Hirnscan-Studie bei Anorexia nervosa

Tief ins Gehirn eingebrannt

<p class="article-intro">«Die will doch gar nicht zunehmen!» So klagen oft Angehörige von Magersüchtigen. «Normal zu essen kann doch nicht so schwierig sein!» Ist es aber, wie eine Studie der New York University zeigt.<sup>1</sup> Das ungesunde Essverhalten bei Magersucht ist demnach eine Gewohnheit, die sich tief in das Hirn einbrennt und wenn überhaupt nur mühselig und langsam zu ändern ist.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Die Forscher untersuchten das Gehirn von 21 Frauen mit Anorexia nervosa und von 21 Gesunden mit Magnetresonanztomografie (MRT), w&auml;hrend diese 76 verschiedene Nahrungsmittel ausw&auml;hlten und beurteilten. Wie zu erwarten bevorzugten Frauen mit Magersucht eher fettarme und kalorienarme Lebensmittel gegen&uuml;ber fetthaltigen oder hochkalorischen. Bei allen Teilnehmerinnen beobachteten die Forscher im MRT eine erh&ouml;hte Nervenaktivit&auml;t im ventralen Striatum, wo wir Wohlbefinden und Gl&uuml;cksgef&uuml;hle wahrnehmen. Bei den Magers&uuml;chtigen wurde jedoch auch das dorsale Striatum stark aktiviert, in dem das Hirn gewohnheitsm&auml;ssiges Verhalten speichert. &laquo;Das strenge Di&auml;thalten ist ein eingelerntes Verhalten, eine Gewohnheit, die sich stark in das Hirn einbrennt&raquo;, sagt Prof. Dr. med. Wulf R&ouml;ssler, emeritierter Professor f&uuml;r Psychiatrie an der Universit&auml;t Z&uuml;rich. &laquo;Normal zu essen, ist f&uuml;r Magers&uuml;chtige extrem schwierig, weil sie sich das eingelernte Verhalten m&uuml;hsam abgew&ouml;hnen m&uuml;ssen.&raquo;</p> <p>Durch das Abnehmen hat die Betroffene das Gef&uuml;hl, &laquo;etwas wert&raquo; oder &laquo;stark&raquo; zu sein. &laquo;Schlank zu sein, wird in unserer Gesellschaft sehr wertgesch&auml;tzt und &Uuml;bergewicht mit einem schwachen Charakter gleichgesetzt&raquo;, sagt R&ouml;ssler. &laquo;Die Betroffenen wollen durch das Abnehmen zu den &lsaquo;Erfolgreichen&rsaquo; geh&ouml;ren.&raquo; Eine grosse Rolle spiele zudem die Kontrolle von Emotionen, sagt Prof. Dr. med. Ulrich Voderholzer, &Auml;rztlicher Direktor der Sch&ouml;n Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee, einer Fachklinik f&uuml;r Essst&ouml;rungen. &laquo;Magers&uuml;chtige k&ouml;nnen so ihre &Auml;ngste kontrollieren, etwa vor Pr&uuml;fungen, in einer neuen Lebensphase oder vor dem Frauwerden.&raquo;</p> <p>Die Gewichtsabnahme l&ouml;st ein starkes Gl&uuml;cksgef&uuml;hl im Hirn aus. Die Betroffene bekommt Komplimente, f&uuml;hlt sich selbstbewusster, und ihre Angst verschwindet. &laquo;Irgendwann verselbstst&auml;ndigt sich dieser Prozess&raquo;, erkl&auml;rt R&ouml;ssler. &laquo;Nicht mehr der Gewichtsverlust f&uuml;hrt zum sch&ouml;nen Gef&uuml;hl, sondern wenig zu essen.&raquo; Der Nahrungsverzicht wird zur Gewohnheit, was sich in Ver&auml;nderungen der Nervenaktivit&auml;t im dorsalen Striatum widerspiegelt. Gleichzeitig &auml;ndern sich die Konzentrationen von Botenstoffen, und es reagieren noch andere Hirnbereiche mit einer ver&auml;nderten Aktivit&auml;t. &laquo;All das k&ouml;nnte erkl&auml;ren, warum die Therapieaussichten besser sind, je fr&uuml;her man mit der Behandlung beginnt&raquo;, sagt R&ouml;ssler.</p> <p>1,2 % der Frauen und 0,2 % der M&auml;nner in der Schweiz erkranken irgendwann in ihrem Leben an Magersucht. Bis zu 40 % brechen die Therapie ab, und nur jede Dritte wird das Essproblem dauerhaft los. Angeh&ouml;rige halten Magers&uuml;chtige oft f&uuml;r willensschwach oder trotzig. &laquo;Der Zustand der selbst herbeigef&uuml;hrten Abmagerung ist f&uuml;r Aussenstehende erschreckend und nicht nachvollziehbar&raquo;, so Voderholzer. Sie f&uuml;hlen sich machtlos und m&ouml;chten verst&auml;ndlicherweise alles tun, damit die Betroffene gesund wird. Doch das st&auml;ndige Dr&auml;ngen und Kontrollieren des Essverhaltens sei meist kontraproduktiv, und viele der Betroffenen n&auml;hmen dann noch weiter ab. Die famili&auml;re Situation sei h&auml;ufig ziemlich aufgeheizt, best&auml;tigt R&ouml;ssler. &laquo;Deshalb braucht nicht nur die Magers&uuml;chtige eine gute Therapie, sondern auch die Angeh&ouml;rigen.&raquo;</p> <p>Je eher die Psychotherapie beginnt, desto besser seien die Aussichten auf Erfolg, sagt Voderholzer. &laquo;Wir motivieren die Betroffenen, gegen das eingelernte Verhalten anzuk&auml;mpfen und sich den &Auml;ngsten zu stellen.&raquo; Zum einen sollte sie/er K&ouml;rpergewicht, Essverhalten und gegebenenfalls auch zwanghaftes Sporttreiben schrittweise normalisieren. Zum anderen analysiert man mit ihr/ihm die ausl&ouml;senden Faktoren der Essst&ouml;rung sowie die Gr&uuml;nde daf&uuml;r, dass an dieser festgehalten wird, und erarbeitet alternative Probleml&ouml;sungsstrategien. Vermeiden solle man ein zu rigides Vorgehen. &laquo;Die Patientinnen und Patienten geben aufgrund ihrer Pers&ouml;nlichkeitsstruktur kurzfristig nach, tauchen aber gleichzeitig in die Heimlichkeit ab und entziehen sich der Therapie.&raquo; Lange Zeit habe man die Angeh&ouml;rigen viel zu wenig eingebunden, findet Voderholzer. &laquo;Sie spielen aber eine wichtige Rolle bei der Entstehung und &Uuml;berwindung einer Essst&ouml;rung. Ideal sind Psychoedukation, Familien- oder Paargespr&auml;che.&raquo; Je l&auml;nger die Magersucht besteht, desto schwieriger ist es, dass die Betroffenen wieder lernen, normal zu essen. &laquo;Allein der Gedanke daran verursacht unangenehme Gef&uuml;hle und Angst. Aber ich versuche sie zu motivieren: Wer sich auf eine intensive Therapie einl&auml;sst, kann dauerhaft geheilt werden.&raquo;</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Foerde K et al: Nat Neurosci 2015; 18: 1571-3</p> </div> </p>
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