
«Unnötige» Kosten für Medikamente mit Suchtpotenzial?
Bericht:
Hanna Gabriel, MSc
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Unwirtschaftliche medizinische Massnahmen zu identifizieren, wurde in den vergangenen Jahren immer relevanter. Nun analysiert eine Querschnittsstudie die unnötigen Kosten, die dem National Health Service (NHS) in England durch die Verschreibungen von nicht indizierten oder entbehrlichen Medikamenten entstehen. Im Fokus: Präparate mit Abhängigkeitsrisiko.
Medikamente, die das Risiko mit sich bringen, Patient*innen abhängig zu machen, sind aus gesundheitsökonomischer Perspektive besonders relevant. Insbesondere, da sie häufig verschrieben werden, wie eine vom Public Health Service (PHS) veröffentlichte Studie zeigt.1 2017 und 2018 erhielten dieser zufolge 11,5 Mio. erwachsene Engländer*innen (26% der erwachsenen Bevölkerung) mindestens eine Verschreibung für ein abhängigkeitsbildendes Medikament. «Abhängigkeit» wurde dabei als Anpassung an die wiederholte Einnahme eines Medikaments definiert, die meist von einer Entzugs- und oft von einer Toleranzsymptomatik begleitet wird.
Steigende Verschreibungszahlen …
In einer aktuellen Studie wiesen Davies et al. auf die tendenziell steigenden Verschreibungszahlen für diese Art von Präparaten hin. So habe sich etwa in den USA die Zahl der Verschreibungen von Benzodiazepinen seit dem Jahr 2008 verdoppelt.2 Der Anteil der Bevölkerung, der Antidepressiva verschrieben bekam, stieg in den USA von 7,7% (1999–2002) auf 12,7% (2011–2014) an. Ein Viertel der Personen (25,3%) nahm die Medikamente zehn Jahre oder länger ein.3 Neben Benzodiazepinen und Antidepressiva sind auch Medikamentenklassen wie Opioide, Gabapentinoide und die sogenannten «Z-drugs» als abhängigkeitsbildende Präparate von Interesse. In der vorliegenden Studie wurde die Verschreibung dieser fünf Medikamentengruppen in England im Zeitraum von April 2015 bis März 2018 analysiert.
Die Zahl der Verschreibungen bezogen die Autoren für ihre Analyse aus einer retrospektiven Studie aus dem oben genannten PHS-Report.1 Als «unnötige» Verschreibung galten solche, für die es keine Indikation nach aktuellen Leitlinien des National Institute for Health and Care Excellence (NICE) gab oder keine Belege für deren Wirksamkeit oder klinischen Bedarf trotz langfristiger Anwendung.
… und unnötige Kosten
Zu den Kosten zählten Davies et al. die Nettoinhaltsstoffkosten des Präparats, die Medikamentenkosten, die Ärzt*innen und Pharmazeut*innen erstattet wurden, sowie die Kosten für Konsultationen (geschätzt mit 33 £ pro Konsultation). Die Daten wurden von der NHS Business Service Authority (NHSBSA) zur Verfügung gestellt.
Für Opioide, Gabapentinoide, Benzodiazepine und Z-Medikamente beliefen sich die geschätzten unnötigen Kosten auf 455,8–518,4 Mio. £ pro Jahr, für Antidepressiva auf 37,3–45,8 Mio. £.
Entsprechend den in der Studie angewandten Kriterien für «unnötige» Verschreibungen errechneten die Autoren, dass 67–72% der Gesamtkosten des NHS für Benzodiazepine als «unnötig» einzustufen sind. Bei den «Z-Drugs» waren es 71–76%, bei Opioiden 46–53% und bei Gabapentinoiden bei psychiatrischer Indikation 11,7–12,6%, bei Verschreibung aufgrund nicht neuropathischer Schmerzen 41,8% (für Gabapentin) bzw. 31,9% (für Pregabalin). Bei Antidepressiva fiel der Prozentsatz mit 7,6–7,9% der Gesamtkosten vergleichsweise niedrig aus.
Den Autoren zufolge sind diese Schätzungen als konservativ zu betrachten, weshalb die realen Kosten weit höher ausfallen könnten. Gründe dafür sind unter anderem zusätzliche systemische Kosten, die nicht in die Kalkulation miteinflossen, sowie die niedrige Schätzung der Konsultationskosten. Für die Klinik bedeute diese Analyse, dass Massnahmen in Richtung einer «High value»-Versorgung getroffen werden sollten, wie etwa Programme zur Reduktion von Polypharmazie.
Originalpublikation:
Davies J et al.: The costs incurred by the NHS in England due to the unnecessary prescribing of dependency-forming medications. Addict Behav 2022; 125: 107143
Literatur:
1 Taylor S et al.: Public Health England, London 2019 2 Lembke A et al.: N Engl J Med 2018; 378: 693-5 3 Pratt LA et al.: NCHS Data Brief 2017; 283: 1-8