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Phimose

Ein Plädoyer für die Vorhaut

<p class="article-intro">Etwa jeder sechste Mann weltweit ist zirkumzidiert. Auch in Österreich ist die Operation bei Phimose/Paraphimose mit fast 9.400 Eingriffen pro Jahr wahrscheinlich die häufigste chirurgische Intervention. 70 % der Eingriffe finden vor dem 19. Lebensjahr statt, fast ein Drittel in den ersten 4 Lebensjahren. Zieht man die knapp 40.000 männlichen Geburten pro Jahr in Betracht, so ergibt sich eine Rate von Vorhautoperationen von etwa 7 % in den ersten 4 und etwa 13 % innerhalb der ersten 9 Lebensjahre.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Diese Zahlen erscheinen als eindeutig zu viel. Trotzdem wird die Indikation meist nur wenig hinterfragt, der Eingriff selbst wird h&auml;ufig als banale Operation abgetan und dem chirurgischen &bdquo;Sch&uuml;ler&ldquo; &uuml;berlassen. Eine fehlerhaft durchgef&uuml;hrte radikale Zirkumzision hat jedoch mitunter lebenslange funktionelle, kosmetische und psychosoziale Folgen f&uuml;r den jeweils betroffenen Patienten.</p> <h2>Die Seife ist oft sinnvoller als das Skalpell</h2> <p>Weltweit wird die Beschneidung aus medizinischen, religi&ouml;sen und sozial-kulturellen Gr&uuml;nden durchgef&uuml;hrt, wobei die H&auml;ufigkeit regional sehr unterschiedlich ist. Besonders in den USA gibt es eine immer st&auml;rkere Diskussion um die nach wie vor bei etwa 65 % der Neugeborenen durchgef&uuml;hrte Routinezirkumzision.<br /> Die Bef&uuml;rworter argumentieren mit einer niedrigeren Rate an fr&uuml;hkindlichen Harnwegsinfektionen, einer geringeren Gefahr der &Uuml;bertragung von Geschlechtskrankheiten und einem niedrigeren Peniskarzinomrisiko. Der Literatur zu diesem Thema entsprechend m&uuml;ssten 100&ndash;400 Neugeborene zirkumzidiert werden, um einen Harnwegsinfekt im S&auml;uglingsalter verhindern zu k&ouml;nnen. Die Inzidenz des Peniskarzinoms ist insgesamt so niedrig, dass diesbez&uuml;gliche Zahlen noch viel drastischer ausfallen w&uuml;rden. Zum Risiko der &Uuml;bertragung von sexuell &uuml;bertragbaren Krankheiten gibt es sehr widerspr&uuml;chliche Meinungen. Die Devise kann also nur lauten: Waschen statt amputieren.</p> <h2>M&ouml;glicherweise besserer Sex ohne Eingriff</h2> <p>Die anatomische Struktur des Pr&auml;putiums ist bei Primaten seit etwa 65 Millionen Jahren vorhanden. Es ist also nicht anzunehmen, dass die Natur diese mukokutane Struktur sinnlos und ohne funktionellen Nutzen geschaffen hat. Die menschliche Vorhaut ist in ihrem Aufbau einzigartig. Sie weist f&uuml;nf Gewebsschichten mit einer ausgesprochen hohen Dichte an Nervenzellen auf und hat eine spezielle Funktion im Fortpflanzungsprozess.<br /> Im Rahmen der derzeitigen sehr lebhaften Diskussion um die Sexualit&auml;t und die positive Beeinflussung derselben durch Hormone und erektionsf&ouml;rdernde Mittel sollten auch &Uuml;berlegungen zur Funktionalit&auml;t der beteiligten anatomischen Strukturen angestellt werden. Die Vorhaut erm&ouml;glicht einen speziellen Gleitmechanismus im Rahmen des Geschlechtsverkehrs. Bei einer Zirkumzision werden 30&ndash;50 % der Penishaut entfernt. Dadurch kommt es bei der Erektion zu einer Spannung der Penishaut und bei vaginaler Penetration zu einer erh&ouml;hten Reibung an der Scheidenwand. Dies kann, wie Untersuchungen zeigen, zu unangenehmen Sensationen bei beiden Sexualpartnern f&uuml;hren.<br /> Der Gleitmechanismus der Vorhaut, insbesondere die Konstruktion des Frenulums und dessen Verbindung mit der restlichen Pr&auml;putialhaut sorgen f&uuml;r wichtige erogene Stimuli w&auml;hrend des Koitus, vor allem aber im Rahmen des Vorspiels. Bei beschnittenen M&auml;nnern kommt es zu einer verst&auml;rkten Keratinisierung der Glans und dadurch mitunter zu einer verminderten Sensibilit&auml;t, welche wiederum Einfluss auf die ge&uuml;bten Sexualpraktiken haben kann. Diese Erkenntnisse erscheinen mir als wichtiges Argument f&uuml;r eine Vorhauterhaltung bei Therapie einer Phimose.</p> <h2>Oft l&ouml;sen sich Probleme bis zum Ende der Pubert&auml;t</h2> <p>Der Begriff Phimose wird im klinischen Alltag sehr gro&szlig;z&uuml;gig verwendet. Man muss zwischen der physiologischen und der pathologischen Phimose unterscheiden. Eine physiologische Phimose, welche besser als nicht retrahierbare Vorhaut bezeichnet wird, findet sich laut Gairdner (1949) bei 96 % der Neugeborenen. Bei 42 % konnte nicht einmal die Spitze der Glans eingesehen werden. Nach 6 Monaten war die Vorhaut bei 80 % weiterhin nicht zur&uuml;ckziehbar, nach 1 Jahr bei 50 % und nach 3 Jahren nur mehr bei 10 % . Eine longitudinale Beobachtung von &Oslash;ster (1968) an fast 2.000 m&auml;nnlichen Sch&uuml;lern im Alter zwischen 6&ndash;17 Jahren zeigte eine spontane kontinuierliche Resolution der Phimose auf 6 % mit 10&ndash;11 bzw. auf 3 % mit 12&ndash;13 Jahren. Im Alter von 17 Jahren fand sich eine verengte Vorhaut nur mehr bei 1 % der jungen M&auml;nner.</p> <p>Auch die L&ouml;sung der Synechien zwischen Vorhaut und Glans ist ein kontinuierlicher physiologischer Prozess mit weitgehend vollst&auml;ndiger Resolution bis zum Ende der Pubert&auml;t. Fr&uuml;hzeitige gewaltsame Versuche die Vorhaut zu mobilisieren f&uuml;hren zu Verletzungen und reaktiven Vernarbungsprozessen und in weiterer Folge zu einer pathologischen Phimose. Das klinische Bild einer physiologischen Phimose beim vorsichtigen Versuch einer Retraktion k&ouml;nnte man mit dem &Ouml;ffnen einer Blume (&bdquo;flowering&ldquo;) vergleichen, w&auml;hrend eine pathologische Phimose als wei&szlig;lich-narbiger, starrer enger Ring imponiert. Letzteres w&auml;re eine Indikation f&uuml;r eine Zirkumzision im Sinne einer Resektion des ver&auml;nderten Hautanteiles. Absolute Indikationen f&uuml;r eine Vorhautresektion sind die Balanitis xerotica obliterans, welche in 0,8&ndash;1,5 % , und die rezidivierende Balanoposthitis, welche in etwa 1 % der Knaben beobachtet werden kann. Somit ergibt sich f&uuml;r etwa 2&ndash;4 % eine tats&auml;chliche Operationsindikation. Die Ballonierung der Vorhaut im Rahmen der Miktion ohne Schmerzen und ohne begleitende Pathologie des Harntraktes ist keine Indikation zur Zirkumzision.</p> <h2>Prim&auml;r konservativer therapeutischer Ansatz</h2> <p>Deshalb muss in Erinnerung gerufen werden, dass eine enge Vorhaut&ouml;ffnung bis zum Ende des 3. Lebensjahres absolut normal ist und sich die Indikation f&uuml;r ein therapeutisches Prozedere, abgesehen von den vorgenannten Indikationen, erst bei bestehender Enge ab dem 6. Lebensjahr ergibt. Hier wiederum sollte der erste therapeutische Schritt ein konservativer Behandlungsversuch mit einer Kortison- oder Hormonsalbe darstellen. Die Erfolgsraten liegen nach eigenen Erfahrungen und der Literatur entsprechend bei etwa 80 % .</p> <p>Bei gegebener Operationsindikation muss den Eltern neben der radikalen Zirkumzision je nach Situs auch eine geeignete vorhauterhaltende Technik in Form einer Vorhautplastik (z.B. nach F&ouml;derl, 1908; Abb. 1+2) oder einer Tripelinzision (Fischer-Klein, 2003; Abb. 3), welche ausgezeichnete und, wie wir nachweisen konnten, zufrieden stellende funktionelle und kosmetische Ergebnisse liefern, angeboten werden. Die m&auml;nnliche Vorhaut muss als integrierender normaler Bestandteil des &auml;u&szlig;eren Genitales betrachtet und respektiert werden. Sie geh&ouml;rt zur Glans wie das Lid www.universimed.com 38 zum Auge. Es kann nicht sein, dass im Zeitalter der minimalinvasiven Chirurgie und der organerhaltenden Operationstechniken in der Onkologie ein gesunder oder nur teilweise erkrankter K&ouml;rperteil meist ohne direkte Zustimmung des Betroffenen einfach entfernt wird.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Urologik_Uro_1701_Weblinks_uro_05_2005_abb1+2_vorhaut_rauchenwald.jpg" alt="" width="352" height="611" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Urologik_Uro_1701_Weblinks_uro_05_2005_abb3_vorhaut_rauchenwald.jpg" alt="" width="541" height="284" /></p> <h2>Der Psychologie breiteren Raum geben</h2> <p>Im Rahmen des chirurgischen Managements von Kindern wird psychologischen Aspekten im Hinblick auf m&ouml;gliche Traumatisierungen viel Diskussion und Aufmerksamkeit gewidmet.<br /> Diese kritische Einstellung sollte auch f&uuml;r die nur scheinbar banale und oft nicht einmal als Krankheit zu bezeichnende Erscheinung der Phimose und deren Behandlungsmodalit&auml;ten gelten.</p></p>
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