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Was uns psychisch stark macht
Leading Opinions
30
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30.11.2017
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<p class="article-intro">Ein traumatisches Ereignis führt bei einigen Menschen zu einer lang anhaltenden seelischen Erkrankung, andere gewinnen mehr oder weniger rasch ihre Stabilität wieder. Was ist es, was uns resistent macht, und wie kann man psychischen Erkrankungen vorbeugen?</p>
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<p class="article-content"><p>Resilienz ist nicht nur ein Persönlichkeitsmerkmal. Resilienz ist auch dynamisch, sie entwickelt sich prozesshaft und ist damit trainierbar, betonte Prof. Dr. med. Klaus Lieb von der psychiatrischen Universitätsklinik Mainz, die seit Kurzem auch das Deutsche Resilienz- Zentrum beherbergt. Resilienz ist variabel und situationsspezifisch: Wer einmal resilient war, muss es später nicht zwangsläufig immer noch sein. Und die Resilienz gegenüber einem Stressor muss nicht heissen, dass sie auch gegenüber anderen Stressoren besteht. Zudem können Anpassungs- und Bewältigungsleistungen in einem Lebensbereich, beispielsweise dem Beruf mit eher kognitiven Herausforderungen gut ausgeprägt sein, in einem anderen wie dem sozialen Kontext der Familie nicht so gut.<sup>1</sup> Ein stressfreies Leben ist es nicht, was widerstandfähig macht, ergänzte Prof. Lieb, eher zwei bis drei bewältigte schwierige, aber nicht zu traumatische Lebensereignisse.<br /><br /> Positive und veränderbare Faktoren für psychische Gesundheit und Resilienz laut Prof. Dr. med. Martin Bohus, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für psychiatrische psychosomatische Psychotherapie am Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim:</p> <ul> <li>Sinn für Kohärenz (Verstehbarkeit, Bewältigbarkeit und Sinnhaftigkeit),</li> <li>Kontrollüberzeugungen, Selbstwirksamkeitserwartung, Selbstwertgefühl,</li> <li>metakognitive Bewusstheit (Achtsamkeit, Religiosität und Spiritualität),</li> <li>positive Emotionen, Optimismus, Hoffnung,</li> <li>Fähigkeit zur Emotionsregulation und</li> <li>soziale Unterstützung.</li> </ul> <h2>Auch ein aktiver molekularer Prozess</h2> <p>Resilienz wird auch molekulargenetisch untersucht. Prof. Dr. med. Bart P. F. Rutten von der Maastricht School of Mental Health and Neuroscience untersuchte, ob epigenetische Prozesse für die unterschiedliche Antwort von Individuen auf traumatische Stressoren eine Rolle spielen. Er fand bei 93 holländischen Soldaten, die vier Monate in Afghanistan eingesetzt gewesen waren, eine signifikante Assoziation des Auftretens von Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) mit Veränderungen der DNA-Methylierung an 17 Genpositionen und zwölf Genregionen.<sup>2</sup> Blutanalysen vor und nach dem viermonatigen Einsatz in Afghanistan sprachen aufgrund der longitudinalen Veränderungen der DNA-Methylierung an verschiedenen Genorten für die Vermittlerrolle dieses epigenetischen Mechanismus zwischen Kriegstrauma und PTBS-Symptomen. Eine Untersuchung in einer unabhängigen Kohorte von 98 US-Marines bestätigte die Befunde.<br /><br /> Auch die epigenetische Regulation über Mikro-RNA (miRNA) scheint für die Entwicklung einer PTBS oder Resilienz nach einem Trauma eine Rolle zu spielen.<sup>3</sup> miRNA markieren mRNA für den Abbau und mindern so den Effekt der bereits erfolgten Gentranskription. Wie vorläufige Ergebnisse von Prof. Rutten zeigen, ist das miRNA-Profil von Soldaten, die ein Trauma erlebt haben, aber resilient sind, anders als bei Kameraden, die nach Trauma suszeptibel waren, und denen, die kein Trauma erlebt haben und nicht psychisch belastet waren.</p> <h2>Psychische Gesundheit schützen</h2> <p>Dass man schon mit dem Trainieren nur eines einzigen Resilienzfaktors Erfolge hinsichtlich der psychischen Gesundheit erzielen kann, zeigte Prof. Bohus anhand einer noch nicht publizierten Metaanalyse von 36 randomisiert-kontrollierten Studien zu den Effekten von achtsamkeitsbasierten Interventionen am Arbeitsplatz.<sup>4</sup> Das Achtsamkeitstraining reduzierte Stress und subsyndromale psychische Symptome. Achtsamkeit, Wohlergehen/ Lebenszufriedenheit und Engagement bei der Arbeit stiegen an. Die Effektstärken waren gering bis moderat.<br /><br /> Das Programm «Lebe Balance», das Prof. Bohus in Zusammenarbeit mit einer gesetzlichen deutschen Krankenkasse entwickelt hat, zielt in sieben 1,5-stündigen Trainings innerhalb eines halben Jahres auf mehrere Faktoren ab: Übungen zu Problemlösungsstrategien, Verhaltensänderungen und das Erlernen der Akzeptanz von unlösbaren Situationen stärken das Gefühl von Verstehbarkeit und Bewältigbarkeit von Situationen. Elemente zu individuellen und sozialen Werten zielen auf das Erleben von Sinnhaftigkeit ab. Ein Achtsamkeitstraining unterstützt metakognitive Wahrnehmung und Emotionsregulation, und die Analyse des sozialen Netzwerks und ein Kommunikationstraining stärken die soziale Unterstützung. Die Evaluation der Ergebnisse bei 1945 Teilnehmern (mittleres Alter knapp 50 Jahre, 82 % weiblich) ergab eine deutlichere Verringerung der psychischen Belastung nach dem Wert auf der Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS) über zwölf Monate im Vergleich zu einer «Wartegruppe ».<sup>5</sup> Die Effektstärken waren bei den Teilnehmern mit milden oder ausgeprägten Angst- und Depressionssymptomen zu Beginn mit 0,42 bzw. 0,77 über ein Jahr hinweg stark ausgeprägt, so Bohus. Die Inzidenz neu aufgetretener psychischer Erkrankungen war nach einem Jahr deutlich reduziert mit 13,4 % gegenüber 19,8 % in der Wartegruppe (Abb. 1) – eine von 15 psychischen Neuerkrankungen wurde verhindert. «Das ist weltweit der erste Nachweis, dass man das Neuauftreten von psychischen Erkrankungen reduzieren kann», betonte Prof. Bohus.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Neuro_1706_Weblinks_s40_abb1.jpg" alt="" width="1420" height="783" /></p> <h2>Einfaches Dankbarkeitstraining ist schon effektiv</h2> <p>Eine überraschend einfache Intervention stellte Prof. Dirk Lehr, Gesundheitspsychologe an der Leuphana-Universität in Lüneburg, vor. Sie basiert auf dem Befund, dass auch Dankbarkeit ein begünstigender Faktor für Resilienz ist. Dankbarkeit repräsentiert einen positiven Bewertungsstil im Gegensatz zum perseverativen, negativen Denken und Grübeln, das zur Aufrechterhaltung psychischer Störungen beiträgt. Typische Übungen zum Training von Dankbarkeit sind ein Dank-Tagebuch, ein Dank-Brief oder ein Dank-Besuch. Solche Übungen sind einfach zu verstehen und anzuwenden, vergleichsweise beliebt, auf zwischenmenschliche Beziehungen ausgerichtet und gut mit anderen therapeutischen Methoden vereinbar, erläuterte Prof. Lehr.<br /><br /> In Lüneburg kam ein digitales Dankbarkeitstraining mit einem Smartphonebasierten Tagebuch und einem vertiefenden Online-Training mit täglichen Übungen am Smartphone und fünf wöchentlichen Sitzungen am Computer zum Einsatz. Ziel des Trainings war, Dankbarkeit und Wohlbefinden zu steigern, Aufmerksamkeit zu stärken (für die eigenen Lebensbereiche und die Lebensgeschichte, aber auch für andere Menschen), das emotionale Erleben zu vertiefen und dysfunktionale Einstellungen zu identifizieren und zu bearbeiten. Gegenüber einer Wartegruppe nahmen perseveratives Denken, depressive und Angstsymptome bei den Teilnehmern mit psychischen Beschwerden über sechs Monate hinweg deutlich ab und der Schlaf verbesserte sich. Die Resilienz, gemessen anhand der Connor-Davidson- Resilienzskala, verbesserte sich mit einer Effektstärke von 0,40.<br /><br /> Daraufhin speckten die Lüneburger Wissenschaftler das Programm nach und nach ab. Auch ohne regelmässigen Kontakt mit dem Coach, der aber auf Wunsch noch zur Verfügung stand, zeigten sich günstige Effekte. Selbst bei Verwendung eines einfachen Übungsbuches liessen sich perseveratives Denken und depressive Symptome über eine gewisse Zeit ähnlich gut wie mit der digitalen Variante reduzieren. Der Resilienzscore stieg mit Buch und E-Training sogar bis zu sechs Monate völlig gleichartig an. Jetzt wollen die Forscher eine Gruppenintervention zur Dankbarkeit untersuchen.</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: WPA XVII World Congress of Psychiatry, 8.–12. Oktober
2017, Berlin
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Bengel J, Lyssenko L: 2012 BZGA, Forschung und Praxis der Gesundheitsförderung, Band 43: Resilienz und psychologische Schutzfaktoren im Erwachsenenalter. Download unter https://www.bzga.de/botmed_60643000.html <strong>2</strong> Rutten BPF et al.: Mol Psychiatry 2017 [Epub ahead of print] <strong>3</strong> Snijders C et al.: Curr Top Behav Neurosci 2017 [Epub ahead of print] <strong>4</strong> Vonderlin R et al.: submitted <strong>5</strong> Lyssenko L et al.: BMC Public Health 2015; 15: 740</p>
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