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«Therapieresistente Patienten sprechen im Durchschnitt gut an»
Leading Opinions
30
Min. Lesezeit
28.02.2019
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<p class="article-intro">Klappt das wirklich, schwere Depressionen einfach wegzusprühen? Wir haben mit Prof. Dr. med. Gregor Hasler gesprochen, ordentlicher Professor für Psychiatrie der Universität Freiburg und Chefarzt am Freiburger Netzwerk für Psychische Gesundheit.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p><strong>Ihr Kollege Ronald Duman nennt Ketamin bei Depressionen «a new era in the battle against depression and suicide». Sehen Sie das auch so?</strong><br /> <strong>G. Hasler:</strong> Ja. Seit der Entdeckung der Antidepressiva sind zwar viele neue Substanzen auf den Markt gekommen. Der therapeutische Mechanismus war im Grunde aber immer der gleiche: Erhöhung der Monoamine im synaptischen Spalt. Ketamin wirkt ganz anders. Das kann man in der Depressionsforschung schon als kleine Revolution bezeichnen.</p> <p><strong>Warum wirken gängige Antidepressiva nur bei zwei Dritteln der Patienten?</strong><br /> <strong>G. Hasler:</strong> Das liegt genau an dem Mechanismus mit den Monoaminen. Der Mechanismus scheint indirekt zu sein, weshalb es diese Verzögerung gibt. Das heisst zum Beispiel, dass Serotonin vermutlich oft nicht der primäre Treiber der Depression ist, sondern über andere Mechanismen mit der Störung zu tun hat. Bei anderen Krankheiten ist das ja ähnlich: Zur Behandlung von Bluthochdruck stehen den Kollegen Medikamente mit acht verschiedenen Mechanismen zur Verfügung: von Betablockade, Kalziumkanalblockade über ACE-Hemmung bis zum Diuretikum. Hätten die Internisten auch nur eine einzige Substanzgruppe wie wir, etwa die Betablocker, hätten sie auch viele Patienten, die nicht darauf ansprechen. Erst die Kombination kann bei vielen Patienten den Blutdruck effektiv senken.</p> <p><strong>Wem verschreiben Sie Ketamin?</strong><br /> <strong>G. Hasler:</strong> Ketamin steigert die Neuroplastizität und damit die Fähigkeit, Neues zu lernen und sich flexibler zu verhalten. Deshalb kombiniere ich Ketamin mit Psychotherapie. Ich gebe es Patienten mit therapieresistenter Depression, das heisst jenen, die auf mehrere Versuche mit herkömmlichen Therapieoptionen nicht angesprochen haben. Dazu gehören übergewichtige Patienten, Patienten mit einer bipolaren Störung und suizidale Patienten. Diese Patienten reagieren oft nur ungenügend auf herkömmliche Antidepressiva, sie sprechen im Durchschnitt aber gut auf Ketamin an. Dass wir gerade diesen Patienten mit Ketamin besonders gut helfen können, ist schon revolutionär. Um beim Beispiel mit dem Bluthochdruck zu bleiben: Neben Dutzenden von Betablockern haben wir jetzt endlich einen ACE-Hemmer.</p> <p><strong>Geben Sie Ketamin als Nasenspray?</strong><br /> <strong>G. Hasler:</strong> Die Firma Janssen (Anm. der Red.: Teil des Konzerns Johnson & Johnson) hat einen Spray entwickelt und testet diesen zurzeit in klinischen Studien, zugelassen ist er aber noch nicht. So verabreichen wir Ketamin standardmässig per Infusion, was aber mühselig und aufwendig ist und Geld kostet, vor allem Personalkosten. Der Spray könnte die Behandlung deutlich vereinfachen und wir könnten damit viel mehr Patienten behandeln.</p> <p><strong>Ist der Spray denn genauso gut wie eine Infusion?</strong><br /> <strong>G. Hasler:</strong> Das wird gerade in Studien untersucht. Ich hoffe sehr, dass sich der Spray im klinischen Alltag bewährt und wirksam ist.</p> <p><strong>Wie beurteilen Sie das Nebenwirkungsprofil?</strong><br /> <strong>G. Hasler:</strong> Meine Erfahrung ist, dass die meisten Patienten Ketamin gut vertragen. Kurz nach der Infusion haben manche Patienten intensive Fantasien und dissoziative Erlebnisse, fühlen sich müde oder benommen. Für die Behandlung muss sich der Patient deshalb etwas Zeit nehmen – einen halben Tag dauert das schon. Der Blutdruck steigt meist etwas an. Die Betroffenen erleben die Symptome aber nicht als belastend und die Beschwerden verschwinden innert Stunden. Viele Patienten haben auch gar keine Nebenwirkungen.</p> <p><strong>Es kam immer wieder Kritik auf, dass man noch nichts über die Langzeitanwendung weiss …</strong><br /> <strong>G. Hasler:</strong> Ja, klar, das muss man im Auge behalten. Ketamin hat bei gewissen Patienten ein Suchtpotenzial. Diese hatten meistens früher Suchtprobleme – mit Ketamin, Alkohol oder anderen Substanzen. Ferner wissen wir von einigen Ketamin- Abhängigen, dass sich eine Ketamin- Blase entwickeln kann. Dabei entsteht im Harnblasengewebe eine Fibrose und das Gewebe wird immer weniger flexibel. Harninkontinenz, häufiger Harndrang und Schmerzen sind die Folge. Es gibt bis jetzt keine befriedigende Behandlung dieser Fibrose. Aber wie gesagt: Sie entsteht erst, wenn Ketamin häufig und über längere Zeit eingenommen wird.</p> <p><strong>Was heisst «häufig und über längere Zeit»? Menschen mit schwerer Depression müssten das doch lebenslang nehmen …</strong><br /> <strong>G. Hasler:</strong> Man forscht intensiv an der Dosierung und an der Länge der Behandlung. 0,5 mg/kg KG scheint die optimale Dosis zu sein. Gewisse Zentren geben Ketamin zweimal pro Woche über einen Zeitraum von 4 Wochen, was ebenso wirksam zu sein scheint wie drei Infusionen pro Woche. Aktuell wird geprüft, ob sich danach eine Applikation jeden Monat als Erhaltungstherapie eignet. Wir geben Ketamin nur in der akuten Phase und kombinieren es mit Psychotherapie.</p> <p><strong>Was halten Sie von anderen Ketamin-ähnlichen Substanzen wie Ketamin-Metaboliten oder Stereoisomeren?</strong><br /> <strong>G. Hasler:</strong> Diese Substanzen wurden bisher vor allem in Tierstudien untersucht. Es ist noch zu früh, etwas darüber zu sagen. Es ist aktuell ein sehr heisses Forschungsthema in der Psychiatrie, den pharmakologischen Mechanismus des Ketamin-Effekts besser zu verstehen. Dies würde erlauben, Substanzen herzustellen, die einen Ketamin-artigen Effekt, aber Vorteile gegenüber Ketamin haben, zum Beispiel weniger Nebenwirkungen. Diese Entwicklung erlebten wir bei den klassischen Antidepressiva. Neuere Substanzen wie SSRI und SNRI haben einen ähnlichen Wirkmechanismus wie die Trizyklika, sie sind aber sicherer und haben weniger Nebenwirkungen. Das wäre sozusagen der AT1-Blocker, der im Gegensatz zu ACE-Hemmern keinen Husten auslöst.</p> <p><br />Lesen sie auch: <a href="https://at.universimed.com/fachthemen/1000001234">Schwere Depressionen wegsprühen?</a></p></p>