
Pharmakogenetische Tests und therapeutisches Drug Monitoring: klinische Relevanz bei bipolaren Störungen
Autoren:
Dr. med. Maxim Kuzin
Privatklinik und Lehrkrankenhaus der Universität Zürich
https://orcid.org/0000-0002-0243-8458
Prof. hon. Dr. rer. nat. Pierre Baumann
Universitätsspital und Universität Lausanne
https://orcid.org/0000-0002-6253-5225
Korrespondierender Autor:
Dr. med. Maxim Kuzin
E-Mail: maxim.kuzin@clienia.ch
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Die Pharmakotherapie der bipolaren Störungen resultiert häufig in der Notwendigkeit einer Kombinationstherapie, da die Monotherapie oft einen unzureichenden therapeutischen Effekt hat. Therapeutisches Drug Monitoring (TDM) in Kombination mit pharmakogenetischen Tests als Werkzeug der Präzisionsmedizin ermöglicht eine Dosisindividualisierung, womit das Risiko für unerwünschte Nebenwirkungen/Komplikationen und Therapieversagen minimiert werden kann.
Bipolare Erkrankung und wesentliche Verlaufsformen
Die letzten Daten der Weltgesundheitsorganisation zeigen, dass weltweit ca. 1 Milliarde Menschen an einer psychischen Störung leidet.1 Im Jahr 2017 waren gemäss dem Bundesamtes für Statistik rund 6% der schweizerischen Bevölkerung aufgrund von psychischen Problemen in Behandlung.2 Die bipolaren Störungen sind mit einer geschätzten Lebenszeitprävalenz von 3%3 keine seltenen Erkrankungen, wobei die Diagnosestellung in Abhängigkeit der Polarität der ersten Episode mit einer zeitlichen Verzögerung von bis zu 5,6 Jahren und mehr assoziiert sein kann.4
Bipolare Erkrankungen gehören zu den affektiven Störungen und zählen zu den schweren psychiatrischen Krankheitsbildern, die am meisten durch einen chronischen Verlauf geprägt sind. Charakteristischerweise beginnen sie in der Jugend oder im jungen Erwachsenenalter.3 Ein phasenhafter Verlauf von zwei adversativen affektiven Zuständen mit einem unterschiedlichen Ausprägungsgrad von manischen Komponenten unterteilt die bipolare Störung in zwei klassische Formen: Typ I (Manien und Depression) und Typ II (Hypomanien und Depression). Neben gemischten Episoden sind auch spezielle Formen charakterisiert durch schnelle Phasenwechsel zu erwähnen, wie Rapid Cycling, Ultrarapid Cycling und Ultradian Cycling. Rapid Cycling kommt bei bis zu 20% der bipolaren Patienten vor und betrifft überwiegend Frauen:3 Für die Diagnosestellung sind mindestens vier affektive Episoden im letzten Jahr vorausgesetzt. Beim Ultrarapid Cycling ist der Phasenwechsel mit mehr als vier Episoden pro Monat mit einem Wechsel im Zeitraum von wenigen Wochen oder Tagen rasant schneller. Ein Phasenwechsel innerhalb eines Tages an mehr als vier Tagen in der Woche ist typisch für Ultradian Cycling. Die aufgezeigte Vielfalt widerspiegelt einen heterogenen Verlauf der bipolaren Störungen, die nicht nur mit einer relevanten Beeinträchtigung der Lebensführung und viel Leidensdruck einhergeht, sondern auch mit einer bis zu 10–20 Jahren verkürzten Lebenserwartung assoziiert ist.5
Ein Erfolg der therapeutischen Massnahmen hängt insgesamt von vielen Faktoren ab: angewandte Therapiemodalität (Psychotherapie und/oder Pharmakotherapie), Qualität der therapeutischen Beziehung zum Therapeuten, Adhärenz des Patienten zu therapeutischen Interventionen und psychosoziale Faktoren. Bei der Behandlung der bipolaren Störungen steht aufgrund der Annahme einer multifaktoriellen Genese ein mehrdimensionaler Ansatz im Fokus, mit Kombination aus Pharmakotherapie, Psychotherapie und Psychoedukation.
Pharmakotherapie von bipolaren Störungen
Es existieren unterschiedliche Behandlungsleitlinien/-empfehlungen für bipolare Störungen.3,6 Vor Kurzem wurden auch Empfehlungen des Canadian Network for Mood and Anxiety Treatments (CANMAT) und der International Society for Bipolar Disorders (ISBD), gesondert für die Behandlung einer gemischten Episode, publiziert.7 Die Behandlungsempfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Bipolare Störungen (SGBS) von 2019 lassen sich auf mehrere Substanzklassen wie Lithium, Antikonvulsiva, Antidepressiva und Antipsychotika reduzieren,8 die in der Tabelle 1 zusammengefasst sind. Eine angestrebte Monotherapie führt dabei jedoch selten zu einem nachhaltigen Therapieeffekt.9 Eine Zweier- oder Dreierkombination kommt dann zum Einsatz, wenn unter einer Monotherapie keine Vollremission der Symptomatik erreicht werden kann. Eine komplexe Pharmakotherapie (mit drei Psychopharmaka) bei 32,5% von ambulanten bipolaren Patienten ist keine Seltenheit.9 Doch steigt bei diesen Behandlungsstrategien auch das Risiko für unerwünschte Nebenwirkungen und klinisch relevante Arzneimittelwechselwirkungen.
Metabolismus von psychotropen Pharmaka und pharmakogenetische Aspekte
Nahezu alle von der SGBS empfohlenen Substanzen für die Behandlung der bipolaren Störungen unterliegen mit wenigen Ausnahmen wie Lithium und Lamotrigin einer hepatischen Metabolisierung mit Beteiligung des Cytochrom-P-450-Isoenzymsystems (CYP) (Tab.1).10,11 Diese Tabelle präsentiert die von der AGNP-TDM-Gruppe der Arbeitsgemeinschaft für Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie vorgeschlagenen therapeutischen Plasmaspiegelbereiche sowie die TDM-Empfehlungsgrade,12 aber zumindest was die Antidepressiva und die Antipsychotika betrifft, beziehen sich diese Daten mangels entsprechender Studien eigentlich auf ihre ursprüngliche Indikation, nämlich Depression respektive Schizophrenie.
Die CYP-Isoenzyme sind in der Membran des endoplasmatischen Retikulums der Zellen lokalisiert. In der Natur sind über 200 CYP-Isoenzyme bekannt, wobei bei Menschen für den Arzneistoffmetabolismus kaum ein halbes Dutzend verantwortlich sind. CYP3A4/5 macht mit etwa 30% dabei den Hauptteil aus, gefolgt von CYP2D6 (20%), CYP2C9 (12,8%) und CYP1A2 (8,9%) (Abb.1).13 Bei der Biotransformation der Arzneistoffe können einzelne CYP-Isoenzyme sowohl am Hauptabbauweg wie an Nebenabbauwegen beteiligt sein, wie es die Abbildung 2 am Beispiel Risperidon zeigt. Es wird dank CYP2D6 über einen Hauptabbauweg zum aktiven Metaboliten 9-OH-Risperidon metabolisiert. An diesem Schritt nimmt zu einem geringen Teil auch CYP3A4 teil, wobei dieses Enzym in einem Nebenweg sowohl für die Dealkylierung von Risperidon wie auch von 9-OH-Risperidon verantwortlich ist. Risperidon + 9-OH-Risperidon bilden zusammen die aktive Wirkfraktion («active moiety»).10 Das Verhältnis Risperidon/9-OH-Risperidon im Plasma unter Steady-State-Bedingungen gemessen ermöglicht eine vorläufige phänotypische Zuordnung der Metabolisierungsaktivität von CYP2D6. Ist das Verhältnis >1 oder <0,1, kann die Bestimmung des CYP2D6-Genotyps für eine individualisierte Psychopharmakotherapie wertvoll sein.14
Abb. 1: Beitrag von Isoformen von Cytochrom P-450 zum Metabolismus von für die Therapie von bipolaren Störungen verwendeten psychotropen Pharmaka12 (Abbildung nach Zanger UM et al., 2013)13
Abb. 2: Biotransformation von Risperidon zu 9-OH-Risperidon (Paliperidon). In Rot: Markierung der Stelle, an der diese Verbindungen zu inaktiven Metaboliten dealkyliert werden
Bei genetischen Polymorphismen wird die Häufigkeit einer Genvariante von zumindest 1% vorausgesetzt. Je nach Genotyp können starke interindividuelle Differenzen bei der metabolischen Kapazität auftreten und damit die Verträglichkeit der Medikation beeinflussen und sogar zu einem Therapieversagen führen. In Anlehnung an einen kürzlich publizierten Konsensus über pharmakogenetische Tests in der Psychiatrie kann für die zwei CYP-Isoenzyme CYP2D6 und CYP2C19 eine Genotypisierung vorteilhaft sein.15 Dies wurde auch in einem auf die Schweizer Verhältnisse ausgerichteten Artikel beschrieben, obwohl hier beispielsweise erklärt wird, warum diese CYP2D6- und CYP2C19-Genotypisierungen im Vergleich zu anderen pharmakogenetischen Tests nicht von der Grundversicherung übernommen werden.16
Die Metabolisierungsaktivität von CYP2D6 wird in vier Typen eingeteilt: langsame Metabolisierer («poor metabolizer», PM), intermediäre Metabolisierer («intermediate metabolizer», IM), extensive («normale») Metabolisierer («extensive metabolizer», EM) und ultraschnelle Metabolisierer («ultrarapid metabolizer», UM).
Personen mit dem PM-Genotyp sind mit einer Frequenz von 6,2% in der europäischen Population vertreten. Es bestehen deutliche Unterschiede im internationalen Vergleich.17 PM besitzen in der Regel zwei nicht funktionierende Allele und bei dieser Konstellation können z.B. bei der Verschreibung von Prodrugs eine fehlende Aktivierung und ein Therapieversagen die Folge sein. Es handelt sich dabei um Arzneistoffe, die in inaktiver Form verabreicht und in aktive Metabolite umgewandelt werden: Dies ist z.B. bei Codein der Fall, welches mittels CYP2D6 in Morphin umgewandelt wird.18 Andererseits kann der PM-Status zu einem Kumulationseffekt mit daraus resultierenden Unverträglichkeiten und fluktuierenden Medikamentenadhärenz führen, wie es am Beispiel von Risperidon mehrmals diskutiert wurde.19,20 Eine Halbierung der Tagesdosis wäre zur Vermeidung des Kumulationseffektes unter Berücksichtigung der Medikamentenverträglichkeit nützlich, aber auch ein regelmässiges TDM wäre angebracht.21
Der IM-Status ist mit 2,6% deutlich seltener in der europäischen Bevölkerung im Vergleich zu Ostasien (48,6%) repräsentiert.17 Im Unterschied zum PM-Status ist dabei nur eine moderate Dosisanpassung bzw. Reduktion nötig.21
EM-Patienten sind homozygot für das Wildtyp-Allel (normale Allelform) und diese Gruppe ist mit 88,1% die häufigste Metabolisierungsaktivität durch CYP2D6 bei der europäischen Bevölkerung. Im Kontrast dazu kommt diese Metabolisierungsaktivität fast zweimal seltener in Ostasien vor.17
Bei Personen mit dem UM-Genotyp tritt eine Genamplifikation mit drei oder mehr Kopien funktionsfähiger Allele auf. Er ist mit einer Frequenz von 3,2% in der europäischen Bevölkerung repräsentiert.17 Der UM-Phänotyp tritt häufiger auf, ohne dass es dabei klar ist, wie er beim einzelnen Patienten zustande kommt, da der genetische Hintergrund nicht offensichtlich ist. Bei einer solch hohen Metabolisierungsaktivität ist am häufigsten mit einem Therapieversagen zu rechnen. Eine Verdoppelung der Tagesdosis des Psychopharmakons könnte für eine angestrebte Intensivierung der pharmakologischen Behandlung notwendig sein.21
Pharmakotherapie vonbipolaren Störungen: Arzneimittelinteraktionen
Bei Arzneimittelinteraktionen unterscheidet man zwischen pharmakodynamischen und pharmakokinetischen Interaktionen. Bei pharmakodynamischen Interaktionen steht die Beeinflussung der Wirkung der Psychopharmaka im Vordergrund, wobei nicht vorrangig von einer Veränderung der Plasmakonzentration der Substanzen ausgegangen werden muss. Es ergeben sich additive (auch als synergistisch bekannt) oder antagonistische pharmakodynamische Interaktionen, die z.B. die Wirkungsdauer, -stärke und -eintritt der Medikation verändern können.
Bei der Pharmakokinetik sind vier Ebenen für Interaktionen beschrieben, die als Absorption, Distribution, Metabolisierung und Exkretion bekannt sind. Die pharmakokinetischen Interaktionen widerspiegeln sich z.B. in der Veränderung des Plasmaspiegels und/oder Veränderung des Verhältnisses Muttersubstanz/aktiver Metabolit, was dann zu unerwünschten klinischen Konsequenzen führen kann.
Pharmakodynamische Interaktionen: Relevanz bei bipolaren Störungen
Eine gleichzeitige Verschreibung von nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) und Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI), wie sie auch bei bipolaren Störungen üblich ist, dient als Beispiel für eine pharmakodynamische Interaktion.
SSRI hemmen die Aufnahme von Serotonin über den Serotonintransporter in die Thrombozyten, welche selbst kein Serotonin synthetisieren können. Sie sind ein wichtiges Reservoir für peripheres Serotonin, das seinerseits eine Vasokonstriktion und Thrombozytenaggregation moduliert.22 Unter dieser Kombinationstherapie steigt das Risiko in einem relevanten Ausmass für interstinale Komplikationen bzw. Blutungen.23,24 Darüber hinaus wird auch ein leicht erhöhtes Hirnblutungsrisiko unter SSRI und NSAR diskutiert.25,26 Diese pharmakodynamische Interaktion ist von klinischer Relevanz, sodass Antidepressiva mit einem alternativen Wirkmechanismus bei Patienten mit einem erhöhten Blutungsrisiko bevorzugt verschrieben werden sollten.
Pharmakokinetische Interaktionen: Gefahr des Therapieversagens
Eine Kombinationstherapie in der Behandlung der bipolaren Störung ist keine Seltenheit,27,28 aber eine einzige klinisch relevante pharmakokinetische Interaktion über einen inhibierenden oder induzierenden Effekt auf CYP-Isoenzyme kann den gesamten Behandlungsprozess gefährden.
Lithium, Carbamazepin, Lamotrigin und Valproat sind Stimmungsstabilisatoren und können in der Kombination mit atypischen Antipsychotika mit klinisch relevanten Interaktionen assoziiert sein.11 Carbamazepin als Stimmungsstabilisator ist beispielweise besonders interaktionsfreudig und eignet sich deswegen nur begrenzt für eine Kombinationstherapie. Eine Augmentation mit Carbamazepin kann über eine CYP3A4-Induktion zu einer Abnahme der Plasmaspiegelwerte bei Substanzen führen, bei denen dieses Enzym am Metabolismus beteiligt ist. Quetiapin als ein atypisches Antipsychotikum hat eine breite Anwendung in der Behandlung der bipolaren Störungen und wird vorwiegend über CYP3A4 metabolisiert (Abb. 3). Eine gleichzeitige Verschreibung dieser beiden Medikamente kann einen starken Abfall der Konzentration von Quetiapin und eine akute Destabilisierung der Psychopathologie zur Folge haben (siehe Fallbericht).29,30 Auch bei anderen atypischen Antipsychotika wie z.B. Risperidon, Olanzapin oder Aripiprazol sollte bei einer Komedikation mit Carbamazepin mit einem Abfall des Wirkstoffspiegels gerechnet werden.29
Abb. 3: Metabolismus von Quetiapin. N-Desalkylquetiapin (Norquetiapin) ist ein Noradrenalinwiederaufnahmehemmer (NARI) (nach Bakken GV et al., 2009)36
Die Herausforderung einer Polypharmazie wurde bereits oft diskutiert,31,32 sie ist aber bei einer zunehmend alternden Gesellschaft mittlerweile ein Teil der klinischen Routine geworden. Die pharmakokinetischen Interaktionen bekommen in diesem Kontext eine zunehmende Relevanz. TDM als ein Patienten-Management-Tool und als Teil der Präzisionsmedizin kann die Kliniker bei komplexen Fragestellungen bei der Optimierung des Behandlungsregimes unterstützen, indem es dazu beiträgt, zwischen Non-Response und mangelnder Adhärenz zu differenzieren, und es auch die Relevanz einer pharmakokinetischen Interaktion aufzeigt.
Genetische Polymorphismen im Zusammenhang mit dem Leukozytenantigensystem
Das menschliche Leukozytenantigensystem (HLA) mit über 200 Genen (Chromosom 6) unterliegt auch einer genetischen Variabilität. Bei der Pharmakotherapie der bipolaren Störungen mit Carbamazepin ist ihre klinische Relevanz besonders hervorzuheben.
Die Frequenz des Allels HLA-B*-1502 ist in der europäischen Bevölkerung mit 1–2% angegeben, wobei diese in Asien, insbesondere in Singapur und Han-Chinesen, um ein Vielfaches (jeweils über 10%) höher liegt.33 Das Allel HLA-B*-1502 ist mit dem Stevens-Johnson-Syndrom und der toxischen epidermalen Nekrolyse assoziiert, sodass seitens der US-Behörde für Lebens- und Arzneimittel (FDA) eine Genotypisierung für alle asiatischen Patienten empfohlen wird.34 Eine weitere Allelvariante, HLA-A*-3101, ist für Personen europäischer und japanischer Herkunft von Bedeutung. Ist sie präsent, besteht bei Europäern ein Risiko von bis zu 26% für das Auftreten eines Hypersensitivitätsyndroms.35 Swissmedic empfiehlt eine Genotypisierung des HLA-A*-3101-Allels bei den Personen, bei welchen eine Therapie mit Carbamazepin zum ersten Mal verschrieben wird. Diese Untersuchung wird von der Grundversicherung übernommen.16
Schlussfolgerungen
Eine pharmakologische Behandlung der bipolaren Störung ist durch die Notwendigkeit einer Kombinationstherapie häufig herausfordernd, insbesondere unter Berücksichtigung der pharmakodynamischen und pharmakokinetischen Interaktionen. Zur Optimierung der pharmakologischen Behandlung der bipolaren Störung stehen unterschiedliche Werkzeuge zur Verfügung.
TDM kann den Kliniker in der Optimierung der pharmakologischen Behandlungsstrategien unterstützen, dabei eine Hilfe bei der Differenzierung zwischen Non-Response und mangelnder Adhärenz sein und rechtzeitig die klinisch relevanten pharmakokinetischen Interaktionen offenlegen.
Die Cytochrom-P450-Genotypisierung ermöglicht eine weiterführende Personalisierung der Pharmakotherapie. Bei der psychiatrischen Medikation wird eine Genotypisierung primär für CYP2D6 und CYP2C19 empfohlen, die aktuell im klinischen Bereich noch nicht routinemässig eingesetzt werden. Bei vermuteter Defizienz des Enzyms und insbesondere im Fall einer Polypharmazie soll eine Genotypisierung in Erwägung gezogen werden. Das Beispiel Carbamazepin weist darüber hinaus darauf hin, dass wir auch zunehmend über klinisch wertvolle Genotypisierungen (z.B. HLA-A*3101) im Bereich Pharmakodynamik verfügen werden.
Fallbericht: Carbamazepin als Komedikation bei einer bipolaren Störung – Therapieversagen als Folge der Induktion von CYP3A4
Eine 51-jährige Patientin mit einer seit einem Jahr dank Valproat (1200mg/d) und Quetiapin ret. (500mg/d) gut eingestellten bipolaren Störung berichtete über einen persistierenden Haarausfall, der im zeitlichen Zusammenhang mit der Initiierung der Valproat-Behandlung stand (eine bekannte Nebenwirkung, überwiegend von dosisabhängiger und vorübergehender Natur). Die Patientin stimmte im Pflegeheim einer Umstellung der Medikation zu und lehnte eine konsequente Behandlung mit Valproat ab. In Anlehnung an die SGBS-Behandlungsempfehlungen erfolgte eine Umstellung auf Carbamazepin (initial 200mg/d), da aus der psychiatrischen Vorgeschichte bereits ein gutes therapeutisches Ansprechen vorbekannt war.
Innert einer Woche war eine zunehmende Destabilisierung der Psychopathologie mit dominierend manischen affektiven Komponenten und Grössenwahnideen mit religiösen Inhalten zu verzeichnen, sodass eine notfallmässige Zuweisung in die psychiatrische Klinik unvermeidbar war. Eine regelmässige Einnahme und Abgabe der Medikation wurden seitens der Bezugspflege des hiesigen Pflegeheims bestätigt.
TDM ergab einen nahezu nicht messbaren Quetiapin-Plasmaspiegel, nämlich 49ng/ml (therapeutischer Bereich: 100–500ng/ml) (Tab. 1) (Hauptabbauweg: CYP3A4). Carbamazepin wurde abgesetzt, die Dosis von Valproat (900mg/d) unter Berücksichtigung seiner Plasmaspiegel erneut eingeführt. Die Eindosierung gelang ohne Manifestation von Nebenwirkungen (insbesondere ohne initial beschriebenen Haarausfall), aber eine Augmentation mit Quetiapin ret. erwies sich wieder als notwendig. Nach wenigen Wochen wurde eine Wiederherstellung des bekannten Funktionsniveaus erreicht.
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