzende Länge gemessen und ein entsprechendes Mundschleimhauttransplantat entnommen. Nach Einnähen des Transplantates erfolgen die Einlage eines Katheters und der anschliessende ventrale Verschluss der Harnröhre.<br /> Eine alternative Technik ist das dorsale Onlay, bei dem die Harnröhre zunächst komplett vom Corpus Cavernosum abpräpariert wird, danach um 180° rotiert wird und das Mundschleimhauttransplantat in der Onlay-Technik eingenäht wird. Anschliessend wird die Harnröhre rückrotiert und seitlich am Corpus cavernosum fixiert.<br /> Bei beiden Techniken gewährleistet das Gewebsbett auf den Corpora cavernosa die Versorgung des Transplantates.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Uro_1801_Weblinks_s6_abb1.jpg" alt="" width="685" height="1126" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Uro_1801_Weblinks_s6_abb2.jpg" alt="" width="685" height="1126" /></p> <h2>Zweizeitiges Verfahren</h2> <p>Die oben genannten Augmentationstechniken setzen eine gut erhaltene Urethralplatte voraus, die es ermöglicht, ein Transplantat dorsal oder ventral einzunähen. Ist sie komplett vernarbt, ist eine Augmentation nicht mehr möglich. In diesem Fall muss das strikturierte Areal komplett exzidiert werden. Das entnommene Mundschleimhauttransplantat muss in diesem Fall die komplette Harnröhre in diesem Bereich ersetzen, im Sinne eines «complete tube». Nach Resektion der Narbe muss ein gut durchblutetes Transplantatbett geschaffen werden. Dies kann durch Mobilisation von paraurethralem Gewebe und Deckung des Defektes erreicht werden. Die Mundschleimhaut wird anschliessend in das Gewebsbett genäht und die Haut lateral fixiert. Die Mundschleimhaut liegt somit offen und muss zunächst über einen Zeitraum von ca. 3 Monaten einheilen. Entscheidend ist ein ausreichender Kontakt des Transplantates in den ersten postoperativen Tagen. Hierzu dient die Anlage eines Kompressionsverbandes, der für ca. 1 Woche belassen werden sollte. Der Harn wird in dieser Zeit durch einen suprapubischen Katheter aus der Harnblase abgeleitet. Bis zum endgültigen Harnröhrenverschluss nach drei Monaten kann der Patient über den proximal des Transplantates mündenden Neomeatus miktionieren.<br /> Im Rahmen der zweiten Sitzung wird das unter dem Transplantat angewachsene Gewebe seitlich vorsichtig mobilisiert und die Mundschleimhaut anschliessend tubulär verschlossen. Die ventrale Naht wird mit möglichst vielen subkutanen Schichten gedeckt, um eine Wundheilungsstörung und Fistelbildung zu vermeiden. Mit dieser Technik können auch längerstreckige, schwerwiegende Strikturen erfolgreich rekonstruiert werden.<sup>8</sup></p> <h2>Weitere Anwendungen von Mundschleimhaut und Limitationen</h2> <p>Mundschleimhaut kann ubiquitär und unter verschiedensten Voraussetzungen verwendet werden. Wichtig ist allein die Gewährleistung einer unmittelbaren Blutversorgung, die, wie beschrieben, in der proximalen Urethra durch das Corpus spongiosum übernommen wird und in der distalen Harnröhre von einem vaskularisierten Wundbett auf den Corpora cavernosa garantiert wird. So lässt sich Mundschleimhaut auch im Bereich des Meatus für Meatusplastiken verwenden. Insbesondere wenn Patienten einen hypospaden Meatus aus kosmetischen Gründen ablehnen, oder bei längerstreckigen Meatusengen, die sich bis in die distale penile Harnröhre erstrecken. Auch zur Rekonstruktion der weiblichen Urethra findet Mundschleimhaut mehr und mehr Verwendung. In diesem Fall wird ebenfalls das Inlay-Verfahren angewendet und die Mundschleimhaut dorsal unter der Symphyse platziert. Gerade bei distalen Strikturen nach rezidivierenden Meatusengen ist die Patientenzufriedenheit sehr hoch. Bei proximalen Engen besteht die Gefahr der Inkontinenz, sollte sich die Striktur bis in den Sphinkter hinein erstrecken.<br /> Da Mundschleimhaut nicht die Tendenz wie epidermale Haut hat, Defekte zu decken, wird sie auch zur Korrektur von rezidivierenden kutanen Engen verwendet. Hier findet sie bei Rezidivstenosen von Perineostomien Anwendung, auch Ureterkutaneostomien, die zu narbigen Engen im Hautniveau neigen, könnten durch eine laterale Deckung mit Mundschleimhaut erweitert werden.<br /> Grenzen der Verwendung von Mundschleimhaut bestehen lediglich am Ort der Entnahme. Narbige Einziehungen und Taubheitsgefühl sind die am häufigsten beschriebenen Komplikationen, insbesondere nach Entnahme langer Transplantate. Unterschiedliche Entnahmeorte wie Wangeninnenseite, Unterlippe und die Unterseite der Zunge stehen theoretisch zur Verfügung. Bei kürzeren Transplantaten führt die postoperative Schwellung an der Wangeninnenseite am wenigsten zu Problemen. Zudem ist die Mundschleimhaut in diesem Bereich am kräftigsten ausgeprägt. Bei längeren Transplantaten muss die Entnahme bis zur Unterlippe ausgedehnt werden. Besonderes Augenmerk sollte bei der Entnahme auf den Ausführungsgang der Speicheldrüsen gelegt werden und ein ausreichender Abstand zur Zahnreihe sollte eingehalten werden. Besonders in unmittelbarer Nähe zum Lippenrot und an der Unterlippe sollte die Wunde nicht vernäht werden, um narbige Einziehungen zu vermeiden. Eine alleinige Koagulation der Wunde ist ausreichend, ohne dass im Langzeitverlauf Nachteile berichtet werden.</p></p>
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<p><strong>1</strong> Hussain A et al.: Outcome of end-to-end urethroplasty in post-traumatic stricture of posterior urethra. J Coll Physicians Surg Pak 2013; 23: 272-5 <strong>2</strong> Eltahawy EA et al.: Long-term followup for excision and primary anastomosis for anterior urethral strictures. J Urol 2007; 177: 1803-6 <strong>3</strong> el-Kasaby AW et al.: The use of buccal mucosa patch graft in the management of anterior urethral strictures. J Urol 1993; 149: 276-8 <strong>4</strong> Morey AF, Kizer WS: Proximal bulbar urethroplasty via extended anastomotic approach-- what are the limits? J Urol 2006; 175: 2145-9 <strong>5</strong> Engel O et al.: Reconstructive management with urethroplasty. Eur Urol Supp 2016; 15: 13-6 <strong>6</strong> Soave A et al.: Histopathological characteristics of buccal mucosa transplants in humans after engraftment to the urethra: a prospective study. J Urol 2014; 192: 1725-9 <strong>7</strong> Asopa HS et al.: Dorsal free graft urethroplasty for urethral stricture by ventral sagittal urethrotomy approach. Urology 2001; 58: 657-9 <strong>8</strong> Pfalzgraf D et al.: Two-staged urethroplasty: buccal mucosa and mesh graft techniques. Aktuel Urol 2010; 41: 5-9</p>
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