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SGR 2020

Bei Rheuma leidet auch das Herz

Wie Diabetiker haben auch Rheumapatienten aufgrund ihrer Erkrankung ein deutlich erhöhtes kardiovaskuläres Risiko. Doch anders als bei Diabetes mellitus wird die Herzgesundheit bei Patienten mit rheumatologischer Erkrankung nach wie vor stark unterschätzt. Wie das Risikomanagement verbessert werden kann, erklärte Kardiologe Dr. med. Reto Kurmann, Oberarzt am Herzzentrum des Kantonsspitals Luzern, in einem Vortrag am SGR-Jahreskongress in Interlaken.

Eine Inflammation spielt bei vielen Krankheiten eine zentrale Rolle. Bei der rheumatoiden Arthritis (RA) ist sie ein Treiber für kardiovaskuläre Probleme. «Die chronische Entzündung kann alle Strukturen des Herzens beeinträchtigen», so Dr. Kurmann. Auch viele Antirheumatika haben einen negativen Effekt auf das Herz. «Weil sie aber entzündungshemmend sind, schützen sie es gleichzeitig auch. Der Nettoeffekt auf das kardiovaskuläre System lässt sich deshalb bei rheumatischen Erkrankungen, abgesehen vielleicht von Glukokortikoiden und NSAR, nicht immer eindeutig beurteilen.»

Risiko deutlich höher als angenommen

Dass bei einer rheumatischen Grunderkrankung nicht nur die Gelenke leiden, sondern auch das Herz, rückt heute vermehrt ins Bewusstsein der Ärzte. Ein erstes Aufhorchen gab es in der Fachwelt 2008 mit der Veröffentlichung einer Metaanalyse.1 In dieser Untersuchung wurde das kardiovaskuläre Mortalitätsrisiko bei mehr als 110000 Patienten mit RA untersucht. Die Auswertung zeigte: RA-Patienten haben ein um 59% erhöhtes Risiko, an einer ischämischen Herzerkrankung zu sterben. «Das ist sehr viel höher, als Fachleute gemeinhin annahmen», so Dr. Kurmann. 2011 zeigte eine dänische Studie erstmals, dass die RA vermutlich genauso schlimm für das Herz-Kreislauf-System ist wie ein Diabetes mellitus (DM).2

«Doch das Wissen über das kardiovaskuläre Risiko ist bei Rheumatikern nach wie vor deutlich geringer als bei Diabetikern», erläuterte der Experte und verwies auf eine Studie, deren Ergebnisse letzten Sommer am Kongress der European Society of Cardiology (ESC) präsentiert wurden.3 In dieser Arbeit wurde das kardiovaskuläre Risiko von Patienten mit RA und DM mit demjenigen von Patienten mit RA und ohne DM verglichen. Resultat: Patienten mit RA und DM hatten nicht nur ein zusätzliches kardiovaskuläres Risiko, sondern auch deutlich mehr Events als die Kontrollgruppe. «Leider zeigte die Analyse auch, dass Patienten mit RA und DM deutlich besser behandelt werden als Patienten mit RA ohne DM», so Dr. Kurmann. Bei den Studienteilnehmern mit RA und DM wurden viel häufiger die Lipide und der Blutdruck kontrolliert und therapiert. Auch waren sie medikamentös deutlich besser eingestellt: Ihre Lipid- und Blutdruckwerte erreichten viel häufiger die in den Guidelines empfohlenen Zielwerte als bei den Patienten mit RA ohne DM.

Nicht nur die RA geht mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko einher. Auch andere rheumatologische Erkrankungen sind mit ähnlich grossen kardiovaskulären Risiken assoziiert. So zeigte Dr. Kurmann in einer eigenen Studie Folgendes: Auch die Systemsklerose (SSc) und der systemische Lupus erythematodes (SLE) gehen mit mehr kardiovaskulären Events einher.4 Zu den jeweiligen Events (Myokardinfarkt, Hirninfarkt, Aneurysma, periphere vaskuläre Erkrankungen) kam es bei Patienten mit einer neu diagnostizierten SSc innerhalb von 10 Jahren zwei- bis viermal häufiger als in der Kontrollgruppe.

<< Die kontinuierliche Motivation zu Lifestyle-Veränderungen ist Sache von jedem Einzelnen von uns.>>
R. Kurmann,Luzern

Wie Plaques am besten detektieren?

«Die RA geht nicht nur mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Events einher, sondern auch mit mehr Plaques in den Koronararterien», erklärte Dr. Kurmann am SGR-Kongress. Eine hohe Krankheitsaktivität sei zudem direkt mit Plaqueentwicklung und einem erhöhten Rupturrisiko verbunden.11

Für die Untersuchung von Plaques wird in der Schweiz in der Praxis oft ein Carotisultraschall durchgeführt. «Das Ergebnis einer sonografischen Untersuchung ist jedoch stark abhängig von der Fähigkeit und Erfahrung des Untersuchers», so Kurmann. Die CT sei die besser geeignete Untersuchungsmethode.12 Sie ermögliche auf einfache und relativ strahlenarme Art, die Patienten mit mittlerem Risiko in eine niedrige oder hohe/behandlungsbedürftige Risikoklasse zu diskriminieren. Wenn sich im CT keine Hinweise auf eine Atherosklerose finden, lasse sich ein atherosklerotisches Ereignis für die nächsten 5–10 Jahre mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschliessen und man könne die Patienten entsprechend vom Statin und den ASS «wegholen».

Konsequenzen für die Praxis

Die Erkenntnisse über den Zusammenhang von rheumatologischen Erkrankungen und Herzgesundheit beeinflussen allmählich auch die tägliche Praxis. «Um das Herz zu schützen, müssen wir die RA bis zur Remission therapieren», erklärte der Kardiologe. Der Einsatz von Glukokortikosteroiden und NSAR muss minimiert, Komorbiditäten wie DM, Hypertonie und Dyslipidämien müssen strikte behandelt werden.

Ausserdem müssten die Rheumapatienten kontinuierlich motiviert werden, mit dem Rauchen aufzuhören und trotz etwaiger Gelenkbeschwerden ausreichend körperlich aktiv zu sein. Die ESC empfiehlt wöchentlich 150 Minuten Training in mittlerer oder 75 Minuten in hoher Intensität. Das regelmässige Ausüben einer gelenkschonenden Sportart wie Schwimmen oder Walking kann laut dem Referenten insbesondere auch bei Arthritispatienten ein entscheidender Faktor bei der Optimierung des kardiovaskukären Risikos sein.

Klinische Präsentation ist verändert

«Zum Management gehört auch die regelmässige und systematische Evaluation des kardiovaskulären Risikos», so Dr. Kurmann weiter. Bei Patienten mit einer rheumatologischen Erkrankung müssen allerdings beim Assessment einige Besonderheiten berücksichtigt werden. So gehen bei Rheumatikern die kardiovaskulären Erkrankungen deutlich weniger mit typischen Symptomen wie Angina pectoris und Atemnot einher.5 Insbesondere, wenn RA-Patienten grosse Schmerzen haben, bewegen sie sich kaum noch und können aufgrund ihrer Bewegungsarmut gar nicht mehr erst in eine Angina «hineinlaufen», erklärte der Experte. «Diese Patienten kommen oft erst spät und nicht selten mit stillen Infarkten ins Herzkatheterlabor oder sterben gar vorzeitig am plötzlichen Herztod.»

Auch die traditionellen kardiovaskulären Risikofaktoren sind bei RA-Patienten etwas verschoben: Im Vergleich zu Patienten ohne eine rheumatische Grunderkrankung haben RA-Patienten etwas mehr Bluthochdruck, mehr Dyslipidämien und sie rauchen auch tendenziell mehr.6 «Ihr erhöhtes kardiovaskuläres Risiko ist daher vermutlich auf die Kombination von traditionellen Risikofaktoren mit chronischer Inflammation und auf die Krankheitsaktivität zurückzuführen», so Dr. Kurmann.

Eine Schwierigkeit bei der Evaluation des kardiovaskulären Risikos von Rheumapatienten stellen auch die Risikorechner (z.B. AGLA, Framingham) dar: «Die traditionellen Scores berechnen das kardiovaskuläre Risiko bei Patienten mit einer rheumatologischen Grunderkrankung nicht korrekt», erklärte Dr. Kurmann. Denn RA-Patienten haben effektiv viel mehr Events, als die Risikorechner ausweisen.7 Im Alter zwischen 30 und 75 Jahren haben sie zwei- bis dreimal so viele Ereignisse, Patienten mit SSc sogar vier- bis sechsmal so viele, wie die traditionellen Risikorechner ermitteln. Noch stärker unterschätzt wird das kardiovaskuläre Risiko bei über 75-jährigen Rheumapatienten. Denn diese Altersgruppe wird von den Scores erst gar nicht erfasst.

Empfehlungen von ESC und EULAR

Trotzdem sei das systematische Screening der kardiovaskulären Risikofaktoren eine 1a- oder «Must do»-Empfehlung, betonte Dr. Kurmann. Um den Fehler der Scores zu korrigieren, empfiehlt die ESC allerdings, das ermittelte Risiko bei Patienten mit einer Autoimmunerkrankung, insbesondere mit RA, jeweils mit dem Faktor 1,5 zu multiplizieren.8 Auch die EULAR empfiehlt, bei RA-Patienten das berechnete kardiovaskuläre Risiko mit dem Faktor 1,5 zu korrigieren.9

In ihren Guidelines empfehlen die beiden Gesellschaften bei Rheumapatienten ab 45 Jahren in jeder ärztlichen Sprechstunde die kardiovaskulären Risikofaktoren (Rauchen, Gewicht/Bauchumfang, Blutdruck, Blutzucker, Blutfette) und klinischen Symptome (Dyspnoe, Angina, Leistungsknick) aktiv zu erfragen. Neben der guten Einstellung der traditionellen kardiovaskulären Risikofaktoren kommt der optimalen Kontrolle der Grunderkrankung und der Entzündungsaktivität eine ganz zentrale Rolle zu. Auch aus kardiologischer Sicht sollte eine Krankheitsremission angestrebt werden.

Wann Patienten dem Kardiologen zuweisen?

«Ab 45 Jahren sollten alle Patienten von einem Kardiologen einmal gesehen werden, wenn sie zusätzlich zu einer RA auch einen traditionellen kardiovaskulären Risikofaktor haben», sagte Dr. Kurmann. Zudem empfiehlt sich eine kardiologische Untersuchung bei allen Patienten mit der Neudiagnose eines SLE oder einer SSc sowie bei allen symptomatischen Patienten. Ein Check-up beim Kardiologen ist in der Regel alle 5 Jahre angezeigt, bei Patienten mit einem höheren kardiovaskulären Risiko unter Umständen auch jährlich.

Risikomanagement ist Teamwork

«Die Behandlung und Betreuung von RA-Patienten ist ein Teamwork», betonte Dr. Kurmann. Vorschläge, wie die Aufgabenteilung zwischen Rheumatologen, Hausärzten und Kardiologen in der Praxis erfolgen kann, wurden letzten Sommer am ESC-Kongress vorgestellt (Abb.1).10 «Die kontinuierliche Motivation zu Lifestyle-Veränderungen indes ist Sache von jedem Einzelnen von uns», mahnte Kurmann. Die Patienten sollten bei jeder Arztkonsultation von Neuem motiviert werden, gesund zu leben, mit dem Rauchen aufzuhören und sich täglich zu bewegen. «Eine kontinuierliche Motivation trägt insbesondere bei Patienten mit einer rheumatologischen Grunderkrankung und Schmerzen wesentlich zum Erfolg von Lifestyle-Interventionen bei», so Kurmann.

Abb. 1: 3 Strategien für kardiovaskuläres Risikomanagement bei Rheumapatienten: A) Der Rheumatologe ist verantwortlich, B) Aufgabenverteilung in einer Klinik mit Rheumatologie und Kardiologie, C) Kooperation Rheumatologe und Allgemeinarzt (nach Weijers J et al. 2020)10

Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Rheumatologie (SGR), 10.–11. September 2020, Interlaken

1 Avina-Zubieta JA et al.: Risk of cardiovascular mortality in patients with rheumatoid arthritis: a meta-analysis of observational studies. Arthritis Rheum 2008; 59(12): 1690-7 2 Lindhardsen et al.: The risk of myocardial infarction in rheumatoid arthritis and diabetes mellitus: a Danish nationwide cohort study. Ann Rheum Dis 2011; 70(6): 929-34 3 Semb AG et al.: Diabetes mellitus and cardiovascular risk management in patients with rheumatoid arthritis in a large international audit. ESC Congress 2020: ePosters 4 Kurmann RD et al.: Cardiovascular risk factors and atherosclerotic cardiovascular events among incident cases of systemic sclerosis: results from a population-based cohort (1980–2016). Mayo Clin Proc 2020; 95(7): 1369-78 5 Maradit-Kremers H et al.: Increased unrecognized coronary heart disease and sudden death in rheumatoid arthritis: a population-based cohort study. Arthritis Rheum 2005; 52(2): 402-11 6 Crowson CS et al.: Impact of risk factors associated with cardiovascular outcomes in patients with rheumatoid arthritis. Ann Rheum Dis 2018; 77(1): 48-54 7 Crowson CS et al.: Usefulness of risk scores to estimate the risk of cardiovascular disease in patients with rheumatoid arthritis. Am J Cardiol 2012; 110(3): 420-4 8 Piepoli MF et al.: 2016 European Guidelines on cardiovascular disease prevention in clinical practice: The Sixth Joint Task Force of the European Society of Cardiology and other societies on CVD prevention in clinical practice: Eur J Heart 2016; 37(29): 2315-81 9 Agca R et al: EULAR recommendations for cardiovascular disease risk management in patients with rheumatoid arthritis and other forms of inflammatory joint disorders: 2015/2015 update. Ann Rheum Dis 2017; 76(1): 17-28 10 Weijers J et al.: Strategies for implementation of guideline recommended cardiovascular risk management for patients with rheumatoid arthritis: results from a questionnaire survey of expert rheumatology centers. Rheumatol Int 2020; 40(4): 523-7 11 Karpouzas GA et al.: Prevalence, extent and composition of coronary plaque in patients with rheumatoid arthritis without symptoms or prior diagnosis of coronary artery disease. Ann Rheum Dis 2014; 73(10): 1797-804 12 Knuuti J et al.: The performance of non-invasive tests to rule-in and rule-out significant coronary artery stenosis in patients with stable angina: a meta-analysis focused on post-test disease probability. Eur Heart J 2018; 39: 3322-30

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