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Einige Bemerkungen zu Johann Lucas Schönlein (1793–1864)

<p class="article-intro">Nachdem wir im letzten Heft einiges von Schönleins Werdegang erfahren haben, wollen wir uns nun mit einigen wichtigen Begegnungen befassen, die er machte. Wir lernen Personen kennen, die ihn beeinflusst haben oder die von seiner Arbeit beeinflusst worden sind.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Die erste Frage, die sich stellt, ist: In welcher medizinischen Zeitspanne arbeitete Sch&ouml;nlein? Wenn wir uns an die &bdquo;Ged&auml;chtnisrede von Virchow auf seinen Lehrer Sch&ouml;nlein&ldquo; (vom 23. J&auml;nner 1865) halten, scheint es uns sicher, dass es sich bei der &bdquo;Sch&ouml;nlein&rsquo;schen Zeitspanne&ldquo; auch um die &bdquo;moderne, kausale Medizin&ldquo; handelt. H&ouml;ren wir noch einmal Virchow: <em>&bdquo;1811 bezog Sch&ouml;nlein die Universit&auml;t Landshut; diese war damals eine der frischesten Universit&auml;ten in Deutschland; in allen Facult&auml;ten lehrten ber&uuml;hmte M&auml;nner; die medizinische namentlich stand mitten in der Bewegung. Man k&auml;mpfte um die Grundlage der Wissenschaft, nicht bloss um die Prinzipien der Doctrin von Leben und Krankheit, sondern sogar um die Methode. Es war der Wendepunkt zwischen alter (der classischen Medizin, mehr als zweitausend Jahre alt!) oder (und) der neuen Medizin in Deutschland gekommen; es sollte sich entscheiden, ob Medizin durch Beobachtung oder durch Spekulation, ob sie naturwissenschaftlich oder philosophisch aufzubauen sei. &ndash; Lassen Sie uns bei diesen f&uuml;r alle Zeit Epoche machenden Vorg&auml;ngen einen Augenblick verweilen.&ldquo;</em><br /> Es geht um die Streitigkeiten des Animalisten Georg Ernst Stahl (1659&ndash;1734), der zum Leben eine Seele brauchte, mit dem ruhigen, klinisch beobachtenden Friedrich Hoffmann (1660&ndash;1742), den Boerhaave (1668&ndash;1738), der gro&szlig;e Meister in Leiden in den Niederlanden, so unterst&uuml;tzte. Man sprach damals auch viel von Andreas Roeschlaub (1768&ndash;1835), Arzt und Pathologe zun&auml;chst in Bamberg, dann in Landshut und schlie&szlig;lich in M&uuml;nchen, der einer der wichtigsten Brownerianer in Deutschland war. Der Brownianismus, eine medizinische Reformbewegung basierend auf dem neurophysiologischen K&ouml;rper- und Krankheitskonzept des schottischen Arztes John Brown (1735&ndash;1788), hatte in Deutschland gut Fu&szlig; gefasst. So schreibt Virchow: <em>&bdquo;Aber in Landshut fand Roeschlaub seine Meister. Da war Tiedemann, der gro&szlig;e vergleichende Anatom, nachmals so ber&uuml;hmt als experimentirender Physiolog; da war vor Allen Baron Philipp Franz von Walther (1782&ndash;1849). Sein Einfluss auf Deutschland ward entscheidend. Durch seine beiden ber&uuml;hmteren Sch&uuml;ler: in Landshut Sch&ouml;nlein und ein Decennium sp&auml;ter in Bonn Johannes M&uuml;ller, ist er der Urheber der Wissenschaft geworden. Er ist es, der von der Medizin verlangte, dass sie Naturwissenschaft werde; er hat die Forderung aufgestellt, dass sie alle H&uuml;lfsmittel der objectiven Beobachtung heranziehe. &sbquo;Die Medicin kann&lsquo;, sagte er, &sbquo;wahre Fortschritte nur dadurch machen, dass sie ganze Physik, Chemie und alle Naturwissenschaft auf sie anwendet.&ldquo;</em> Hier &uuml;bertreibt der Autor, denn der wissenschaftliche Fortschritt verlief damals so rasant, dass es ausreichte, nur die jeweils modernsten Methoden anzuwenden.</p> <h2>Die &bdquo;moderne, kausale Medizin&ldquo; in Deutschland</h2> <p>Nachdem jetzt in Deutschland bereits die &bdquo;moderne, kausale Medizin&ldquo; erreicht war, interessierten nat&uuml;rlich andere Erkl&auml;rungen bez&uuml;glich der Entstehung von Krankheiten nicht mehr. Das Gleiche gilt f&uuml;r die Suche nach weiteren Therapieverfahren, nachdem man in der relativ kurzen Zeit von zwei- bis dreihundert Jahren so gro&szlig;en Erfolg hatte verglichen mit mehr als zweitausend Jahren klassischer Therapie. Und so begreife ich auch nicht, warum in der &bdquo;modernen, kausalen Medizin&ldquo; Therapeuten immer wieder darauf hinweisen, dass sie sicher nicht beispielsweise auf Hippokrates verzichten werden. Auch ich verehre Hippokrates f&uuml;r das, was er unter sicher schwierigen Bedingungen f&uuml;r uns sammeln konnte. Unser Wissen in der heutigen Medizin ist wesentlich gr&ouml;&szlig;er und wir haben Medikamente, die gl&uuml;cklicherweise ganz spezifisch auf erkrankte Zellen oder sogar nur auf spezielle Teile einer Zelle wirken. Dies ist eine Situation, von der Thomas Sydenham (1624&ndash;1689) nur tr&auml;umen konnte!<br /> Wie Deutschland in die &bdquo;moderne, kausale Medizin&ldquo; eingestiegen ist, ist von Virchow sehr sch&ouml;n dargestellt worden. Es stellt vielleicht auch klar, wieso Sch&ouml;nlein vieles durch seine bessere Diagnostik oder vielleicht das genauere Beobachten von Ver&auml;nderungen am menschlichen K&ouml;rper erkannte. Dazu geh&ouml;ren etwa Ikterus bei Lebererkrankungen, Blauf&auml;rbung an den Enden der Extremit&auml;ten oder des Gesichts durch Sauerstoffmangel oder Extrasystolen bei Herzkrankheiten. Die Obduktion hingegen ist f&uuml;r den Kliniker nicht direkt von Bedeutung, denn sein Ziel muss die Rettung des Patienten sein und nicht nur die genauere Diagnose durch die Obduktion. So haben die fr&uuml;hen Meister der &bdquo;modernen, kausalen Medizin&ldquo; mit dem reichen Sammeln von Krankengeschichten versucht, auch ohne Obduktion zu einigerma&szlig;en exakten Diagnosen beim Patienten zu gelangen. Offensichtlich erwarb Sch&ouml;nlein relativ rasch auf diese Weise gro&szlig;e Erfahrung in der Diagnose und dem Erkennen des Krankheitsstatus (wie weit die Erkrankung bereits fortgeschritten war). Ihm lag viel daran, diese Kunst auch an seine Studenten weiterzugeben. Wie wir von Virchow erfahren haben, war man damals bez&uuml;glich des Erlernens der &bdquo;modernen, kausalen Medizin&ldquo; an der Universit&auml;t in Landshut auf einem sehr guten Weg.<br /> 1813 wechselte Sch&ouml;nlein von Landshut ins Juliusspital nach W&uuml;rzburg, eines der gr&ouml;&szlig;ten Spit&auml;ler in Deutschland, wo Carl Caspar von Siebold Anatomie, Chirurgie und Geburtshilfe lehrte. F&uuml;r Letztere interessierte sich besonders sein j&uuml;ngster Sohn Adam Elias, der deshalb auch 1800 Lukas Johann Boer in der Josephinischen Akademie in Wien besuchte. Adam Elias wurde 1805 ordentlicher Professor f&uuml;r Geburtsheilkunde in W&uuml;rzburg und 1817 wurde er nach Berlin berufen. Dort sollte er eine geburtshilfliche Poliklinik und eine Klinik f&uuml;r Frauen einrichten. Als Urologe muss ich auch deshalb den j&uuml;ngsten Sohn von Caspar von Siebold erw&auml;hnen, weil dieser einer der wenigen war, der die Verwendung des ersten Endoskops (des Bozzini&rsquo;schen Lichtleiters) f&uuml;r die Geburtsheilkunde empfahl. Er ging damit einen neuen Weg, auf den man nicht mehr verzichten kann.<br /> Zusammenfassend k&ouml;nnte man sagen, dass Deutschland in Europa die &bdquo;moderne, kausale Medizin&ldquo; relativ sp&auml;t einf&uuml;hrte. F&uuml;r Sch&ouml;nlein war es von Vorteil, dass er von der Universit&auml;t in Landshut kam, die (nach Virchow) eine der Wiegen der &bdquo;modernen, kausalen Medizin&ldquo; in Deutschland war.<br /> Derzeit nimmt man beispielsweise an, dass der Beginn der Bakteriologie bereits in den 1850er-Jahren festzulegen ist. 1867 ver&ouml;ffentlichte Joseph Lister (1827&ndash; 1912) die Behandlungsergebnisse bei der Anwendung seiner antiseptischen Wundbehandlung, und seit 1891 gibt es das Institut f&uuml;r Infektionskrankheiten, das sp&auml;ter &bdquo;Robert-Koch-Institut&ldquo; hie&szlig;. Man sieht, wie erfolgreich die &bdquo;neue Medizin&ldquo; (nach Virchow) war und wie rasch man bereits damit behandeln und arbeiten konnte.</p> <h2>Die Begegnung mit Franz Unger</h2> <p>Eine weitere wichtige Begegnung mit Sch&ouml;nlein steht in Zusammenhang mit Professor Franz Unger (1800&ndash;1870), der 1840 einen &bdquo;offenen Brief&ldquo; mit dem Titel &bdquo;Beitr&auml;ge zur vergleichenden Pathologie&ldquo; (in Form eines Buches oder &bdquo;Sendeschreibens&ldquo;) an Sch&ouml;nlein schickte. Unger stammte aus der Steiermark und war Professor f&uuml;r Botanik in Graz und Wien. Der Pathologe und Botaniker war in ganz Europa sehr angesehen und kannte aufgrund wissenschaftlicher Reisen viele Botaniker. Er selbst blieb jedoch immer in &Ouml;sterreich. Zun&auml;chst wirkte er in Graz, wo er ab 1830 in seinem Garten so etwas wie eine &bdquo;Pflanzen-Klinik&ldquo; betrieb. Mehrmals wollte er die dortige Universit&auml;t verlassen, doch diese bem&uuml;hte sich jedes Mal, ihn durch eine Erh&ouml;hung des Gehalts in der Steiermark zu halten. Als aber 1847 die Akademie der Wissenschaften in Wien geschaffen wurde, geh&ouml;rte Unger selbstverst&auml;ndlich zu den Erstberufenen.<br /> Er wandte sich schon damals gegen Tierversuche und riet &ndash; unter anderem Sch&ouml;nlein &ndash; dazu, mit erkrankten Pflanzen zu arbeiten, da die Pflanzenk&ouml;rper gr&ouml;&szlig;er, einfacher und &uuml;bersichtlicher gebaut waren als tierische. Als er den &bdquo;offenen (jedem zug&auml;nglichen) Brief&ldquo; schrieb, hatte Unger bereits zehn Jahre mit erkrankten Pflanzen gearbeitet. Und weil er diese Pr&auml;parate auch mikroskopisch untersuchte, bedeutet dies, dass Unger histologische Untersuchungen an erkrankten Pflanzenzellen bereits um 1830 in Graz machte &ndash; lange vor Virchows T&auml;tigkeit in Berlin.</p> <h2>Europa entdeckt &bdquo;die Zellen&ldquo;</h2> <p>Das Thema &bdquo;Zellen&ldquo; wurde zu dieser Zeit in Europa ausgiebig behandelt. Man glaubte, dass alle Zellen recht &auml;hnlich gebaut und die Mutterzellen so ausgestattet seien, dass sie ihre Eigenschaften den Tochterzellen weitergeben k&ouml;nnen. Unger durfte daher annehmen, dass die Unterschiede der Zellen von Pflanzen und menschlichen K&ouml;rpern nicht sehr gro&szlig; waren.<br /> Erinnern wir uns an die Arbeiten der beiden deutschen Wissenschaftler Theodor Ambrose Schwann (1810&ndash;1882) und Matthias Jacob Schleiden (1804&ndash;1881). Sie kannten einander, waren Freunde und besch&auml;ftigten sich mit der gleichen Thematik, n&auml;mlich mit den Zellen. Aus dem <em>&bdquo;Fachlexikon abc: Forscher und Erfinder&ldquo;</em> erfahren wir von dem 1842 erschienenen wichtigen Buch <em>&bdquo;Grundz&uuml;ge der wissenschaftlichen Botanik nebst einer methodologischen Einleitung als Anleitung zum Studium der Pflanze&ldquo;</em> von Schleiden (Erster Theil: Methodologische Einleitung. Vegetabilische Stofflehre. Die Lehre von der Pflanzenzelle, Leipzig, Verlag Wilhelm Engelmann, 1842). Es beschrieb die fortgeschrittene Entwicklungslehre, wie aus ganz einfachem Gewebe Organe oder funktionell ganz spezifische Gewebe entstehen. Schwann und Schleiden, beide Mediziner und Naturwissenschaftler, besch&auml;ftigten sich sehr eingehend mit den Zellen, den Bausteinen der Pflanzen (Schleiden) und der Tiere (Schwann). Der Begriff &bdquo;Zelle&ldquo; stammt von Robert Hooke, dem sogenannten Kurator der Experimente der damals noch jungen Royal Society in London. Hooke baute selbst Mikroskope und schrieb im Auftrag der Society das erste Buch &uuml;ber die Mikroskopie, die &bdquo;Micrographia&ldquo;. Bei seinen Studien fand er unter dem Mikroskop in der Rinde von Korkeichen die kleinen R&auml;ume, in denen die Zellen &bdquo;wohnten&ldquo;. Er erfand viel Technisches, unter anderem f&uuml;r die Flotte Englands. Und er half auch Newton beim Ausarbeiten der Gravitationstheorie. Newton soll Hooke und andere Helfer in seinen damaligen &bdquo;Principia&ldquo; erw&auml;hnt haben. In den sp&auml;teren Ausgaben wurden alle diese Namen aus seinem Werk entfernt.<br /> In der n&auml;chsten Ausgabe der <em>Urologik</em> werden wir uns n&auml;her mit Franz Unger und seinem Wirken, aber auch seinem &ndash; m&ouml;glicherweise gewaltsamen &ndash; Tod befassen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Urologik_Uro_1702_Weblinks_urologik_uro_1702_foto-j.schoen.jpg" alt="" width="723" height="808" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Urologik_Uro_1702_Weblinks_urologik_uro_1702_foto-f.unger.jpg" alt="" width="723" height="808" /></p> <p><em>Wegen des gro&szlig;en Umfangs des zur Verf&uuml;gung stehenden Materials konnten hier nur Ausz&uuml;ge wiedergegeben werden. Wer mehr erfahren m&ouml;chte, kann sich direkt an den Autor wenden.</em></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>beim Verfasser</p> </div> </p>
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