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Anwendung der robotischen Chirurgie in der Kinderurologie

Die Vorteile der robotischen Chirurgie für Erwachsene können nicht direkt auf Kinder übertragen werden. Bei diesen ist auch offen chirurgisch oft ein minimalinvasiveres Vorgehen im Vergleich zu laparoskopischen Zugangswegen möglich. Aber gerade auch Kinder und Jugendliche sollten von der robotischen Chirurgie profitieren. Wird diese in der Kinderurologie ebenso breite Anwendung finden wie bei Erwachsenen?

Keypoints

  • Ein Unterschied zwischen robotischen Operationen in der Kinderurologie und jenen im Erwachsenenalter ist das intraabdominelle Raumangebot.

  • Die Nierenbeckenplastik ist der am besten etablierte robotisch assistierte Eingriff in der Kinderurologie.

  • Interessant ist die Anwendung robotischer Chirurgie bei speziellen Fragestellungen.

  • Ein weites Feld von Indikationen wird eine Domäne der offenen Chirurgie bleiben.

  • Von neuen Technologien werden die komplexeren rekonstruktiven kinderurologischen Eingriffe sehr profitieren.

Die Anwendung robotischer Operationssysteme ist aus der Urologie nicht wegzudenken. Nach der ersten klinischen Anwendung robotischer Chirurgie 1993 (AESOP) und der Etablierung des Da-Vinci-Systems 1999 wurde zunächst in erster Linie die Prostatachirurgie als Hauptanwendungsfeld etabliert. Besonders während der vergangenen 10–15 Jahre wurden im Erwachsenenbereich die Indikationen auf Niere und Blase ausgedehnt, auch rekonstruktive Eingriffe werden häufig robotisch assistiert durchgeführt. Gerade in diesem Bereich kommt die überlegene optische (10 Vergrößerung, 3D-Sicht), mechanische (7 Freiheitsgrade, Ausgleich von Zitterbewegungen) und technologische (Firefly®) Performance besonders zum Tragen.

In der Kinderurologie wurde das Da- Vinci-System erstmals 2002 von der Gruppe um Craig Peters für eine Nierenbeckenplastik angewendet, nur 10 Jahre nach der ersten Beschreibung einer laparoskopischen pädiatrischen Nierenbeckenplastik.Seitdem hat sich auch dieses Feld rasant weiterentwickelt. Die Indikationen, in denen die erfolgreiche Anwendung robotischer Chirurgie beschrieben wurden, sind mannigfaltig und umfassen neben Eingriffen an der Niere inklusive pädiatrischer Uroonkologie auch die rekonstruktive Chirurgie der Harnleiter, Blasenhalsrekonstruktionen, Blasenaugmentationen und die Anlage katheterisierbarer Stomata. Durch die idealen Simulations- und Trainingsmöglichkeiten und die vergleichsweise kurze Lernzeit kann die robotische Chirurgie auch in einem „Lowvolume“-Setting (pro Indikation) sinnvoll und sicher angewendet werden.1

Im Folgenden soll ein Überblick über spezielle Überlegungen für den Einsatz roboterassistierter Chirurgie bei Kindern, den aktuellen Stand gängiger Indikationen und mögliche Zukunftsperspektiven der Anwendung robotischer Chirurgie in der Kinderurologie gegeben werden.

Alles gleich – nur kleiner?

Ein klarer Unterschied zu robotischen Operationen im Erwachsenenalter sind das intraabdominelle Raumangebot und der Raum, um die Trokare so zu platzieren, dass das System „handlungsfähig“ bleibt und Kollisionen vermieden werden. Daraus ergeben sich insbesondere bei Kindern unter ca. 5 Jahren deutliche Limitationen. Der 4. robotische Arm kann aufgrund von Kollisionen kaum genützt werden, die Trokarpositionen müssen insbesondere bei einem Symphysen-Xiphoid-Abstand von <13cm oft aberrant gewählt werden. Dies bringt mitunter allerdings kosmetische Vorteile – ein Beispiel wäre die HIdES-Technik2–, während jedoch die OP-Zeit steigt. Dennoch wurde in zahlreichen Studien gezeigt, dass robotische Chirurgie auch bei sehr kleinen Kindern <10kg „safe and feasible“ sei.3Es stellt sich jedoch die Frage, ob diese Patientengruppe bezüglich harter Outcomeparameter (Erfolgsrate, Komplikationen) tatsächlich von einem robotisch-chirurgischen Vorgehen profitieren kann – dafür gibt es keinerlei Hinweise.

Der intraabdominelle Druck scheint laut Literatur bis zu einem Wert von 10mmHg bei Kindern keine besonderen Probleme zu verursachen.4 Niedrigere intraperitoneale Drücke bringen jedoch viele Vorteile mit sich. Gerade aufgrund des eingeschränkten Raumangebotes in der kindlichen Peritonealhöhle ist das AirSeal®-System, das die Vorteile eines geringen durchschnittlichen Druckes (bis 6mmHg) mit einer besonders guten Entfaltung der Bauchhöhle kombiniert, in der pädiatrischen robotischen Chirurgie weit verbreitet, ohne dass es dazu klare Daten gibt. Auch die Implikationen eines Blutverlustes und der Konsequenzen einer Notkonversion sind bei Kindern andere als bei Erwachsenen: Im Fall der Verletzung eines größeren Gefäßes bleibt aufgrund des deutlich geringeren zirkulierenden Volumens wesentlich weniger Zeit für eine Konversion. Speziell kleinere, pädiatrische Instrumente sind weder beim Marktführer Intuitive Surgical noch bei den neuen Systemen, die aktuell am Markt eingeführt werden, verfügbar. Bezüglich der ehemals verfügbaren 5-mm- Instrumente für das Da-Vinci-System konnten keine eindeutig geringeren Komplikationsraten gezeigt werden. Diese sind nun nicht mehr verfügbar, eine erneute Einführung ist nicht geplant. Nicht zuletzt ist das robotisch assistierte Vorgehen unverändert wesentlich kostenintensiver im Vergleich zur offenen Chirurgie (Abb. 1).

Abb. 1: Spezielle Probleme bei der Anwendung robotischer Chirurgie bei Kindern (modifiziert nach Spinoit A-F et al.: Eur Urol Focus)20

Status quo

Die Nierenbeckenplastik ist sicherlich der am besten etablierte robotisch assistierte Eingriff in der Kinderurologie: In den USA wurden bereits 2015 40% aller Nierenbeckenplastiken bei 1–12-jährigen Kindern und fast 90% derjenigen bei 13–18-Jährigen robotisch assistiert durchgeführt.5 Die OP-Zeiten nähern sich im Bereich der Adoleszenten jenen der offen chirurgischen Zeiten an. Die Lernkurve ist mit 18 Eingriffen ebenfalls mit derjenigen beim offen chirurgischen Vorgehen vergleichbar.6 Während die Sinnhaftigkeit eines solchen Vorgehens hinterfragt werden muss, ist es dennoch eindrucksvoll, dass die robotisch assistierte Nierenbeckenplastik ohne relevante Zunahme an Problemen oder Komplikationen auch tagesklinisch durchgeführt werden kann.7 Auch das rein retroperitoneale Vorgehen ist besonders bei der Nierenbeckenplastik gut dokumentiert und definitiv möglich, wenngleich der Vorteil bezüglich Zugangstrauma auf Kinder >10 Jahre und ca. >30kg beschränkt zu bleiben scheint.8,9

Besonders interessant ist die Anwendung robotischer Chirurgie bei speziellen Fragestellungen wie beispielsweise einer gefäßbedingten Abflussbehinderung aus einem Oberpolsystem einer Doppelniere – insbesondere rechts – bei Adoleszenten. Hier bietet der laparoskopische Zugang großeVorteile hinsichtlich der Exposition und der Verminderung des Zugangstraumas (Abb. 2).

Abb. 2: Idealer Zugang zum rechten Nierenhilus bei einem 11 Jahre alten Knaben mit einer gefäßbedingten Abflussbehinderung bezüglich des Oberpolanteiles einer Doppelniere rechts

Die erste robotisch assistierte Blasenaugmentation mit Anlage eines katheterisierbaren Stomas wurde 2008 erfolgreich durchgeführt, bereits 2015 lagen die ersten Publikationen von Patientenserien vor.10 Bezüglich längerfristiger Outcomes, insbesondere auch was die Verwendung von Titanklammern zur Darm- und Blasenanastomose betrifft, ist vor allem aus dem Erwachsenenbereich Datenmaterial vorhanden. Jedenfalls gibt es keine Berichte bezüglich Langzeitkomplikationen.

Gerade bei Kindern mit neurogenen Blasenentleerungsstörungen, bei denen zu den oben angeführten Problemen noch Fragestellungen wie Lagerungseinschränkungen, ventrikuloperitoneale Shuntsysteme, Adipositas und kardiovaskuläre Risikofaktoren, wie beispielsweise Herzfehlbildungen und deren vorhergegangene chirurgische Behandlung,hinzukommen, muss die Indikation im Einzelfall gezielt gestellt werden. Nach Berücksichtigung der relevanten Einflussfaktoren können solche Patienten aber absolut von einem robotisch assistierten Vorgehen profitieren. Selbst wenn der Eingriff nicht robotisch vollendet werden kann, beispielsweise aufgrund der Unmöglichkeit, eine Stapleranastomose anzulegen, falls der intraperitoneale Raum dafür nicht ausreicht, kann durch eine laparoskopische Mobilisation von Ileumanteil und Appendix die Länge der Laparotomie reduziert und das Vorgehen letztlich minimaler invasiv gestaltet werden.

Während es keinen klaren Konsensus zur robotisch assistierten Chirurgie des vesikoureteralen Refluxes in der kinderurologischen Gemeinschaft gibt, ist auch diese Methode seit vielen Jahren beschrieben und an manchen Zentren sogar als Erstlinientherapie unabhängig vom Patientenalter in Anwendung.11

Neben dem klassischen extravesikalen Vorgehen, einem sozusagen transperitonealen Zugang für eine modifizierte Lich-Gregoir-Technik, wurden auch extravesikale transtrigonale Vorgehensweisen in der Literatur beschrieben. Ebenso ist ein Harnleitertailoring möglich, dann erfolgen eine Ureterozystoneostomie und ebenfalls eine extravesikale Präparation des Harnleitertunnels.12 Klare Vorteile des robotisch assistierten Vorgehens konnten nicht gezeigt werden. Nachdem diese Eingriffe in erster Linie bei jüngeren Kindern durchgeführt werden, ist die robotische Harnleiterneuimplantation bzw. Antirefluxplastik derzeit nur ausgewählten Fällen vorbehalten.

Eine mögliche weitere Indikatione ist die robotisch assistierte Blasenhalsplastik,13für die auch mittelfristige Outcomes verschiedener Techniken und vieler Autoren gut dokumentiert sind, die weitgehend denen der offenen Zugangswege zu entsprechen scheinen.14 Gerade bei größeren Kindern >10 Jahre könnte so wesentlich minimaler invasiv vorgegangen werden.

Seltenere Indikationen zur robotischen Chirurgie bei Kindern sind die robotisch assistierte Ureteroureterostomie, die Nephrektomie oder Teilnephrektomie in benignen Indikationen sowie die Nierenteilresektion bei bösartigen Tumoren (in erster Linie bilateralen Wilmstumoren) oder der Nephrektomie sowie der pädiatrischen Nierentransplantation.15,16

Wohin geht die Reise der robotischen Kinderurologie?

Wennauch langsamer als in der Erwachsenenurologie ist in der Kinderurologie eine stete Zunahme der Indikationen zur robotisch assistierten Vorgehensweise zu erwarten. Die Vorteile gegenüber konventioneller Laparoskopie und bei älteren Kindern auch gegenüber offen chirurgischem Vorgehen sind eindrucksvoll, wenngleich klare Unterschiede im Outcome noch nicht nachgewiesen werden konnten. Ein zusätzliches, sinnvolles Argument sind die ideale Trainingsmöglichkeit und die gut dokumentierte, steile Lernkurve auch in „Lowvolume“-Settings.

Gerade da es nicht absehbar ist, dass die Instrumente deutlich kleiner werden, die klare Evidenz für eine Überlegenheit im Outcome fehlt, die Operationszeiten robotisch länger sind und viele kinderurologische Eingriffe auch mit offenem Zugangsweg „minimalinvasiv“ durchgeführt werden können und dabei zum Teil deutlich weniger invasiv als robotische oder laparoskopische Zugangswege sind, wird ein weites Feld von Indikationen in der Kinderurologie eine Domäne der offenen Chirurgie bleiben. Das gilt insbesondere für Nierenbeckenplastiken bei kleinen Kindern oder Säuglingen, Harnleiterneuimplantationen und komplexe Rekonstruktionen. Gleichzeitig ist es wesentlich, in der Begeisterung für dieses faszinierende neue „Werkzeug“ nicht in allem eine Indikation zu sehen, was (laut Literatur!) „safe and feasible“ erscheint.

Neue Technologien wie die Single-Port-Robotik (Intuitive da Vinci SP®) werden gerade für die Anwendung bei Kindern evaluiert.17 Auch fluoreszenzgestützte Verfahren, die Anwendung von AI sowie die holografische dreidimensionale Real-Time-Darstellung komplexer (Gefäß-)Anatomie direkt im Sichtfeld der Konsole sind Zukunftsperspektiven, von denen gerade die komplexeren rekonstruktiven kinderurologischen Eingriffe sehr profitieren könnten – und werden.18,19

Fazit

Die kritische Anwendung robotisch assistierter laparoskopischer Chirurgie ist auch aus der Kinderurologie – besonders bei älteren Kindern und in ausgewählten Indikationen – nicht mehr wegzudenken. Gerade in Hinblick auf die zukünftig zu erwartenden technologischen Entwicklungen ist eine (kon)zentrierte, intensive Beschäftigung mit diesem Thema notwendig, um eine hohe Versorgungsqualität zu gewährleisten.

1 Pakkasjärvi N, Taskinen S: Introduction of pediatric robot-assisted pyeloplasty in alow-volume centre. Clin Pract 2021; 11(1): 143-50 2 Hong YH et al.: Hidden incision endoscopic surgery (HIdES) trocar placement for pediatric robotic pyeloplasty: comparison to traditional port placement. J Robot Surg 2018; 12(1): 43-7 3 Rague JT et al.: Robot-assisted laparoscopic urologic surgery in infants weighing ≤10kg: a weight stratified analysis. J Pediatr Urol 2021; 17(6): 857.e1-e7 4 Baroncini S et al.: Anaesthesia for laparoscopic surgery in paediatrics. Minerva Anestesiol 2002: 68(5): 406-13 5 Varda BK et al.: Has the robot caught up? National trends in utilization, perioperative outcomes, and cost for open, laparoscopic, and robotic pediatric pyeloplasty in the United States from 2003 to 2015. J Pediatr Urol 2018; 14(4): 336.e1-e8 6 Pakkasjärvi N et al.: Learning curves in pediatric robot-assisted pyeloplasty: asystematic review. J Clin Med 2022; 11(23): 6935 7 Neheman A et al.: Outpatient robotic surgery in pediatric urology: assessment of feasibility and short-term safety. J Urol 2021; 207(4): 894-900 8 Koga H et al.: Retroperitoneoscopic pyeloplasty for ureteropelvic junction obstruction in children: value of robotic assistance. J Pediatr Surg 2023; 58(7): 1291-5 9 Olsen LH et al.: Pediatric robot assisted retroperitoneoscopic pyeloplasty: a 5-year experience. J Urol 2007; 178(5): 2137-41 10 Murthy P et al.: Robot-assisted laparoscopic augmentation ileocystoplasty and Mitrofanoff appendicovesicostomy in children: updated interim results. Eur Urol 2015; 68(6): 1069-75 11Sahadev R et al.: The robot-assisted extravesical anti-reflux surgery: how we overcame the learning curve. Front Pediatr 2019; 7: 93 12 Neheman A et al.: Robot-assisted laparoscopic extravesical cross-trigonal ureteral reimplantation with tailoring for primary obstructive megaureter. Urology 2019; 134: 243-5 13 Gargollo PC: Robotic-assisted bladder neck repair: feasibility and outcomes. Urol Clin North Am 2015; 42(1): 111-20 14 Gargollo PC, White LA: Robotic-assisted bladder neck procedures in children with neurogenic bladder. World J Urol 2019; 38(8): 1855-64 15 Hou SW et al.: Pediatric robotic urologic procedures: indications and outcomes. Indian J Urol 2023; 39(2): 107-20 16 Van Der Jeugt J et al.: Robot-assisted radical nephrectomy for Wilms’ tumor in children. J Pediatr Urol 2023; 19(4): 489-90 17 Granberg C et al.: And then there was one … incision. First single-port pediatric robotic case series. J Pediatr Urol 2023; 19(4): 426.e1-e4 18 Zuluaga L et al.: AI-powered real-time annotations during urologic surgery: the future of training and quality metrics. Urol Oncol 2023; S1078-1439(23)00354 19 Wei L et al.: Holographic 3D renal segments reconstruction protects renal function by promote choice of selective renal artery clamping during robot-assisted partial nephrectomy. World J Urol 2023; 41(11): 2975-83 20 Spinoit A-F et al.: Role of robotics in children: a brave new world! Eur Urol Focus 2017; 3(2-3): 172-80

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