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Gewusst wie, kommt jede Gicht zur Ruhe
Leading Opinions
Autor:
Dr. med. Adrian Forster
Rheumatologie und muskuloskelettale Rehabilitation, Kantonsspital Winterthur<br> E-Mail: adrian.forster@stgag.ch
30
Min. Lesezeit
06.10.2016
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<p class="article-intro">Die Gicht gehört zu den häufigsten entzündlichen Gelenkerkrankungen. Sie befällt 1–2 % der Bevölkerung.<sup>1</sup> Voraussetzung für ihre Entwicklung ist eine chronische Erhöhung der Serumharnsäure.<sup>2, 3</sup> Wenn der Harnsäurespiegel die physiologische Löslichkeitsgrenze überschreitet, fallen intra- und periartikulär Uratkristalle aus. Nach einer langen asymptomatischen Phase manifestiert sich die Gicht typischerweise als akute, sehr schmerzhafte Mono- oder Oligoarthritis, am häufigsten am Grosszehengrundgelenk (Podagra, Abb. 1). Unbehandelt kommt es zu rezidivierenden Schüben in immer kürzeren Intervallen.<sup>2, 3</sup> Therapeutisch sollen in erster Linie die schmerzhaften Entzün-dungsmanifestationen des Gichtschubes gelindert werden. In zweiter Linie wird eine adäquate Senkung der Serumharnsäure angezielt.<sup>2, 3, 10–14</sup> </p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Die akute Arthritis urica wird am besten durch intraartikuläre Steroide gelindert.</li> <li>Eine Hyperurikämie ohne klinische Gichtmanifestionen ist generell keine Indikation für eine harnsäuresenkende Behandlung.</li> <li>Therapieziel ist eine Serumharnsäure von unter 360µmol/l («treat to target»).</li> <li>Während der ersten Monate einer harnsäuresenkenden Therapie sind Schubrezidive häufig; sie sprechen nicht gegen die Wirksamkeit der Behandlung.</li> <li>Zur Prophylaxe von Schubrezidiven können niedrig dosierte Steroide, NSAR oder Colchicin (2x 0,5mg/d) eingesetzt werden.</li> <li>Für Allopurinol gilt: «start low, go slow». Dies reduziert das Risiko für Schubrezidive und das Allopurinol-Hypersensitivitätssyndrom.</li> <li>Allopurinol wird mit maximal 100mg/d begonnen (weniger bei Niereninsuffizienz!), gefolgt von einer langsamen Aufwärtstitration bis zur erforderlichen Erhaltungsdosis, die 300mg/d überschreiten darf (auch bei Niereninsuffizienz).</li> <li>Häufigste Ursache für eine ungenügende Harnsäuresenkung ist eine unzuverlässige Medikamenteneinnahme.</li> <li>Beim Management der Gicht dürfen deren Komorbiditäten nicht vernachlässigt werden. <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Ortho_1603_Weblinks_seite58.jpg" alt="" width="" height="" /> <h2>Antientzündliche Therapie und Prophylaxe des Gichtanfalls</h2> <p><strong>Therapie des akuten Gichtanfalls</strong><br /> Je rascher (idealerweise innerhalb von Stunden) die Behandlung erfolgt, desto wirksamer ist sie. Intraartikulär injizierte Kortikosteroide bringen die schnellste und stärkste Linderung. Alternativ können kurzzeitig systemische Steroide (z.B. Prednison 20–50mg/d) oder NSAR (cave: Niereninsuffizienz) gegeben werden.<sup>12–15</sup> Colchicin eignet sich wegen seines langsameren Wirkungseintritts und seiner hohen Toxizität nur bedingt. Die Wirkung von Colchicin korreliert nicht mit der Kumulationsdosis, sondern mit dem Maximum des erzielten Serumspiegels.<sup>16</sup> Bei normaler Nierenfunktion empfiehlt es sich, mit 1mg, gefolgt von 0,5mg nach einer Stunde, zu beginnen. Nach frühestens 12 Stunden kann die Behandlung mit 2x 0,5mg/d fortgesetzt werden.<sup>14</sup> Eine bereits etablierte harnsäuresenkende Therapie soll während einer Gichtattacke nicht unterbrochen werden, weil dies zu einer Schwankung des Harnsäurespiegels führt, die weitere Schübe provozieren kann<sup>14</sup> (Tab. 2).</p> <p><strong>Antiinflammatorische Prophylaxe weiterer Gichtanfälle</strong><br /> Am Anfang der harnsäuresenkenden Therapie sind erneute Gichtschübe die Regel. Diesen kann mit niedrig dosierten Steroiden, NSAR und/oder Colchicin entgegengewirkt werden (Tab. 3). Bei therapierefraktärer Gichtarthritis können heute Interleukin-1-Hemmer (Anakinra, Rilonacept, Canakinumab) eingesetzt werden. Routinemässig lässt sich diese sehr teure Therapie aber nicht empfehlen.<sup>18, 19</sup> <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Ortho_1603_Weblinks_seite59_1.jpg" alt="" width="" height="" /> <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Ortho_1603_Weblinks_seite59_2.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Massnahmen zur Harnsäuresenkung</h2> <p><strong>Diät</strong><br /> Die Gichtdiät darf sich nicht darauf beschränken, nur die Serumharnsäure und die Schubhäufigkeit zu senken, sondern sie muss auch das häufig assoziierte metabolische Syndrom und das erhöhte kardiovaskuläre Risiko angehen. Die traditionelle purinarme Diät kann nicht mehr empfohlen werden. Insbesondere ist eine proteinreiche pflanzliche Kost trotz ihres hohen Puringehalts sogar günstig (Abb. 3). In erster Linie ist eine Normalisierung des Körpergewichts anzustreben, durch eine langsame Gewichtsreduktion mittels Kalorienrestriktion und vermehrter körperlicher Akti­vität. Fastenkuren sind ungeeignet, weil sie durch eine Ketoazidose Anfälle provozieren. Generell sind eine Einschränkung tierischer Eiweisse und eine vermehrte Zufuhr von Milchprodukten zu empfehlen. Fleisch, Innereien und Meeresfrüchte enthalten viele Purine und sollten daher mit Zurückhaltung ge­gessen werden (Abb. 4). Vermehrter Konsum von Milchprodukten senkt hingegen die Gicht­in­zidenz. Hauptverantwortlich dürften Milchproteine wie Casein und Lactalbumin sein, welche urikosurisch wirken. Zudem haben gewisse Milchbestandteile wie Glykomakropeptid und Milchfettextrakte antiinflammatorische Eigenschaften, was die Schubhäufigkeit senkt.<sup>20, 21</sup> <br />Die Trinkmenge sollte mindestens zwei Liter pro Tag betragen, um die Ausscheidung der Harnsäure zu unterstützen. Geeignet sind zuckerlose, nicht alkoholische Getränke.<sup>20</sup> Bier ist strikt zu meiden, und auch auf Spirituosen sollte möglichst verzichtet werden. Alkohol erhöht die Harnsäureproduktion und hemmt vor allem die Harnsäureausscheidung. Bier (auch alkoholfreies) enthält zudem viele Purine. Regelmässiges Trinken von wenig Wein ist hingegen akzeptabel und hinsichtlich des kardiovaskulären Risikos günstig (Abb. 5). Den Harnsäurespiegel erhöhen alle Getränke, die Fruktose enthalten; dies betrifft sowohl Fruchtsäfte (z. B. Orangensaft, Süssmost, Multivitaminsäfte) als auch sämtliche Limonaden, die freie Fruktose bzw. Saccharose als Süssstoff enthalten.<sup>22</sup> Regelmässiger Kaffeekonsum (mehr als 4 Tassen pro Tag) vermindert die Gichtinzidenz. Das gilt in geringerem Ausmass auch für koffeinfreien Kaffee, nicht hingegen für Tee. Postuliert wird eine Hemmung der Xanthinoxidase durch Inhaltsstoffe des Kaffees.<sup>23</sup> <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Ortho_1603_Weblinks_seite60_1.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <p><strong>Anpassung der Hypertonietherapie</strong><br /> Die essenzielle arterielle Hypertonie per se und die Anwendung von Diuretika sind assoziiert mit Hyperurikämie und Gicht. Die Serumharnsäure steigt unter niedrig dosierten Thiaziden aber nur relativ gering. Der AT1-Antagonist Losartan hingegen vermag die Serumharnsäure durch einen urikosurischen Effekt zu senken; Voraussetzung ist natürlich eine ausreichende Nierenfunktion.<sup>24, 25</sup> Generell ist zu empfehlen, in der Hypertonietherapie – falls möglich – auf Diuretika zu verzichten und bevorzugt Losartan einzusetzen.<sup>12</sup></p> <p><strong>Pharmakologische Harnsäuresenkung</strong><br /> Die Behandlungsindikationen sind in Tabelle 4 aufgelistet. Das Therapieziel ist eine Serumharnsäure unter 360µmol/l. Ausnahme sind Patienten mit Tophi (Abb. 6); bei ihnen ist das Ziel ein Harnsäurewert unter 300µmol/l.<sup>12, 13, 26</sup> Es ist nicht nötig, das Abklingen des Gichtschubes abzuwarten, bevor mit der Therapie begonnen wird.<sup>27</sup></p> <p><strong>Urikostatika</strong><br /> Als Xanthinoxidasehemmer stehen Allopurinol und seit Kurzem Febuxostat zur Verfügung. Traditionell wurde Allopurinol in einer Dosierung von 300mg/d empfohlen, und bei Niereninsuffizienz wurde diese nach Massgabe der geschätzten GFR angepasst.<sup>28</sup> Der Serumharnsäurezielwert liess sich damit aber bei weniger als einem Drittel der Patienten erreichen.<sup>29</sup> Heute werden niedrigere Anfangsdosierungen (Tab. 5) vorgeschlagen,30 gefolgt von einem langsamen Auftitrieren in kleinen Schritten (max. 100mg/d) über 3–4 Wochen bis etwa 800mg/d. Auch bei Niereninsuffizienz dürfen so 300mg/d überschritten werden.<sup>31</sup> Neuere Studien zeigen, dass mit dieser Strategie («start low, go slow») das Risiko für ein Allopurinol-Hypersensitivitätssyndrom minimiert werden kann, auch wenn die Erhaltungsdosierung höher als früher empfohlen ist.<sup>30–32</sup> Zudem kann mit «start low, go slow» auch die Häufigkeit von Schubrezidiven vermindert werden. <br />Kommt es unter Allopurinol zu einem Exanthem oder Fieber, muss die Therapie umgehend abgebrochen werden (Patientenedukation). Es empfiehlt sich dann ein Wechsel auf Probenecid oder Febuxostat. Febuxostat wird mit 1x 40mg/d begonnen. Falls nötig, wird schrittweise auf 120mg/d gesteigert. Bei Niereninsuffizienz ist keine Dosisanpassung erforderlich. Nebenwirkungen sind Diarrhö, Kopfschmerzen und Leberfunktionsstörungen.<sup>17</sup> Grosse Vorsicht ist bei Anwendung von Azathioprin oder Mercaptopurin zusammen mit Allopurinol oder Febuxostat geboten; die Dosierungen Letzterer sind dann stark zu reduzieren.</p> <p><strong>Urikosurika</strong><br /> Probenecid ist das einzige in der Schweiz verfügbare Urikosurikum. Für eine gute Wirkung sollte die geschätzte GFR über 50 liegen. Ausgehend von 2x 250mg/d wird nach Massgabe des Harnsäurespiegels schrittweise langsam auf max. 2x 1500mg/d gesteigert. Es empfiehlt sich, die Harnsäureausscheidung mittels 24h-Urin zu quantifizieren: Werden mehr als 4200µmol/d (700mg/d) ausgeschieden, ist eine Alkalinisierung des Urins mit Kaliumzitrat zu empfehlen. Bei Anamnese einer Nephrolithiasis ist Probenecid natürlich kontraindiziert.<sup>12, 26</sup> Leicht urikosurisch wirken auch der AT1-Antagonist Losartan, der Lipidsen­­­ker Fenofibrat und Vitamin C (über 500mg/d).<sup>25, 33, 34</sup></p> <p><strong>Urikolytika</strong><br /> Rekombinante Urikasen (z. B. Rasburicase, zugelassen für Tumorlysesyndrom) kommen nur in Spezialfällen infrage.<sup>35</sup> <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Ortho_1603_Weblinks_seite60_2.jpg" alt="" width="" height="" /> <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Ortho_1603_Weblinks_seite62_1.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Management der Komorbiditäten</h2> <p>Bei Gicht ist die kardiovaskuläre Sterblichkeit erhöht,<sup>38</sup> vor allem aufgrund der häufigen Komorbiditäten (Tab. 1). Diese sind deswegen gezielt anzugehen.<sup>39</sup> <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Ortho_1603_Weblinks_seite62_2.jpg" alt="" width="" height="" /> <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Ortho_1603_Weblinks_seite62_3.jpg" alt="" width="" height="" /> <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Ortho_1603_Weblinks_seite62_4.jpg" alt="" width="" height="" /></p> </li> </ul> </div></p>
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