Abklärung von Muskelbeschwerden

<p class="article-intro">Myopathien stellen in der rheumatologischen Praxis eine besondere Herausforderung dar, weil die Ätiologie breit ist. Besonders wichtig ist es, Patienten mit chronischen Muskelerkrankungen zu identifizieren, um sie für weitere Abklärungen einem Zentrum zuzuweisen. Am Beispiel von Patientenfällen erläutert PD Dr. med. Britta Maurer, Leitende Ärztin an der Klinik für Rheumatologie am Universitätsspital in Zürich, einige wichtige diagnostische Schritte.</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>Fall 1: Der Kollagenose auf der Spur</h2> <p>Eine 35-j&auml;hrige Frau leidet seit 4 Jahren an Fatigue, Myalgien, Leistungsknick, Dyspnoe und kalten Fingern. Diese entpuppen sich in der Untersuchung als Raynaud-Ph&auml;nomen. Festgestellt werden ausserdem ein lilafarbenes Lid&ouml;dem, rhagadiforme Hautver&auml;nderungen im Bereich der radialen Seiten der Finger (&laquo;mechanic&rsquo;s hands&raquo;), eine Schw&auml;che der Nackenflexoren und der Oberschenkelmuskulatur sowie ein abgeschw&auml;chtes Atemger&auml;usch und Knistern in der Lungenauskultation. &laquo;Aufgrund der Kombination aus Myalgien, Raynaud-Ph&auml;nomen und photosensitiven Hautver&auml;nderungen stellt sich der Verdacht auf eine Kollagenose &raquo;, erl&auml;utert Dr. Maurer. Im n&auml;chsten Schritt werden daher alle m&ouml;glichen Kollagenosensymptome abgefragt. Einige davon (Fatigue, Leistungsknick, Dyspnoe, Photosensitivit&auml;t, Raynaud-Ph&auml;nomen, Myalgien) hat die Patientin bereits, andere &ndash; wie zum Beispiel (sub-)febrile Temperaturen, Gewichtsverlust, diffuse Alopezie, Sicca-Symptomatik, Ulzera, Arthralgien, Gottron-Zeichen, Kalkherde an Extremit&auml;ten und Stamm &ndash; gilt es noch abzukl&auml;ren.<br /> Die Laboruntersuchung ergibt keine Erh&ouml;hung der Muskelenzyme und einen negativen ANA-Test. Das Immunfluoreszenzmuster ist zytoplasmatisch, die Kapillarmikroskopie zeigt eine organische Mikroangiopathie mit einem spezifischen Pattern. &laquo;Mit diesem kapillarmikroskopischen Befund sind ein systemischer Lupus erythematodes oder ein Sj&ouml;gren-Syndrom ausgeschlossen&raquo;, so Maurer. M&ouml;glich sind noch eine systemische Sklerose, eine Mischkollagenose oder eine prim&auml;re Myositis (Poly-/Dermatomyositis, Antisynthetasesyndrom). Der Lungenfunktionstest ergibt eine restriktive Ventilationsst&ouml;rung, das CT zeigt eine Lungenfibrose.<br /> &laquo;Die Kombination aus Photosensitivit&auml;t, Myalgien, Dyspnoe und Lungenfibrose deutet klar auf eine Dermatomyositis hin&raquo;, analysiert die Rheumatologin. Der negative ANA-Test schliesst die Kollagenose und die Dermatomyositis nicht aus, da die meisten myositisspezifischen Autoantik&ouml;rper ein zytoplasmatisches und kein nukle&auml;res Immunfluoreszenzmuster aufweisen. Im Falle der Patientin wird daher eine gezielte Testung auf myositisspezifische Autoantik&ouml;rper durchgef&uuml;hrt. Sie ergibt einen positiven Befund f&uuml;r Anti-MDA5-AK. Somit steht die Diagnose einer Anti-MDA5-positiven Dermatomyositis mit ILD (&laquo;interstitial lung disease&raquo;). Unbehandelt kann diese Form der Dermatomyositis infolge des rapid progressiven Verlaufs der Lungenerkrankung rasch zum Tode f&uuml;hren.</p> <h2>Fall 2: Statin bei erh&ouml;hter Kreatinkinase?</h2> <p>Ein grosser und sportlicher 38-j&auml;hriger Mann soll wegen kardiovaskul&auml;rer Risikofaktoren ein Statin, also ein potenziell myotoxisches Medikament, vom Kardiologen erhalten. Der Patient hat keine Myalgien, keine Muskelschw&auml;che und eine normale Leistungsf&auml;higkeit, Status und Muskelkraft sind unauff&auml;llig. Die Kreatinkinase (CK) jedoch ist mit 1000 U/l stark und das Myoglobin leicht erh&ouml;ht. In dieser Situation empfiehlt Dr. Maurer, vor weiteren Abkl&auml;rungen zun&auml;chst den CK-Wert zu hinterfragen. Denn nicht nur eine Muskelerkrankung, sondern auch K&ouml;rpergr&ouml;sse, Gewicht, Ethnie, genetische, iatrogene sowie physiologische Gr&uuml;nde (k&ouml;rperliche Anstrengung in Beruf und Freizeit) sind Faktoren, die auf die H&ouml;he der CK einen Einfluss haben. Im Fallbeispiel war der Patient vor der Arztkonsultation auch tats&auml;chlich im Krafttraining. &laquo;Ein solches kann, insbesondere bei exzessivem Hanteltraining, die CK in den ersten 72 Stunden auf &uuml;ber 10 000 U/l ansteigen lassen&raquo;, erl&auml;uterte Dr. Maurer. Beim Patienten wurde deshalb die CK nach einer Woche Sportpause nochmals gemessen. Der Wert war dann normal. &laquo;Nur wenn bei asymptomatischen Patienten wiederholt CK-Werte &uuml;ber 1000 U/l gemessen werden und physiologische Gr&uuml;nde ausgeschlossen sind, sollten weitere Abkl&auml;rungen get&auml;tigt werden&raquo;, meint Maurer.</p> <h2>Fall 3: Muskelbiopsie</h2> <p>Ein 55-j&auml;hriger Mann klagt &uuml;ber Schw&auml;che beim Gehen, die vor 5 Jahren schleichend begonnen habe. Seit Kurzem stolpert er auch, es fallen ihm Dinge aus der Hand und er verschluckt sich immer h&auml;ufiger. Die Untersuchung ergibt einen inkompletten Faustschluss, eine reduzierte Kniestreckung, eine auff&auml;llige Atrophie der Quadrizepsmuskulatur sowie eine dreifach &uuml;ber der Norm erh&ouml;hte CK und ein erh&ouml;htes Myoglobin. Die Muskelatrophie spricht gem&auml;ss der Referentin f&uuml;r eine schon l&auml;nger andauernde Erkrankung.<br /> Um zwischen inflammatorischem und degenerativem Grund als Ursache der Muskelschw&auml;che zu unterscheiden, empfiehlt sie f&uuml;r diesen Patienten mit multifokalem Muskelbefall ein Ganzk&ouml;rper-MRI. Dieses ist weder wesentlich teurer noch dauert die Untersuchung l&auml;nger als bei einem partiellen MRI. Es hilft aber, die betroffenen Muskelgruppen und ein Befallsmuster zu erkennen, zwischen &Ouml;dem und fettiger Atrophie zu differenzieren und im Falle einer Muskelbiopsie zudem den richtigen Muskel f&uuml;r die Gewebeentnahme zu identifizieren.<sup>1</sup><br /> Das MRI ergibt eine relative Betroffenheit der anterioren Muskeln der unteren Extremit&auml;ten. &laquo;Zusammen mit einem schleichenden Krankheitsbeginn bei einem Patienten &uuml;ber 50 Jahre mit einer Kniestreckerparese, der Fingerflexorenschw&auml;che und der Dysphagie sind diese Befunde typisch f&uuml;r eine sporadische Einschlussk&ouml;rperchenmyositis&raquo;, analysiert Dr. Maurer. Zur Erh&auml;rtung des Verdachtes werden Antik&ouml;rper bestimmt. Der Test ergibt einen positiven Nachweis von ANA und Anti-cN1A-Antik&ouml;rpern. &laquo;Letztere sind ein starker Hinweis auf eine sporadische Einschlussk&ouml;rperchenmyositis&raquo;, so die Referentin. Weil der Antik&ouml;rper aber auch bei 20 % der Patienten mit systemischem Lupus erythematodes oder prim&auml;rem Sj&ouml;gren-Syndrom vorkommt und bei einer sporadischen Einschlussk&ouml;rperchenmyositis Immunsuppressiva kontraindiziert sind, wird noch eine Muskelbiopsie durchgef&uuml;hrt. Mit ihr wird die Verdachtsdiagnose best&auml;tigt.</p> <h2>Fall 4: Mit einem Gentest zur Diagnose</h2> <p>Seit drei Jahren leidet ein 45-j&auml;hriger Schreiner zunehmend an einer arbeitseinschr&auml;nkenden Schw&auml;che im Bereich des Oberk&ouml;rpers, einer Gehstreckenreduktion und an lumbalen R&uuml;ckenschmerzen. Die Untersuchung ergibt eine Hypomimie, einen inkompletten Lidschluss, eine Scapula alata, eine Atrophie der Schulterg&uuml;rtelund Oberarmmuskulatur sowie der lumbalen Muskulatur und eine Erh&ouml;hung aller Muskelenzyme. &laquo;Weil die Gesichtsmuskulatur betroffen ist, ist eine inflammatorische Myopathie weitgehend ausgeschlossen und eine neuromuskul&auml;re degenerative Myopathie wahrscheinlich&raquo;, erkl&auml;rte Dr. Maurer. Diese kann auch erblich bedingt sein, denn eine Erstmanifestation im Erwachsenenalter schliesse eine heredit&auml;re Myopathie nicht aus. &laquo;Typischer f&uuml;r eine degenerative Myopathie als f&uuml;r eine inflammatorische Myopathie sind das Mischbild aus proximal und distal betroffenen Muskelgruppen und der asymmetrische Befall&raquo;, analysiert die Rheumatologin weiter. Eine Hypertrophie der Wadenmuskulatur sei wie die Betroffenheit der Gesichtsmuskulatur ebenfalls charakteristisch f&uuml;r eine Muskeldystrophie. Im Fallbeispiel wird daher zur Diagnosesicherung ein Gentest durchgef&uuml;hrt. Dieser ergibt die Diagnose einer fazio-scapulo-humeralen Dystrophie (FSHD).</p> <h2>Fall 5: Metabolische Myopathie</h2> <p>Eine 29-j&auml;hrige Juristin und begeisterte Sportlerin klagt &uuml;ber eine vor drei Monaten subjektiv empfundene Reduktion der Leistungsf&auml;higkeit beim Training und eine verl&auml;ngerte Rekonvaleszenz. Im Alltag hat die Patientin keine Einschr&auml;nkungen und keine Myalgien. Die Untersuchung ergibt keine Auff&auml;lligkeiten. &laquo;Die Vermutung einer metabolischen &Auml;tiologie liegt nahe, weil die Leistungsintoleranz nur beim Sport<sup>2</sup> und nicht auch im Alltag auftritt&raquo;, f&uuml;hrte Dr. Maurer aus. In dieser Situation helfe meist ein Belastungstest (NIFET, SATET)<sup>2</sup> weiter, bei dem Laktat und Ammoniak gleichzeitig gemessen werden. Ein solcher wird bei der Patientin auch durchgef&uuml;hrt. Aufgrund des Testergebnisses wird bei der Patientin eine Lipidstoffwechselst&ouml;rung aufgrund eines Enzymmangels vermutet und es wird ein Acylcarnitinprofil bestimmt. Dieses ergibt eine Erh&ouml;hung von C16- und C18-Acylcarnitinen aufgrund eines CPT2-Mangels. &laquo;Dieser ist die h&auml;ufigste Lipidwechselst&ouml;rung bei jungen Erwachsenen und ist abkl&auml;rungsbed&uuml;rftig, da dabei ein Risiko f&uuml;r eine Rhabdomyolyse unter k&ouml;rperlicher Belastung besteht&raquo;, so Maurer. Gelegentlich wird diese St&ouml;rung auch bereits durch Fasten, K&auml;lte oder Infekte getriggert.</p> <h2>Fall 6: Lumbale Haltungsinsuffizienz und Gehstreckenminderung bei Senioren</h2> <p>Bei einer 75-j&auml;hrigen Frau haben die Beschwerden &ndash; Verminderung der Gehstrecke, Unsicherheitsgef&uuml;hl beim Laufen, Stolpern, Kr&auml;mpfe, h&auml;ufiges Verschlucken, vermehrter Speichelfluss &ndash; vor 6 Monaten schleichend begonnen. Mittlerweile verlaufen sie jedoch rasch progredient. Die Untersuchung ergibt eine lumbal betonte Haltungsinsuffizienz, eine Atrophie der Hand- und Fussmuskulatur, eine beidseitig proximal betonte Schw&auml;che, Faszikulationen, Reflexsteigerung und Muskelenzymerh&ouml;hung. &laquo;Reflexsteigerung, Faszikulation und Muskelkr&auml;mpfe sind Hinweise auf eine neuropathogene Erkrankung&raquo;, erkl&auml;rt Maurer. F&uuml;r die Differenzierung zwischen neurogener und myogener Ursache einer Muskelschw&auml;che ist eine Elektroneuromyografie (ENMG) indiziert. Diese ergibt Zeichen f&uuml;r eine akute und chronische Denervation sowie myopathische Ver&auml;nderungen und erh&auml;rtet die Verdachtsdiagnose einer amyotrophen Lateralsklerose (ALS). Bei dieser sehr seltenen Erkrankung ist die lumbal betonte Haltungsschw&auml;che (Camptocormia) besonders ausgepr&auml;gt. Gerade Patienten in einem h&ouml;heren Alter klagen h&auml;ufig &uuml;ber R&uuml;ckenbeschwerden und stellen sich deswegen oft erstmals vor. Maurer: &laquo;Auch wenn die Erkrankung &ndash; insbesondere in h&ouml;herem Lebensalter &ndash; selten ist, ist es wichtig, diese Differenzialdiagnose bei Vorhandensein weiterer oben genannter Symptome in die Differenzialdiagnose einzuschliessen.&raquo;</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: Rheuma Top 2019, 22. August 2019, Pfäffikon </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Maurer B, Walker UA: Role of MRI in diagnosis and management of idiopathic inflammatory myopathies. Curr Rheumatol Rep 2015; 17(11): 67 <strong>2</strong> Vorgert M, Deschauer M: Metabolic and mitochondrial myopathies. Z Rheumatol 2013; 72(3): 242-54</p> </div> </p>
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