«Wir wollen fachlich weiter eine breite Rheumatologie anbieten»

Zum zweiten Mal in Folge wurde der Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Rheumatologie (SGR) als Hybridveranstaltung abgehalten. Der Präsident des wissenschaftlichen Komitees, Prof. Dr. med. Thomas Hügle, blickt mit uns zurück.

Für Eventmanager bedeutet die Organisation einer Tagung im Hybridformat erhöhten Aufwand. Die Besucher des diesjährigen SGR-Jahreskongresses wussten das Angebot zu schätzen. Zu etwa gleichen Teilen nutzten sie die beiden Möglichkeiten: virtuelle Teilnahme oder physische Präsenz im sonnigen Lausanne.

Als Hybridveranstaltung vereinte der Kongress vermutlich die Vorteile von virtuellen Formaten und Präsenzveranstaltungen. Sehen Sie das auch so?

T. Hügle: Wir sehen halt, dass der Austausch online sehr beschränkt ist. Man hört die Vorträge, kann auch Fragen stellen, aber die Qualität ist für die Online-Teilnehmer nicht dieselbe wie für die Leute, die kommen und sich viel besser austauschen können. Auch als Fortbildner muss man sagen: Man kann zwar technisch viele tolle Sachen machen, z.B. Live-Umfragen oder -Quizfragen, aber die Fortbildungsqualität leidet. Das wird sich zukünftig eventuell auch auf die Credits auswirken. Und dann ist auch noch die Frage, ob die Sponsoren diese Formate in Zukunft weiter unterstützen werden. Wenn es so bleibt, dass die Hälfte der Teilnehmer von daheim teilnimmt, werden wir uns einen solchen Kongress nicht mehr leisten können. Denn die Kosten für Hybridveranstaltungen sind natürlich höher: Die Organisatoren müssen den Veranstaltungsort bezahlen, die Honorare und Reisekosten der Speaker und noch dazu den externen Dienstleister, der die Remote-Teilnahme ermöglicht.

Ob Hybridveranstaltungen in diesem Format eine Zukunft haben, wird man sehen. Ich glaube, der Trend wird eher zu selektiven Live-Meetings gehen. Das heisst: weniger Präsenzveranstaltungen als früher, dafür aber selektive und hochqualitative, mit regem Austausch und viel Interaktion. Daneben wird es virtuelle Veranstaltungen geben.

Wie zufrieden waren die Teilnehmer?

T. Hügle: Ich habe überwiegend positives Feedback erhalten. Insgesamt haben wir versucht, das Programm sehr praxisbezogen zu gestalten, mit Anwendungsfragestellungen und ausführlichen Workshops. Wir hatten Hands-on-Kurse, z.B. Kristallmikroskopie und kapillare Mikroskopie.

Sehr beliebt ist auch unser «best case scenario». Das ist ein Wettbewerb, der vor allem junge Kolleginnen und Kollegen animieren soll, spannende Fälle vorzustellen. Bei der Bewertung geht es aber nicht nur um das rein Medizinische, sondern auch darum, wie der Fall präsentiert wird. Wir wollen damit die Liebe zum Detail und Präsentationsskills fördern. Gewinner war ein Kollege aus Bern, Dr. Fabian Lötscher, der seinen Fall wirklich brillant präsentiert hat.

Auch die Industrie freute sich, Rheumatologinnen und Rheumatologen wieder persönlich treffen zu können, und war sehr zufrieden mit den Ausstellungsflächen im Beaulieu Lausanne. Das Wetter war gut und wir hatten einen sehr schönen Gesellschaftsabend im Olympischen Museum. Etwas schade war, dass Iain McInnes als Past-Präsident der europäischen Rheumagesellschaft EULAR nicht wie geplant persönlich kommen konnte. Er hat via Zoom aus Glasgow referiert. Wir hätten ihn gern vor Ort gehabt.

Welches waren Ihre persönlichen Highlights?

T. Hügle: Für mich war tatsächlich die Eröffnungsveranstaltung ein Highlight. Wir waren seit langer Zeit wieder zusammen, selbstverständlich geimpft und getestet. Es war einfach schön, wieder mit den Kolleginnen und Kollegen zusammenzukommen.

Vom Inhaltlichen her war sicher das Update zu Covid ein Highlight. Das Thema ist ja brandaktuell. Das war uns zum Zeitpunkt der Programmerstellung noch gar nicht so klar. Es ist einiges an Forschung gelaufen und läuft weiterhin. Das heisst, dieses Thema wird uns noch weiter beschäftigen.

Ebenfalls ein Highlight war die Session «Datengestützte Rheumatologie». Marcel Salathé von der EPFL (École polytechnique fédérale de Lausanne) ist ein Leuchtturm in der Schweizer KI-Forschung und ein ausgezeichneter Redner. Im Anschluss haben Johannes Knitza und Martin Krusche aus Deutschland über digitale Gesundheits-Apps (DiGAs) in der Rheumatologie berichtet. In Deutschland gibt es derzeit 12 DiGAs, die dort auch von der Krankenkasse bezahlt werden. Da ist für die Schweiz natürlich auch spannend.

Am Freitag hatten wir dann noch mit Xenofon Baraliakos einen internationalen Experten zu Gast. Er ist führender Experte für Spondyloarthritis und hat zusammen mit Diego Kyburz die Session «Schwierig zu behandelnde Arthritis» bestritten. Das kam auch sehr gut an.

Zu den Meet-the Expert-Sessions habe ich ein gutes Feedback erhalten, z.B. über «Pharmakologische Must-Knows». Stephan Krähenbühl ist wirklich ein ganz toller Speaker.

Anstelle der Mitgliederversammlung gab es dieses Jahr eine Session «SGR – quo vadis?». Darin wurden die Ergebnisse einer Umfrage präsentiert und diskutiert. Um welche Umfrage handelt es sich? Und welche Erkenntnisse konnten daraus für die Zukunft der SGR abgeleitet werden?

T. Hügle: Als neuer SGR-Präsident hat Daniel Aeberli dieses Projekt initiiert und vorangetrieben. Die Gesellschaften unterliegen ja inneren und äusseren Veränderungen. Das Ziel war eine Bestandsaufnahme. Die Frage «Wohin wollen wir?» steht zur Diskussion. Wir haben daher eine Befragung der Mitglieder, inklusive der Studenten, gemacht, um zu erfahren, wie die Mitglieder die Zukunft sehen. Es geht darin um viele Dinge, wie z.B. Gutachten, Praxisübernahme und fachliche Fragen. Zwei Hauptfragen haben sich herauskristallisiert. Erstens: Woran wird sich die Rheumatologie fachlich orientieren? Da sehen wir einen Trend zu den entzündlichen Erkrankungen, gerade bei den jüngeren Kolleginnen und Kollegen. Das wurde dann auch debattiert und wir kamen zu dem Konsens, dass wir eine «breite Rheumatologie» – also inklusive Behandlung degenerativer Erkrankungen und chronischer Schmerzen – weiterführen wollen. Im Gegensatz zu anderen Ländern, wie z.B. Deutschland, wo Rheumatologen nur entzündliche Erkrankungen behandeln, wollen wir weiter den Service der breiten Abdeckung bieten, weil wir glauben, dass das den Patienten zugutekommt.

Die zweite grosse Frage betrifft den fehlenden Nachwuchs in den Praxen. Wir haben im Rahmen des Kongresses kleine Arbeitsgruppen gebildet und uns Lösungen überlegt, wie der Nachwuchs früher in die Praxen kommt, um die Praxisweiterführung und -übergabe zu erleichtern. Mit anderen Worten: Die Praxen wollen in Zukunft mehr an der Lehre teilhaben und dadurch enger an den zukünftigen Praxispartnern dran sein. Das war eine sehr produktive Diskussion. Für mich war beeindruckend, wie man dabei neue Technologien nutzen kann: Was an kleinen Tischen diskutiert wurde, wurde direkt auf den Screen projiziert, um es dann gemeinsam zu diskutieren. Das war speditiv, interaktiv und fachlich gut. Ich war positiv überrascht, wie man auf diese Weise in kurzer Zeit zu produktiven Lösungen kommen kann.

Als Kongresspräsident waren Sie auch in der Jury für die Auswahl der Preisträger für die «Best Abstracts». Wodurch konnten sich die 3 prämierten Arbeiten1–3 durchsetzen?

T. Hügle: Das Voting des wissenschaftlichen Komitees war relativ eindeutig. Die Gewinner waren Rubberth-Roth et al., die mit ihrer Arbeit zeigten, dass sich die Impfantwort nach SARS-Cov-2-Impfung bei RA-Patienten von der gesunder Kontrollen unterscheidet.1 Das Thema ist natürlich hochaktuell. Die Studie war methodisch gut gemacht und die Ergebnisse haben praktischen Nutzen.

Die zweite Arbeit kam aus Basel und behandelte das Thema «Plasma-mitochondriale DNA als Biomarker in der Diagnose und Verlaufskontrolle von systemischem Lupus erythematodes» – auch ein sehr aktuelles Thema.2 Mitochondrien sind wahrscheinlich viel mehr in Krankheitsprozesse involviert, als wir gedacht haben. Daran wird derzeit viel geforscht.

Das dritte Thema, «HRCT-basierte Radiomics zur Prognose der Response auf die Behandlung interstitieller Lungenerkrankungen bei systemischer Sklerose»,3 fällt ebenfalls in einen Bereich, der gerade einen Aufschwung erlebt, weil es eine Behandlung für die ILD bei Sklerodermie gibt. Da ist durch verschiedene Publikationen Dynamik ins Feld gekommen. Und wie die anderen «-omics» dienen die Radiomics dazu, dass man die vielen Daten, die man generiert, auch ausnützen kann.

1 Rubbert-Roth A et al.: Anti-S1 antibodies after vaccination with anti SARS-CoV-2 mRNA vaccines in patients with rheumatoid arthritis differ in magnitude and kinetics from healthy controls: results from a prospective, observational controlled study. Jahreskongress der SGR, 2.–3. September 2021, Lausanne, OP 1 2 Giaglis S et al.: Plasma mitochondrial DNA as a biomarker in the diagnosis and follow-up of Systemic Lupus Erythematosus. Jahreskongress der SGR, 2.–3. September 2021, Lausanne, OP 2 3 Meier CF et al.: HRCT-based radiomics for prediction of treatment response in SSc-ILD. Jahreskongress der SGR, 2.–3. September 2021, Lausanne, OP 3

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