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Forget your PSA …!
Leading Opinions
Autor:
PD Dr. med. Marco Randazzo
Leitender Arzt und Leiter Urologie<br> GZO Spital Wetzikon<br> Spitalstrasse 66<br> 8620 Wetzikon<br> E-Mail: marco.randazzo@gzo.ch
30
Min. Lesezeit
16.05.2019
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<p class="article-intro">Früherkennung mit einem Bluttest. Eine rasche Blutentnahme. Kosten von rund 30 Franken. Und schon weiss man Bescheid – wie praktisch. Doch leider ist es nicht immer so einfach, wie wir uns das wünschen. Im Graubereich zwischen 3 und 10 ng/ml für den PSA-Wert muss das Prostatavolumen in die Beurteilung mit einbezogen werden. Der PSA-Wert alleine reicht hier nicht aus. Gegenfrage: Machen Sie in Ihrer Sprechstunde rasch eine Koloskopie oder eine Mammografie? Jeder prädiktive Test braucht Aufklärung, damit der Patient in Kenntnis der Sachlage mitentscheiden kann, ob er eine Abklärung mit all ihren Vor- und Nachteilen wünscht oder nicht. Dies ist vermutlich das Hauptproblem des PSA-Tests: die verblüffend einfache Anwendung und die geringen Kosten durch eine einfache Blutentnahme.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die Aussagekraft eines niedrigen PSA-Werts ist mit einem negativ prädiktiven Wert von 99 % sehr hoch.</li> <li>Bei einem PSA von ≥ 100 ng/ml ist der positiv prädiktive Wert mit 99 % ebenfalls sehr hoch.</li> <li>Im Graubereich reicht der PSA-Wert alleine nicht aus. «Forget your PSA... if it is between 3 and 10 ng/ml and incorporate the prostate volume! Use risk calculators. Screen only men who will benefit.»</li> </ul> <h2>Blicken wir zurück</h2> <p>Ein Patient erscheint in Ihrer Sprechstunde, er fühlt sich schlapp, hat Knochenschmerzen und Verstopfung. Der Kreatininwert liegt bei 1400 μmol/l. Rektal tastet man einen steinharten Befund der Prostata. Die Biopsie erbringt ein Prostatakarzinom Gleason 3 + 4 = 7. Das Staging gibt Gewissheit über die Metastasierung. Jetzt hilft nur noch die Systemtherapie. «Hoffentlich gibt es keine pathologische Fraktur », das Knochenszintigramm sieht ziemlich dunkel aus mit all den Punkten.<br /> So ähnlich muss die Situation gewesen sein, in der sich Urologen wie Dr. Murphy befunden haben: Über 40 % der diagnostizierten Prostatakarzinomfälle zeigten damals Anzeichen einer Rektum-, Blasenoder Harnleiterinfiltration. Ein Grossteil präsentierte sich klinisch mit hochgradigem Verdacht auf multiple Metastasen. Wir sind im Jahr 1974:<br /> <em>«Despite numerous clinical advances and innovations with hormonal palliation, age-adjusted death rates for prostatic cancer have not significantly changed in the past 40 years»</em> (Dr. Gerald P. Murphy, 1935– 2000).<br /> Dann plötzlich, 1987, die onkologische Sensationsmeldung: «Prostate-specific antigen as a serum marker for adenocarcinoma of the prostate».<sup>1</sup> Die «New York Times» titelte entsprechend: «Blood tests value in early prostate cases» (NYT, 25. August 1993) oder «Marker for cancer of prostate may fight it» (NYT, 6. Oktober 1999). Für nur 30 bis 50 Dollar war es nun möglich, mittels eines einfachen Bluttests mehr über das Prostatakarzinomrisiko zu erfahren.<br /> <em>«I’m confident that with widespread use of P.S.A. testing and effective treatments, we’ll see a significant fall in the prostate cancer death rate within the first decade of the next century»</em> (Dr. William Catalona, NYT, 1999). Die Euphorie war also gross. Viele Amerikaner liessen sich testen. Dass die Prävalenz von Prostatakarzinomen hoch ist, war schon damals bekannt,<sup>2</sup> doch dies trat anscheinend in den Hintergrund. Der Bluttest überstrahlte offenbar alles.</p> <h2>Was sehen unsere Patienten?</h2> <p>Schauen wir hierzu in die Medien. Im Jahr 1993 starb Frank Zappa an einem Prostatakarzinom. Drei Jahre später, 1996, starb François Mitterand an einem Prostatakarzinom. 2017 starb auch James-Bond-Darsteller Roger Moore an den Folgen eines Prostatakarzinoms.<br /> Was empfindet ein Mann bei den Worten «Prostata» und «Krebs»? Fragen Sie einmal Ihre Patienten. Unter den Antworten werden mit grosser Sicherheit folgende Schlagworte kommen: Verlust der Männlichkeit, Impotenz, Urinverlust. Vor allem werden Sie merken, dass manche der Männer Unsicherheit und Angst verspüren – auch wenn andere es etwas lockerer aufnehmen werden. Diese und andere Gründe verpflichten den Arzt, verantwortungsvoll mit dem PSA-Test umzugehen.</p> <h2>Informationen, die der Arzt dem Patienten schuldet</h2> <p>Folgende Informationen sind für den Patienten essenziell, um in Kenntnis der Sachlage zu einem PSA-Test einzuwilligen oder diesen abzulehnen:</p> <ol> <li>Der PSA-Wert ist prostataspezifisch. Nur geringe Mengen werden in anderen Organen, wie in der Schilddrüse<sup>3</sup> oder der weiblichen Brust<sup>4</sup>, gebildet</li> <li>Bei Werten < 2 ng/ml ist man auf der sicheren Seite, vor allem wenn er PSA-Wert < 1 ng/ml liegt (siehe unten).</li> <li>Der PSA-Wert hat einen Graubereich: Zwischen 3 und 10 ng/ml besteht diagnostische Unsicherheit. Hier MUSS der PSA-Wert an das Prostatavolumen gekoppelt werden. Idealerweise wird eine multivariable Berechnung gemacht. Verschiedene Rechner stehen online zur Verfügung (z.B. unter www.prostatecancer- riskcalculator.com). Der PSA-Wert allein reicht in der Grauzone nicht aus.</li> <li>Der positiv prädiktive Wert für das Vorliegen eines Prostatakarzinoms liegt bei 99 %, wenn der PSA-Wert ≥ 100 ng/ml beträgt. Die weltgrösste PSA-Screening- Studie lässt diesen Cut-off-Wert sogar als diagnostisch zu.<sup>5–7</sup></li> <li>In der Allgemeinbevölkerung haben rund 80 % der Männer zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr einen PSA-Wert < 2 ng/ml,<sup>8</sup> rund 50 % der Männer haben sogar einen PSA-Wert < 1 ng/ml.<sup>9, 10</sup> Diesen Männern kann Sicherheit vermittelt werden.<sup>11</sup></li> <li>Wird eine Biopsie erwogen, muss zuerst eine Bildgebung mittels MRI erfolgen.</li> <li>Nicht jedes Prostatakarzinom bedarf einer Behandlung. Die Prävalenz des Prostatakarzinoms ist stark altersabhängig. Es kann also sein, dass das diagnostizierte Prostatakarzinom «nur» überwacht, aber nicht therapiert wird.</li> </ol> <p>Nach der Vermittlung dieser Informationen folgt die Abwägung, ob ein Test gemacht wird oder nicht. Das Gespräch mit dem Patienten soll Informationsdefizite beseitigen. Die Aufklärung muss jedoch individuell an die Informationsbedürfnissen des betreffenden Patienten angepasst werden.<sup>12</sup></p> <p> </p> <h2>Abhängigkeit des PSA-Wertes</h2> <p><strong>PSA – «dem Täter auf der Spur»</strong><br /> Das Protein PSA («prostataspezifisches Antigen» wird von den Epithelzellen der Prostata produziert (Abb. 1). Aus diesem Grund ist das PSA in hoher Konzentration im Ejakulat vorhanden, zu dessen Verflüssigung es beiträgt. Ursprünglich im Jahr 1979 entdeckt,<sup>13</sup> diente das PSA, weil es «prostataspezifisch» ist, bei Sexualdelikten als forensischer Marker für den Nachweis von Ejakulat am Tatort.<sup>14</sup><br /> Da besonders die Transitionalzone der Prostata zu einer Erhöhung des PSA-Werts beträgt, kommt es zu einer «Verwässerung ». Dies führt dazu, dass nicht unterschieden werden kann zwischen dem PSA, das vom Prostataadenom produziert wird, und dem PSA des (gegebenenfalls vorliegenden) Karzinoms. Es gibt Modelle, die das Volumen der Transitionalzone in Bezug auf den PSA-Wert einschätzen können.<sup>15</sup> Dennoch: Da die ultraschallgesteuerte transrektale Prostatabiopsie der heutigen fusionierten Entnahme der Prostatastanzen deutlich unterlegen ist,<sup>16</sup> haben ältere Studien häufig einen Sampling-Bias. In dieser Hinsicht schneiden die Screeningstudien wie jene der ERSPC positiv ab.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Uro_1901_Weblinks_a1-abb1.jpg" alt="" width="793" height="634" /></p> <h2>Ab wann ist ein Prostatakarzinom therapiebedürftig?</h2> <p>Gut differenzierte Prostatakarzinome sind meist klinisch stumm, sodass bei einigen Autoren Zweifel aufkamen, ob es sich hierbei biologisch betrachtet tatsächlich um Karzinome handelt.<sup>17</sup> An internationalen Kongressen wurde gar vorgeschlagen, die Terminologie zu ändern und das gut differenzierte Prostatakarzinom in <em>«Gleason 6 disease»</em> umzubenennen. Dies hat sich jedoch nicht durchgesetzt. Grosse Kohorten mit aktiver Überwachung gaben dieser Auffassung recht.<sup>18</sup> Demgegenüber gab es jedoch immer wieder einzelne Hinweise darauf, dass auch vermeintlich harmlose Prostatakarzinome plötzlich zur Bildung tödlicher Metastasen neigten,<sup>19</sup> weshalb ein engmaschiges, straff organisiertes Beobachtungsschema notwendig ist.<sup>20</sup> <br />Die digitale Untersuchung der Prostata führt zwar zu einer Erhöhung des PSA-Werts, jedoch nur in einem geringen Ausmass.<sup>21, 22</sup> Dennoch empfiehlt es sich, die digitale rektale Untersuchung erst nach der Blutabnahme für die PSA-Messung durchzuführen, um einen möglichst nativen PSA-Wert zu haben («je niedriger, desto besser»).<sup>8</sup></p> <h2>Welche Testintervalle, wenn das PSA niedrig ist?</h2> <p>Abbildung 2 zeigt einen Vorschlag, wie die Testintervalle aussehen könnten, wenn der PSA-Wert < 3 ng/ml beträgt. Liegt der PSA-Wert zwischen 0 und 1 ng/ml, kann dem Patienten Sicherheit vermittelt werden. Er befindet sich an der Basis der Pyramide, da, wo sich rund 50 % der Männer befinden. Das Risiko, innert 8 Jahren an einem aggressiven Prostatakarzinom zu erkranken, liegt hier im Promillebereich. Ein erneuter Test nach 4 Jahren scheint hier absolut ausreichend zu sein. Liegt der PSA-Wert zwischen 1 und 2 ng/ml, ist ein Intervall von 2 Jahren sinnvoll. Der negativ prädiktive Wert liegt hier bei 99 % für den oben erwähnten Zeitraum. Erst ab einem PSA-Wert von 2–3 ng/ml ist eine jährliche Kontrolle durchzuführen bzw. zu erwägen, sofern ein Screeningwunsch besteht. Selbst in dieser Situation ist das Risiko, ein therapiebedürftiges Karzinom zu verpassen, minimal.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Uro_1901_Weblinks_a1-abb2.jpg" alt="" width="792" height="461" /></p> </div></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Stamey TA et al.: Prostate-specific antigen as a serum marker for adenocarcinoma of the prostate. N Engl J Med 1987, 317: 909-16 <strong>2</strong> Franks LM: Latent carcinoma of the prostate. J Pathol Bacteriol 1954; 68: 603-16 <strong>3</strong> Magklara A et al.: Expression of prostate-specific antigen and human glandular kallikrein 2 in the thyroid gland. Clin Chim Acta 2000; 300: 171-80 <strong>4</strong> Black MH et al.: Expression of a prostate- associated protein, human glandular kallikrein (hK2), in breast tumours and in normal breast secretions. Br J Cancer 2000; 82: 361-7 <strong>5</strong> Schroder FH et al.: Screening and prostate cancer mortality: results of the European Randomised Study of Screening for Prostate Cancer ( ERSPC) at 13 years of follow-up. Lancet 2014; 384: 2027- 35 <strong>6</strong> Schroder FH et al.: Prostate-cancer mortality at 11 years of follow-up. N Engl J Med 2012; 366: 981-90 <strong>7</strong> Schroder FH et al.: Screening and prostate- cancer mortality in a randomized European study. N Engl J Med 2009; 360: 1320-8 <strong>8</strong> Randazzo M et al.: A «PSA Pyramid» for Men with Initial Prostate-specific Antigen ≤3 ng/ml: A Plea for Individualized Prostate Cancer Screening. Eur Urol 2015; 68: 591-7 <strong>9</strong> Roobol MJ et al.: Is additional testing necessary in men with prostate-specific antigen levels of 1.0 ng/mL or less in a population-based screening setting? (ERSPC, section Rotterdam). Urology 2005; 65: 343-6 <strong>10</strong> Randazzo M et al.: Is further screening of men with baseline PSA < 1 ng ml(-1) worthwhile? The discussion continues-Results of the Swiss ERSPC (Aarau). Int J Cancer 2015; 137: 553-9 <strong>11</strong> Carlsson S et al.: Influence of blood prostate specific antigen levels at age 60 on benefits and harms of prostate cancer screening: population based cohort study. BMJ 2014; 348: g2296 <strong>12</strong> Hausheer HJ, Manuel: Unsorgfältige ärztliche Behandlung – Arzthaftung. In: Weber, Stephan; Münch, Peter (eds.) Haftung und Versicherung: Beraten und Prozessieren im Haftpflicht- und Versicherungsrecht; 2. Auflage. Handbücher für die Anwaltspraxis (pp. 895- 946). Basel: Helbing Lichtenhahn, 2015 <strong>13</strong> Wang MC et al.: Purification of a human prostate specific antigen. Invest Urol 1979, 17: 159-63 <strong>14</strong> Graves HC et al.: Postcoital detection of a male-specific semen protein. Application to the investigation of rape. N Engl J Med 1985, 312: 338-43 <strong>15</strong> Zlotta AR et al.: Prostate specific antigen density of the transition zone: a new effective parameter for prostate cancer prediction. J Urol 1997, 157: 1315-21 <strong>16</strong> Ahmed HU et al.: Diagnostic accuracy of multi-parametric MRI and TRUS biopsy in prostate cancer (PROMIS): a paired validating confirmatory study. Lancet 2017; 389: 815-22 <strong>17</strong> Carter HB et al.: Gleason score 6 adenocarcinoma: should it be labeled as cancer? J Clin Oncol 2012, 30: 4294-6 <strong>18</strong> Klotz L et al.: Long-term follow-up of a large active surveillance cohort of patients with prostate cancer. J Clin Oncol 2015, 33: 272-7 <strong>19</strong> Haffner MC et al.: Tracking the clonal origin of lethal prostate cancer. J Clin Invest 2013, 123: 4918-22 <strong>20</strong> Seiler D et al.: Pathological stage distribution in patients treated with radical prostatectomy reflecting the need for protocol-based active surveillance: results from a contemporary European patient cohort. BJU Int 2012; 110: 195-200 <strong>21</strong> Crawford ED et al.: The effect of digital rectal examination on prostatespecific antigen levels. JAMA 1992; 267: 2227-8 <strong>22</strong> Borgermann C et al.: PSA quo vadis? It is reasonable to start with prostate-specific antigen testing at the age of 40! Cancer Epidemiol Biomarkers Prev 2011; 20: 1190-5</p>
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