
Ursachen, Diagnostik und Therapie von Schlafstörungen
Bericht:
Dr. Jürgen Sartorius
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Patient:innen mit Insomnie weisen oft reduzierte Melatoninspiegel auf. Zusätzlich spielen auch Cortison, Entzündungsmarker und BDNF eine entscheidende Rolle. Lesen Sie im Folgenden, wie die Regulation des Schlaf-wach-Rhythmus genau erfolgt, welche Herausforderungen bei der Diagnosestellung der Insomnie auftreten und welche pharmako- und verhaltenstherapeutischen Optionen Erfolg versprechend sind.
Vom 28. September bis 1. Oktober 2023 fand der 23. Weltkongress der World Psychiatry Association (WPA) in Wien statt. Er wurde gemeinsam mit der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik (ÖGPP) organisiert. Über 4000 Wissenschaftler:innen, Forscher:innen und andere in der Psychiatrie tätige Fachleute tauschten Erfahrungen aus und informierten sich über zahlreiche relevante Themen aus Psychiatrie und psychischer Gesundheit. Eines davon war Insomnie und wurde im Rahmen eines «State of the art»-Symposiums diskutiert.
Der Schlaf-wach-Rhythmus
Zunächst sprach Prof. Dr.rer.nat. Anne Eckert, Leiterin Neurobiologisches Labor der Transfakultären Forschungsplattform der Universität Basel, über präklinische Mechanismen von Schlafstörungen.
Die Schlaf-wach-Regulation besteht aus zwei Prozessen. Zum einen aus einem homöostatischen Prozess, der während des Wachseins kontinuierlich zu- und während des Schlafes kontinuierlich abnimmt. Er sorgt dafür, dass die Müdigkeit mit der Dauer des Wachseins steigt und mit der Dauer des Schlafes wieder sinkt. Er wird also durch die individuelle Situation des Organismus bestimmt. Zum anderen besteht sie aus einem zirkadianen Prozess, der uns in der hellen Periode des Tages wach sein und mit Einsetzen der Dunkelheit müde werden lässt, was sicher aus der notwendigen Adaption früherer Menschen an das Tageslicht resultierte, erläuterte Eckert. Somit wird dieser Prozess von der Umgebung des Organismus bestimmt.
Melatonin ist ein zentraler Faktor
In den Abendstunden wirken meist beide Prozesse zusammen. Zusätzlich unterstützt die beginnende Ausschüttung von Melatonin, den Organismus in den Schlafzustand zu versetzen. Die Melatoninsekretion erfolgt sowohl zirkadian über Helligkeitsempfindungen als auch in Abhängigkeit von individuellen Prozessen. Bei Patient:innen mit Schlafstörungen komme es in der ersten Hälfte der Nacht oft zu signifikant geringeren Melatoninspiegeln als üblich, erläuterte Eckert. Die Gründe dafür seien aber noch unklar.
Stress führt oft zu Insomnie, Entzündungen eher selten
Weiter bestimmen Interaktionen der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden(HPA)-Achse, auch Stressachse genannt, die Insomnie. Störungen mit objektiv verkürzter Schlafdauer zeigen eine erhöhte Aktivität dieser Achse mit erhöhten Spiegeln von ACTH und Cortison, speziell am Abend und in den frühen Nachtstunden, während Insomnie mit normaler Schlafdauer keine veränderten Cortisonspiegel aufweist. Die Datenlage hierzu sei allerdings nicht eindeutig, so Eckert. Das Auftreten der Entzündungsmarker Interleukin-6 und Tumornekrosefaktor alpha scheint in keinem Zusammenhang mit Insomnie zu stehen. Lediglich das C-reaktive Protein (CRP) könnte laut einer Studie bei Patient:innen mit Schlafstörungen erhöht sein, was auf entzündliche Vorgänge hinweisen würde.1
Ein weiterer Player: der Wachstums-faktor BDNF
Geringere Serumlevel des Wachstumsfaktors BDNF («brain-derived neurotropic factor») scheinen ein Indikator für Insomnie zu sein. Dabei zeigten sie sich in einer Studie bei Patient:innen mit schweren Schlafstörungen sowohl tagsüber als auch nachts signifikant erniedrigt. Normalerweise könne der BDNF-Level auch bei empfundenem Stress durch Schlaf reguliert werden, führte Eckert aus. Bei chronisch gestörtem Schlaf wird dies nicht erreicht und führt über einen erniedrigten BDNF-Level zu einer gestörten Stressbewältigung, die die Insomnie weiter triggert. Zum ersten Mal wurde eine molekulare Erklärung für die Homöostase des REM-Schlafes gezeigt: eine positive Interaktion zwischen der Signalübertragung durch «extracellular signal-regulated» Kinasen (ERK) und BDNF im Nucleus pedunculopontinus (PPT). Dieses System könnte erklären, wie es bei Patient:innen mit Insomnie zu einer Blockierung der Synthese von BDNF kommt, was wiederum zu Störungen in der Regulation des REM-Schlafs führt. Hier seien aber weitere Forschungen nötig, schloss Eckert ihren Vortrag ab.
Die Diagnostik der Insomnie
Momentan bestehe der Goldstandard der Diagnose von Insomnie aus der Anwendung von formalen diagnostischen Kriterien nach DSM-5, ICD-10 oder -11, erläuterte Dr. med. Dimitris Dikeos, Medical School der Universität Athen, in seinem Vortrag. Allerdings könnte sich dies schon in naher Zukunft ändern, da der diagnostische Wert biologischer Marker zunehme, ergänzte er. Grosses Potenzial haben hier der BDNF-Level, veränderte zirkadiane Melatonin- und Cortisolrhythmen, aber auch Befunde aus dem Schlaflabor: der Puls beim Einschlafen und Ableitungen verschiedener Vorgänge im Gehirn während des Schlafes.
Der Teufelskreis der Insomnie
Eine Herausforderung bei der Diagnosestellung der Insomnie ist psychischer Natur: Patient:innen mit Schlafstörungen leiden häufig auch an der Angst vor diesen Schlafstörungen, welche sie unter Stress setzt, was zu weiteren Schlafstörungen führt. Dieser liegen oftmals Ereignisse und Empfindungen zugrunde, die einer psychologischen Diagnose und Therapie bedürfen, um diesen Teufelskreis der Insomnie zu durchbrechen und die Schlaflosigkeit erfolgreich behandeln zu können.
Die Pharmakotherapie der Insomnie
Prof. Dr. med. Martin Hatzinger, Direktor des Psychiatrischen Dienstes Solothurn, Professor für Psychiatrie der Universität Basel und ehemaliger Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Schlafforschung, Schlafmedizin und Chronobiologie, sprach zum Thema Pharmakotherapie der Insomnie.
Das Hormon Orexin fördert in bestimmten Hirnregionen den Wachzustand, der andere Regionen des Gehirns, die mit dem Schlafzustand in Verbindung gebracht werden, inaktiviert. Diese Regionen hemmen wiederum während des Schlafes die Produktion von Orexin, sodass ein «Flip-Flop»-System entstehe,2 erklärte Hatzinger. Dabei triggern Histamin-GABA-Neuronen aus dem Bereich des tuberomammillären Nukleus (TMN) den Wachzustand des Gehirns und werden während des Non-REM-Schlafes durch andere GABAerge Neuronen gehemmt.
Duale Orexin-Rezeptorantagonisten (DORA)
Die Orexin-Neuropeptide A und B sind in den entsprechenden Hirnregionen während der Wachzeit aktiv und während des REM- und Nicht-REM-Schlafes inaktiv. Durch DORA-Wirkstoffe, die selektiv an beide Orexinrezeptoren A und B binden, wird die Aktivität von Orexin gehemmt, wodurch die Schlafphasen nicht durch Wachzeiten gestört werden.3 Es gibt momentan drei Substanzen: Daridorexant ist von der EMA und der FDA, Suvorexant und Lemborexant sind bisher nur von der FDA zugelassen. Narkolepsie sei aber eine Kontraindikation für alle drei Substanzen, warnte Hatzinger.
Hypnotika
Benzodiazepine und sogenannte Z-Hypnotika wirken agonistisch auf GABA («gamma-aminobutyric acid») und verstärken dadurch die beruhigende und schlaffördernde Wirkung dieses Neurotransmitters. Allerdings zeigen sie im Wachzustand auch entsprechende Nebenwirkungen, wie Sedierung, Schwindel und Koordinationsschwierigkeiten.4
Die neueren Z-Hypnotika wirken nur auf einen der beiden Benzodiazepin-Rezeptortypen und sind von kürzerer Wirkdauer, sodass sich sedierende und andere Wirkungen, wie Muskelschwäche oder Ataxie im Wachzustand, geringer bemerkbar machen.5 Allgemein empfahl Hatzinger Hypnotika nur zur kurzzeitigen Anwendung für längstens vier Wochen. Die subjektiven und objektiven Wirkungen sind gut belegt, aber für längere Anwendungen fehlen Daten und Erfahrungen.
Antidepressiva
Manche Antidepressiva, etwa Trizyklika wie Doxepin, zeigen antihistaminische Effekte, wodurch sie sich zur Förderung insbesondere der Tiefschlafphasen eignen. Die Substanz Doxepin wurde als einziges Antidepressivum offiziell von der FDA als Schlafmittel indiziert. Agomelatin wirkt dagegen auf das Melatoninsystem und hat als Antidepressivum deshalb eine schlafregulierende Komponente. Antidepressiva empfahl Hatzinger bei Schlafstörungen mit gleichzeitiger Depression oder als Alternative zu Hypnotika für die Langzeittherapie.
Melatonin
In Bezug auf Melatonin wies Hatzinger auf sehr unterschiedliche Studienergebnisse hin. Die Evidenz für eine Wirksamkeit bei chronischer Insomnie sei bei Erwachsenen oft ähnlich wie Placebo, bei Kindern und Jugendlichen allerdings oft deutlich besser.6 In einer aktuellen Leitlinie wird Melatonin nicht mehr zur Behandlung von Ein- und Durchschlafstörungen bei Menschen über 55 Jahre mit primärer Insomnie empfohlen, obwohl die Substanz frei verkäuflich ist und gegen Schlafstörungen beworben wird. Die in klinischen Studien festgestellten Unterschiede der Wirksamkeit in den Altersgruppen sollte näher erforscht werden, forderte Hatzinger.
Phytotherapeutika
Auch pflanzlichen Wirkstoffen widmete Hatzinger einen Teil seines Vortrags. Insbesondere Baldrian- und Melissen-, aber auch Hopfen- und Passionsblumenextrakte zeigten in klinischen Studien sowohl bei der Verbesserung des Einschlafens als auch der Schlafdauer sowie gegen Nervosität und Ruhelosigkeit Wirkung. Die pflanzlichen Substanzen blieben aber in ihrer Wirkstärke in der Regel hinter pharmazeutischen Wirkstoffen zurück. Zum Abschluss empfahl Hatzinger einen klinischen Algorithmus zur Therapie der Insomnie mit pharmakotherapeutischen Empfehlungen (Abb. 1).
Schlafrestriktionstherapie
Einen weiteren interessanten Therapieansatz der Insomnie präsentierte Prof.Dr.Dr. med. Kai Spiegelhalder, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitäsklinikum Freiburg, Deutschland. So wird zunächst die Bettzeit auf die durchschnittliche Schlafdauer der Patient:innen reduziert. Sie beträgt aber mindestens 4,5 Stunden. Wenn Patient:innen im Wochenschnitt 90% dieser Zeit effektiv schlafen, wird die Bettzeit um 15 Minuten verlängert. Schlafen Patient:innen im Wochenschnitt weniger als 80% dieser Zeit effektiv, wird die Bettzeit wieder um 15 Minuten reduziert. Bei vielen Patient:innen führe diese Regulierung der Bettzeit zum Therapieerfolg bei der Insomnie, berichtete Spiegelhalder (Abb. 2).
Abb. 2: Therapie der Insomnie durch gezielte Reduktion der Bettzeit anhand eines Patienten-beispiels
Quelle:
23. Weltkongress der World Psychiatric Association (WPA), 28.9. bis 1.10.2023, Wien
Literatur:
1 Slavish DC et al.: Insomnia symptoms are associated with elevated C-reactive protein in young adults. Psychol Health 2018; 33(11): 1396-1415 2 Saper CB et al.: Hypothalamic regulation of sleep and circadian rhythms. Nature 2005; 437(7063): 1257-63 3 Muehlan C et al.: Clinical pharmacology, efficacy, and safety of orexin receptor antagonists for the treatment of insomnia disorders. Expert Opin Drug Metab Toxicol 2020; 16(11): 1063-78 4 Perlis ML et al.: Insomnia. The Lancet 2022; 400(10357): 1047-60 5 Capiau A et al.: Therapeutic dilemmas with benzodiazepines and Z-drugs: insomnia and anxiety disorders versus increased fall risk: a clinical review. Review Europ Geriatric Med 2023; 14(4): 697-708 6 Choi K et al.: Efficacy of melatonin for chronic insomnia: systematic reviews and meta-analyses. Sleep Med Rev 2022; 66: 101692 7 Remann D et al.: European guideline for the diagnosis and treatment of insomnia. Sleep Rev 2017; 26(6): 675-700