Nicht invasive elektrische Hirnstimulationsmethoden in der Psychiatrie

<p class="article-intro">Die Therapie der ersten Wahl besteht bei vielen psychiatrischen Krankheitsbildern aus einer individuell angepassten Behandlungskombination aus Psychotherapie und Psychopharmakologie. Schätzungsweise 30 % der Patientinnen und Patienten sind jedoch resistent oder können aus anderen Gründen nicht bis zur Remission behandelt werden. In solchen Fällen kann der Einsatz von Hirnstimulationsverfahren helfen.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Nicht invasive Hirnstimulation kann Hilfe bei Therapieresistenz bringen.</li> <li>Die am h&auml;ufigsten verwendeten Methoden sind die repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS) und die transkranielle Gleichstrombehandlung (tDCS).</li> <li>Am h&auml;ufigsten wird die Indikation bei Depression oder Schizophrenie gestellt.</li> <li>Die Behandlung ist gut vertr&auml;glich und nebenwirkungsarm.</li> </ul> </div> <h2>Hintergrund</h2> <p>In der psychiatrischen Praxis werden h&auml;ufig Patienten behandelt, die unter affektiven oder psychotischen St&ouml;rungen leiden. Der Goldstandard einer Behandlung ist, sofern man das grob zusammenfassen darf, eine Kombination aus Psychotherapie und Psychopharmakologie, welche individuell angepasst wird. Bei manchen Patienten aber reichen diese Behandlungsstrategien nicht aus; d. h., es besteht oder entwickelt sich eine Therapieresistenz, was bei sch&auml;tzungsweise 30 % der Patienten zu beobachten ist. Manchmal k&ouml;nnen die Standardtherapien auch aus bestimmten Gr&uuml;nden nicht oder nur unzureichend eingesetzt werden. Zum Beispiel weil bei bereits gering dosierter Medikation starke Nebenwirkungen auftreten oder Gespr&auml;che im Rahmen von Psychotherapie abgelehnt werden. In solchen F&auml;llen kann der Einsatz von Hirnstimulationsverfahren in Betracht gezogen werden.</p> <h2>Hirnstimulationsmethoden</h2> <p>Wenn man heute von nicht invasiven Hirnstimulationsverfahren spricht, werden darunter v. a. die beiden Methoden der repetitiven transkraniellen Magnetstimulation (rTMS) und der transkraniellen Gleichstrombehandlung (tDCS) zusammenfasst. Eine Reihe weiterer nicht invasiver Stimulationsverfahren wie tACS, tVNS oder auch Neurofeedback-Verfahren werden bereits intensiv in wissenschaftlichen Situationen erprobt. Die neueren Verfahren werden durch den geschlossenen gesunden Sch&auml;del ohne Chirurg und ohne An&auml;sthesie bei guter Vertr&auml;glichkeit und wenig Nebenwirkungen durchgef&uuml;hrt. Nicht zu vergessen ist jedoch in dieser Auflistung die Elektrokrampftherapie (EKT), welche bereits seit den 40er-Jahren des vorigen Jahrhunderts erfolgreich Anwendung findet. EKT muss unter An&auml;sthesie und Muskelrelaxation durchgef&uuml;hrt werden.</p> <h2>Die translationale Idee</h2> <p>Die neueren Methoden haben sich aus translationalen Ideen heraus entwickelt. Man kann mit den Hirnstimulationsmethoden modulierend auf umschriebene Hirnareale einwirken. Ein Beispiel: Man weiss, dass bei akustischen Halluzinationen das Sprachnetz &uuml;beraktiviert ist. Durch eine sehr gezielte Hemmung mittels rTMS eines beteiligten Hirngebietes wird diese &Uuml;beraktivierung auf neurobiologischer Ebene normalisiert, was auf der psychopathologischen Ebene mit einer Reduktion des Stimmenh&ouml;rens einhergeht.<br /> Es ist ein quasi universelles Prinzip bei der Anwendung der neuen Stimulationsverfahren, dass man eine wissenschaftlich getriebene Hypothese entwickelt, welches Hirngebiet eine bestimmte St&ouml;rung unterh&auml;lt, und man dann gezielt dieses Hirngebiet moduliert. Das Wissen um das bei einer St&ouml;rung betroffene oder zumindest beteiligte Gehirngebiet ist n&ouml;tig, um den Ort der allf&auml;lligen Stimulation festzulegen. Aufgrund von im Allgemeinen fixen Faserverbindungen bevorzugt verbundenen entfernteren Hirngebieten kann es auch ausreichen, &uuml;ber einen Knotenpunkt auf das in Dysbalance geratene Netzwerk einzuwirken und dadurch die Balance wiederherzustellen.<br /> Dieses Prinzip muss bei der rTMS aufgrund der mit der Methode verbundenen starken Fokussierung auf einen bestimmten ca. 1 cm<sup>2</sup> grossen Stimulationsort bei einer ebenfalls im 1&ndash;2-cm-Bereich liegenden Eindringtiefe zuverl&auml;ssig angewendet werden. Bei der tDCS hingegen fliesst ein kleiner Strom zwischen (mind.) zwei Elektroden, sodass neben den direkt stimulierten Gebieten auch das dazwischenliegende Hirngewebe moduliert wird. Hypothesen f&uuml;r die Positionen der Elektroden sind auch bei der tDCS n&ouml;tig. Am wenigsten fokussiert erfolgt die Stimulation bei der EKT. Hier &ndash; aus der Erfahrung heraus entstanden, dass epileptische Anf&auml;lle zu einer durch &laquo;forcierte Normalisierung&raquo; bezeichneten Besserung bei Psychose f&uuml;hren k&ouml;nnen &ndash; wird ein generalisierter, aber kontrollierter und limitierter Krampfanfall ausgel&ouml;st. Auch wird der im Prinzip gleiche Krampfanfall bei unterschiedlichen Indikationen hervorgerufen.</p> <h2>Anwendung der Methoden</h2> <p>Vorteile von rTMS und tDCS liegen darin, dass sie relativ einfach in der psychiatrischen Praxis realisiert werden k&ouml;nnen. Diagnostik und Indikationsstellung, Initiierung und Abschluss der Behandlung erfolgen durch eine in der Methodik erfahrene Psychiaterin. Die dann folgende t&auml;gliche Durchf&uuml;hrung kann durch geschulte Mitarbeiter anderer Berufsgruppen, z. B. Fachpersonen f&uuml;r Neurophysiologische Diagnostik (FND), erfolgen. rTMS und tDCS werdenstets im Sinne einer mehrw&ouml;chigen Kur mit t&auml;glichen Therapieeinheiten angewendet. Die Behandlungen werden meist an den Wochentagen mit Pause am Wochenende durchgef&uuml;hrt. Je nach Protokoll, welches anhand der zu behandelnden Symptomatik gew&auml;hlt wird, dauert eine einzelne Sitzung 15&ndash;45 min. Inzwischen werden aus wissenschaftlichen Erkenntnissen heraus neue Protokolle vorgeschlagen, die mit k&uuml;rzeren Stimulationszeiten je Sitzung oder mehreren Sitzungen pro Tag einhergehen. Diese haben aber noch nicht die t&auml;gliche Routine erreicht. Als Nachteile der Methoden k&ouml;nnten die teils sehr h&auml;ufige und t&auml;gliche Anwendung (mind. 1&ndash;2 Wochen, teils 4&ndash;6 Wochen) gelten sowie die bis anhin fehlende Aufnahme der Leistung in den TARMED-Katalog.<br /> Die Behandlung ist symptomatisch und kann nicht einen imagin&auml;ren Schalter von &laquo;krank&raquo; auf &laquo;gesund&raquo; umlegen. Damit ist es nachvollziehbar, dass nach einer gewissen Zeit von im Allgemeinen einigen Monaten die St&ouml;rung wieder aufflackern kann. Wiederholte Erhaltungsbehandlungen sind dann indiziert. Die M&ouml;glichkeit eine rTMS oder tDCS Behandlung zu erhalten, sind eher mit Privileg als mit Stigma verbunden.</p> <h2>Indikationen der nicht invasiven Hirnstimulationsmethoden</h2> <p>Die neuen elektrischen Stimulationsmethoden werden am h&auml;ufigsten bei affektiven und bei psychotischen Krankheitsbildern eingesetzt. Hinzu kommen Indikationen bei Abh&auml;ngigkeitserkrankungen.<br /> Eine Ausweitung des Indikationsspektrums auf andere St&ouml;rungen ist denkbar. Es gibt gewisse Evidenzen f&uuml;r die Anwendung bei Manie, Zwang, Essst&ouml;rungen, Panikst&ouml;rungen, Stressst&ouml;rungen und Depersonalisation wie Besserungen bei Alzheimerdemenz. Unabh&auml;ngig vom Anwendungsbereich zeigt sich, dass rTMS und tDCS sicher und nebenwirkungsarm eingesetzt werden k&ouml;nnen, sogar bei sehr jungen oder alten Patienten.<br /> (Inter-)Nationale Behandlungsempfehlungen nennen inzwischen die rTMS als m&ouml;gliche Behandlungsmethode bei Depressionen und Psychosen. Beim Einsatz in der Depression wird auf die depressive Kernsymptomatik gezielt. Durch den Einsatz bei psychotischen Patienten kann sowohl das &laquo;Stimmenh&ouml;ren&raquo; als auch die Negativsymptomatik durch die entsprechenden Behandlungsprotokolle behandelt werden. Keine der beiden Methoden rTMS oder tDCS wird &ndash; in welcher Indikation auch immer &ndash; heute als Mittel der ersten Wahl empfohlen. Derzeit augmentieren die nicht invasiven Methoden die herk&ouml;mmlichen Methoden, ohne sie zu ersetzen.</p> <h2>Einsatz und Nebenwirkungen im Vergleich</h2> <p>Die EKT ist indiziert in lebensbedrohlichen Situationen wie schwerster und therapieresistenter Depression oder Psychose sowie bei ausgepr&auml;gten katatonen Zust&auml;nden. Auch bei bipolaren Erkrankungen mit manischen Phasen, bei suizidalen, deliranten und alten Patienten kann EKT erfolgreich eingesetzt werden. EKT ist stark und sicher wirksam. Bei der EKT-Behandlung ben&ouml;tigt man An&auml;sthesie und eine allgemeine somatische Eignung eben daf&uuml;r. Auch sind k&uuml;rzlich stattgehabte Herz- oder Hirnerkrankung ein Ausschlussgrund. Der Patient muss bei der EKT nicht aktiv mitarbeiten, auch ist er nicht verbal gefordert. Unterst&uuml;tzung beim Transport zur Behandlung ist unabdingbar. Kognitive Nebenwirkungen treten teils auf.<br /> Die rTMS ist weniger stark wirksam und hat nicht die Qualit&auml;ten als Reserve-Behandlung wie die EKT. Im Einsatzbereich der Depression wirkt die rTMS am besten bei den Patienten, die auch auf andere Methoden wie z. B. Medikamente ansprechen. Eine Anwendung bei psychotischer Depression wird nicht empfohlen. Zur rTMS-Behandlung k&ouml;nnen die Patienten selbstst&auml;ndig in die Praxis kommen und danach auch wieder nach Hause gehen. Es sind weniger systemische Nebenwirkungen zu erwarten und keine kognitiven Defizite im Vergleich zur EKT. rTMS kann nicht durchgef&uuml;hrt werden, wenn metallische, elektrische oder anders aktive Implantate im Kopf oder nahe des Kopfes vorhanden sind sowie direkt nach Sch&auml;del-Hirn-Verletzung oder -OP oder Hirninfarkt.<br /> Die tDCS ist am wenigsten effektiv und ist von den erw&auml;hnten Methoden die am wenigsten h&auml;ufig angewendete. Das Potenzial der Methode jedoch, eine einfache und kosteng&uuml;nstige Anwendung zu bieten, welche nach Schulung auch allein durch den Patienten quasi &uuml;berall durchf&uuml;hrbar w&auml;re, und das gute Nebenwirkungsprofil sprechen daf&uuml;r, weitere Studien mit tDCS durchzuf&uuml;hren. Hinsichtlich der Wirkst&auml;rke ist EKT am st&auml;rksten und effektivsten zu werten, gefolgt von rTMS, mit tDCS als Schlusslicht. Das Nebenwirkungsspektrum verh&auml;lt sich entgegengesetzt.</p> <p>&nbsp;</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Neuro_1903_Weblinks_lo_neuro_1903_s30_zitat_hubl.jpg" alt="" width="550" height="303" /></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>bei der Verfasserin</p> </div> </p>
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