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«Die Robotik hat die Urologie revolutioniert»
Leading Opinions
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02.05.2019
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<p class="article-intro">Das Prostatakarzinom ist immer noch die häufigste Krebserkrankung beim Mann. Anlässlich des Frühjahrssymposiums «Rund um das Prostatasyndrom» am Kantonsspital Winterthur haben wir mit Prof. Hubert John über die wichtigsten Neuerungen in der Diagnostik und Therapie des Prostatasyndroms und des Prostatakarzinoms sowie über den Einsatz der roboterassistierten Chirurgie in der Urologie gesprochen.</p>
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<p class="article-content"><p><strong>Herr Prof. John, Sie haben am Kantonsspital Winterthur (KSW) im Frühjahr ein Symposium rund um das Prostatasyndrom und das Prostatakarzinom veranstaltet. Wie wichtig ist dieses Meeting für Sie?</strong><br /><strong> H. John:</strong> Das Frühlingssymposium in Winterthur hat inzwischen zum zehnten Mal stattgefunden. Das Meeting wird erfreulicherweise zunehmend mit grossem Interesse verfolgt, etwa 85 Kollegen – sowohl Grundversorger als auch Urologen – haben dieses Jahr wieder teilgenommen. Ausserdem sind alle Inhalte der Veranstaltung für die Teilnehmer in einem Separatum von «Urologie in der Praxis» nochmals zum Nachlesen verfügbar.</p> <p><strong>Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Neuerungen, die beim Frühjahrssymposium diskutiert wurden?</strong><br /><strong> H. John:</strong> Bei der Diagnostik wurde auf die Bedeutung der Miktionsanamnese und des Miktionstagebuchs hingewiesen, beides liefert sehr viel Information für die Diagnose. Durch diese Anamnese kann in den allermeisten Fällen geklärt werden, ob noch weitere Untersuchungen wie z. B. Zystoskopie oder Urodynamik nötig sind. Bei der medikamentösen Therapie des benignen Prostatasyndroms ist die Phytotherapie zu erwähnen. Als nebenwirkungsarme Behandlungsform ist sie v. a. bei jüngeren Patienten mit noch nicht ausgeprägter Obstruktion interessant, bei denen α-Blocker oder 5α-Reduktasehemmer durchaus mit Nebenwirkungen und einer Stigmatisierung verbunden sein können. Häufig braucht das beginnende Prostatasyndrom nur eine feine Therapie, sodass die Phytotherapie durchaus eine interessante Option ist. Bei den operativen Therapien ist die TURP immer noch der Goldstandard, alle anderen Therapieformen müssen sich daran messen. Aus der Sicht des Urologen ist die PSAUntersuchung zur Vorsorge sicherlich sinnvoll. Bei der Bildgebung ist die MRIFusionsbiopsie der neue Standard, um die Treffsicherheit eines Prostatakarzinoms zu erhöhen und eine Rebiopsie zu verhindern. Bei der Therapie des Prostatakarzinoms ist die radikale Prostatektomie immer noch der Goldstandard – und dies in roboterunterstützter Laparoskopie. Die Radiotherapie ist bei jenen Patienten, die nicht für eine Prostatektomie qualifizieren, eine günstige Alternative. Die Brachytherapie hat in den letzten Jahren sicherlich an Einfluss verloren. Alle anderen zur Verfügung stehenden fokalen Optionen wie HIFU, Cryo oder IRE müssen als klinisch experimentelle und individuelle Alternativen betrachtet werden.</p> <p><strong>Zum PSA-Test bzw. dessen Bedeutung gibt es ja immer wieder Diskussionen. Wie ist Ihre Meinung dazu?</strong><br /><strong> H. John:</strong> Es ist sinnvoll, bei einem Mann im Alter von etwa 50 Jahren einen PSA-Test und eine digitale rektale Untersuchung durchzuführen. Wichtig ist, dass der Patient informiert ist, dass er also weiss, dass das Prostatakarzinom das häufigste Karzinom beim Mann ist und in der Schweiz immer noch 1600 Männer im Jahr daran sterben. Der Patient sollte ausserdem darüber aufgeklärt sein, dass mit einer Vorsorgeuntersuchung die Risikogruppen gut erfasst werden können. Ziel ist für mich vor allem, den Patienten zu beruhigen, wenn er nicht in einer Risikogruppe ist – wenn er also im Alter von 50 Jahren z. B. einen PSA-Wert unter 1ng/ml aufweist. In diesem Fall soll dem Patienten mitgeteilt werden, dass er in den nächsten 3–4 Jahren keine PSA-Kontrolle braucht. Wenn ein PSA-Verlaufswert über die Jahre verfügbar ist, lässt sich ausserdem viel leichter einschätzen, ob plötzlich etwas passiert ist. Bei Männern mit familiärer Vorbelastung sollten die Untersuchungen schon ab dem 45. Lebensjahr vorgenommen werden.</p> <p><strong>Gibt es wichtige Neuerungen zur Diagnostik? Kommen Gentests z. B. für BRCA auch beim Prostatakarzinom bereits zum Einsatz?</strong><br /><strong> H. John:</strong> Es gibt verfügbare Kits, die die häufigsten Gene zusammenfassen und mit denen ermittelt werden kann, ob ein erhöhtes Risiko für das Auftreten eines Prostatakarzinoms vorhanden ist. Diese Tests sind aber noch nicht in der Routine angekommen und die Kosten werden natürlich nicht von den Krankenkassen übernommen. Letztlich erhält man eine zweifelsfreie Abklärung, ob ein Prostatakarzinom vorliegt, nur mit einer Fusionsbiopsie.</p> <p><strong>Wie sieht es mit der Gefahr der Übertherapie beim Prostatakarzinom aus?</strong><br /><strong> H. John:</strong> Natürlich werden auch Tumoren biopsiert, die klinisch nicht signifikant sind. Die Lebensqualität dieser Patienten, die mit einer «active surveillance » überwacht werden, wird durch das Wissen einer Karzinompräsenz – auch wenn unbedeutend – verschlechtert. Und es gibt auch Patienten, die diese klinisch nicht signifikanten Tumoren loswerden und therapiert haben wollen, auch wenn «active surveillance » die bessere Option wäre. Aber durch die MRI-Fusionsbiopsien kann verhindert werden, dass bei Patienten – etwa einem jungen Mann mit Familie – ein Karzinom nicht entdeckt wird und dieser ansonsten plötzlich mit einem nicht mehr heilbaren metastasierten Prostatakarzinom ins Spital kommt.</p> <p><strong>Bei der Prostatektomie ist die roboterassistierte OP inzwischen Standard. Sie waren der Erste, der in der Schweiz roboterassistierte chirurgische Eingriffe vorgenommen hat. Worin sehen Sie die Vorteile? Wie gehen Sie mit der Kritik in Bezug auf die hohen Kosten um?</strong><br /><strong> H. John:</strong> Wir haben 2002 in der Schweiz die erste roboterassistierte Prostatektomie durchgeführt. Obwohl die Skepsis am Anfang gross war, hat die Robotik die Urologie seither revolutioniert. Durch die dreidimensionale Sicht kann frei beweglich ohne Zittern operiert werden. Die Vorteile der roboterassistierten Eingriffe liegen vor allem in der geringeren Morbidität; es gibt weniger Blutverlust, es gibt nur eine minimale Transfusionsrate (bei uns 2 % ) und die Patienten sind schneller wieder arbeitsfähig. Ausserdem kann durch die 10- bis 15-fache Vergrösserung das neurovaskuläre Bündel sehr gut für die Potenz geschont werden. Klar muss man sagen, dass der Eingriff per se mit dem Roboter teurer als ein klassisch laparoskopischer oder ein offener Eingriff ist. Wenn man aber in die Kosten auch die Gesamtmorbidität, die kürzere Hospitalisation und die frühere Arbeitsfähigkeit des Patienten miteinberechnet, dann sprechen die Kosten für das gesamte Gesundheitswesen sicherlich klar für den Einsatz des Roboters.</p> <p><strong>Welche Eingriffe ausser der radikalen Prostatektomie führen Sie mit dem DaVinci am KSW durch?</strong><br /><strong> H. John:</strong> Heute können in der Urologie fast alle grossen Eingriffe laparoskopisch roboterassistiert durchgeführt werden. Das geht bis hin zur radikalen Zystektomie mit Ileumconduit oder Dünndarm-Blasenersatz – am KSW haben wir in den vergangenen drei Jahren bereits über 90 solche vollständig intrakorporale Eingriffe vorgenommen. Auch die vielen kleinen Nierentumoren, die heute früh durch CT- und MRIUntersuchungen entdeckt werden, werden routinemässig roboterassistiert entfernt. Bei der Prostata wird sowohl die einfache («Millin») als auch die radikale Prostatektomie ebenfalls laparoskopisch roboterassistiert standardmässig durchgeführt. Bei der Blase sind inzwischen auch die rekonstruktiven Eingriffe robotisch geworden.</p> <p><strong>Wie viele Operateure gibt es bei Ihnen in der Abteilung, die routinemässig mit dem DaVinci operieren?</strong><br /><strong> H. John:</strong> All diese eben genannten Eingriffe können wir minimal invasiv anbieten. Aber dazu ist natürlich eine lange und intensive Trainings- und Einarbeitungszeit des ganzen Teams über Jahre nötig. Am KSW führen wir derzeit etwa 250 roboterassistierte Eingriffe pro Jahr durch und schulen nicht mehr als drei Operateure, sodass jeder Operateur zwischen 80 und 100 Eingriffe pro Jahr vornimmt. Das ist der Qualitätsanspruch, den ich habe! Aber wenn die Entwicklung der Roboterchirurgie so weitergeht und die grosse urologische Chirurgie zunehmend laparoskopisch roboterassistiert durchgeführt wird, stellt sich die Frage, wie viele Ärzte man ausbilden will und wie es in Zukunft weitergehen soll. Deshalb führen wir heute schon die Assistenten als «tableside surgeons» in die Robotik ein.</p> <p><strong>Es gibt inzwischen auch einige andere Spitäler in der Schweiz, an denen DaVinci-Geräte verfügbar sind. Wie sehen Sie diese Situation?</strong><br /><strong> H. John:</strong> Es gibt in der Schweiz derzeit 32 DaVinci-Systeme, wobei auf einigen der Geräte nur wenige Operationen durchgeführt werden, manchmal nur 20 bis 30 im Jahr. Dadurch bringen die Operateure natürlich nicht die Praxis und Erfahrung mit, um die Eingriffe mit einer hohen Qualität durchzuführen. Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass nach 200 radikalen Prostatektomien die Ergebnisse bezüglich Inkontinenz, Potenz und onkologischer Outcomes immer noch besser werden. Und auch heute nach weit über 2000 Eingriffen geht die Erfahrungskurve weiter – es gibt keine Mindestzahl an Eingriffen, die eine Lernkurve abschliesst. Das haben inzwischen auch die Gesundheitspolitiker erkannt. Deshalb gibt es jetzt im Kanton Zürich eine minimale Anforderung von 10 radikalen Prostatektomien pro Operateur und Jahr. Obwohl es Diskussionen in der Fachgesellschaft dazu gibt, geht das grundsätzlich in die richtige Richtung. Die komplexen Operationen, für die eine lange Lernkurve und viel Erfahrung nötig sind, sollten an einzelnen Zentren konzentriert durchgeführt werden. So ist statistisch gesehen das beste Outcome zu erwarten und dies wäre auch gesundheitsökonomisch am sinnvollsten. Selbstverständlich lehnen kleinere Häuser solche Gedanken eher ab.</p> <p><strong>Welchen Stellenwert hat die Radiotherapie beim Prostatakarzinom?</strong><br /><strong> H. John:</strong> Obwohl der Goldstandard die radikale Prostatektomie ist, hat die primäre perkutane Radiotherapie mit kurativer Absicht nach 15 Jahren fast vergleichbare onkologische Resultate – allerdings unter begleitender Hormonablation, was beim jungen, aktiven Patienten unerwünscht ist. Die Radiotherapie hat einen wichtigen Stellenwert in der Salvage- und der palliativen Situation, wenn ein Lokalrezidiv oder Knochenmetastasen auftreten.</p> <p><strong>Beim fortgeschrittenen oder metastasierten Prostatakarzinom hat sich die Standardtherapie in den letzten Jahren durch neue Wirkstoffe stark verändert. Was sind hier aus Ihrer Sicht die wichtigsten Entwicklungen?</strong><br /><strong> H. John</strong>: Hier waren vor allem die Ergebnisse der LATITUDE- und der STAMPEDE-Studie in den letzten Monaten und Jahren von grosser Bedeutung. Zusammen mit den Studiendaten zu Apalutamid und Darolutamid beim nicht metastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinom wird das Armamentarium in der Behandlung des fortgeschrittenen Prostatakarzinoms also ständig erweitert. Ausserdem werden wir uns in Zukunft mit dem bipolaren Androgenentzug näher befassen müssen. Wir Urologen sind hier gefordert, am Ball zu bleiben und Studienpatienten aktiv zu betreuen und einzuschliessen, so wie wir das aktuell in einer SAKK-Studie mit Metformin machen. In einer anderen neuen SAKK-Studie untersuchen wir die neoadjuvante Immuntherapie. Weiter sind Studien zur Salvage-Lymphadenektomie beim oligometastasierten Karzinom geplant. Es bleibt also weiterhin spannend!</p> <p><em><strong>Vielen Dank für das Gespräch!</strong></em></p></p>
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