
©
Getty Images/iStockphoto
Komplexe Krankheit, komplexe Therapie
Jatros
30
Min. Lesezeit
16.11.2017
Weiterempfehlen
<p class="article-intro">Der systemische Lupus kann sich auf vielfältige Weise äußern, dementsprechend kompliziert ist die Therapie. Die Grundprinzipien sind einfach, doch die Therapie muss je nach Organbefall modifiziert werden. Wie das gemacht wird und welche neuen Ansätze getestet werden, das haben wir Prof. Dr. Martin Aringer von der Technischen Universität Dresden gefragt.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p><em><strong>Der Lupus erythematodes ist eine Autoimmunerkrankung mit sehr vielfältigen Manifestationen. Wie therapiert man eine so komplexe Krankheit?</strong></em><br /><em><strong>M. Aringer:</strong></em> Die Vielfalt der Symptome kann uns sicherlich vor Herausforderungen stellen. Die Grundprinzipien der Therapie sind aber relativ unkompliziert: Die Entzündung muss gestoppt werden, gleichzeitig sollte man mittelfristig die Glukokortikoiddosis auf 5mg Prednisolon-Äquivalent reduzieren. Eine wichtige Grundlage für die Therapie sind die SASKIA- respektive BASIC-Basismaßnahmen.<sup>1</sup> <br /><em><strong>Was sind das für Maßnahmen? </strong></em><br /><em><strong>M. Aringer:</strong></em> SASKIA steht für „SLE: Antimalariamittel-Sonnenschutz-Knochenschutz(Vitamin D)-Impfschutz-Kontrolle der Atheroskleroserisikofaktoren“. BASIC steht für das Gleiche auf Englisch: „Bone protection – Antimalarial – Sun protection – Immunization – Cardiovascular risk factor control“. Diese Maßnahmen sollte man sofort nach der Diagnosestellung einleiten, denn damit kann man weitere Organschäden verhindern. Heilen können wir ja den Lupus bisher nicht. <br /><em><strong>Wie setzen Sie SASKIA in der Praxis um?</strong></em><br /><em><strong>M. Aringer:</strong></em> Alle Patienten bekommen zumindest eine Tablette (200mg) Hydroxychloroquin täglich, solange keine Kontraindikationen vorliegen. Das Antimalariamittel Hydroxychloroquin ist mit einem deutlich verbesserten Langzeitüberleben assoziiert und kann Schübe verhindern. Man sollte aber nicht mehr als 6,5mg pro Kilogramm ideales Körpergewicht täglich verordnen – obwohl die Wahrscheinlichkeit einer Retinopathie als Nebenwirkung gering ist. Das bedeutet, dass erst ab einer Körpergröße von 1,73m zwei Tabletten Hydroxychloroquin sicher sind. Bisher haben auch keine Daten schlüssig gezeigt, dass 200mg einen geringeren Effekt haben als eine höhere Dosis. Deshalb gebe ich meist einmal täglich 200mg, außer bei Männern und sehr großen Frauen. Geht man ins Freie, sollten alle UV-empfindlichen Patienten eine Sonnencreme mit mindestens Lichtschutzfaktor 50 verwenden. Da der Körper dadurch meist nicht genügend aktives Vitamin D produzieren kann, empfehle ich 20 000 IU Vitamin D pro Woche. Alle Patienten sollten regelmäßig alle Standardimpfungen durchführen und sich gegen Influenza und Pneumokokken impfen lassen. Gemeinsam mit den Patienten sollte man in regelmäßi­gen Abständen überlegen, wie man ihr Atheroskleroserisiko senken kann: von Rauchstopp über Bewegung bis zu Blutdruck- und Cholesterinkontrolle. Auf Dauer ist für SLE-Patienten die koronare Herzkrankheit der große „Killer“, das müssen wir rechtzeitig bekämpfen. <br /><em><strong>Es gab doch immer wieder Diskussionen, dass Impfungen Schübe auslösen können. Warum empfehlen Sie dann jedem die Impfungen?</strong></em><br /><em><strong>M. Aringer:</strong></em> Gerade beim Impfschutz haben die Daten der letzten zehn Jahre zu einem Umdenken geführt. Inzwischen ist mehrfach gezeigt worden, dass durch Impfungen so gut wie nie ein relevanter Schub ausgelöst wird.<sup>2</sup> Auf der anderen Seite sind aber die Patienten enorm gefährdet, eine Infektion zu bekommen, auch durch Influenza und Pneumokokken. Deshalb wurden diese in die Impfempfehlungen aufgenommen.<sup>3</sup> Wie auch im Atherosklerose-Risikomanagement stimmen wir uns aber bezüglich des Impfschutzes eng mit dem Hausarzt ab, der von uns vor allem die Information braucht. <br /><em><strong>Reicht Hydroxychloroquin bei den meisten Patienten aus?</strong></em><br /><em><strong>M. Aringer:</strong></em> Bei vielen mit eher milder Entzündung, zum Beispiel in der Haut oder den Gelenken. Hydroxychloroquin benötigt aber etwa drei Monate, bis es wirkt, und meist braucht man stärkere Medikamente, damit die Entzündung rascher gestoppt werden kann. Insbesondere die Arthritis muss auf Dauer komplett unter Kontrolle sein, um über die Zeit nicht zu Fehlstellungen zu führen. <br /><em><strong>Wie stoppen Sie die Aktivität des Lupus, bis Hydroxychloroquin wirkt? </strong></em><br /><em><strong>M. Aringer:</strong></em> Am raschesten wirken Glukokortikoide. In der Regel reichen 0,5mg/kg täglich. Auf Dauer sind sie aber gefährlich: Sie begünstigen vor allem Atherosklerose und Infektionen. Daher muss man die Dosis langfristig unbedingt auf 5mg oder weniger Prednisolon-Äquivalent einstellen. Braucht ein Patient mehr, setze ich stattdessen meist Methotrexat oder Azathioprin ein. <br /><em><strong>Aber Methotrexat ist nicht für SLE zugelassen …</strong></em><br /><em><strong>M. Aringer:</strong></em> Das stimmt. Wir wissen jedoch, dass Methotrexat beim SLE, wie bei der RA auch, langfristig eine meist effektive und sehr sichere Therapie ist, solange die Nieren noch funktionieren.<sup>4</sup> Insbesondere bei entzündlichen Manifestationen des Muskuloskelettalsystems, der Haut und der Gefäße ist Methotrexat in einer wöchentlichen Dosis von 15 bis 25mg meist eine sehr gute Wahl.<br /><em><strong>Wann geben Sie Azathioprin?</strong></em><br /><em><strong>M. Aringer:</strong></em> Als Erhaltungstherapie nach Cyclophosphamid, bei Kinderwunsch und bei den nicht entzündlichen Manifestationen, wie den Zytope­nien, und natürlich immer, wenn die Patienten Kontraindikationen für Methotrexat haben oder es nicht vertragen. Abgesehen von der Erhaltungstherapie bei der Lupusnephritis haben wir für Azathioprin erstaunlich wenige Studiendaten, obwohl die Substanz seit Jahrzehnten standardmäßig bei Lupus angewendet wird. In der Regel werden 2mg/kg täglich empfohlen, auch wenn man längerfristig die Dosis oft reduzieren kann. Man sollte aber langsam aufdosieren und den Patienten engmaschig überwachen, um anfangs mögliche schwere Blutbildveränderungen oder eine Azathioprin-Hepatitis rechtzeitig zu erkennen. <br /><em><strong>Was machen Sie, wenn weder Methotrexat noch Azathioprin hilft?</strong></em><br /><em><strong>M. Aringer:</strong></em> Kann man den Lupus durch die beiden Medikamente nicht so weit kontrollieren, dass unter einer Prednisolon-Dosis von 5mg oder weniger keine Entzündung vorliegt, ist Belimumab der nächste Therapieschritt, außer in lebensgefährlichen Situationen. Belimumab ist das erste Biologikum, das gegen SLE zugelassen ist – ein Antikörper gegen BAFF, den B-Zell-aktivierenden Faktor. Belimumab benötigt zwar meist drei bis sechs Monate, bis man eine deutliche Wirkung bemerkt, aber man verhindert damit Schübe und kann die Entzündung in vielen Organen gut kontrollieren. Oft weit schneller spricht bei vielen Patienten die Lupusfatigue an.<sup>5, 6</sup> Die einzige kritische Nebenwirkung der Belimumab-Infusion sind seltene, aber spät eintretende gefährliche Infusionsreaktionen. Auch dieses Problem wird sich hoffentlich lösen, wenn demnächst subkutanes Belimumab auf den Markt kommt. <br /><em><strong>Verwenden Sie Belimumab auch bei der Lupusnephritis? </strong></em><br /><em><strong>M. Aringer:</strong></em> Nein. Für die schwere Lupusnephritis haben wir zu Belimumab keine ausreichenden Daten. Bei Lupusnephritis der Klassen III, IV und V kommt meist immer noch Cyclophosphamid zum Einsatz. Bei der Lupusnephritis verwenden wir fast immer das Euro-Lupus-Schema mit einer Dosis von insgesamt nur 3g in 6 Boli zu 500mg alle 14 Tage. Dann stellen wir auf 2mg/kg Azathioprin um. Alternativ kommt sowohl für die Induktion als auch für die Erhaltung Mycophenolat-Mofetil (MMF) in Betracht, das ist aber trotz sehr guter Studien „off label“. MMF wirkt in einer Dosis von 3g täglich für die Induktion vergleichbar gut wie Cyclophosphamid und ist in der Erhaltung Azathioprin etwas überlegen. Allerdings ist MMF teratogen, sodass sich das klassische Euro-Lupus-Schema für junge Patientinnen mit Kinderwunsch fast besser eignet. Abgesehen von der Immunsuppression muss man den Blutdruck optimal einstellen: mit ACE-Hemmern oder AT1-Blockern und gegebenenfalls noch zusätzlich mit anderen Blutdrucksenkern. <br /><em><strong>Woran erkennen Sie, dass die Behandlung anschlägt?</strong></em><br /><em><strong>M. Aringer:</strong></em> Wenn sich die Proteinurie innerhalb von drei Monaten bessert und nach einem Jahr auf weniger als etwa 0,7g täglich gesunken ist, dürfte alles gut werden. Klappt das nicht, bleibt die Nephritis aktiv, dann kommt derzeit vor allem der Wechsel zu MMF infrage oder – wenn man mit MMF begonnen hat – auf Cyclophosphamid. Eine andere Option ist die Off-label-Therapie mit Rituximab. <br /><em><strong>Wie behandeln Sie den ZNS-Lupus?</strong></em><br /><em><strong>M. Aringer:</strong></em> Das kommt auf die vermutete Ursache an. Gerade vaskuläre Ereignisse sind wesentlich häufiger durch Atherosklerose verursacht oder sind Folge eines Anti-Phospholipid-Syndroms als eine Lupusvaskulitis. Entsprechend werden sie wie jeder klassische Insult oder ein Anti-Phospholipid-Syndrom behandelt.<br /><em><strong>Kann man das Anti-Phospholipid-Syndrom auch mit einer immunsuppressiven Therapie beeinflussen?</strong></em><br /><em><strong>M. Aringer:</strong></em> Leider bis heute nicht ausreichend. Daher kommt es hier wirklich auf die Gerinnungs- und/oder Thrombozytenaggregationshemmung an. Alle Patienten mit venösem Ereignis müssen dauerhaft antikoaguliert und alle mit arteriellem Ereignis zumindest mit ASS behandelt werden. Bei Schwangeren mit Anti-Phospholipid-Syndrom geben wir niedermolekulare Heparine in Kombination mit ASS. Hat ein Patient Antikörper, aber noch keine Klinik, kann man zusätzlich zu ASS Hydroxychloroquin erwägen, denn das ist zumindest für die noch kritischeren arteriellen Ereignisse eine wirksame Prophylaxe.<sup>7</sup><br /><em><strong>Und was ist, wenn die vaskulären Probleme im Hirn doch durch eine Vaskulitis verursacht werden?</strong></em><br /><em><strong>M. Aringer:</strong></em> Dann geben wir Methylprednisolon als Bolus und Cyclophosphamid. Weil ZNS-Schäden irreversibel sind, sollte man im Zweifel auch rasch Rituximab in Erwägung ziehen. In der Erhaltungstherapie danach sprechen manche Daten dafür, dass bei der ZNS-Vaskulitis, anders als bei der Nephritis, Azathioprin besser geeignet ist als MMF. Bei allen anderen neurologischen oder psychiatrischen Symptomen muss man auch Nebenwirkungen von Medikamenten und sogar Drogen in Betracht ziehen, insbesondere auch Infektionen. Daher ist aus Sicherheitsgründen meist eine Liquorpunktion notwendig. Die Therapie hängt dann vom Ausmaß der Störung ab, kann aber auch bis zu Cyclophosphamid oder Rituximab reichen. <br /><em><strong>Und bei Befall der Lunge?</strong></em><br /><em><strong>M. Aringer:</strong></em> Auch die meist hochakut verlaufende Lupuspneumonitis bessert sich meist relativ rasch auf hoch dosierte Glukokortikoide und Cyclophosphamid. Hier muss man wie im ZNS eine Infektion ausschließen. Bei einer interstitiellen Lungenerkrankung geben wir Cyclophosphamid nach dem alten NIH-Schema, also monatlich, gefolgt von einer Erhaltungstherapie mit Azathioprin oder MMF. Lungenhochdruck bei SLE ist selten, kann aber sowohl als chronische thromboembolische pulmonale Hypertonie auftreten als auch im Sinne einer pulmonalarteriellen Hypertonie (PAH). Im Falle der PAH hat sich beim SLE im Gegensatz zu anderen Krankheiten der zusätzliche Einsatz von Cyclophosphamid bewährt: Das spricht für eine andere Pathogenese als etwa bei der systemischen Sklerose und hat auch Eingang in die PAH-Leitlinien gefunden. <br /><em><strong>Die Perikarditis gehört ja eher zu den nicht so gefährlichen Manifestationen, die wir schon besprochen haben. Aber wie gehen Sie mit der Lupusmyokarditis und der Libman-Sacks-Endokarditis um?</strong></em><br /><em><strong>M. Aringer:</strong></em> Ähnlich wie die Beteiligung des Lungenparenchyms ist auch die SLE-Myokarditis ein lebensbedrohendes Problem, die Therapie ist ähnlich aggressiv und basiert zunächst meist auf Cyclophosphamid. Die Libman-Sacks-Endokarditis hingegen ist nicht entzündlich, sondern durch ein Anti-Phospholipid-Syndrom bedingt. Deshalb geben wir ASS oder antikoagulieren den Patienten.<br /><em><strong>Wann wird es neue Medikamente gegen Lupus geben?</strong></em><br /><em><strong>M. Aringer:</strong></em> Zurzeit werden viele neue Präparate in Studien getestet, was mich hoffen lässt, dass wir auch bald mehr Therapieoptionen für therapierefraktäre Patienten haben werden. Das kann aber noch ein paar Jahre dauern. Unter den neuen Ansätzen finde ich die ersten Ergebnisse des Anti-Typ-I-Interferon-Antikörpers Anifrolumab vielversprechend.<sup>8</sup> Auch Ansätze mit Molekülen gegen den IL-6-Rezeptor oder JAK-Inhibitoren sind spannend. Atacicept, das sowohl BAFF als auch das Schwester-Zytokin APRIL blockiert und offenbar auch langlebige Plasmazellen depletiert, könnte in höherer Dosis möglicherweise sogar zu einer Heilung führen. In dieser Richtung werden sonst Proteasom-Inhibitoren und der Anti-CD38-Antikörper Daratuzumab getestet. Gegen B-Zellen richten sich neben Rituximab auch der neue Anti-CD20-Antikörper Obinutuzumab und Inhibitoren der Bruton-Tyrosinkinase, deren Defekt ja zu einer Immunschwäche führt.</p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Aringer M, Schneider M: Der Internist 2016; 57(11): 1052-9 <strong>2</strong> Touma Z et al.: Curr Opin Rheumatol 2013; 25: 164-70 <strong>3</strong> Mosca M et al.: Ann Rheum Dis 2010; 69: 1269-74 <strong>4</strong> Winzer M, Aringer M: Clin Exp Rheumatol 2010; 28(Suppl 61): 156-9 <strong>5</strong> Furie R et al.: Arthritis Rheum 2011; 63: 3918-30 <strong>6</strong> Navarra SV et al.: Lancet 2011; 377: 721-31 <strong>7</strong> Arnaud L et al.: Autoimmun Rev 2014; 13: 281-291 <strong>8</strong> Furie R et al.: Arthritis Rheumatol 2017; 69: 376-86</p>
</div>
</p>
Das könnte Sie auch interessieren:
Bedeutung pulmonaler Symptome zum Zeitpunkt der Erstdiagnose
Bei der Erstdiagnose von entzündlich-rheumatischen Erkrankungen können bereits pulmonale Symptome vorliegen, dies muss jedoch nicht der Fall sein. Eine Studie des Rheumazentrums Jena hat ...
Betroffene effektiv behandeln und in hausärztliche Betreuung entlassen
Bei bestimmten Patientinnen und Patienten mit Gicht ist eine rheumatologisch-fachärztliche Betreuung sinnvoll. Eine im August 2024 veröffentlichte S3-Leitlinie zur Gicht macht deutlich, ...
Gezielte Therapien bei axSpA – und wie aus ihnen zu wählen ist
Nachdem 2003 der erste TNF-Blocker zugelassen wurde, existiert heute für die röntgenologische (r-axSpA) und die nichtröntgenologische axiale Spondyloarthritis (nr-axSpA) eine ganze Reihe ...