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Psychedelika

Genfer Compassionate-Use-Programm für Psychedelika-assistierte Psychotherapie

Die Psychedelika-assistierte Therapie gewinnt zunehmend an Bedeutung für die Behandlung therapieresistenter psychischer Erkrankungen. Der Artikel beleuchtet die Wirkmechanismen von Psychedelika, das Genfer Compassionate-Use-Programm und die Gestaltung des therapeutischen Settings.

Keypoints

  • Die Psychedelika-assistierte Therapie (PAT) wird in Zukunft einen Teil der psychiatrischen Praxis transformieren.

  • Viele Fragen bezüglich der Durchführung von PAT bleiben offen.

  • Die Forschung muss schnellstens Fragen zum Einsatz und zur Durchführung der PAT klären, um Fehler aus den 1960er-Jahren zu vermeiden.

In den letzten Jahren nahm das Interesse an der Psychedelika-assistierten Therapie (PAT) in der psychotherapeutischen Forschung stark zu.1 Psychedelika wie LSD, Psilocybin, DMT (Dimethyltryptamin) und MDMA (3,4-Methylendioxymethamphetamin) wirken durch Interaktion mit dem 5-HT2A-Serotonin-Rezeptor und beeinflussen Bewusstsein, Wahrnehmung und Emotionen. Dies erhöht die Flexibilität neuronaler Netzwerke, fördert die Einsicht in psychische Prozesse und unterstützt den therapeutischen Wandel.2–7 Zusätzlich begünstigen Psychedelika Gefühle von Verbundenheit und Offenheit, die den therapeutischen Prozess erleichtern.6–9

Die PAT zeigt vielversprechende Ergebnisse bei psychischen Erkrankungen, die auf klassische Therapien schlecht ansprechen, wie etwa therapieresistenten Depressionen, posttraumatischen Belastungsstörungen, Angststörungen, Substanzkonsumstörungen und existenziellen Ängsten bei terminalen Patient:innen.10,11 Durch streng kontrollierte klinische Bedingungen bei der Einnahme der Pychedelika und in Verbindung mit psychotherapeutischen Massnahmen können therapeutische Durchbrüche ermöglicht werden. Die gemachten Erfahrungen können die Perspektive auf persönliche Probleme verändern und langfristige Verhaltensänderungen fördern.12,13

Genfer Programm

Seit 2014 können Patient:innen in der Schweiz im Rahmen der Regelungen für Compassionate Use eine PAT in Anspruch nehmen. Dieses Angebot richtet sich an Personen mit chronischen Erkrankungen, für die es nur eingeschränkte alternative Behandlungsmöglichkeiten gibt. Die Durchführung der Therapie erfordert eine individuelle Bewilligung durch das Eidgenössische Bundesamt für Gesundheit (BAG).14 Seit 2020 werden an der Universitätsklinik Genf solche Behandlungen angeboten. Die Behandlungen werden in eine bereits bestehende psychotherapeutischeBehandlung integriert und im Einzelsetting durchgeführt. In diesem Psychedelika-assistierten Psychotherapie-Programm (PAP) werden in erster Linie Patient:innen mit therapieresistenten Depressionen, Angststörungen und Abhängigkeitserkrankungen behandelt. Seit 2020 wurden über 200 Patient:innen in über 300 Einzelsitzungen behandelt.

Alle Patient:innen werden umfassend evaluiert, um die Einschlusskriterien und die Compassionate-Use-Richtlinien sicherzustellen. Die Patient:innen müssen eine langjährige Krankheitsgeschichte und erhebliche funktionelle Einschränkungen aufweisen, die weder durch medikamentöse Behandlungen noch durch Psychotherapie signifikant vermindert werden konnten. Die Teilnahme am Programm setzt eine Einbindung in eine bestehende psychotherapeutische Behandlung voraus. Zu den Ausschlusskriterien zählen bekannte epileptische, psychotische oder bipolare Störungen. Weitere Ausschlusskriterien sind eine bestehende Schwangerschaft oder Stillzeit.

Erhält eine Psychedelikabehandlung die nötige Bewilligung, können Patient:innen innerhalb von 12 Monaten bis zu drei Sitzungen in Anspruch nehmen. Jeder Behandlungszyklus umfasst Vorbereitungssitzungen und eine Integrationssitzung der psychedelischen Erfahrung am folgenden Tag (Abb. 1).

Abb. 1: Compassionate-Use-Programm Genf: Behandlungszyklus

Vorbereitungssitzungen

Die Sitzungen dienen unter anderem dem Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung zwischen den Patient:innen und dem Behandlungsteam. Praktische Aspekte, wie die Auswahl der Musik oder das Mitbringen persönlicher Gegenstände als emotionale Anker, werden eingehend besprochen. Zudem werden Strategien für den Umgang mit möglichen Angstzuständen vermittelt, darunter Atemtechniken und Achtsamkeitsübungen. Ein zentraler Fokus liegt auf der Festlegung der therapeutischen Ziele und der sogenannten «Intention», welche den Verlauf der psychedelischen Erfahrung durch kognitives Priming positiv beeinflussen soll.15

Die Sitzungen mit Einsatz von Psychedelika finden im ambulanten Setting statt und werden von einem erfahrenen Team von Psychiater:innen, Psycholog:innen und Pflegekräften durchgeführt. Die Patient:innen werden vor Einnahme der Substanz von einem/einer Psychiater:in evaluiert, um die Behandlungsfähigkeit sicherzustellen. Akute psychotische Zustände, Intoxikationen oder Suizidalität schliessen die Durchführung der Behandlung aus. Je nach Indikation wird Psilocybin (20–40mg) oder LSD (100–200µg) verabreicht, um intensive veränderte Bewusstseinszustände zu induzieren. Die Sitzungen folgen den Schweizer Richtlinien für Psychedelika-assistierte Therapie und dem Genfer Programm.16 Die Behandlung findet in einem ruhigen, komfortablen und leicht abgedunkelten Raum statt. Patient:innen können persönliche Gegenstände mitbringen. Zur Vertiefung der Introspektion tragen die Patient:innen in der Regel Augenmasken und hören Musik über Kopfhörer. Die Musikauswahl wird im Vorfeld besprochen, wobei sowohl persönliche Playlists als auch speziell zusammengestellte atmosphärische Musik zum Einsatz kommen können. Während der Sitzung wird die Interaktion mit dem Behandlungsteam auf ein Minimum reduziert, kurze Gespräche dienen jedoch der Überprüfung des mentalen Zustands. Für den seltenen Fall schwerer Angstzustände stehen Benzodiazepine, Antipsychotika sowie Ketanserin (Antidot) zur Verfügung. Nach etwa 7 Stunden (bei Psilocybin) oder 10 Stunden (bei LSD), wenn die Wirkung abgeklungen ist, werden die Patient:innen erneut evaluiert und in Begleitung von Angehörigen nach Hause entlassen.

Integrationssitzung

Die Integrationssitzung findet am folgenden Tag statt. Ziel ist es, die während der psychedelischen Erfahrung gewonnenen Erkenntnisse in den psychotherapeutischen Prozess und den Alltag der Patient:innen zu integrieren. In einem offenen, nichtdirektiven Gespräch schildern die Patient:innen ihre subjektiven Erlebnisse, einschliesslich Gedanken, Emotionen und körperlicher Empfindungen. Die Therapeut:innen helfen dabei, diese mit den zuvor definierten Zielen in Verbindung zu bringen und neue Perspektiven zu entwickeln. Ausserdem wird reflektiert, wie die gewonnenen Einsichten in Verhaltensänderungen und langfristige Verbesserungen umgesetzt werden können. Aufzeichnungen der Integrationssitzungen oder die während der Sitzung verwendete Musik können dazu beitragen, die Erfahrungen weiter zu vertiefen und zu festigen.

Zum Abschluss der Sitzung werden konkrete Aktionspläne für den Alltag erstellt, die Strategien zur Bewältigung von Herausforderungen und Umsetzung neuer Perspektiven umfassen. Im Anschluss werden die Patient:innen weiterhin von ihren Psychotherapeut:innen betreut, um die gewonnenen Erfahrungen zu reflektieren, Verhaltensänderungen zu beobachten und diese gezielt weiterzuentwickeln.

Eine «Amplifikationssitzung» folgt etwa einen Monat später. Sie dient der Bewertung langfristiger Effekte und der Reflexion, inwieweit die psychedelische Erfahrung die Symptome und das Wohlbefinden beeinflusst hat. Gemeinsam mit dem Behandlungsteam wird entschieden, ob weitere Sitzungen sinnvoll erscheinen und welche neuen Ziele festgelegt werden können. Themen, die in vorherigen Sitzungen nur teilweise bearbeitet wurden, können aufgegriffen und vertieft werden. Das Genfer PAP ist somit ein kontinuierlicher, individuell angepasster Prozess, der in die laufende Psychotherapie integriert ist.

Offene Fragen zur Gestaltungdes Settings

Die Gestaltung des Settings in der PAT ist ein komplexes Thema, das viele Fragen aufwirft. Das in den 1960er-Jahren geprägte Konzept von «Set und Setting» unterstreicht die zentrale Rolle der inneren Einstellung (Set) und der äusseren Umgebung (Setting) für den Verlauf sowie die therapeutische Effektivität psychedelischer Erfahrungen.17,18 Die Sicherheit ist dabei von zentraler Bedeutung, da veränderte Bewusstseinszustände unvorhersehbare Reaktionen wie Angst auslösen können. Ein medizinisch kontrolliertes Umfeld minimiert Risiken, stärkt das Vertrauen und ermöglicht den Patient:innen, sich vollständig auf die Therapie einzulassen.1,19,20

Ein häufig diskutierter Aspekt ist die optimale Gestaltung des Raumes. Neutrale Räume, wie sie oft in klinischen Kontexten verwendet werden, reduzieren äussere Reize und fördern die intrapsychische Exploration. Sie bieten Standardisierung, was für die wissenschaftliche Reproduzierbarkeit wichtig ist, und schützen vor unbewusster Beeinflussung.21 Im Gegensatz dazu können symbolreiche oder kulturell inspirierte Räume universelle Themen oder archetypische Inhalte ansprechen, die tiefere Einsichten fördern könnten. Diese Ansätze bergen jedoch Risiken, da kulturelle oder symbolische Elemente die Wahrnehmung der Patient:innen lenken und deren Autonomie einschränken können, insbesondere in multikulturellen Kontexten.22–24 Eine patientenzentrierte Gestaltung, bei der Patient:innen persönliche Gegenstände oder Fotos in die Umgebung einbringen, könnte eine Lösung bieten. Solche Elemente fördern spezifische therapeutische Themen, ohne die introspektive Arbeit zu stören.25

Musik spielt ebenfalls eine entscheidende Rolle, da sie emotionale und kognitive Prozesse beeinflusst. Studien zeigen, dass persönlich bedeutungsvolle Musik tiefere neurobiologische Reaktionen auslösen kann. Unter dem Einfluss von LSD wird beispielsweise die Verknüpfung von Erinnerungsnetzwerken mit visuellen Arealen verstärkt, wenn die Musik eine persönliche Relevanz hat.26,27 Dennoch werden häufig universelle Playlists verwendet, die sorgfältig kuratiert sind, um verschiedene Phasen der psychedelischen Erfahrung zu begleiten. Obwohl positive Ergebnisse berichtet werden, fehlt es an systematischen Studien zur optimalen Anpassung der Musik an individuelle Bedürfnisse.28

Wenngleich die Bedeutung von «Set und Setting» weithin anerkannt ist, gibt es bislang nur wenige empirische Daten, die spezifische Elemente des Settings isolieren und deren optimale Gestaltung untersuchen. Besonders die Anpassung von Raumgestaltung und Musikauswahl an individuelle Patient:innen bleibt ein Forschungsfeld mit erheblichen Lücken.28 Weitere Forschung ist wichtig, um evidenzbasierte Richtlinien zu entwickeln, die Sicherheit und Effektivität zu fördern und zugleich die Vielfalt der Patient:innen zu respektieren.

1 Rucker JJH et al.: Psychiatry & the psychedelic drugs. Past, present & future. Neuropharmacology 2018; 142: 200-18 2 Nutt D, Carhart-Harris R: The current status of psychedelics in psychiatry. JAMA Psychiatry 2021; 78(2): 121-2 3 Ly C et al.: Psychedelics promote structural and functional neural plasticity. Cell Rep 2018; 23(11): 3170-82 4 Carhart-Harris RL, Friston KJ: REBUS and the anarchic brain: toward a unified model of the brain action of psychedelics. Pharmacol Rev 2019; 71(3): 316-44 5 Vollenweider FX, Preller KH: Psychedelic drugs: neurobiology and potential for treatment of psychiatric disorders. Nat Rev Neurosci 2020; 21(11): 611-24 6 Zullino D et al.: La catalyse des processus psychothérapeutiques par psychédéliques. Psychothérapies 2024; 44: 134-49 7 Zullino D et al.: Psychedelika-gestützte Psychotherapie – Katalysierung der universellen Wirkfaktoren? Suchtmedizin 2023; 25: 331-8 8 Tagliazucchi E et al.: Increased global functional connectivity correlates with LSD-induced ego dissolution. Curr Biol 2016; 26(8): 1043-50 9 MacLean KA et al.: Mystical experiences occasioned by the hallucinogen psilocybin lead to increases in the personality domain of openness. J Psychopharmacol 2011; 25(11): 1453-61 10 Carhart-Harris R et al.: Trial of psilocybin versus escitalopram for depression. N Engl J Med 2021; 384: 1402-11 11 Bogenschutz MP et al.: Percentage of heavy drinking days following psilocybin-assisted psychotherapy vs placebo in the treatment of adult patients with alcohol use disorder: a randomized clinical trial. JAMA Psychiatry 2022; 79(10): 953-62 12 Bogenschutz MP et al.: Psilocybin-assisted treatment for alcohol dependence: a proof-of-concept study. J Psychopharmacol 2015; 29(3): 289-99 13 Nutt D, Castle D (ed): Psychedelics as Psychiatric Medications. Oxford Psychiatry Library, 202314 https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/gesetze-und-bewilligungen/gesuche-bewilligungen/ausnahmebewilligungen-bewilligungen-betmg/ausnahmebewilligungen-verbotene-betaeubungsmittel/ausnahmebewilligungen-beschraenkte-medizinische-anwendung.html 15 Haijen ECHM et al.: Predicting responses to psychedelics: a prospective study. Front Pharmacol 2018; 9: 897 16 Seragnoli F et al.: Psychothérapie assistée par psychédéliques (PAP): le modèle genevois. Annales Médico-psychologiques, revue psychiatrique 2024; 182(9): 806-13 17 Hartogsohn I: Modalities of the psychedelic experience: microclimates of set and setting in hallucinogen research and culture. Transcult Psychiatry 2022; 59(5): 579-91 18 Hartogsohn I: Constructing drug effects: a history of set and setting. Drug Sci Policy Law 2017; 3(1): 248 19 Heuschkel K, Kuypers KPC: Depression, mindfulness, and psilocybin: possible complementary effects of mindfulness meditation and psilocybin in the treatment of depression. A review. Front Psychiatry 2020; 11: 224 20 Goel DB, Zilate S: Potential therapeutic effects of psilocybin: a systematic review. Cureus 2022; 14(10): e30214 21 Feduccia A et al.: The need for establishing best practices and gold standards in psychedelic medicine. J Affect Disord 2023; 332: 47-54 22 Haijen ECHM et al.: Predicting responses to psychedelics: a prospective study. Front Pharmacol 2018; 9: 897 23 Kettner H et al.: Psychedelic communitas: intersubjective experience during psychedelic group sessions predicts enduring changes in psychological wellbeing and social connectedness. Front Pharmacol 2021; 12: 623985 24 Ona G: Inside bad trips: exploring extra-pharmacological factors. J Psychedelic Stud 2018 25 Byock I: Taking psychedelics seriously. J Palliat Med 2018; 21(4): 417-21 26 Preller KH et al.: The fabric of meaning and subjective effects in LSD-induced states depend on serotonin 2A receptor activation. Curr Biol 2017; 27(3): 451-7 27 Kaelen M et al.: The hidden therapist: evidence for a central role of music in psychedelic therapy. Psychopharmacology 2018; 235(2): 505-19 28 Golden TL et al.: Effects of setting on psychedelic experiences, therapies, and outcomes: a rapid scoping review of the literature. Curr Top Behav Neurosci 2022; 56: 35-70

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