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Nicht (mehr) rauchen – Lebensjahre dazugewinnen
Jatros
30
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20.10.2016
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<p class="article-intro">Die große Gruppe der Tabakkonsumenten lässt sich durch Tabakkontrollmaßnahmen (Medienkampagnen, Werbeverbote, rauchfreier Arbeitsplatz) erreichen und auch beeinflussen. Andere brauchen eine ambulante Behandlung (Diagnose, psychologische Unterstützung, medikamentöse Therapie). Stark Nikotinabhängigen kann eine stationäre Therapie (Gruppen- und Einzelintervention, Alternativverhaltensweisen, Rückfallprophylaxe) helfen, die Sucht zu beenden.</p>
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<p class="article-content"><p>Eine der effizientesten Maßnahmen, etwas für seine Gesundheit zu tun und sein Leben zu verlängern, ist, das Rauchen aufzugeben bzw. gar nicht anzufangen. Von der WHO wurde daher 2003 auch zur „Framework Convention on Tobacco Control“ aufgerufen, die von über 180 Staaten in der ganzen Welt unterzeichnet wurde. Deren Umsetzung beinhaltet die Einschränkung des Zugriffs für Jugendliche, Schul- und Ausbildungsprogramme, Medienkampagnen, Werbebeschränkungen, Warnhinweise, „rauchfreie Umwelt“, Steuern bzw. Preisgestaltung sowie Telefon-Hotlines. „Aber auch die Behandlung der Tabakabhängigkeit wird als wichtiger Punkt aufgezählt – etwas, was in früheren Zeiten überhaupt nicht wahrgenommen wurde“, so Univ.-Prof. Dr. Rudolf Schoberberger, Institut für Sozialmedizin, Zentrum für Public Health, Medizinische Universität Wien. <br />Nikotin ist zwar relativ gesehen eine „harmlose“ Droge, dennoch beeinflusst sie als eine süchtig machende Substanz unseren „pleasure highway“. Es bindet an Nikotinrezeptoren im Gehirn und erleichtert die Freisetzung der Neurotransmitter Dopamin, Norepinephrin, Acetylcholin, Serotonin und Beta-Endorphin. Damit beeinflusst es die Stimmungslage und produziert Genussempfinden, kann Erregung hervorrufen und sogar von Ängsten befreien. Es fördert die Leistungsfähigkeit, steigert die Aufmerksamkeit, erhöht die Leistung bei sich wiederholenden Aufgaben, verringert das Hungergefühl, beschleunigt den Stoffwechsel und führt zu Gewichtsreduktion.<sup>1</sup> <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Neuro_1605_Weblinks_seite40.jpg" alt="" width="1232" height="804" /></p> <h2>Verlorene Lebensjahre</h2> <p>Stirbt jemand im mittleren Lebensalter (35 bis 59 Jahre) und hat bis zu seinem Tod geraucht, so hat er im Vergleich zu jemandem, der nie geraucht hat, im Schnitt 22 Lebensjahre verloren. Wird ein Raucher 70 Jahre oder älter, dann verliert er bis zum Tod im Vergleich zum Nichtraucher immer noch acht Lebensjahre.<sup>2</sup> „Auf alle Altersgruppen bezogen kommt man auf einen durchschnittlichen Verlust von 14 Lebensjahren bei jenen, die bis zu ihrem Tod geraucht haben“, so Schoberberger. Davon ausgenommen ist die große Mehrheit der Raucher, die in der Zwischenzeit auch wieder aufgehört haben. <br />Um einen Standard für die Diagnostik der Raucher zu erstellen, wurde für Österreich das „Wiener Standard Raucher-Inventar“ (WSR) eingeführt, in dem zur Klassifizierung viele diagnostische Aspekte berücksichtigt wurden. Darunter ist etwa das „Nikotin-Prä-Abstinenz-Syndrom“ (NPAS), das die persönliche Einstellung zum Rauchen abbildet. Die beiden anderen wichtigen Faktoren sind die Nikotinabhängigkeit und natürlich das Rauchverhalten selbst.</p> <h2>Nikotinsucht</h2> <p>Ein wichtiger Indikator für den Grad der Abhängigkeit ist das NSDNC („nocturnal sleep-disturbing nicotine craving“). Von diesem Rauchverlangen sind in erster Linie die stark Nikotinabhängigen betroffen. Sie können nicht mehr durchschlafen, wachen mit einem starken Verlangen („craving“) auf und können erst wieder weiterschlafen, nachdem sie geraucht haben. Dieses Verlangen geht oft mit „carbohydrate craving“ (Kohlenhydratsucht) einher. Dieses äußert sich durch immer wieder auftauchende Heißhungerattacken, vor allem auf Kohlenhydrate und Süßigkeiten. Da dieses Verlangen durch das Nikotin teilweise kompensiert wird, „explodiert“ oft das Körpergewicht nach Beendigung des Rauchens. <br />Die Kohlenmonoxidmessung mittels „Smokerlyzer“, die gleichzeitig den Grad der Sauerstoffunterversorgung misst, lässt gewisse Rückschlüsse auf eine Nikotinabhängigkeit zu. Allerdings können hier auch nicht nikotinabhängige Raucher hohe Werte erreichen, wenn sie, psychosozial motiviert, häufig rauchen. Weitere Aspekte sind Abstinenzsyndrome und das Rauchverhalten selbst. Beim Rauchverhalten unterscheiden sich episodische Raucher von den Spiegelrauchern. Der Spiegelraucher raucht regelmäßig vom Aufstehen bis zum Zu-Bett-Gehen seine Zigaretten. Der „Spitzenraucher“ hat Phasen, in denen er kein oder ein geringes Rauchverlangen hat, aber in anderen Situationen vielleicht sogar exzessiv raucht. Daneben gibt es auch den Mischtyp. Das unterschiedliche Rauchverhalten korreliert naturgemäß auch mit dem Grad der Nikotinabhängigkeit.</p> <h2>Sonderkur zur Rauchentwöhnung</h2> <p>Bei stark nikotinabhängigen Rauchern besteht häufig die Angst vor bleibenden Nachteilen. Sie glauben, dass das Verlangen unwiderstehlich bleiben wird und aus diesem Kampf eine Reizbarkeit und erhöhte Ängstlichkeit mit negativen Auswirkungen auf ihre Umwelt resultieren. Oft können sie mit den durch Psychoedukation vermittelten positiven Aspekten (gesundheitliche Verbesserung, Lebenszufriedenheit, Wohlbefinden etc.) wenig anfangen. Auch psychische Barrieren können einer Abstinenz im Wege stehen: Angst, Depression, Unruhe, Einschlaf- oder Durchschlafstörung, Stress, Langeweile, Verdauungsstörungen, Gewichtszunahme. <br />Eine Langzeitbeobachtungsstudie (40 Jahre) aus England zeigte: 70–80 % der Raucher sind nikotinabhängig, 50 % davon entwickeln tabakassoziierte Krankheiten mit dem Risiko eines vorzeitigen Todes.<sup>3</sup> Fast 40 % der Raucher, die an einer Veränderung ihres Rauchverhaltens interessiert sind, denken mindestens einmal in der Woche daran, das Rauchen aufzugeben. Etwa ein Drittel der erfolgreichen „Reduzierer“ hört ganz zu rauchen auf, auch wenn sie ursprünglich gar nicht aufhören wollten.<sup>4</sup> <br />„Heute besteht im Unterschied zu früher die Möglichkeit, mittels Dauernikotin­ersatztherapie eine Reduktion aufrechtzuerhalten, was nachweisbar eine Verringerung des Risikos mit sich bringt“, so Schoberberger. Um auch starken Rauchern die Chance zu geben, ihre Sucht loszuwerden, wird in Österreich seit 2002 eine 3-wöchige stationäre Rauchertherapie als „Sonderkuraufenthalt“ zur Raucherentwöhnung im Linzerheim Bad Schallerbach (Oberösterreich) und bereits seit 1997 im Josefhof Graz (Steiermark) angeboten.</p></p>
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<p><strong>1</strong> Benowitz NL: N Engl J Med 1988; 319: 1318-30 <strong>2</strong> Statistik: „Mortality from Smoking“, European Union (15 countries): Relative importance of death in middle age (35-69). 2000; www.ctsu.ox.ac.uk <strong>3</strong> Doll R et al: BMJ 1994; 309(6959): 901-11 <strong>4</strong> Lesch OM et al: Neuropsychobiology 2004; 50: 78-88</p>
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