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Rheuma Top 2016

Ein klarerer Blick auf Kollagenosen

<p class="article-intro">Beim Medizinstudium kennt man die klaren Kriterien für Lupus, systemische Sklerose, Polymyositis & Co aus dem Effeff, denn oft wird man in den Prüfungen danach gefragt. Der Alltag sieht aber anders aus. Kollagenosen präsentieren sich nicht immer mit klaren Kriterien. Warum es trotzdem wichtig ist, die Krankheiten so früh wie möglich zu diagnostizieren, erklärte Prof. Dr. med. Oliver Distler aus Zürich auf dem Rheuma Top in Pfäffikon.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Kennen Sie den Blick auf die Churfirsten, vom Rotsteinpass? F&uuml;r Kollegen, die nicht aus der Schweiz stammen: Die Churfirsten sind eine Gruppe von Bergen in den Appenzeller Alpen. Vom Pass aus hat man einen herrlichen Blick auf die sieben Churfirsten Selun, Fr&uuml;msel, Brisi, Zuestoll, Schibenstoll, Hinterrugg und Ch&auml;serrugg. &laquo;Allerdings nur bei sch&ouml;nem Wetter&raquo;, sagt Prof. Distler. &laquo;Bei Nebel kann man die Gipfel kaum voneinander unterscheiden &ndash; genauso ist das auch bei Kollagenosen.&raquo; Der Direktor der Klinik f&uuml;r Rheumatologie am Universit&auml;tsspital Z&uuml;rich gab am diesj&auml;hrigen &laquo;Rheuma Top&raquo; in Pf&auml;ffikon einen spannenden &Uuml;berblick &uuml;ber Kollagenosen, wie man sie auseinanderh&auml;lt und warum das mitunter nicht einfach ist. Als Student denke man &ouml;fters an Kollagenosen, erinnert sich Distler, weil man dar&uuml;ber h&auml;ufig in den Multiple-Choice-Examina befragt werde. &laquo;Aber sp&auml;ter, als Arzt, geraten Kollagenosen in Vergessenheit &ndash; man sieht ja in der Allgemeinpraxis kaum Patienten damit.&raquo;</p> <p>Kollagenosen sind chronisch-entz&uuml;ndliche Systemerkrankungen. Dazu geh&ouml;ren systemische Sklerose, systemischer Lupus erythematodes (SLE), Polymyositis/Dermatomyositis, Sj&ouml;gren-Syndrom, sogenannte Mischkollagenosen, undifferenzierte Kollagenosen und &laquo;Overlap&raquo;-Syndrome. &laquo;Den Begriff Mischkollagenosen finde ich total unpassend&raquo;, sagt Distler. &laquo;Es t&ouml;nt so wie eine Mischung verschiedener Kollagenosen, es ist aber eine ganz spezifische Kollagenose, die mit spezifischen Antik&ouml;rpern assoziiert ist.&raquo;<br /> Das Problem sei, dass bestimmte Beschwerden bei fast allen Kollagenosen vorkommen k&ouml;nnen, etwa das Sicca-Syndrom mit trockenen Augen und trockenem Mund oder eine Arthritis. Nach einer Vorlesung habe einmal ein Student zu Distler gesagt: &laquo;Die Einteilung der verschiedenen Kollagenosen ist doch Unsinn, wenn viele Symptome bei allen Kollagenosen vorkommen k&ouml;nnen. Die Unterscheidung erscheint mir arg artifiziell.&raquo; &laquo;Da hat er einen wunden Punkt angesprochen&raquo;, so Distler. &laquo;Denn oftmals wissen wir vor allem zu Beginn der Erkrankung oder bei milden F&auml;llen nicht oder noch nicht, was f&uuml;r eine Kollagenose es ist.&raquo; Wenn die Kollagenose &laquo;klar&raquo; sei, das heisst eindeutige Symptome verursache, k&ouml;nne man die Diagnose ziemlich leicht stellen und zum Beispiel sagen, dass es SLE oder eine Polymyositis ist. Wenn die Symptome aber verschleiert sind, ist die Diagnose oft nicht zu stellen. &laquo;H&auml;ngt die ganze Bergwelt voller Nebel, kann einem der Peak-Finder nicht sagen, ob der Gipfel zum Beispiel der Zuestoll oder der Schibenstoll ist. Ich weiss dann zwar, dass es eine Spitze der Churfirsten-Gruppe ist &ndash; also bei meinem Patienten eine Kollagenose &ndash;, aber nicht welche.&raquo;</p> <h2>Fallbeispiele</h2> <p>Lichtet sich der Nebel im Gebirge, sind die Gipfel pl&ouml;tzlich unterscheidbar. &laquo;So kann es sein, dass es im Laufe einer Kollagenosen- Krankheit deutlicher wird, was f&uuml;r eine es ist&raquo;, sagt Distler. &laquo;Es kann aber auch sein, dass der Nebel in den Gipfeln h&auml;ngen bleibt.&raquo; Bei einer 44-j&auml;hrigen Frau mit neu aufgetretenem Raynaud- Syndrom und milder Polyarthritis sah Distler in der Kapillarmikroskopie dilatierte Kapillaren, aber keine typischen Riesenkapillaren, wie sie f&uuml;r systemische Sklerose, eine Mischkollagenose oder eine Dermatomyositis charakteristisch w&auml;ren. Die ANA waren stark erh&ouml;ht, aber die Differenzierung war unauff&auml;llig. Alle sonstigen Abkl&auml;rungen waren ebenfalls unauff&auml;llig. Hier stellte Distler die Diagnose undifferenzierte Kollagenose. &laquo;Ich kann noch nicht sagen, in welche Richtung das geht. Aber es ist sicher, dass es eine Kollagenose ist.&raquo;<br /> Auch eine andere Patientin hatte zun&auml;chst ein Raynaud-Syndrom mit rezidivierenden Fingerkuppen-Ulzera und Nekrosen, ANA 1:640, anti-Scl-70, typische Hautzeichen mit modifiziertem Rodnan- Skin-Score von 32/51. Die Diagnose: systemische Sklerose. Nach sechs Jahren bekam die Frau eine schwere Polyarthritis mit mehreren Stunden Morgensteifigkeit. &laquo;Eigentlich k&ouml;nnte man argumentieren, eine weitere Diagnostik sei nicht n&ouml;tig, weil 20 % der Patienten mit systemischer Sklerose eine Polyarthritis bekommen &raquo;, sagt Distler. Er macht aber immer eine weiterf&uuml;hrende Diagnostik &ndash; so auch bei dieser Patientin. Hier sah er im R&ouml;ntgenbild klar Zeichen f&uuml;r eine rheumatoide Arthritis (RA). Die Frau hatte also nicht nur eine Sklerodermie, sondern im Verlauf auch zus&auml;tzlich eine RA entwickelt. Es liegt ein sogenanntes Overlap-Syndrom vor.<br /> Eine dritte Patientin klagte ebenfalls &uuml;ber ein neu aufgetretenes Raynaud-Syndrom. Ihre Finger waren teigig geschwollen (&laquo;puffy fingers&raquo;) und vor allem in den Metakarpophalangeal- und Handgelenken war eine Polyarthritis nachweisbar. Die Frau litt unter Myalgien, ihre Muskelkraft und die Kreatin-Kinase waren jedoch normal, ANA 1:1280 und U1-RNP-Antik&ouml;rper positiv. &laquo;So pr&auml;sentiert sich typischerweise eine Mischkollagenose&raquo;, kommentiert Distler. Die Diagnose wird dann gestellt, wenn U1-RNP-Antik&ouml;rper mit h&ouml;herem Titer nachweisbar sind und drei oder mehr der folgenden klinischen Kriterien: geschwollene H&auml;nde, Akrosklerose, Raynaud- Syndrom, biologisch oder histologisch nachgewiesene Myositis sowie Synovitis.</p> <h2>Neue, sensitivere Klassifikationssysteme</h2> <p>Distlers wichtigste Botschaft ist, wie man Kollagenosen fr&uuml;hzeitiger erkennen kann. &laquo;Unser Ziel muss sein, Kollagenosen zu erfassen, bevor sie Sch&auml;den verursachen, denn diese lassen sich nur schwer r&uuml;ckg&auml;ngig machen.&raquo; In den vergangenen Jahren wurden neue Kollagenose-Klassifikationssysteme entwickelt, die sensitiver sind und fr&uuml;here und mildere F&auml;lle identifizieren. &laquo;Die Kriterien sind empfindlicher geworden&raquo;, sagt Distler. &laquo;Aber wenn der Patient sie nicht erf&uuml;llt, kann man nicht automatisch sagen, er habe keine Kollagenose.&raquo; So haben zum Beispiel vom spezifischen Kollektiv des Unispitals Z&uuml;rich bis zu 50 % der Patienten, die die neuen EULAR-Kriterien f&uuml;r systemische Sklerose nicht erf&uuml;llen, trotzdem diese Krankheit.<sup>1, 2</sup> &laquo;Die Realit&auml;t sieht oft anders aus. Klassifikationskriterien eignen sich nicht unbedingt zur Fr&uuml;herkennung.&raquo;<br /> Bei systemischer Sklerose dauere es in den USA im Schnitt ein Jahr, bis der Arzt die Diagnose gestellt habe, erz&auml;hlt Distler. &Auml;hnlich sei es bei SLE. &laquo;F&uuml;r die Schweiz haben wir keine Daten, aber auch wir sind zu langsam.&raquo; Jeder kenne das aus dem Alltag: Hat ein Patient ein Raynaud-Ph&auml;nomen, r&auml;t man oft zum Abwarten und bestellt den Patienten vier Wochen sp&auml;ter zur Kontrolle. &laquo;Das dauert zu lange. Wir m&uuml;ssen in der fr&uuml;hen Phase behandeln, bevor die Fibrose beginnt.&raquo; Eine fr&uuml;hzeitige Diagnose und rechtzeitige Therapie k&ouml;nnen die Prognose entscheidend verbessern: So sterben 25 % der Patienten mit SLE innerhalb von 10 Jahren nach der Diagnose, wenn sie bereits Organsch&auml;den haben, und nur 7,3 % , wenn noch keine Sch&auml;den feststellbar sind.<sup>3</sup></p> <h2>Fr&uuml;hdiagnose ist wichtig</h2> <p>Die Hauptaufgabe in der Praxis sei es, eine Kollagenose fr&uuml;hzeitig zu erkennen und dann &laquo;relevante&raquo; Patienten zu identifizieren, d.h. diejenigen, die von einer Behandlung profitieren. Die Therapieoptionen seien immer noch ziemlich limitiert, gibt Distler zu, etwa Cyclophosphamid und Methotrexat bei systemischer Sklerose. &laquo;Es k&uuml;ndigen sich aber neue, wirksamere Therapien an. Ich sehe eine bevorstehende Revolution bei den Medikamenten &raquo;, sagt Distler. So werden beispielsweise bei systemischer Sklerose und SLE diverse Antik&ouml;rper und &laquo;small molecules&raquo; in fortgeschrittenen Studien getestet. Einer (Belimumab) ist sogar schon f&uuml;r SLE zugelassen. &laquo;Eine Vogel-Strauss-Taktik bei Kollagenosen zu verfolgen und zu sagen, man kann das ohnehin nicht weiter klassifizieren und nichts machen, davon halte ich nichts&raquo;, schliesst Distler.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Ortho_1701_Weblinks_lo_ortho_1701_s70_bild.jpg" alt="" width="685" height="735" /></p></p> <p class="article-quelle">Quelle: Rheuma Top, 1.–2. September 2016, Pfäffikon </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Jordan S et al: Rheumatology 2015; 54(8): 1454-8 <strong>2</strong> Andr&eacute;asson K et al: Ann Rheum Dis 2013; doi: 10.1136/annrheumdis- 2013-203618 <strong>3</strong> Rahman P et al: Lupus 2001; 10: 93-6</p> </div> </p>
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