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«Die Robotik hat die Urologie revolutioniert»

<p class="article-intro">Das Prostatakarzinom ist immer noch die häufigste Krebserkrankung beim Mann. Anlässlich des Frühjahrssymposiums «Rund um das Prostatasyndrom» am Kantonsspital Winterthur haben wir mit Prof. Hubert John über die wichtigsten Neuerungen in der Diagnostik und Therapie des Prostatasyndroms und des Prostatakarzinoms sowie über den Einsatz der roboterassistierten Chirurgie in der Urologie gesprochen.</p> <hr /> <p class="article-content"><p><strong>Herr Prof. John, Sie haben am Kantonsspital Winterthur (KSW) im Fr&uuml;hjahr ein Symposium rund um das Prostatasyndrom und das Prostatakarzinom veranstaltet. Wie wichtig ist dieses Meeting f&uuml;r Sie?</strong><br /><strong> H. John:</strong> Das Fr&uuml;hlingssymposium in Winterthur hat inzwischen zum zehnten Mal stattgefunden. Das Meeting wird erfreulicherweise zunehmend mit grossem Interesse verfolgt, etwa 85 Kollegen &ndash; sowohl Grundversorger als auch Urologen &ndash; haben dieses Jahr wieder teilgenommen. Ausserdem sind alle Inhalte der Veranstaltung f&uuml;r die Teilnehmer in einem Separatum von &laquo;Urologie in der Praxis&raquo; nochmals zum Nachlesen verf&uuml;gbar.</p> <p><strong>Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Neuerungen, die beim Fr&uuml;hjahrssymposium diskutiert wurden?</strong><br /><strong> H. John:</strong> Bei der Diagnostik wurde auf die Bedeutung der Miktionsanamnese und des Miktionstagebuchs hingewiesen, beides liefert sehr viel Information f&uuml;r die Diagnose. Durch diese Anamnese kann in den allermeisten F&auml;llen gekl&auml;rt werden, ob noch weitere Untersuchungen wie z. B. Zystoskopie oder Urodynamik n&ouml;tig sind. Bei der medikament&ouml;sen Therapie des benignen Prostatasyndroms ist die Phytotherapie zu erw&auml;hnen. Als nebenwirkungsarme Behandlungsform ist sie v. a. bei j&uuml;ngeren Patienten mit noch nicht ausgepr&auml;gter Obstruktion interessant, bei denen &alpha;-Blocker oder 5&alpha;-Reduktasehemmer durchaus mit Nebenwirkungen und einer Stigmatisierung verbunden sein k&ouml;nnen. H&auml;ufig braucht das beginnende Prostatasyndrom nur eine feine Therapie, sodass die Phytotherapie durchaus eine interessante Option ist. Bei den operativen Therapien ist die TURP immer noch der Goldstandard, alle anderen Therapieformen m&uuml;ssen sich daran messen. Aus der Sicht des Urologen ist die PSAUntersuchung zur Vorsorge sicherlich sinnvoll. Bei der Bildgebung ist die MRIFusionsbiopsie der neue Standard, um die Treffsicherheit eines Prostatakarzinoms zu erh&ouml;hen und eine Rebiopsie zu verhindern. Bei der Therapie des Prostatakarzinoms ist die radikale Prostatektomie immer noch der Goldstandard &ndash; und dies in roboterunterst&uuml;tzter Laparoskopie. Die Radiotherapie ist bei jenen Patienten, die nicht f&uuml;r eine Prostatektomie qualifizieren, eine g&uuml;nstige Alternative. Die Brachytherapie hat in den letzten Jahren sicherlich an Einfluss verloren. Alle anderen zur Verf&uuml;gung stehenden fokalen Optionen wie HIFU, Cryo oder IRE m&uuml;ssen als klinisch experimentelle und individuelle Alternativen betrachtet werden.</p> <p><strong>Zum PSA-Test bzw. dessen Bedeutung gibt es ja immer wieder Diskussionen. Wie ist Ihre Meinung dazu?</strong><br /><strong> H. John:</strong> Es ist sinnvoll, bei einem Mann im Alter von etwa 50 Jahren einen PSA-Test und eine digitale rektale Untersuchung durchzuf&uuml;hren. Wichtig ist, dass der Patient informiert ist, dass er also weiss, dass das Prostatakarzinom das h&auml;ufigste Karzinom beim Mann ist und in der Schweiz immer noch 1600 M&auml;nner im Jahr daran sterben. Der Patient sollte ausserdem dar&uuml;ber aufgekl&auml;rt sein, dass mit einer Vorsorgeuntersuchung die Risikogruppen gut erfasst werden k&ouml;nnen. Ziel ist f&uuml;r mich vor allem, den Patienten zu beruhigen, wenn er nicht in einer Risikogruppe ist &ndash; wenn er also im Alter von 50 Jahren z. B. einen PSA-Wert unter 1ng/ml aufweist. In diesem Fall soll dem Patienten mitgeteilt werden, dass er in den n&auml;chsten 3&ndash;4 Jahren keine PSA-Kontrolle braucht. Wenn ein PSA-Verlaufswert &uuml;ber die Jahre verf&uuml;gbar ist, l&auml;sst sich ausserdem viel leichter einsch&auml;tzen, ob pl&ouml;tzlich etwas passiert ist. Bei M&auml;nnern mit famili&auml;rer Vorbelastung sollten die Untersuchungen schon ab dem 45. Lebensjahr vorgenommen werden.</p> <p><strong>Gibt es wichtige Neuerungen zur Diagnostik? Kommen Gentests z. B. f&uuml;r BRCA auch beim Prostatakarzinom bereits zum Einsatz?</strong><br /><strong> H. John:</strong> Es gibt verf&uuml;gbare Kits, die die h&auml;ufigsten Gene zusammenfassen und mit denen ermittelt werden kann, ob ein erh&ouml;htes Risiko f&uuml;r das Auftreten eines Prostatakarzinoms vorhanden ist. Diese Tests sind aber noch nicht in der Routine angekommen und die Kosten werden nat&uuml;rlich nicht von den Krankenkassen &uuml;bernommen. Letztlich erh&auml;lt man eine zweifelsfreie Abkl&auml;rung, ob ein Prostatakarzinom vorliegt, nur mit einer Fusionsbiopsie.</p> <p><strong>Wie sieht es mit der Gefahr der &Uuml;bertherapie beim Prostatakarzinom aus?</strong><br /><strong> H. John:</strong> Nat&uuml;rlich werden auch Tumoren biopsiert, die klinisch nicht signifikant sind. Die Lebensqualit&auml;t dieser Patienten, die mit einer &laquo;active surveillance &raquo; &uuml;berwacht werden, wird durch das Wissen einer Karzinompr&auml;senz &ndash; auch wenn unbedeutend &ndash; verschlechtert. Und es gibt auch Patienten, die diese klinisch nicht signifikanten Tumoren loswerden und therapiert haben wollen, auch wenn &laquo;active surveillance &raquo; die bessere Option w&auml;re. Aber durch die MRI-Fusionsbiopsien kann verhindert werden, dass bei Patienten &ndash; etwa einem jungen Mann mit Familie &ndash; ein Karzinom nicht entdeckt wird und dieser ansonsten pl&ouml;tzlich mit einem nicht mehr heilbaren metastasierten Prostatakarzinom ins Spital kommt.</p> <p><strong>Bei der Prostatektomie ist die roboterassistierte OP inzwischen Standard. Sie waren der Erste, der in der Schweiz roboterassistierte chirurgische Eingriffe vorgenommen hat. Worin sehen Sie die Vorteile? Wie gehen Sie mit der Kritik in Bezug auf die hohen Kosten um?</strong><br /><strong> H. John:</strong> Wir haben 2002 in der Schweiz die erste roboterassistierte Prostatektomie durchgef&uuml;hrt. Obwohl die Skepsis am Anfang gross war, hat die Robotik die Urologie seither revolutioniert. Durch die dreidimensionale Sicht kann frei beweglich ohne Zittern operiert werden. Die Vorteile der roboterassistierten Eingriffe liegen vor allem in der geringeren Morbidit&auml;t; es gibt weniger Blutverlust, es gibt nur eine minimale Transfusionsrate (bei uns 2 % ) und die Patienten sind schneller wieder arbeitsf&auml;hig. Ausserdem kann durch die 10- bis 15-fache Vergr&ouml;sserung das neurovaskul&auml;re B&uuml;ndel sehr gut f&uuml;r die Potenz geschont werden. Klar muss man sagen, dass der Eingriff per se mit dem Roboter teurer als ein klassisch laparoskopischer oder ein offener Eingriff ist. Wenn man aber in die Kosten auch die Gesamtmorbidit&auml;t, die k&uuml;rzere Hospitalisation und die fr&uuml;here Arbeitsf&auml;higkeit des Patienten miteinberechnet, dann sprechen die Kosten f&uuml;r das gesamte Gesundheitswesen sicherlich klar f&uuml;r den Einsatz des Roboters.</p> <p><strong>Welche Eingriffe ausser der radikalen Prostatektomie f&uuml;hren Sie mit dem DaVinci am KSW durch?</strong><br /><strong> H. John:</strong> Heute k&ouml;nnen in der Urologie fast alle grossen Eingriffe laparoskopisch roboterassistiert durchgef&uuml;hrt werden. Das geht bis hin zur radikalen Zystektomie mit Ileumconduit oder D&uuml;nndarm-Blasenersatz &ndash; am KSW haben wir in den vergangenen drei Jahren bereits &uuml;ber 90 solche vollst&auml;ndig intrakorporale Eingriffe vorgenommen. Auch die vielen kleinen Nierentumoren, die heute fr&uuml;h durch CT- und MRIUntersuchungen entdeckt werden, werden routinem&auml;ssig roboterassistiert entfernt. Bei der Prostata wird sowohl die einfache (&laquo;Millin&raquo;) als auch die radikale Prostatektomie ebenfalls laparoskopisch roboterassistiert standardm&auml;ssig durchgef&uuml;hrt. Bei der Blase sind inzwischen auch die rekonstruktiven Eingriffe robotisch geworden.</p> <p><strong>Wie viele Operateure gibt es bei Ihnen in der Abteilung, die routinem&auml;ssig mit dem DaVinci operieren?</strong><br /><strong> H. John:</strong> All diese eben genannten Eingriffe k&ouml;nnen wir minimal invasiv anbieten. Aber dazu ist nat&uuml;rlich eine lange und intensive Trainings- und Einarbeitungszeit des ganzen Teams &uuml;ber Jahre n&ouml;tig. Am KSW f&uuml;hren wir derzeit etwa 250 roboterassistierte Eingriffe pro Jahr durch und schulen nicht mehr als drei Operateure, sodass jeder Operateur zwischen 80 und 100 Eingriffe pro Jahr vornimmt. Das ist der Qualit&auml;tsanspruch, den ich habe! Aber wenn die Entwicklung der Roboterchirurgie so weitergeht und die grosse urologische Chirurgie zunehmend laparoskopisch roboterassistiert durchgef&uuml;hrt wird, stellt sich die Frage, wie viele &Auml;rzte man ausbilden will und wie es in Zukunft weitergehen soll. Deshalb f&uuml;hren wir heute schon die Assistenten als &laquo;tableside surgeons&raquo; in die Robotik ein.</p> <p><strong>Es gibt inzwischen auch einige andere Spit&auml;ler in der Schweiz, an denen DaVinci-Ger&auml;te verf&uuml;gbar sind. Wie sehen Sie diese Situation?</strong><br /><strong> H. John:</strong> Es gibt in der Schweiz derzeit 32 DaVinci-Systeme, wobei auf einigen der Ger&auml;te nur wenige Operationen durchgef&uuml;hrt werden, manchmal nur 20 bis 30 im Jahr. Dadurch bringen die Operateure nat&uuml;rlich nicht die Praxis und Erfahrung mit, um die Eingriffe mit einer hohen Qualit&auml;t durchzuf&uuml;hren. Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass nach 200 radikalen Prostatektomien die Ergebnisse bez&uuml;glich Inkontinenz, Potenz und onkologischer Outcomes immer noch besser werden. Und auch heute nach weit &uuml;ber 2000 Eingriffen geht die Erfahrungskurve weiter &ndash; es gibt keine Mindestzahl an Eingriffen, die eine Lernkurve abschliesst. Das haben inzwischen auch die Gesundheitspolitiker erkannt. Deshalb gibt es jetzt im Kanton Z&uuml;rich eine minimale Anforderung von 10 radikalen Prostatektomien pro Operateur und Jahr. Obwohl es Diskussionen in der Fachgesellschaft dazu gibt, geht das grunds&auml;tzlich in die richtige Richtung. Die komplexen Operationen, f&uuml;r die eine lange Lernkurve und viel Erfahrung n&ouml;tig sind, sollten an einzelnen Zentren konzentriert durchgef&uuml;hrt werden. So ist statistisch gesehen das beste Outcome zu erwarten und dies w&auml;re auch gesundheits&ouml;konomisch am sinnvollsten. Selbstverst&auml;ndlich lehnen kleinere H&auml;user solche Gedanken eher ab.</p> <p><strong>Welchen Stellenwert hat die Radiotherapie beim Prostatakarzinom?</strong><br /><strong> H. John:</strong> Obwohl der Goldstandard die radikale Prostatektomie ist, hat die prim&auml;re perkutane Radiotherapie mit kurativer Absicht nach 15 Jahren fast vergleichbare onkologische Resultate &ndash; allerdings unter begleitender Hormonablation, was beim jungen, aktiven Patienten unerw&uuml;nscht ist. Die Radiotherapie hat einen wichtigen Stellenwert in der Salvage- und der palliativen Situation, wenn ein Lokalrezidiv oder Knochenmetastasen auftreten.</p> <p><strong>Beim fortgeschrittenen oder metastasierten Prostatakarzinom hat sich die Standardtherapie in den letzten Jahren durch neue Wirkstoffe stark ver&auml;ndert. Was sind hier aus Ihrer Sicht die wichtigsten Entwicklungen?</strong><br /><strong> H. John</strong>: Hier waren vor allem die Ergebnisse der LATITUDE- und der STAMPEDE-Studie in den letzten Monaten und Jahren von grosser Bedeutung. Zusammen mit den Studiendaten zu Apalutamid und Darolutamid beim nicht metastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinom wird das Armamentarium in der Behandlung des fortgeschrittenen Prostatakarzinoms also st&auml;ndig erweitert. Ausserdem werden wir uns in Zukunft mit dem bipolaren Androgenentzug n&auml;her befassen m&uuml;ssen. Wir Urologen sind hier gefordert, am Ball zu bleiben und Studienpatienten aktiv zu betreuen und einzuschliessen, so wie wir das aktuell in einer SAKK-Studie mit Metformin machen. In einer anderen neuen SAKK-Studie untersuchen wir die neoadjuvante Immuntherapie. Weiter sind Studien zur Salvage-Lymphadenektomie beim oligometastasierten Karzinom geplant. Es bleibt also weiterhin spannend!</p> <p><em><strong>Vielen Dank f&uuml;r das Gespr&auml;ch!</strong></em></p></p>
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