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Neue Technologien für die mentale Gesundheit von Kindern
Leading Opinions
30
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31.10.2019
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<p class="article-intro">Das internationale TEAM-Netzwerk konzentriert sich auf die Konzeption, Entwicklung und Evaluierung neuer technologiebasierter psychosozialer Dienste. Beim ESCAP präsentierten die Forscher erste Ergebnisse und Erkenntnisse.</p>
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<p class="article-content"><p>TEAM (Technology Enabled Mental Health for Young People) ist ein über vier Jahre laufendes Netzwerk für Innovationstraining, das vom EU-Programm «Horizont 2020» finanziert wird. Das übergeordnete Ziel besteht darin, eine neue Generation von Forschern auszubilden, die dazu beitragen, jungen Menschen effektivere, erschwinglichere und zugänglichere psychosoziale Dienste anbieten zu können.</p> <h2>Wie Jugendliche im Netz nach Hilfe zur mentalen Gesundheit suchen</h2> <p>Die Suche nach Unterstützung im Internet stellt einen wichtigen protektiven Faktor für die mentale Gesundheit von Jugendlichen dar. Es gibt jedoch eine Vielzahl von Barrieren, die Jugendliche davon abhalten, bei persönlichen oder emotionalen Problemen online nach Hilfe zu suchen. Zu diesen Barrieren zählen: Stigmata, der fehlende Zugang zu den entsprechenden Services oder Endgeräten oder die Einstellung, Probleme lieber eigenständig lösen zu wollen.2 Eine Studie von Karwig et al. 2015 zeigte jedoch, dass die Onlinesuche nach Hilfe immer mehr an Popularität gewinnt und oft der erste Schritt bei der Suche nach Unterstützung ist.<br /> Die zahlreichen Informationsquellen und Interventionen im Internet zu psychischer Gesundheit sind von unterschiedlicher Qualität. Wertvolle Ressourcen sind daher nicht immer einfach zu finden bzw. zu identifizieren. Eine beim ESCAP präsentierte Studie von Pretorius et al. 2019 untersuchte das Verhalten Jugendlicher bei der Onlinesuche nach Hilfe bei psychischen Problemen und wie die Jugendlichen dabei unterstützt werden können. 1380 irische Jugendliche zwischen 18 und 25 Jahren wurden online zu diesem Thema befragt. Die Ergebnisse zeigten Folgendes:</p> <ul> <li>Mobiltelefone waren die am häufigsten verwendeten Endgeräte bei der Onlinesuche nach Hilfe (80,7 %), nur 32,7 % gaben an, dafür (auch) einen PC zu nutzen.</li> <li>Internetrecherche (82,6 %), Informationen auf Gesundheitswebseiten (57,0 %) und aus Internetforen/Diskussionsplattformen (32,3 % ) wurden als besonders relevant angesehen.</li> <li>Knapp 50 % der Studienteilnehmer gaben an, sowohl mit Informationen aus Internetrecherchen als auch mit Gesundheitswebseiten zufrieden oder sehr zufrieden zu sein.</li> <li>Gesundheitswebseiten wurden von den Befragten als vertrauenswürdiger eingestuft als Informationen aus Internetrecherchen.</li> <li>Indikatoren für die Vertrauenswürdigkeit von Webseiten waren das offizielle Logo eines Gesundheitsservice oder die Empfehlung durch die Schule.</li> <li>Ein besonders wichtiger Faktor für die Nutzung einer Webseite war die Wahrung von Anonymität und Vertraulichkeit.</li> </ul> <p>Die Autoren schliessen aus diesen Ergebnissen, dass es bei der Erstellung von Webseiten zum Thema psychische Gesundheit von Jugendlichen besonders wichtig ist, die Inhalte für Mobiltelefone zu adaptieren. Die Jugendlichen sind sich der unterschiedlichen Qualität von Informationen zur mentalen Gesundheit im Netz bewusst und prüfen Webseiten auch diesbezüglich. Schulen, Gesundheitsservices und Organisationen mit gutem Ruf können eine wichtige Rolle darin spielen, Jugendlichen vertrauenswürdige Quellen zu vermitteln.</p> <h2>Eda, eine App zur Emotionsregulierung</h2> <p>Die Notwendigkeit, die App spezifisch an die Bedürfnisse der jungen Anwender anzupassen, war auch bei der Entwicklung von «Eda» ein zentraler Punkt. Die Spielfigur Eda (zu finden auf www.eda.me.uk) ist ein amorpher Blob, der die Kinder dabei unterstützt, ihre Gefühle zu definieren. Die App wurde am University College London in Kollaboration mit Forschern am Anna Freud National Centre for Children and Families entwickelt. Sie soll Kindern Wissenswertes über mentale Gesundheit beibringen und sie in der Regulation ihrer Emotionen unterstützen. Der Fokus liegt dabei auf evidenzbasierten Methoden der kognitiven Verhaltenstherapie und des Achtsamkeitstrainings.<br /> Bei der Entwicklung der App wurde unter anderem intensiv Feedback von Kindern, Eltern und Lehrern sowie Fachpersonen eingeholt. Dabei kristallisierten sich einige wichtige Eigenschaften heraus, die eine App für die mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen haben sollte:</p> <ul> <li>Anwählbarkeit auf verschiedenen Endgeräten, offline, frei von Werbung und In-App-Käufen</li> <li>Interaktivität, Updates, Tracking, Spiele und Feedback durch die App</li> <li>Personalisierbare Oberfläche, intuitiv, in Sprache und Stil dem Alter entsprechend</li> <li>Möglichkeit, die eigenen Daten zu kontrollieren</li> <li>Die App sollte neue Fähigkeiten lehren und fördern, Vorschläge machen, Zugang zu einer Community bieten.</li> <li>Modularer Aufbau (z. B. Entspannungsmodule wie Musik, Zeichenprogramme, Achtsamkeitsübungen sowie Spiele)</li> <li>Rein Text-basierte Seiten waren wenig attraktiv und sollten nach Möglichkeit vermieden werden.</li> </ul> <h2>«Power Up» für Eltern</h2> <p>Weltweit leiden bis zu 20 % der Kinder und Jugendlichen an einer psychischen Erkrankung. Die Eltern fungieren in einer solchen Situation als Gatekeeper für die mentale Gesundheit ihrer Kinder. Sie behalten den Überblick und vereinbaren Termine, bringen die Kinder zu ihren Terminen und sie führen Gespräche mit Lehrpersonal und Erziehern. Darüber hinaus müssen Eltern viele Entscheidungen mit und für ihre Kinder treffen. Solche Entscheidungen können herausfordern und sind immer wieder Auslöser für Meinungsverschiedenheiten zwischen Eltern, Kindern und Medizinern. «Shared decision making » (SDM) kann helfen, diese Meinungsverschiedenheiten zu reduzieren.<br /> «Power Up for Parents» soll Eltern im SDM-Prozess unterstützen. «Power Up for Parents» ist eine mobile App, die es den Eltern und Erziehungsberechtigten ermöglicht, sich mehr und gezielt in den Prozess des SDM im Rahmen der psychischen Gesundheit ihrer Kinder einzubringen. Der Rekrutierungsprozess für die Testphase von «Power Up» wurde im Oktober 2019 beendet. Aktuell werden Daten für die Auswertung gesammelt.</p> <h2>Wie man «Mental health»- Technologien verbessern kann</h2> <p>Mentale Probleme unter Jugendlichen nehmen zu, vor allem Anxiety, Depression und Suizidialität. Der effizienteste Weg, dem auf Populationsebene entgegenzuwirken, sind Programme zur mentalen Gesundheit. Neue Technologien sind besonders geeignet, diese Programme unter den Jugendlichen zu verbreiten. Obwohl es eine Vielzahl von Apps und Programmen gibt und Jugendliche prinzipiell Technologie-affin sind, werden Apps im Bereich der mentalen Gesundheit von Jugendlichen nicht ausreichend genutzt. In einer dreistufigen Studie von Michel et al. 2019 wurde dieses Problem mittels verschiedener Ansätze untersucht.<br /> Literaturrecherchen und Workshops identifizierten vier wesentliche Kriterien für Apps zur Unterstützung der psychischen Gesundheit: Sie sollten nicht nur auf Text, sondern vor allem auf visuellen Medien basieren, interaktiv sein, eine multimodale Interaktion ermöglichen sowie die Option zu personalisierten Einstellungen bieten. Im Gegensatz dazu standen 39 untersuchte, bereits am Markt erhältliche Apps: Sie waren textbasiert, statisch, monomodal und nicht personalisierbar. Die Autoren schliessen aus ihrer Analyse, dass eine Diskrepanz zwischen verfügbaren Technologien und den Medienpräferenzen der Jugendlichen besteht. Zukünftige Technologien müssen daher visueller, interaktiver, multimodaler und anpassungsfähiger programmiert werden. Denn wenn solche Technologien zur Prävention von psychischen Problemen und zur Förderung der mentalen Gesundheit eingesetzt werden sollen, müssen sie auf demselben Niveau für Jugendliche attraktiv sein wie Apps, die ausschliesslich zu Unterhaltungszwecken genutzt werden.<br /> Dass dies nicht unmöglich ist, beweisen sogenannte «Fun Games», die sich auf verschiedene Arten mit Problemen der mentalen Gesundheit auseinandersetzen, wie beispielsweise «Edna bricht aus», «Undertale », «Hellblade», «Night in the Woods». Sie wurden von Einzelpersonen oder kleinen Teams mit begrenztem Budget entwickelt, sind trotzdem finanziell erfolgreich, werden von Hunderttausenden jungen Leuten gespielt und von Kritikern gelobt. Würde es solche Spiele auch für die Wissenschaft geben, könnten daraus wertvolle Erkenntnisse gewonnen werden.</p> <p><br />Weiterführende Informationen zu den Projekten:<br /> <a href="http://www.team-itn.eu" target="_blank">www.team-itn.eu</a></p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: 18<sup>th</sup> International Congress of ESCAP, 30. Juni bis 2. Juli
2019, Wien
</p>
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