
„Bei Erstdiagnose werden wir künftig ein molekulargenetisches Tumorprofil erstellen“
Unsere Gesprächspartnerin:
Univ.-Prof. Dr. Isabel Heidegger-Pircher
Department für Urologie
Medizinische Universität Innsbruck
E-Mail: isabel-maria.heidegger@i-med.ac.at
Das Interview führte Christian Fexa
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Im Rahmen des EAU-Kongresses in Amsterdam war das Prostatakarzinom wie immer eines der Hauptthemen. ÖGU Aktuell hat Prof. Isabel Heidegger-Pircher dazu eingeladen, Ihnen einen kurzen Überblick über die wichtigsten Diskussionen und Themen zu geben und einen Blick in die Zukunft zu wagen.
Frau Professor Heidegger, was waren für Sie die wichtigsten Themen, die im Zusammenhang mit dem Prostatakarzinom am EAU-Kongress 2022 präsentiert oder diskutiert wurden?
I. Heidegger-Pircher:Wie erwartet ist der EAU-Kongress nicht die Plattform, auf der große Phase-III-Studien zum ersten Mal vorgestellt werden. Dies ist erfahrungsgemäß im Rahmen des ASCO Annual Congress, des ASCO GU oder am ESMO-Kongress der Fall. Der EAU-Kongress ist aber immer eine großartige Plattform für spannende Diskussionen, bei denen die auf den genannten Kongressen vorgestellten Studien im Hinblick auf ihre Praxisrelevanz unter die Lupe genommen werden. Das wesentliche Thema beim Prostatakarzinom war in diesem Jahr, dass wir in Zukunft noch stärker einen multidisziplinären Ansatz benötigen, um den Patienten eine personalisierte Therapie anbieten zu können. In den letzten Jahren wurden sehr viele neue diagnostische und therapeutische Optionen eingeführt – nun gilt es, diese indiviualisiert Schritt für Schritt in den klinischen Alltag zu übertragen.
Was wurde zum Thema Diagnostik des Prostatakarzinoms besonders diskutiert?
I. Heidegger-Pircher: Am EAU-Kongress wurde die Rolle der Prostataspezifischen-Membranantigen-Positronen-Emissions-/Computertomografie (PSMA-PET-CT) in der Diagnostik sehr ausführlich diskutiert. Die Meinung der meisten Key Opinion Leader zu diesem Thema ist, dass PSMA PET-CT ganz klar im primären Staging angewandt werden sollte. Dazu möchte ich persönlich aber hinzufügen, dass wir im Hinterkopf behalten müssen, dass bezüglich der Wertigkeit des PSMA-PET-CT im primären Staging die harte Evidenz im Sinne von prospektiven klinischen Studien noch fehlt und dass die Wirksamkeit von Systemtherapien bei metastasierten Prostatakarzinomen mit Standardbildgebung ermittelt wurde.
Spannend war sicher auch die Diskussion zu PSMA-PET-CT in der primären Detektion von Prostatatumoren. Die kürzlich in „European Urology“ publizierte PRIMARY-Studie untersuchte, ob die Durchführung eines PSMA-PET-CT zusätzlich zum MRT die Detektionsrate von signifikanten Tumoren erhöhen kann. Tatsächlich reduziert die Kombination aus Magnetresonanztomografie MRT und PSMA-PET-CT falsch negative Ergebnisse in Bezug auf die Detektion von klinisch signifikanten Tumoren im Vergleich zum MRT alleine.1 Das bedeutet, dass durch die Kombination beider Diagnoseverfahren möglicherweise die Anzahl von Prostatabiopsien verringert werden kann. Ähnliches wurde am EAU-Kongress auch von der australischen PEDAL Trial, die in Form eines Late Breaking Abstracts vorgestellt wurde, berichtet.2
Was ich ebenfalls hochspannend finde, ist PSMA-PET-CT bei Patienten einzusetzen, bei denen ein klinischer Verdacht auf ein Karzinom besteht, die jedoch ein unauffälliges MRT haben. Zudem wurde die Rolle von PSMA-PET-CT im Active-Surveillance-Setting diskutiert, mit dem primären Ziel, Rebiopsien zu vermeiden.
Bezüglich der Rolle des PSMA-PET-CT beim metastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinom (mCRPC) wurde natürlich die Notwendigkeit dieser Bildgebung vor PSMA-Lutetium-Therapie genauestens besprochen – diese ist ja mittlerweile von der FDA zugelassen. Hierbei konnte man jedoch, wenn man die Diskussion verfolgt hat, herauslesen, dass es in der Interpretation des PSMA-PET-CT vor allem bei schwer vortherapierten Patienten immer wieder zu Diskrepanzen in der Befundung kommt, sodass die Standardisierung der Befundung am besten im interdisziplinären Team wünschenswert ist.
Gab es außer dem PSMA-PET-CT noch weitere interessante Diskussionen zur Diagnostik?
I. Heidegger-Pircher: Sehr spannend für mich war die thematische Session „Genetic Profiling in Prostate Cancer – Already Prime Time?“ Hier wurden alle Aspekte des molekularen Screenings in der Praxis abgedeckt und die aktuellen Guidelines der EAU, NCCN und der AUA vorgestellt. Zusammenfassend: eine Keimbahntestung sollte bei allen metastasierten Patienten mit Hochrisiko-Prostatakarzinom durgeführt werden, wenn eine positive Familienanamnese vorliegt oder eine Historie von multiplen Tumoren.
Was außerdem in dieser Session diskutiert wurde, ist das Thema Liquid Biopsy, sowohl in der Primärdiagnose als auch im metastasierten Setting, da die meisten genomischen Alterationen in Liquid Biopsy detektierbar sind.
Kommen wir zur Therapie beim Prostatakarzinom. Was gab es dazu Interessantes am EAU?
I. Heidegger-Pircher: Am EAU werden zwar keine „Practice-changing“-Studien vorgestellt, aber es wurde die Tripeltherapie beim metastasierten hormonsensitiven Prostatakarzinom (mHSPC) ausführlich diskutiert. Dass alle Patienten mit mHSPC eine Androgendeprivationstherapie (ADT), also eine klassische Hormontherapie, plus eine Kombination erhalten sollten, ist unumstritten. Dies ist in den meisten Fällen die Kombination ADT und neue hormonelle Therapie. Aber vor allem für de-novo mHSPC-Patienten mit hoher Tumorlast ist die Dreifachtherapie, also ADT + Docetaxel + neue hormonelle Therapie anzudenken. Auch wenn man im Hinterkopf haben muss, dass es dazu noch keine offizielle Zulassung gibt.
Ebenfalls diskutiert wurde zusätzlich lokale Maßnahmen wie z.B. eine stereotaktische Bestrahlung durchzuführen. Dies ist aber hochindividuell und muss mit dem Patienten besprochen werden.
Bezüglich des Felds der Niedrigrisikotumoren hat sich vor allem in der Active Surveillance in den letzten Jahren einiges getan, was für die Patienten von Relevanz sein könnte. Wir können mittlerweile viel besser zwischen signifikanten und nichtsignifikanten Tumoren unterscheiden, sei es durch die Bildgebung, hier vor allem MRT, und wie gerade angesprochen wird PSMA-PET-CT zukünftig eine stärkere Rolle spielen. Wir haben auch hochinnovative Gewebsserum- und Urin-Biomarker wie auch Nomogramme, die sich alle stetig weiterentwickeln.
Beim metastasierten Prostatakarzinom, sowohl beim mHSPC als auch beim mCRPC, haben wir gelernt, dass die gleichzeitige Kombination mehrerer Substanzen das Therapieansprechen stark erhöhen kann, ohne dass sich die Nebenwirkungen signifikant aggravieren. Im Gegenteil: Es gibt einige Studien, in denen die Lebensqualitätauswertungen gezeigt haben, dass die Lebensqualität unter der Kombinationstherapie sogar besser war als unter der Standardtherapie.
Sie sind in der Grundlagenforschung zum Prostatakarzinom engagiert. Welche interessanten Entwicklungen wurden am EAU dazu präsentiert?
I. Heidegger-Pircher: Professor Sweeney, einer der einflussreichsten Prostataspezialisten, hat dazu etwas ganz Wichtiges gesagt: Egal ob wir einen neuen Test, eine neue Bildgebung, eine neue Medikation etc. etablieren wollen, müssen wir uns immer die entscheidende Frage stellen: Wie verändern wir dadurch die Behandlung? Ändert sich dadurch das Management der Therapie? Es geht nicht nur darum, einen hochinnovativen, komplizierten Test auf den Markt zu bringen. Je einfacher der Test, umso einfacher ist die Implementation im Alltag. Ich bin der festen Überzeugung, dass es für gute und vor allem patientenorientierte Forschung immer ein Team aus Forschern und Klinikern braucht, um wirklich sinnvolle patientenorientierte, sogenannte translationale Forschung zu betreiben.
Was nehmen Sie für Ihre eigene Forschung mit?
I. Heidegger-Pircher: Wie wir es bereits von anderen Tumoren kennen, glaube ich, dass auch beim Prostatakarzinom die Zukunft sein wird, dass bei Erstdiagnose ein sogenanntes molekulares genetisches Profil das Tumors erstellt werden wird. Und je nachdem welche Mutation/Alteration, beispielsweise beim Androgenrezeptor, im DNA-Repair-System oder im Zellzyklus vorliegt, wird gezielt danach behandelt, weil man weiß, dass die erste Substanz, die man systemisch gibt, die beste und am längsten wirksame ist. Wie angesprochen wird es in Zukunft sicher dahingehen, eine Liquid Biopsy aus dem Blut oder Urin durchzuführen, um eine invasive Gewebsbiopsie zu vermeiden. Vor allem bei geringer Tumorlast wird dies aber sicher noch eine Herausforderung mit viel Forschungsbedarf.
Persönlich finde ich auch epigenetische Therapien oder Therapieansätze, die das Tumor-Microenvironment modulieren, sehr spannend.
Vielen Dank für das Gespräch!
Sehen Sie das ungekürzte Interview mit Univ.-Prof. Isabel Heidegger-Pircher hier online .
Literatur:
1 Emmett M et al.: The Additive Diagnostic Value of Prostate-specific Membrane Antigen Positron Emission Tomography Computed Tomography to Multiparametric Magnetic Resonance Imaging Triage in the Diagnosis of Prostate Cancer (PRIMARY): A Prospective Multicentre Study. Eur Urol 2021; 80(6): 682-9 2 Tran V et al.: PEDAL protocol: a prospective single-arm paired comparison of multiparametric MRI and 18F-DCPFyl PSMA PET/CT to diagnose prostate cancer. BMJ Open 2022; 12(9): e061815
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