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Einfluss und Wirkung auf den Körper
Urologik
30
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30.03.2017
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<p class="article-intro">Die Auswirkungen einer Langzeittherapie mit Testosteron wurden in den vergangenen Jahren teils heftig diskutiert. Befürworter und Gegner argumentierten dabei oftmals sehr emotional und die Berichterstattung darüber verunsicherte Ärzte und Patienten gleichermaßen. Deshalb ist es wichtig, die Fakten zur Testosterontherapie einmal genauer anzusehen, wie Prof. Christian Kratzig, Wien, beim Kongress „Menopause – Andropause – Anti-Aging“ in Wien betonte.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Eine Testosteronsubstitution sollte nur nach klarer Indikationsstellung begonnen werden.</li> <li>Bei einer gesunden Prostata besteht kein Risiko, durch diese Therapie ein Karzinom zu induzieren. Bei bereits vorhandenen Prostatakarzinomen ist von der Behandlung abzuraten.</li> <li>Die Substitution wirkt sich positiv auf die sexuelle Funktion aus und verbessert die Insulinsensitivität bei Typ-2-Diabetikern.</li> <li>Prospektive Untersuchungen haben günstige Effekte auf das kardiovaskuläre Risiko gezeigt.</li> <li>Da Hämoglobin und Hämatokrit unter der Therapie ansteigen, ist es notwendig, das Blutbild regelmäßig zu kontrollieren.</li> </ul> </div> <p>Wenn man von den Langzeitwirkungen einer Therapie spreche, stelle sich zunächst folgende Frage: Was bedeutet „Langzeit“?, sagte Kratzig. In Studien ist es meist ein Zeitraum von maximal fünf Jahren. Und wenn wir die Wirkungen anschauen, dann müssen wir zwischen den negativen – den unerwünschten Nebenwirkungen – und den positiven – den erwünschten Wirkungen –unterscheiden.</p> <h2>Testosteron und Prostatakarzinome</h2> <p>„Wie ist es dazu gekommen, dass die Testosterontherapie in Verruf geraten ist?“, fragte er und erklärte: „Die Wurzeln liegen bereits in den 1940er-Jahren. Damals haben Huggins und Hodges festgestellt, dass ein Testosteronentzug sich positiv auf das metastasierte Prostatakarzinom auswirkt.<sup>1</sup> Daraus folgte der Umkehrschluss, dass eine Testosteronsubstitution schlecht für die Prostata sein muss. Diese Annahme hat uns viele Jahre lang begleitet.“<br /> Beim Überprüfen, ob dem auch so ist, hilft es, sich eine aktuelle Metaanalyse anzusehen. Die Autoren zogen den PSAWert als Surrogatparameter heran und werteten 26 Studien aus. Dabei zeigte sich, dass die Substitution mit Testosteron nahezu keine Auswirkung auf den PSAWert hatte. Das relative Risiko, infolge der Behandlung ein Prostatakarzinom zu entwickeln, lag bei 0,87.<sup>2</sup> Das heißt, dass ein Mann mit einer gesunden Prostata durchaus ein Testosteronpräparat bekommen kann. Bei einem Patienten, bei dem man kein Prostatakarzinom nachweisen kann, ist die Gefahr, eines zu induzieren, gering. Testosteron ist eine körpereigene Substanz und wird kaum einen Tumor auslösen. Kontraindiziert ist die Behandlung jedoch bei einem manifesten Prostatakarzinom.</p> <h2>Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System</h2> <p>Vor etwa zwei Jahren hat die U.S. Food and Drug Administration (FDA) eine Information herausgegeben, in der sie vor einem möglicherweise erhöhten Risiko für Schlaganfälle und Herzinfarkte aufgrund einer Testosterontherapie warnt.<sup>3</sup> Grundlage war eine Studie, in der zwischen 2009 und 2012 die Verschreibungspraxis für Testosteron untersucht wurde. In diesem Zeitraum kam es fast zu einer Verdoppelung der Testosteronverordnungen (2009: 20.437, 2012: 36.394). Bei 3,6 % dieser Patienten wurde mindestens zweimal der Testosteronspiegel bestimmt und es lagen keine Kontraindikationen für die Therapie vor. Mehr als 16 % der Patienten erhielten Testosteron, obwohl nie ein Hormonspiegel gemessen worden war. Bei 1,4 % der Patienten war ein Prostatakarzinom diagnostiziert worden, 7,6 % litten an einer Schlafapnoe und 3,5 % hatten zu Beginn der Therapie einen erhöhten Hämatokrit. Sie alle wurden trotzdem mit Testosteron behandelt.<sup>4</sup> Darüber hinaus gab es sechs weitere Studien, von denen drei ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko durch die Testosteronsubstitution zeigten und drei nicht.<sup>5–10</sup> Die FDA gab daher eine Warnung heraus für die Substitution bei Männern, die lediglich aufgrund ihres Alters niedrige Testosteronwerte aufweisen. Die Vorteile und Sicherheit dieser Anwendung seien nicht erwiesen, hieß es in dem Statement. Die FDA hat nicht behauptet, dass ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko besteht, sondern nur gesagt, man wisse es nicht.<br /> Daraufhin veröffentlichten Sharma et al eine retrospektive Analyse mit mehr als 83.000 Männern, bei denen niedrige Testosteronspiegel nachgewiesen worden waren. Sie wurden in drei Gruppen eingeteilt. Die erste Gruppe erhielt eine Testosteronsubstitution, woraufhin sich die Hormonspiegel normalisierten. Bei den Männern der zweiten Gruppe führte die Hormonsubstitution nicht zu normalen Testosteronwerten und die dritte Gruppe erhielt keine Therapie. Im Vergleich zur Gruppe 3 (n=13.378, Durchschnittsalter 66 Jahre, mittlere Nachbeobachtungszeit 4,7 Jahre) war das Sterbe-, Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko in Gruppe 1 (n=43.931, durchschnittliches Alter 66 Jahre, mittlere Nachbeobachtungszeit 6,2 Jahre) deutlich geringer: Die Hazard-Ratio (HR) für Tod jeglicher Ursache lag bei 0,44, für einen Myokardinfarkt bei 0,76 und für einen Schlaganfall bei 0,64. Auch im Vergleich zur Gruppe 2 (n=25.701, Durchschnittsalter 66 Jahre, mittlere Nachbeobachtung 4,6 Jahre) schnitt Gruppe 1 besser ab. Hier lag die HR für Tod jeglicher Ursache bei 0,53, für Myokardinfarkt bei 0,82 und für Schlaganfall bei 0,70. Zwischen den Gruppen 2 und 3 gab es dagegen keine signifikanten Unterschiede.<sup>11</sup> Keine definitive Aussage ohne RCT Um jedoch eine evidenzbasierte Aussage über die Wirkungen und Nebenwirkungen eines Arzneimittels zu treffen, benötige man randomisierte, placebokontrollierte Studien (RCT), die für die Aussage adäquat gepowert seien, betonte Kratzig. Diese gibt es für die Testosteronsubstitution zurzeit nicht.<br /> Ist der Einsatz des Testosterons, wie er derzeit praktiziert wird, nämlich als eine Art Lifestyle-Droge, überhaupt sinnvoll? Dazu ist ebenfalls eine aktuelle Studie erschienen, die drei Untersuchungen mit insgesamt 790 Männern im Alter von mindestens 65 Jahren zusammenfasst. Alle hatten nachgewiesene Testosteronwerte von weniger als 275ng/dl und litten unter entsprechenden Beschwerden. Sie wurden in zwei Gruppen randomisiert und erhielten ein Jahr lang entweder ein Testosteron- oder ein Placebogel. Jeder Mann konnte entscheiden, ob er an einer oder mehreren der folgenden Untersuchungen teilnehmen wollte: „sexuelle Funktion“, „körperliche Leistungsfähigkeit“ und „Vitalität“.<br /> Die Testosteronbehandlung steigerte die Serumspiegel des Hormons in den mittleren Normbereich von Männern zwischen 19 und 40 Jahren. Dies war mit einer signifikant gesteigerten sexuellen Aktivität verbunden (p<0,001), ebenso stärkerem sexuellem Verlangen und einer besseren erektilen Funktion (Abb. 1). Nach einem Jahr ließ dies jedoch wieder etwas nach.<br /> Die körperliche Leistungsfähigkeit der beiden Gruppen unterschied sich dagegen nicht. Der Prozentsatz von Teilnehmern, die beim 6-Minuten-Gehtest mindestens 50 Meter mehr zurücklegen konnten, war gleich. Unterschiede gab es jedoch, wenn man sämtliche Teilnehmer aus allen drei Untersuchungen betrachtete (20,5 % Testosteronsubstitution vs. 12,6 % Placebo, p=0,003). Auch auf die Vitalität hatte die Hormonsubstitution keine signifikanten Auswirkungen. Allerdings berichteten die Männer in der Verumgruppe im Vergleich zu jenen in der Placebogruppe von besserer Stimmung und weniger depressiven Symptomen. Die Rate an unerwünschten Effekten war in beiden Gruppen gleich. Lediglich der Hämoglobinwert und der Hämatokrit stiegen unter der Testosterontherapie an.<sup>12</sup><br /> „Wenn man also einem Mann eine Hormonsubstitution verordnet, ist man verpflichtet, zuvor ein Blutbild zu machen und es in regelmäßigen Abständen zu kontrollieren. Dies zu unterlassen, kann man als Kunstfehler ansehen“, sagte Kratzig.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Urologik_Uro_1701_Weblinks_s19_abb1.jpg" alt="" width="1417" height="805" /></p> <h2>Testosteron und kognitive Funktionen</h2> <p>„Oft kommen Patienten in die Ordination und klagen darüber, dass sie sich nicht mehr so gut konzentrieren können und vergesslicher geworden sind. Sie erhoffen sich eine Verbesserung durch die Testosterontherapie“, erklärte er. Auch dazu gibt es eine Studie, und zwar mit 308 Patienten über 60 Jahre und einem Testosteronspiegel unter 300ng/dl. Alle zeigten zu Studienbeginn eine normale kognitive Funktion. Sie erhielten über 36 Monate ein Testosterongel oder Placebo. In der Verumgruppe stiegen die Hormonspiegel wieder in den Normbereich. Die kognitive Funktion änderte sich jedoch nicht.<sup>13</sup> Wie sich eine Therapie auf Menschen mit einer gestörten Kognition auswirkt, zum Beispiel auf Alzheimerpatienten, werde derzeit untersucht und man dürfe auf die Ergebnisse gespannt sein, so Kratzig.</p> <h2>Wirkung auf die Insulinresistenz bei Typ-2-Diabetes</h2> <p>Etwa ein Drittel aller Männer mit Typ- 2-Diabetes leidet auch an einem hypogonadotropen Hypogonadismus (HH). Eine randomisierte, placebokontrollierte Studie untersuchte die Wirkung einer Testosteronsubstitution auf die Insulinresistenz dieser Patienten. Insgesamt wurden 94 Männer rekrutiert, davon 44 mit HH. Die Insulinsensitivität wurde anhand der Glukoseinfusionsrate (GIR) während eines hyperinsulinämisch-euglykämischen Clamps (Insulin-Clamp) bestimmt. Körperfett und fettfreie Masse wurden mittels DEXA und MRT gemessen. Zudem wurden Proben aus dem subkutanen Fettgewebe entnommen und Insulinsignalgene (IR-ß, IRS-1, AKT-2, GLUT4) ermittelt. Die Männer mit HH wurden randomisiert und erhielten über 24 Wochen alle zwei Wochen eine Injektion mit 250mg Testosteron oder Placebo (1ml Kochsalzlösung). Zu Studienbeginn hatten die Männer mit HH eine größere subkutane und viszerale Fettmasse als die eugonadalen. Auch ihre GIR war um 36 % niedriger. Die GIR stieg durch die Testosteronsubstitution um 32 % an als Zeichen einer verbesserten Insulinsensitivität, veränderte sich dagegen unter Placebo nicht (p=0,03). Infolge der Therapie nahm das subkutane Fett der Patienten im Vergleich zur Placebogruppe um 3,3kg ab, während die fettfreie Körpermasse um 3,4kg zunahm (p<0,01). Das viszerale Fett war in beiden Gruppen gleich stark ausgeprägt. Die Expression der Insulinsignalgene war bei den HH-Patienten zu Beginn im Vergleich zu den eugonadalen signifikant erniedrigt, stieg aber unter der Therapie an. Testosteron führte zudem zu einer signifikanten Abnahme der freien Fettsäuren, des C-reaktiven Proteins, von Interleukin 1 beta, Tumornekrosefaktor alpha und Leptin (jeweils p<0,05).<sup>14</sup></p> <h2>Indikation sorgfältig stellen</h2> <p>Untersucht wurde ebenfalls, ob sich die Art der Applikation auf Parameter wie Gesamttestosteron, freies Testosteron, Östradiol, Hämoglobin, Hämatokrit, PSA und Blutfette auswirkt. Verglichen wurden Testosterongele, -injektionen und -pellets. Es zeigte sich, dass vor allem bei Hämatokrit und Hämoglobin die Applikationsart eine Rolle spielt: Beide Werte stiegen unter der Injektionstherapie am stärksten an.<sup>15</sup><br /> „Aufgrund der vorliegenden Daten kann man grundsätzlich die Testosteronsubstitution befürworten. Man sollte sie allerdings nicht wahllos einsetzen“, sagte der Urologe. Es sei unbedingt erforderlich, vor der Therapie eine klare Indikation zu stellen. Dazu gehöre, die Testosteronwerte ordnungsgemäß zu bestimmen und die relevanten Symptome zu erfassen. Der Patient müsse ausführlich über die Behandlung sowie deren mögliche Vor- und Nachteile aufgeklärt werden. Schließlich dürfe man die Nachsorge nicht vernachlässigen. Regelmäßige Kontrolltermine, um den Behandlungserfolg zu überprüfen und mögliche unerwünschte Wirkungen mit dem Patienten zu besprechen, seien unerlässlich. Dass eine Ordinationshilfe auf Anruf des Patienten diesem ein Rezept für ein Testosteronpräparat schicke, entspreche nicht einer guten Nachsorge, erklärte er.</p></p>
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<p><strong>1</strong> Huggins C, Hodges CV: Studies on prostatic cancer. I. The effect of castration, of estrogen and of androgen injection on serum phosphatases in metastatic carcinoma of the prostate. Cancer Res 1941; 1: 293-7 <strong>2</strong> Boyle P et al: Endogenous and exogenous testosterone and the risk of prostate cancer and increased prostate-specific antigen (PSA) level: a meta-analysis. BJU Int 2016; 118: 731-41 <strong>3</strong> FDA Drug Safety Communication: FDA cautions about using testosterone products for low testosterone due to aging; requires labeling change to inform of possible increased risk of heart attack and stroke with use. (3. 3. 2015; www.fda.gov/Drugs/ DrugSafety/ucm430047.htm) <strong>4</strong> Jasuja GK et al: Ascertainment of testosterone prescribing practices in the VA. Med Care 2015; 53: 746-52 <strong>5</strong> Basaria S et al: Adverse events associated with testosterone administration. N Engl J Med 2010; 363: 109-22 <strong>6</strong> Vigen R et al: Association of testosterone therapy with mortality, myocardial infarction, and stroke in men with low testosterone levels. JAMA 2013; 310: 1829-36 <strong>7</strong> Finkle WD et al: Increased risk of non-fatal myocardial infarction following testosterone therapy prescription in men. PLoS One 2014; 9: e85805 <strong>8</strong> Shores MM et al: Testosterone treatment and mortality in men with low testosterone levels. J Clin Endocrinol Metab 2012; 97: 2050-8 <strong>9</strong> Muraleedharan V et al: Testosterone deficiency is associated with increased risk of mortality and testosterone replacement improves survival in men with type 2 diabetes. Eur J Endocrinol 2013; 169: 725-33 <strong>10</strong> Baillargeon J et al: Risk of myocardial infarction in older men receiving testosterone therapy. Ann Pharmacother 2014; 48: 1138-44 <strong>11</strong> Sharma R et al: Normalization of testosterone level is associated with reduced incidence of myocardial infarction and mortality in men. Eur Heart J 2015; 36: 2706-15 <strong>12</strong> Snyder PJ et al: Effects of testosterone treatment in older men. N Engl J Med 2016; 374: 611-24 <strong>13</strong> Huang G et al: Effects of long-term testosterone administration on cognition in older men with low or low-to-normal testosterone concentrations: a prespecified secondary analysis of data from the randomised, double-blind, placebo-controlled TEAAM trial. Lancet Diabetes Endocrinol 2016; 4: 657-65 <strong>14</strong> Dhindsa S et al: Insulin resistance and inflammation in hypogonadotropic hypogonadism and their reduction after testosterone replacement in men with type 2 diabetes. Diabetes Care 2016; 39: 82-91 <strong>15</strong> Pastuszak AW et al: Comparison of the effects of testosterone gels, injections, and pellets on serum hormones, erythrocytosis, lipids, and prostate-specific antigen. Sex Med 2015; 3: 165-73</p>
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