© Getty Images/iStockphoto

Sjögren-Syndrom: nach der chronischen Polyarthritis die zweithäufigste Autoimmunerkrankung

<p class="article-intro">Im klinischen Alltag oft verkannt, ist das Sjögren-Syndrom ein komplexes Krankheitsbild und bedarf einer gewissenhaften Diagnostik und Therapieplanung. Vor allem der langsame chronische Verlauf und die begleitenden Erkrankungen stellen eine große therapeutische Herausforderung dar. Diese Patienten gehören in die kompetenten Hände von erfahrenen Rheumatologen und klinischen Immunologen.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Das Sj&ouml;gren-Syndrom ist eine Erkrankung, die auf einer Fehlfunktion des erworbenen k&ouml;rpereigenen Immunsystems beruht. Die Abwehrmechanismen richten sich f&auml;lschlicherweise gegen k&ouml;rpereigene Strukturen. Es kommt zu St&ouml;rungen der &bdquo;Selbsterkennung&ldquo; und zu St&ouml;rungen der Kontroll- und Regulationsmechanismen des Immunsystems zur Begrenzung von Autoimmunreaktionen. Autoantik&ouml;rper richten sich gegen k&ouml;rpereigene Strukturen und Substanzen (Autoantigene) und tragen zu dem krank machenden Prozess einer Autoimmunkrankheit bei. Im Falle des Sj&ouml;gren-Syndroms richtet sich die k&ouml;rpereigene Abwehr gegen alle exokrinen Dr&uuml;sen, also unter anderem und vor allem gegen die Speicheldr&uuml;sen und die Tr&auml;nendr&uuml;sen des Auges, wodurch die charakteristischen Symptome von trockenen Augen und Mundtrockenheit hervorgerufen werden. Diese Symptome werden unter dem Begriff des prim&auml;ren Sj&ouml;gren-Syndroms zusammengefasst.<br /> Tritt die Erkrankung in Verbindung mit anderen entz&uuml;ndlichen Erkrankungen des Bindegewebes auf, wie den Kollagenosen oder der chronischen Polyarthritis, so spricht man von einem sekund&auml;ren Sj&ouml;gren- Syndrom. Die h&auml;ufigsten Kollagenosen, die in Verbindung mit einem Sj&ouml;gren- Syndrom auftreten, sind der systemische Lupus erythematodes, die progressive systemische Sklerose, die Periarteriitis nodosa und die Polymyositis.<br /> Das Sj&ouml;gren-Syndrom wird im medizinischen Sprachgebrauch auch als Autoimmunexokrinopathie oder Dakryosialoadenopathia atrophicans bezeichnet. Die relativ wenigen famili&auml;r auftretenden F&auml;lle lassen auf einen nur geringen Einfluss genetischer Faktoren auf das Auftreten der Erkrankung schlie&szlig;en.</p> <h2>H&auml;ufigkeit</h2> <p>Es liegen keine exakten Zahlen &uuml;ber das Auftreten des Sj&ouml;gren-Syndroms vor, allerdings ist es die zweith&auml;ufigste Autoimmunkrankheit nach der chronischen Polyarthritis. Am h&auml;ufigsten sind Frauen von der Krankheit betroffen, meist in der postklimakterischen Periode. Das Verh&auml;ltnis von erkrankten M&auml;nnern zu erkrankten Frauen bel&auml;uft sich auf 1:9. Die Pr&auml;valenz bei &uuml;ber 50-J&auml;hrigen betr&auml;gt in Europa zwischen 1 % und 3 % .</p> <h2>Leitsymptome und klinische Zeichen</h2> <p>Die Symptome lassen sich in zwei Gruppen einteilen; es wird zwischen glandul&auml;ren und extraglandul&auml;ren Symptomen unterschieden.<br /> Zu den glandul&auml;ren Symptomen wird der folgende Symptomenkomplex gez&auml;hlt:</p> <ul> <li>Das klassische symptomatische Bild des Sj&ouml;gren-Syndroms stellt das sogenannte Sicca-Syndrom dar, das sich in trockenen Augen (Xerophthalmie) und trockenem Mund (Xerostomie) &auml;u&szlig;ert.</li> <li>Dar&uuml;ber hinaus wird der Erkrankte aber auch durch die Trockenheit anderer Schleimh&auml;ute und Hautpartien beeintr&auml;chtigt. Haupts&auml;chlich betroffen sind die Schleimh&auml;ute der Nase, der Luftr&ouml;hre und des Bronchialsystems sowie die Schleimh&auml;ute im Genitalbereich.</li> <li>Auch kann lokal oder vielerorts am K&ouml;rper eine Trockenheit der Haut aufgrund verminderter Dr&uuml;senfunktion auftreten. Die sich daraus ergebenden Konsequenzen k&ouml;nnen sich in Heiserkeit, Hustenreiz und Sexualfunktionsst&ouml;rungen widerspiegeln.</li> <li>Dieser generelle glandul&auml;re Funktionsverlust tritt erst ab einer mehr als 50 % igen Sch&auml;digung des Dr&uuml;sengewebes auf &ndash; ein ganz wesentlicher Faktor f&uuml;r die Entscheidung zur Therapie!</li> </ul> <p>Zu den extraglandul&auml;ren Symptomen werden die folgenden gerechnet (Tab. 1):</p> <ul> <li>Als Allgemeinsymptome k&ouml;nnen &uuml;berm&auml;&szlig;ige M&uuml;digkeit und Leistungsverlust auftreten.</li> <li>Meist treten Schmerzen und Entz&uuml;ndungen in den Gelenken auf, Arthralgien und Arthritiden, die aber ohne Gelenkdestruktionen ablaufen.</li> <li>Zur Gruppe der extraglandul&auml;ren Symptome geh&ouml;rt auch das Raynaud-Syndrom. In diese Symptomgruppe f&auml;llt auch eine spezielle Form der Lungenentz&uuml;ndung, die interstitielle Pneumonie. Es k&ouml;nnen sich auch eine interstitielle Nephritis und Vaskulitiden entwickeln. Meist bleiben Gef&auml;&szlig;entz&uuml;ndungen auf die Gef&auml;&szlig;e der Haut beschr&auml;nkt.</li> <li>Neurologisch k&ouml;nnen sich Polyneuropathien ausbilden, d.h., dass einzelne Nervenfasern ihre Funktion nicht mehr normal aus&uuml;ben k&ouml;nnen und es dadurch zu Gef&uuml;hlsst&ouml;rungen und L&auml;hmungserscheinungen, vornehmlich der Extremit&auml;ten, kommt.</li> <li>Mononeuritis multiplex</li> <li>Wenn Muskeln betroffen sind, k&ouml;nnen dort Myositiden oder Polymyositiden auftreten.</li> </ul> <h2>Diagnostik</h2> <p>Die Ultraschalluntersuchung der Speicheldr&uuml;sen und der Halsorgane (Lymphknoten) ist die Standarduntersuchung, um pathologische Strukturver&auml;nderungen zu detektieren (Abb. 1). Die Beurteilung der Speicheldr&uuml;senfunktion erfolgt durch eine szintigrafische Untersuchung mit 99mTc- Pertechnetat (Tc = Technetium), einem gammastrahlenden Radionuklid mit einer Halbwertszeit von 6 Stunden. Wichtig f&uuml;r den behandelnden Arzt sollte auch immer die Beurteilung des Zahnzustands sein (Infektionsgefahr).<br /> Zur groben Orientierung &uuml;ber die Menge der Tr&auml;nenfl&uuml;ssigkeit wird der Schirmer- Test verwendet. Hierf&uuml;r wird mit einem Papierstreifen im Konjunktivalsack nach einer bestimmten Zeit das Durchfeuchtungsausma&szlig; des Papierstreifens abgelesen. Au&szlig;erdem sollten stets alle Lymphknoten untersucht und beobachtet werden, da die Ausbildung eines Non- Hodgkin-Lymphoms (f&uuml;nffach erh&ouml;htes Risiko) auf diese Weise fr&uuml;hzeitig erkannt und therapiert werden kann.<br /> Labortechnisch finden sich:</p> <ul> <li>eine deutlich erh&ouml;hte Blutsenkungsgeschwindigkeit;</li> <li>eine breitbasige Hypergammaglobulin&auml;mie, ein erh&ouml;hter Rheumafaktor und pathognomonisch ein Rheumafaktor der Subklasse IgA;</li> <li>Autoantik&ouml;rper gegen Epithelzellen der interlobul&auml;ren Ausf&uuml;hrungsg&auml;nge von Speicheldr&uuml;sen und solche gegen Zellkerne (ANA), extrahierbare nukle&auml;re Antigene (Anti-Ro, Anti-La).</li> <li>Das serologische Vollbild bietet zus&auml;tzlich humorale Entz&uuml;ndungszeichen, z.B. CRP- und Serumamylase-Erh&ouml;hung, IgA-Rheumafaktoren und eine &beta;2-Mikroglobulinerh&ouml;hung als Ausdruck der B-Zell-Aktivierung.</li> </ul> <h2>Differenzialdiagnosen</h2> <p>Eine Vielzahl von unterschiedlichen Erkrankungen kann ebenso Trockenheitsbeschwerden hervorrufen, ohne dass ein Sj&ouml;gren-Syndrom vorliegt, beispielsweise Dr&uuml;senatrophie, Infektionen oder ein Diabetes mellitus. Auch verschiedene Medikamente k&ouml;nnen als Nebenwirkung Augen- und Mundtrockenheit hervorrufen, vor allem bestimmte Psychopharmaka. &Auml;ngste und Stress verst&auml;rken manchmal die Beschwerden von Trockenheit. Im Alter l&auml;sst die Produktion der exokrinen Dr&uuml;sen aber auch generell nach.<br /> T&auml;glich werden etwa 1 bis 1,5 Liter Speichel produziert. Unter dem Einfluss von Stress und bestimmten Medikamenten kann die Produktion auf ca. 500ml pro Tag absinken. Bei Patienten mit Sj&ouml;gren- Syndrom sind es oftmals nicht mehr als 100ml Speichel pro Tag (Abb. 2). In der Nacht (Zeit der h&ouml;chsten Aktivit&auml;t der Autoimmunreaktion) sistiert die Speichelproduktion oft g&auml;nzlich.</p> <h2>Therapie</h2> <p>Die Behandlung des Sj&ouml;gren-Syndroms hat vier Ziele: die Eind&auml;mmung der Entz&uuml;ndung, die Behandlung der Symptome, die Eind&auml;mmung und Reduktion der Dr&uuml;sendestruktion und die Verhinderung von Sekund&auml;rkomplikationen.<br /> Grunds&auml;tzlich werden zuerst die Symptome behandelt. Die Therapie der glandul&auml;ren Symptome soll einem Austrocknen der Augen, des Mundes und der anderen genannten K&ouml;rperpartien vorbeugen. Weiters wird empfohlen, h&auml;ufig kleine Schl&uuml;ckchen Wasser zu trinken (2 Liter pro Tag) und zuckerfreie Bonbons zu lutschen. Die trockene Haut sollte mit speziellen Feuchtigkeitslotionen eingerieben werden.</p> <p><strong>Behandlungspfad:</strong></p> <ul> <li>Bei Sicca-Symptomatik Fl&uuml;ssigkeitssubstitution nach Bedarf (Augentropfen, Augengel, Mundspray), Versuch mit Pilocarpin (Salagen<sup>&reg;</sup> 5mg bis zu viermal t&auml;glich aufdosieren) und Bromhexin. Weiterhin gibt es NaCl-Sprays f&uuml;r die Nase.</li> <li>Regelm&auml;&szlig;ige Zahnarztkontrollen und Mundhygiene mit fluoridhaltiger Zahnpasta</li> <li>Bei exokriner Pankreasinsuffizienz Substitution von Pankreasenzymen (zu den Mahlzeiten)</li> <li>Bei Sialadenitis kurzfristiger Einsatz niedrig dosierter Steroide</li> <li>Bei Arthralgien/Myalgien NSAR, Hydroxychloroquin, bei chronischer Polyarthritis Methotrexat, ggf. in Kombination mit niedrig dosierten Steroiden</li> <li>Bei Vaskulitis Steroide plus Therapie laut Richtlinien</li> <li>Bei interstitieller Nephritis Azathioprin</li> <li>Bei Lungen- und ZNS-Manifestation initial hoch dosierte Steroide, Azathioprin und andere Immunsuppressiva</li> <li>Bei niedrigmalignem B-Zell-Non-Hodgkin- Lymphom &bdquo;watch and wait&ldquo;, bei Progression oder hochmalignen Lymphomen Chemotherapie und Bestrahlung</li> </ul> <p>Das Standard-Basistherapeutikum ist vor allem Chloroquin, und hier Quensyl<sup>&reg;</sup> 200&ndash;400mg/Tag wegen seines guten Nebenwirkungsprofiles. In weiterer Folge, vor allem bei sekund&auml;rem Sj&ouml;gren-Syndrom kommen beispielhaft Methotrexat, Azathioprin (Imurek<sup>&reg;</sup>) und Cyclosporin A (Sandimmun<sup>&reg;</sup>) zur Anwendung.<br /> Beim Vollbild eines Sj&ouml;gren-Syndroms mit hoher entz&uuml;ndlicher Aktivit&auml;t, deutlicher &beta;2-Mikroglobulin-Erh&ouml;hung und auch Therapieversagen der konventionellen Therapien stellt die Gabe von 500mg Rituximab (MabThera<sup>&reg;</sup>) alle 6 Monate eine mittlerweile etablierte Therapieoption dar. Diese Patienten profitieren vor allem bei den unspezifischen Symptomen wie M&uuml;digkeit und Leistungsverlust mit einer Verbesserung um die 50 % (Tab. 2).</p> <h2>Komplikationen und Sekund&auml;rkrankheiten</h2> <p>Infolge des Sicca-Syndroms kommt es h&auml;ufig zu sekund&auml;ren Entz&uuml;ndungen, die lokal beschr&auml;nkt bleiben k&ouml;nnen oder sich auch vielerorts ausbreiten. Die Prognose des Sj&ouml;gren-Syndroms richtet sich in erster Linie nach den begleitenden Autoimmunerkrankungen. Beim systemischen Lupus erythematodes sind beispielsweise 30 % der Erkrankten nach zehn Jahren verstorben. Patienten mit progressiver Sklerodermie haben eine mittlere Lebenserwartung von nur sieben Jahren nach Diagnosestellung. Die Periarteriitis nodosa ist eine Krankheit mit unberechenbarer Prognose. Es kann zu schleichenden wie auch drastisch schnell voranschreitenden Krankheitsverl&auml;ufen kommen. Die Polymyositis verl&auml;uft in Sch&uuml;ben und kommt meist nach f&uuml;nf bis zehn Jahren zum Stillstand. Dennoch sind nach f&uuml;nf Jahren 20 % der an Polymyositis leidenden Erkrankten verstorben. Dar&uuml;ber hinaus wird die Prognose beim Auftreten eines Lymphoms stark verschlechtert.</p> <h2>Erfahrungen aus dem Evangelischen Krankenhaus Wien</h2> <p>Aus dem Zeitraum 2006&ndash;2018 stehen nunmehr Erfahrungswerte aus einer Kohorte von 374 Patienten mit Sicca-Symptomatik zur Verf&uuml;gung. 193 Patienten leiden an einer Sicca-Symptomatik verschiedenster Ursachen, bei 183 Patienten konnte entsprechend den aktuellen Richtlinien ein manifestes Sj&ouml;gren-Syndrom diagnostiziert werden. Von diesen 183 Patienten mit Sj&ouml;gren- Syndrom stehen derzeit 64 unter Rituximab- Therapie, 48 Patienten unter einer Chloroquin-Therapie, 8 Patienten unter einer i.v. Immunglobulin-Therapie, 15 Patienten mit begleitender Vaskulitis unter Azathioprin, 3 Patienten mit chronischer Polyarthritis unter TNF-&alpha;-Blocker- Therapie. 72 Patienten werden mit niedrig dosierten oralen Kortikosteroiden behandelt. Die &uuml;brigen Patienten teilen sich auf alternative Therapiema&szlig;nahmen wie TCM mit Akupunktur, Kr&auml;utertherapie etc. auf.<br /> Bei 42 Patienten unter Rituximab stehen nunmehr Daten &uuml;ber 6 Jahre Therapie zur Verf&uuml;gung, teilweise mit ausgezeichnetem Erfolg, vor allem bei den allgemeinen Symptomen.<br /> Grunds&auml;tzlich dienen nach eindeutiger Diagnosestellung eines Sj&ouml;gren-Syndroms als Entscheidungshilfe f&uuml;r eine Therapieform folgende Punkte: eine hohe humorale Entz&uuml;ndungsaktivit&auml;t, hochtitrige Autoantik&ouml;rper Ro und La (im dreistelligen Bereich), hochtitriger IgA-Rheumafaktor, eine deutliche Erh&ouml;hung der Serumamylase und des &beta;2-Mikroglobulins sowie ein positiver Ultraschall der Speicheldr&uuml;sen und ein positiver Schirmer-Test. Bei Patienten, die diese Kriterien erf&uuml;llten, zeigte sich sowohl mit Rituximab als auch mit Chloroquin ein signifikanter Behandlungserfolg.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1803_Weblinks_ortho_1803_s54_tab1-3.jpg" alt="" width="1394" height="1714" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1803_Weblinks_ortho_1803_s53_abb1+2.jpg" alt="" width="2150" height="1217" /></p></p>
Back to top