
Projekt SERO – Suizidprävention Einheitlich Regional Organisiert
Autoren:
Michael Durrer, Martin Fluder, Jennifer Fringeli, Martina Lerch, Johann Meinhof, Lienhard Maeck
Luzerner Psychiatrie
Caroline Gurtner
Schweizerische Stiftung Pro Mente Sana
Gregor Harbauer
Privatklinik Hohenegg
Korrespondierender Autor:
Michael Durrer
Luzerner Psychiatrie
E-Mail: sero@lups.ch
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Anfang 2021 lancierte die Luzerner Psychiatrie (lups) zusammen mit der Gesundheitsförderung Schweiz das Projekt SERO. Es hat zum Ziel, die Zahl der Suizide und Suizidversuche zu reduzieren. Dazu werden bis 2024 vier zentrale Massnahmen nach Empfehlung des BAG umgesetzt, welche das Selbstmanagement suizidgefährdeter Menschen sowie ihrer Angehörigen nachhaltig fördern sollen. Die koordinierte und vernetzte Versorgung durch Fachpersonen gewährleistet eine grosse Reichweite der Massnahmen im Versorgungsgebiet der lups (Abb.1).
Keypoints
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Mit dem Projekt SERO wird eine vernetzte Versorgung durch Fachpersonen in der Region der Luzerner Psychiatrie angestrebt und das Selbstmanagement suizidgefährdeter Personen sowie ihrer Angehörigen gefördert.
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Mit vier zentralen Massnahmen entsteht ein trialogisches Verständnis zwischen suizidgefährdeten Personen, Angehörigen und Fachpersonen, welches eine gemeinsame Sprache und eine Suizidprävention in geteilter Verantwortung ermöglicht.
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Die alltägliche Anwendung der SERO-Massnahmen dient der vereinfachten Kommunikation, bedarf eines Initialaufwands bei der Einführung und erhöht das Selbstmanagement mit gleichzeitiger Qualitätsverbesserung.
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Das Spannungsfeld der Projektevaluation wird gelöst durch eine Aufteilung in die Bereiche Steuerung und Erfolgskontrolle.
Breit abgestütztes Projekt
Seit 2018 unterstützt die Gesundheitsförderung Schweiz in enger Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Gesundheit die Präventionsarbeit im Bereich der Gesundheitsversorgung. In der dritten Förderrunde erhielten von 98 eingereichten Projektskizzen 13 Projekte den Zuschlag, darunter fünf Projekte zum Thema Suizidprävention: ASSIP Home Treatment, Verbreitung der ASSIP-Methode in der Westschweiz, AdoAssip, WilaDina (Wir lassen Dich nicht allein) und SERO (Suizidprävention Einheitlich Regional Organisiert).1
Die lups investiert seit Jahren in die Entwicklung verschiedener Angebote, um Betroffene und Angehörige in ihrer Lebenswelt zu unterstützen. Als Beispiele sind die Erhöhung der Selbstbestimmung durch die Recovery-Bewegung,2 die Gemeindeintegrierte Akutbehandlung GiA (Home Treatment)3 und der verstärkte Einbezug des sozialen Netzwerks durch die Anwendung des offenen Dialogs zu nennen.4
Starke Veränderungen in der Intensität sozialer Beziehungen von Menschen gehen mit einer erhöhten psychosozialen Vulnerabilität einher.5 Menschen mit psychischen Erschütterungen erleben diese Belastung beim Wechsel verschiedener Behandlungsangebote und dem Übergang nach Hause, was zu einem erhöhten Suizidrisiko führen kann.6 Als Hauptantragstellerin des Projektes SERO stellt die lups die Vernetzung von Betroffenen, Angehörigen und Fachpersonen in den Fokus, um Suizide und Suizidversuche im gesamten Versorgungsgebiet zu reduzieren.
Um dem ambitionierten Projektauftrag gerecht zu werden, wurde ein Konsortium gebildet und Partnerorganisationen zur Zusammenarbeit eingeladen. Dabei galt es, möglichst breit abgestützte Kompetenzen sowie fundierte Expertise für die komplexen Projektinhalte zu gewinnen. Die Konsortiumpartner Privatklinik Hohenegg und prismium GmbH stellen ihre Methodenkenntnisse und Anwendungserfahrung bei der Suizidrisikoeinschätzung zur Verfügung. Die Schweizerische Stiftung Pro Mente Sana engagiert sich als Projektpartnerin für den Projektschwerpunkt des Betroffenen- und Angehörigeneinbezugs.7 Schliesslich ist das Institut für Medizininformatik der Berner Fachhochschule mit der Entwicklung einer Selbstmanagement-App beauftragt. Übergeordnet wird SERO von einer Begleitgruppe mit regionalen und nationalen Vertreter*innen der Projektzielgruppen unterstützt.
Umsetzung der vier zentralen Massnahmen
SERO bietet Fachpersonen, Betroffenen und Angehörigen vier zentrale Massnahmen an. Diese setzen die aktuellen nationalen BAG-Empfehlungen zum stationär-ambulanten Übergangsmanagement um6 und vernetzen die genannten Zielgruppen des Projektes basierend auf einem gemeinsamen Verständnis der Suizidprävention.
Etablierung von PRISMTM-S
PRISM™-S («pictorial representation of illness and self measurement – suicidality») ist ein valides Instrument zur visuellen klinischen Einschätzung der Suizidgefährdung. Im Projekt SERO werden PRISM™-S-Kurse durchgeführt, in denen das Methoden- und Anwendungswissen an Fachpersonen vermittelt wird. Mit PRISM™-S lässt sich einschätzen, wie weit eine betroffene Person buchstäblich von einer Suizidhandlung «entfernt» ist. Aus der Sicht- und Erlebensweise der Betroffenen erhalten Fachpersonen ein Bild darüber, a) wie ausgeprägt der Leidensdruck wahrgenommen wird und b) wie viel Widerstandsvermögen noch dagegen aufgebracht werden kann. Das Assessment wird im Sinne eines kooperativen Schulterschlusses gemeinsam mit den Betroffenen durchgeführt; es ist standardisiert und dauert lediglich wenige Minuten. Die offene Verständigung über die suizidale Krise soll einen Beitrag zur Stärkung der therapeutischen Beziehung leisten. Diese Form einer individualisierten Suizidrisikoeinschätzung wird seit vielen Jahren erfolgreich im Alltag von Fachpersonen in Kliniken und Praxen eingesetzt.8–10
Einsatz eines Sicherheitsplans
Im Rahmen des Projekts wurde ein breit abgestützter Sicherheitsplan auf der Grundlage von wissenschaftlichen Erkenntnissen, Fachexpertenwissen und dem Einbezug der Betroffenen- und Angehörigenperspektive entwickelt. Die präventive und trialogische Anwendung des Sicherheitsplans soll helfen, suizidale Krisen abzuschwächen und zu bewältigen.11 Durch die Etablierung des Sicherheitsplans in allen Behandlungssettings (stationär, intermediär, ambulant) wird eine zentrale Orientierung für alle Beteiligten vor, während und nach suizidalen Krisen geboten. Ziel ist es, Betroffene und Angehörige zu befähigen, ihre Stärken und Bewältigungsstrategien einzusetzen und zu reflektieren.12
Durchführung von ensa-Kursen: «Erste- Hilfe-Gespräche über Suizidgedanken»
SERO unterstützt die von Pro Mente Sana angebotenen ensa-Kurse «Erste-Hilfe-Gespräche über Suizidgedanken» für Angehörige und Interessierte in den Kantonen Luzern, Obwalden und Nidwalden. Diese Kurse bieten eine Grundlage, um bei Personen in suizidalen Krisen Erste Hilfe zu leisten, bis eine Fachperson bei Bedarf übernimmt. Mit der Teilnahme an einem halbtägigen Kurs wird das persönliche Repertoire an individueller Unterstützung erweitert.13 Dazu werden die folgenden drei Erste-Hilfe-Schritte erlernt und in Kommunikationstrainings geübt:
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Ansprechen und Nachfragen,
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für Sicherheit sorgen und
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professionelle Hilfe vermitteln.14
Entwicklung einer Selbst-management-App
Die Selbstmanagement-App ermöglicht suizidgefährdeten Menschen und ihren Angehörigen, unabhängig von Zeit und Ort, erste Schritte der Suizidprävention einzuleiten. In der App werden die PRISM™-S-Methode zur Selbsteinschätzung des Suizidrisikos und und der digitale Sicherheitsplan als Vorlage zur Verfügung gestellt. Inhalte dieses Sicherheitsplans werden individuell erarbeitet und mit persönlichen und öffentlichen Kontaktdaten zur Unterstützung in Notfallsituationen ergänzt. Es ist geplant, dass die kostenlose App Ende 2022 zum Download zur Verfügung steht. Eine zweite App-Version bietet suizidgefährdeten Menschen die Möglichkeit die Selbsteinschätzung des Suizidrisikos oder den individuellen Sicherheitsplan einfach und direkt an Vertrauenspersonen oder therapeutische Hilfspersonen zu senden.
Einführung der Massnahmen in Etappen
Zur Etablierung der vier zentralen Massnahmen in den Kantonen Luzern, Obwalden und Nidwalden setzt SERO auf verschiedene Informations- und Multiplikationskanäle. In drei Etappen werden die SERO-Massnahmen regional im Versorgungsgebiet der lups eingeführt (Abb.2). In jeder Region finden interprofessionelle Regionalgruppentreffen mit ausgewählten Berufsgruppenvertreter*innen sowie ein Informationsanlass für alle niedergelassenen Psychotherapeut*innen, Fachpersonen Psychiatrie-Spitex, selbstständig tätige ambulant-psychiatrische Pflegefachpersonen, Hausärzt*innen, somatische Spitäler und Mitarbeitende der lups statt. Fachpersonen sollen die SERO-Massnahmen in ihrem Arbeitsalltag anwenden und ihr Netzwerk, wie z.B. Fachgremien, darüber informieren.
Begleitung des Projektes durch Expert*innen
SERO wird von einer Projektbegleitgruppe unterstützt. Sie setzt sich aus Vertreter*innen von regionalen und nationalen Netzwerken, Vereinen, Interessengemeinschaften sowie Berufs- und Fachverbänden zusammen. Diese repräsentieren die Zielgruppen von SERO – suizidgefährdete Menschen, Angehörige und Fachpersonen. Die Begleitgruppe optimiert mit ihrem Erfahrungs- und Expertenwissen einerseits den Projektinhalt und -verlauf. Andererseits nimmt sie eine wichtige Rolle in der Multiplikation des Projektinhaltes ein. Im Juni 2021 fand ein erstes Treffen der Projektbegleitgruppe statt. Weitere Treffen sind im Jahresrhythmus geplant.
Zwischenfazit nach dem ersten Projektjahr
Der Einbezug von Fachpersonen, Betroffenen und Angehörigen in die Entwicklung der Projektinhalte erzeugte eine Vielstimmigkeit15 und ermöglichte den Transfer von unterschiedlichem Fach- und Erfahrungswissen ins Projekt. Mit diesem Vorgehen hat sich die Ausgestaltung der vier SERO-Massnahmen an den Bedürfnissen und Anliegen der Zielgruppen orientiert. Angestrebt wird, dass die Massnahmen in der Anwendungswirklichkeit als hilfreich empfunden werden. Ausserdem soll das Verständnis der trialogischen Zusammenarbeit, eine Grundvoraussetzung von SERO, über die Grenze der Projektorganisation hinaus ins Versorgungsgebiet übertragen werden.
Die in den Teilprojekten erarbeitete Praxisnähe der Massnahmen führt im Hinblick auf ihren Erfolg zu einer hohen Abhängigkeit von den direkt behandelnden Fachpersonen. SERO bietet Handwerkszeug zur vereinfachten Kommunikation in der Vernetzung. In der oftmals angespannten Ressourcensituation des Gesundheitswesens ist dies wünschenswert. Gleichzeitig bedarf die Einführung der SERO-Massnahmen eines Initialaufwands, der hemmend wirken kann. Langfristig gesehen kann eine Ressourcenschonung durch das erhöhte Selbstmanagement bei gleichzeitiger Qualitätsverbesserung in der Begleitung von Betroffenen und Angehörigen entstehen.
Das Spannungsfeld der Evaluation ist, dass sie einerseits der Komplexität des Projekts gerecht werden muss und auf der anderen Seite zeitsensibel die Wirkung einzelner Projektphasen aufzeigen soll (Bsp. Erreichung der Fachpersonen). Dieses Spannungsfeld wird durch eine Aufteilung gelöst. Die Evaluation des Projekts wird im Auftrag durch ein externes Institut durchgeführt und dient der Gesundheitsförderung Schweiz zur Erfolgskontrolle. Die parallel zum Projekt laufende Bewertung der Teilschritte dient den Projektverantwortlichen zur rechtzeitigen Steuerung.
Literatur:
1 Gesundheitsförderung Schweiz. https://gesundheitsfoerderung.ch/pgv/gefoerderte-projekte.html . 2021; abgerufen am: 17.05.2020 2 Zuaboni G et al.: Recovery und psychische Gesundheit – Grundlagen und Praxisprojekte. 2019; Psychiatrie Verlag 3 Luzerner Psychiatrie (lups). https://www.lups.ch/erwachsenen-psychiatrie/allgemeinpsychiatrie/gemeindeintegrierte-akutbehandlung/ . 2021; abgerufen am: 11.10.2021. 4 Durrer M et al.: Offener Dialog in der Schweiz. Kongressband Et cetera PPP: Psychopathologie, Psychotherapie, Psychopharmakologie 2019; 41 5 Dorsch F, Huber VH: Dorsch — Lexikon der Psychologie (M. A. Wirtz, Hrsg.). 2020; Hogrefe 6 Bundesamt für Gesundheit (BAG). 2019; Suizidprävention bei Klinikaustritten. https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/strategie-und-politik/politische-auftraege-und-aktionsplaene/aktionsplan-suizidpraevention/suizidpraevention-psychiatrische-versorgung.html . Abgerufen am: 11.10.2021 7 Gurtner C, Hahn S: Mitgestalten in Forschung, Lehre und Weiterbildung durch Einbezug der Betroffenenperspektive. Psychiatrische Pflege 2016; 1(1): 25-27 8 Harbauer G, Minder J: Hilfreiche Erklärungsmodelle zur Suizidprävention im Alter. Psychiatrie und Neurologie 2013; 4: 36-42 9 Harbauer G et al.: Suicidality Assessment with PRISM-S – Simple, Fast, and Visual. Crisis 2013; 34: 131-6 10 Ring M et al.: Validity of the suicidality assessment instrument PRISM-S. Neuropsychiatrie: Klinik, Diagnostik, Therapie und Rehabilitation: Organ der Gesellschaft Österreichischer Nervenärzte und Psychiater 2014; 28(4): 192-7 11 Stanley B, Brown G K: Safety planning intervention: a brief intervention to mitigate suicide risk. Cognitive and Behavioral Practice 2012; 19(2): 256-64 12 Fartacek C et al.: Notfallpläne zur Rückfallprävention von suizidalem Verhalten. Suizidprophylaxe 2014; 41: 68-73 13 Morgan AJ et al.: Systematic review and meta-analysis of Mental Health First Aid training: Effects on knowledge, stigma, and helping behaviour. PloS One 2018; 13(5) 14 ensa swiss. 2021; https://www.ensa.swiss/de/ehgs/kurs/ . Abgerufen am: 11.10.2021 15 Steinert U et al.: Neugier bringt uns weiter – oder warum wir lernen, immer wieder fragen zu wollen. PPH 2020; 26(04): 199-205
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