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Neuer Antikörper für therapieresistente Fälle
Leading Opinions
Autor:
Dr. med. Felicitas Witte
30
Min. Lesezeit
18.05.2017
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<p class="article-intro">Der Interleukin-6-Blocker linderte in einer Phase-III-Studie bei therapieresistenten Patienten Symptome und Befunde deutlich. Unerwartete Nebenwirkungen traten bisher nicht auf. Unklar ist noch, ob Sirukumab besser ist als herkömmliche Medikamente. Der Hersteller hat die Zulassung beantragt.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Hemmstoffe des Tumor-Nekrose-Faktors (TNF) in Kombination mit Methotrexat können Symptome einer rheumatoiden Arthritis (RA) effektiv lindern. Sie verzögern die Progression des Gelenkschadens und bessern die Lebensqualität.<sup>1</sup> Trotzdem sprechen nicht alle Patienten auf die Behandlung an bzw. lässt die Wirkung nach einiger Zeit nach.<sup>2, 3</sup> Für diese Patienten stehen weitere krankheitsmodifizierende Medikamente (DMARD) mit unterschiedlichen Wirkmechanismen zur Verfügung: andere TNF-Hemmer, Abatacept, der Interleukin-6-Inhibitor Tocilizumab, der JAK-Inhibitor Tofacitinib oder der Anti-B-Zell-Wirkstoff Rituximab.<sup>4</sup> Wirken auch diese Medikamente nicht, sollten gemäss Leitlinie andere biologische oder gezielt wirkende synthetische DMARDs eingesetzt werden.<sup>4</sup> Einer der Schlüsselwege in der Pathophysiologie der RA ist Interleukin-6 (IL-6). Blockiert man den IL-6-Rezeptor, kann dies den Verlauf der RA verbessern.<sup>5–7</sup> Ein anderer Ansatz besteht darin, das Zytokin selbst zu blockieren. <br />Dr. med. Daniel Aletaha von der Medizinischen Universität Wien und seine Kollegen stellen jetzt mit Sirukumab einen IL-6-Inhibitor vor, der in einer ersten Phase-III-Studie die Symptome gegenüber Placebo deutlich besserte.<sup>8</sup> Sirukumab ist ein humaner monoklonaler Antikörper, der selektiv und mit einer hohen Affinität an IL-6 bindet. In einer Phase-II-Studie bei Patienten mit RA, denen Methotrexat nicht geholfen hatte, verbesserte Sirukumab im Vergleich zu Placebo die Beschwerden der Patienten deutlich.<sup>9</sup> Der Antikörper wurde in dieser Dosisfindungsstudie in einer Dosis von 100mg alle 2 Wochen über einen Zeitraum von 12 Wochen gegeben. <br />Die sogenannte SIRROUND-T-Studie von Aletaha und seinen Kollegen sollte Wirksamkeit und Sicherheit von Sirukumab bei Patienten mit aktiver RA untersuchen, denen Anti-TNF-Hemmer nicht halfen oder die sie nicht vertrugen. In die randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Studie wurden 878 Patienten über 18 Jahre mit ≥4 schmerzhaften Punkten von 68 Schmerzpunkten und ≥4 von 66 geschwollenen Gelenken eingeschlossen. Randomisiert in drei Gruppen (1:1:1), erhielten die Patienten entweder alle 2 Wochen Placebo, alle 4 Wochen 50mg Sirukumab oder alle 2 Wochen 100mg Sirukumab. Alle Patienten wurden maximal 52 Wochen behandelt und durften begleitend jede Art von DMARD-Therapie fortführen. Sirukumab beziehungsweise Placebo wurden subkutan verabreicht. Die Patienten, die alle 4 Wochen 50mg Sirukumab erhielten, bekamen zusätzlich alle 2 Wochen eine Placebo-Injektion. Patienten der Placebogruppe, die nach 18 Wochen die «Early escape»-Kriterien erfüllten, also weniger als 20 % Verbesserung bei den geschwollenen und schmerzhaften Gelenken erreichten, erhielten randomisiert entweder 50mg oder 100mg Sirukumab. Alle übrigen Placebopatienten wurden in Woche 24 in eine der beiden Sirukumabgruppen randomisiert (Crossover-Studiendesign). Als primäres Outcome galt der Anteil von Patienten, die sich nach Woche 16 um mindestens 20 % im ACR20 verbesserten. 523 (60 % ) der Patienten hatten vorher zwei oder mehr Biologika erhalten. 166 (19 % ) hatten zu Beginn der Studie kein DMARD erhalten. <br />Die Ergebnisse: 117 (40 % ) der Patienten mit 50mg Sirukumab und 132 (45 % ) der Patienten mit 100mg Sirukumab hatten nach 16 Wochen den primären Endpunkt erreicht, im Vergleich dazu nur 71 (24 % ) Patienten der Placebogruppe. Der Unterschied zwischen den beiden Sirukumabgruppen und Placebo war jeweils statistisch signifikant. Nebenwirkungen traten in allen drei Gruppen vergleichbar häufig auf, die häufigsten waren Erythemata an der Injektionsstelle. <br />«Jedes weitere wirksame Biologikum ist ein Erfolg», sagt Prof. Dr. med. Oliver Distler, Direktor der Klinik für Rheumatologie am Universitätsspital Zürich. «Unser Ziel ist eine individualisierte Medizin, bei der beim Ausbruch der Erkrankung anhand spezifischer, in Zukunft noch zu definierender Merkmale eine gezielte Therapie begonnen wird. Die Studie zeigte, dass Sirukumab sogar bei relativ therapieresistenten Patienten wirkt. Dies lässt Patienten hoffen, die bisher auf die verfügbaren Medikamente nicht angesprochen haben.»<br />Prof. Dr. med. Josef Smolen, Leiter der Universitätsklinik für Innere Medizin III an der Medizinischen Universität Wien, sieht Sirukumab auf einer ähnlichen Stufe wie Tocilizumab, da dieses auch in den IL-6-Stoffwechsel eingreift. «Ob Sirukumab aber besser ist als Tocilizumab und was es langfristig für Nebenwirkungen verursacht, wissen wir noch nicht. Das müssten erst weitere Studien zeigen.» <br />Wie bei Tocilizumab ist auch unter Sirukumab das Risiko für gastrointestinale Perforationen erhöht, sagt Dr. med. Raphael Micheroli, Assistenzarzt in der Klinik für Rheumatologie am Universitätsspital Zürich. «Es handelte sich hauptsächlich um Perforationen bei Divertikulitis», berichtet er. «Sie sind nicht häufig, aber wenn sie auftreten, könnte man sie leicht übersehen. Sirukumab unterdrückt nämlich sehr effizient Entzündungsparameter wie CRP, und damit fehlt das Warnsignal für Divertikulitis, wenn Unterbauchschmerzen auftreten.» Warum Sirukumab das Risiko für Perforationen erhöht, ist unklar. «Vielleicht ist Interleukin-6 wichtig, um die lokale Entzündungsreaktion bei Divertikeln zu unterdrücken, und wenn man es blockiert, könnte es eher zu einer Entzündung und Perforationen kommen», sagt Micheroli. «Aber das ist reine Spekulation.» Unerwartete oder schwere Nebenwirkungen habe Sirukumab bisher keine gezeigt.<br />Unklar ist, ob Sirukumab besser ist als bisherige DMARDs. «Die Studie war auch nicht darauf ausgelegt, das zu zeigen», sagt Distler. «Um eine Über- oder Unterlegenheit gegenüber einem anderen Medikament zu belegen, bräuchte es direkte Vergleichsstudien.» <br />Sirukumab bilde ein neues Prinzip der IL-6-Blockade, kommentiert Prof. Dr. med. Beat Michel, Präsident des Vereins «Rheuma Schweiz»: «Wie bei Blockade des IL-6-Rezeptors verbesserte auch der neue IL-6-Blocker Sirukumab die Symptome und Befunde bei rheumatoider Arthritis deutlich.» Das CRP sei bereits nach zwei Wochen vollständig unterdrückt worden. «Sirukumab erweitert unser Arsenal in der Behandlung von Patienten mit rheumatoider Arthritis, bei denen andere Biologika nicht wirkten.» Ob es besser ist als herkömmliche DMARDs und wie viel es kosten wird, wird sich zeigen.</p></p>
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<p><strong>1</strong> Chen YF et al: Health Technol Assess 2006; 10: 1-229 <strong>2</strong> Emery P: Rheumatology (Oxford) 2012; 51(suppl 5): v22-30 <strong>3</strong> Tak PP: Rheumatology (Oxford) 2012; 51: 600-9 <strong>4</strong> Smolen JS et al: Ann Rheum Dis 2017; publish­ed online Mar 17 <strong>5</strong> Tanaka Y et al: Mod Rheumatol 2014; 24: 399-404 <strong>6</strong> Emery P et al: Ann Rheum Dis 2008; 67: 1516-23 <strong>7</strong> Genovese MC et al: Arthritis Rheumatol 2015; 67: 1424-37 <strong>8</strong> Aletaha D et al: Lancet 2017; 389: 1206-17 <strong>9</strong> Smolen JS et al: Ann Rheum Dis 2014; 73(9): 1616-25</p>
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