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Manual und Smartphone-App

Therapieprogramm Robin für Jugendliche mit einem erhöhten Psychoserisiko

<p class="article-intro">Jugendliche, die an einer psychotischen Störung erkranken, werden in ihrer Entwicklung stark beeinträchtigt und weisen nach aktuellem Forschungsstand eine schlechtere Prognose auf als erwachsene Ersterkrankte. Das Ziel aller Früherkennungszentren ist, die Symptome früh zu erkennen und in der Folge früh zu behandeln. In der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Zürich wurde ein innovatives Therapieprogramm für Jugendliche entwickelt, mit dem Ziel, den jungen Patienten eine Behandlung anzubieten, die altersgerecht, symptom- und ressourcenorientiert ist. Unterstützt wird die therapeutische Behandlung durch eine Smartphone-App.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Psychotische St&ouml;rungen gelten als schwerwiegende psychische Erkrankungen, die mit grossem Leidensdruck und starken psychosozialen Beeintr&auml;chtigungen verbunden sind. Die Fr&uuml;herkennung und die Fr&uuml;hbehandlung des &laquo;At Risk&raquo;-Status werden von Experten in diesem Bereich als vielversprechende Strategie gesehen, um belastenden Symptomen und den m&ouml;glichen dramatischen Folgen effektiv entgegenzuwirken.</li> <li>Die Therapie von Jugendlichen mit einer Risikosymptomatik stellt eine Herausforderung f&uuml;r die Therapeuten dar. Einerseits, weil bei Jugendlichen die H&uuml;rde f&uuml;r eine psychotherapeutische Behandlung h&ouml;her als bei Erwachsenen liegt. Andererseits fehlt es an altersad&auml;quaten Behandlungsprogrammen.</li> <li>Die Fr&uuml;herkennungssprechstunde in Z&uuml;rich will mit dem Behandlungsprogramm &laquo;Robin&raquo; diese L&uuml;cke schliessen. Innovativ ist die Kombination des Manuals mit der Smartphone-App Robin Z. Die Inhalte der Therapie stehen den Jugendlichen dadurch auch zwischen den Therapiesitzungen zur Verf&uuml;gung. Durch eine einfache Lesbarkeit und den auffordernden Charakter bewirkt die App eine positive Resonanz bei den Jugendlichen. Zentral in &laquo;Robin&raquo; sind die symptomspezifische Therapie und die St&auml;rkung von Selbstbewusstsein und Selbstwirksamkeit.</li> </ul> </div> <p>Psychotische St&ouml;rungen geh&ouml;ren zu den schwersten psychiatrischen Erkrankungen. Insbesondere f&uuml;r junge Menschen hat die Erkrankung stark belastende Konsequenzen, da sie an einem kritischen Punkt ihrer schulischen, pers&ouml;nlichen und sozialen Entwicklung stehen und durch die Krankheit darin beeintr&auml;chtigt werden.<br /> Psychotische St&ouml;rungen k&ouml;nnen sich &uuml;ber einen l&auml;ngeren Zeitraum hinweg entwickeln. Betroffene bemerken meist schon l&auml;ngere Zeit vor dem Ausbruch der Erkrankung Ver&auml;nderungen in ihrer Wahrnehmung, ihrer kognitiven Leistungsf&auml;higkeit oder ihren sozialen Fertigkeiten. Die Forschung zur Fr&uuml;herkennung von Psychosen hat diese beeintr&auml;chtigenden Ver&auml;nderungen untersucht und es ist der Begriff der &laquo;At Risk&raquo;-Symptome entstanden. &laquo;At Risk&raquo;-Symptome sind sowohl erste subjektiv wahrgenommene Beeintr&auml;chtigungen, die bereits einen eigenen Krankheitswert aufweisen (Miller et al., 2003; Schultze-Lutter &amp; Koch, 2010), als auch die sogenannten attenuierten psychotischen Symptome, die zwar die Qualit&auml;t von psychotischen Symptomen aufweisen, bei denen jedoch der Realit&auml;tsbezug noch intakt ist. Kliniker und Forscher haben daf&uuml;r pl&auml;diert, dass bereits &laquo;At Risk&raquo;-Symptome behandelt werden sollten, unabh&auml;ngig von der Rate des &Uuml;bergangs in eine psychotische Erkrankung, da der Leidensdruck der Betroffenen ausreiche, um eine Behandlung zu rechtfertigen (z. B. Bertolote &amp; McGorry, 2005; Correll, Hauser, Auther, &amp; Cornblatt, 2010; Fusar-Poli, Yung, McGorry, &amp; van Os, 2014; Schmidt et al., 2015). Weltweit sind in den letzten Jahren Fr&uuml;herkennungszentren f&uuml;r Psychosen entstanden, die sich unter anderem die Fr&uuml;hintervention zum Ziel gemacht haben.<br /> Bisher konnte die Effektivit&auml;t von Fr&uuml;hinterventionen im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie noch nicht ausreichend nachgewiesen werden, was unter anderem daran liegt, dass keine altersentsprechenden Behandlungsmanuale vorliegen und bislang nur wenige Studien in dieser Altersgruppe durchgef&uuml;hrt wurden (Bechdolf et al., 2012; McGorry et al., 2013; Miklowitz et al., 2014; Schmidt et al. 2015). Bei den Jugendlichen, die die Kriterien einer &laquo;At Risk&raquo;-Symptomatik erf&uuml;llen, handelt es sich um eine sehr heterogene Patientengruppe, bei der sowohl der Auspr&auml;gungsgrad der Symptomatik als auch das Auftreten von Komorbidit&auml;ten variiert. In den bisherigen Wirksamkeitsstudien wurden Kinder und Jugendliche oft mit &auml;hnlichen Therapiekonzepten behandelt wie Erwachsene. Analysen zur Therapiemotivation zeigen jedoch, dass junge Patienten anders als Erwachsene auf Psychotherapie reagieren und die H&uuml;rde, um sie f&uuml;r die therapeutische Arbeit zu gewinnen, h&ouml;her zu liegen scheint (Haddock et al., 2006). Umso wichtiger sind altersad&auml;quate, an die spezifischen Bed&uuml;rfnisse der Jugendlichen angepasste Therapiematerialien.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Neuro_1905_Weblinks_lo_neuro_1905_s29_tab1_franscini.jpg" alt="" width="550" height="780" /></p> <h2>Therapieprogramm Robin</h2> <p>In der Fr&uuml;herkennungssprechstunde in der KJPP Z&uuml;rich wurde ein Therapieprogramm f&uuml;r Jugendliche mit &laquo;At Risk&raquo;-Symptomen entwickelt, welches auf die Bed&uuml;rfnisse dieser Altersgruppe abgestimmt ist. Das Therapieprogramm Robin besteht aus einem Therapiemanual und einer Smartphone-App.<br /> Das Therapiemanual ist aufgrund der Heterogenit&auml;t dieser Patientengruppe modular aufgebaut. Die Module k&ouml;nnen den Bed&uuml;rfnissen der Patienten entsprechend individuell zusammengestellt und angewendet werden. Das Manual lehnt sich an kognitiv-verhaltenstherapeutische und systemische Ans&auml;tze an, enth&auml;lt altersgerechte Therapiematerialien und weist einen auffordernden, nicht pathologisierenden Charakter auf.<br /> Das Therapiemanual wird durch die Smartphone-App Robin Z erg&auml;nzt, welche die Patienten zwischen den Therapieterminen unterst&uuml;tzen soll. Die Benutzung einer Smartphone-App im therapeutischen Kontext hat viele Vorteile, wie Zug&auml;nglichkeit, Transportf&auml;higkeit, niedrige Kosten und 24-Stunden-Support (Alvarez-Jimenez et al., 2013). Insbesondere f&uuml;r die Psychoedukation eignen sich mobile Technologien (Rotondi, Eack, Hanusa, Spring, &amp; Haas, 2013), da Informationen beliebig h&auml;ufig und insbesondere zu kritischen Zeitpunkten nachgelesen werden k&ouml;nnen. Ein weiterer grosser Vorteil von Smartphone-Technologien in der Behandlung ist die Echtzeit- Erfassung von Stimmung und Symptomen (Ben-Zeev, 2012; Kimhy, Myin-Germeys, Palmier-Claus &amp; Swendsen, 2012). Sie erlaubt, exaktere Informationen bez&uuml;glich eines Vorkommnisses zu speichern und daraus besser zu erkennen, welche Faktoren mit der Ver&auml;nderung der Symptomatik zusammenh&auml;ngen, da genauere Angaben &uuml;ber Kontext, Kognitionen und Befindlichkeit zur Verf&uuml;gung stehen. Den Patienten kann eine Echtzeit-Symptom-Erfassung helfen, sich selbst besser zu verstehen, die Symptome besser einzusch&auml;tzen und in der Folge als kontrollierbarer und beeinflussbarer zu erleben (Palmier-Claus et al., 2013). Selbstmanagement mittels einer App kann zu einem Gef&uuml;hl von Selbsteffizienz verhelfen (Reid et al., 2013), was einerseits das Selbstbewusstsein und andererseits die Selbstwirksamkeit des Patienten f&ouml;rdert.<br /> Bei der Entwicklung der App Robin Z wurde speziell auf folgende Punkte geachtet: Die App ist offline verf&uuml;gbar und Passwort- gesch&uuml;tzt. Der Name &laquo;Robin Z&raquo; und das Icon wirken neutral und geben keine R&uuml;ckschl&uuml;sse auf die Inhalte der App. Die Texte sind in einer leicht verst&auml;ndlichen Sprache verfasst. Auf Fachbegriffe wurde weitgehend verzichtet. Die App hat einen auffordernden Charakter und ist individuell gestaltbar. Es wurde insgesamt darauf geachtet, dass positive, ressourcenorientierte Inhalte in der App enthalten sind.<br /> Die App existiert aktuell in vier verschiedenen Sprachen: Deutsch, Englisch, Franz&ouml;sisch und Italienisch. Sie kann im App-Store und bei Google Play kostenlos heruntergeladen werden.<br /> Die bisherigen Erfahrungen mit der App Robin Z sind vielversprechend. Im klinischen Alltag wird die App regelm&auml;ssig genutzt und gem&auml;ss einer ersten Auswertung zur Nutzerzufriedenheit von Fachpersonen als auch von den Jugendlichen als hilfreich empfunden.<br /> Die 16-j&auml;hrige Lea wird durch ihre Therapeutin in der Fr&uuml;herkennungssprechstunde aufgrund von Wahrnehmungsver&auml;nderungen in Form von optischen Halluzinationen angemeldet. Daneben berichtet Lea von affektiven Ver&auml;nderungen, wie depressiven Stimmungseinbr&uuml;chen, erh&ouml;hter Reizbarkeit, Energielosigkeit und wiederkehrender Gef&uuml;hlslosigkeit. Sie leidet unter Ein- und Durchschlafproblemen. In ihrer formalen Denkf&auml;higkeit erlebt sich Lea seit L&auml;ngerem beeintr&auml;chtigt. Sie berichtet von Konzentrationsproblemen, Wortfindungsst&ouml;rungen und Gedankenblockaden. Aufgrund eines schulischen Leistungsabfalls hat Lea im Februar 2018 von der 3. Sek A in die 3. Sek B gewechselt. Trotzdem hat sie nach wie vor M&uuml;he, die schulischen Anforderungen zu erf&uuml;llen. Sie bleibt dem Unterricht immer &ouml;fter fern und hat sich im Vorfeld der Erstkonsultation in der Sprechstunde &uuml;ber mehrere Wochen hinweg komplett geweigert, in die Schule zu gehen. Die Abkl&auml;rung innerhalb der Fr&uuml;herkennungssprechstunde best&auml;tigt bei Lea ein erh&ouml;htes Risiko f&uuml;r die Entwicklung einer Psychose. Zus&auml;tzlich wird die Diagnose einer mittelgradigen depressiven Episode gestellt. Lea benutzt zwischen den Therapieterminen die App Robin Z. Als besonders hilfreich empfindet sie die Wochenziele, um kurzfristige Ziele, die in der Sitzung abgemacht werden, weiterzuverfolgen. Innerhalb der Therapiestunde werden mit Lea Strategien im Umgang mit ihren Symptomen, beispielsweise mit den optischen Halluzinationen, ausf&uuml;hrlich besprochen. In der App kann sie diese unter &laquo;Tipps&raquo; nachlesen. Auch bei Einschlafschwierigkeiten und erh&ouml;hter Reizbarkeit empfindet sie die Tipps der App Robin Z als hilfreich. Hingegen schafft sie es bei depressiven Stimmungseinbr&uuml;chen oft aufgrund von Antriebsproblemen nicht, die App zu benutzen, und l&auml;sst dann auch die Logbucheintr&auml;ge weg. Unter dem Memo notiert sie sich einen Reminder f&uuml;r den Tipp &laquo;&Uuml;berpr&uuml;fe deine Anspr&uuml;che&raquo;. Als zus&auml;tzlichen Tipp im Memo definiert sie ein Baderitual und ihre Entspannungsplaylist. Im Verlauf der Therapie gelingt es Lea, dies f&uuml;r Tage mit besonders starken Stimmungstiefs, an denen ihr sonst gar nichts gelingt, anzuwenden. Die Eintr&auml;ge im Log buch zeigen, dass sich ihre Stimmung nach dem Baderitual und H&ouml;ren der Entspannungsplaylist jeweils mindestens um zwei Punkte verbessert.<br /> Lea erh&auml;lt aufgrund ihrer depressiven Symptomatik medikament&ouml;se Unterst&uuml;tzung durch Fluoxetin. Durch die Reminderfunktion wird sie an die Einnahme erinnert. Durch die Besprechung der Logbucheintr&auml;ge in den Therapiestunden zeigen sich schnell bestimmte Muster, die mit dem Vorkommen der einzelnen Symptome zusammenh&auml;ngen. So sind z. B. Leas Halluzinationen am Abend und an Wochentagen, an denen sie unter Stress steht, st&auml;rker vorhanden. Pr&auml;ventiv gegen die Halluzinationen helfen Verabredungen und positive Interaktionen mit ihren besten Freundinnen.<br /> Ihre Freundinnen erg&auml;nzen Leas St&auml;rkenliste mit zus&auml;tzlichen St&auml;rken von ihr (Abb. 1). Somit wird die St&auml;rkenliste f&uuml;r Lea eine Unterst&uuml;tzung in Momenten mit Selbstwertproblemen. Bei den positiven Aktivit&auml;ten findet Lea vor allem die Ideen zum kognitiven Training hilfreich. An Tagen, an denen sie sich im formalen Denken als eingeschr&auml;nkt erlebt, benutzt sie diese, um ihre Konzentration und Denkf&auml;higkeit zu verbessern. Dadurch, dass sie immer eine der Aktivit&auml;ten trotz subjektiv empfundener Denkschwierigkeiten umsetzen kann, gewinnt sie wieder mehr Selbstbewusstsein hinsichtlich ihrer kognitiven Leistungsf&auml;higkeit. In der Therapiestunde werden positive Erlebnisse der vergangenen Woche gemeinsam aufgelistet und auf der App nachgetragen. Im Verlauf findet Lea diese Funktion zunehmend hilfreicher und beginnt von sich aus, die positiven Erlebnisse regelm&auml;ssig zu notieren.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Neuro_1905_Weblinks_lo_neuro_1905_s30_abb1_franscini.jpg" alt="" width="550" height="414" /></p> <p>Weitere Informationen:<br /><a href="https://www.robinz.uzh.ch">https://www.robinz.uzh.ch</a></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>bei den Verfasserinnen</p> </div> </p>
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