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Highlights vom EPA-Kongress 2019

Neue Assessments und Therapieoptionen für Schizophrenie und Depression

<p class="article-intro">Mehr als 4000 Teilnehmer aus über 100 Nationen kamen in Warschau zusammen, um sich beim 27. European Congress of Psychiatry über die neuesten Ergebnisse aus der neuropsychiatrischen Forschung auszutauschen.</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>Tools zur Erhebung von Negativsymptomen der Schizophrenie</h2> <p>Die amtierende EPA-Pr&auml;sidentin Silvana Galderisi gab zu bedenken, dass die Erfassung von prim&auml;ren und sekund&auml;ren Negativsymptomen und deren klare Unterscheidung in der klinischen Routine noch immer eine Herausforderung darstellen, aber sowohl f&uuml;r die Behandlung als auch f&uuml;r die Erforschung pathophysiologischer Mechanismen und therapeutischer Ans&auml;tze wichtige Auswirkungen haben. Prim&auml;re Negativsymptome treten oftmals lange vor der ersten psychotischen Episode auf und k&ouml;nnen zwischen Episoden mit psychotischen Exazerbationen persistieren. Sie werden durch die derzeit verf&uuml;gbaren Behandlungen nicht wesentlich verbessert, und bisher hat kein Medikament eine Zulassung f&uuml;r die Behandlung von Negativsymptomen. Sekund&auml;re Negativsymptome sind Folgen anderer Krankheitssymptome (depressive Symptome, Positivsymptome) oder -faktoren (Antipsychotika, hypostimulierende Umgebung).<sup>1</sup> Aktuelle Daten von Strauss et al. zeigen dass die &laquo;Brief Negative Symptoms Scale&raquo; (BNSS), welche die Negativsymptome in 5 Bereiche (Anhedonie, Avolition, sozialer R&uuml;ckzug, ged&auml;mpfter Affekt, Alogie) unterteilt, sie am besten erfasst. Die BNSS basiert auf dem 2005 f&uuml;r die Negativsymptome entwickelten Konsensus des National Institute of Mental Health (NIMH), ist jedoch wie die meisten Skalen zur Erhebung der Negativsymptome eine Fremdbeurteilung. Die Selbsteinsch&auml;tzung kann eine zus&auml;tzliche Messung bieten und den Patienten besser in die Behandlung einbinden. Die Selbsteinsch&auml;tzung ist wichtig, da sie die Analyse der eigenen Symptome erfordert und die Patienten somit ein Krankheitskonzept entwickeln k&ouml;nnen. Dar&uuml;ber hinaus ist die Selbsteinsch&auml;tzung eine zeiteffiziente Methode zur Quantifizierung der Negativsymptome.</p> <p><strong>Fazit</strong><br /> Die von Sonia Dollfus<sup>2</sup> entwickelte und in mehreren Studien validierte Selbst-Rating- Skala &laquo;Self-assessment of Negative Symptoms&raquo; (SNS) erfasst entsprechend dem NIMH-Konsensus 5 Bereiche der Negativsymptome (Anhedonie, Avolition, sozialer R&uuml;ckzug, ged&auml;mpfter Affekt, Alogie). Cut-off &ge; 7/40 Punkte (Sensitivit&auml;t 92,7 % ; Spezifit&auml;t 85,9 % ). Dauer 5 Minuten, 20 Items mit jeweils 3 Antwortm&ouml;glichkeiten (stimme voll zu: 2 Punkte, stimme teilweise zu: 1 Punkt, stimme nicht zu: 0 Punkte). Eine deutschsprachige Version existiert und kann per E-Mail angefordert werden (dollfus-s@chu-caen.fr).</p> <h2>K&ouml;rperliche Aktivit&auml;t als First-Line- Therapie der Major Depressive Disorder (MDD)</h2> <p>F&uuml;r Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen ist es oft schwierig, ausreichend k&ouml;rperlicher Aktivit&auml;t nachzugehen, der Stellenwert dieser therapeutischen Intervention steigt jedoch. In Schweden beispielsweise wird betreute k&ouml;rperliche Aktivit&auml;t bereits von psychiatrischen Kollegen verordnet. In einem Meta-Review von Brendon Stubbs et al. wurde der Effekt von k&ouml;rperlicher Aktivit&auml;t auf psychiatrische Erkrankungen untersucht.<sup>3</sup> F&uuml;r MDD deuteten Daten darauf hin, dass k&ouml;rperliche Aktivit&auml;t depressive Symptome verbessert. Die erzielte Wirkung ist mit der von Antidepressiva und Psychotherapie vergleichbar, unerw&uuml;nschte Ereignisse wurden nicht h&auml;ufiger als in der Kontrollgruppe berichtet. Bei MDD-Patienten wurden gr&ouml;ssere Effektst&auml;rken beobachtet, wenn die k&ouml;rperliche Aktivit&auml;t mit m&auml;ssiger bis starker Intensit&auml;t ausge&uuml;bt und von einem geschulten Trainer in der Gruppe betreut wurde. Bei Erkrankungen des Schizophrenie- Spektrums kann aerobe k&ouml;rperliche Aktivit&auml;t f&uuml;r 150 Minuten/Woche die Symptome reduzieren, die Kognition und die kardiorespiratorische Fitness verbessern. Eine weitere Metaanalyse untersuchte den Effekt k&ouml;rperlicher Aktivit&auml;t auf die Inzidenz der MDD. Es wurden prospektive Kohortenstudien inkludiert und von Felipe Schuch et al. ausgewertet.<sup>4</sup> Auch hier konnte k&ouml;rperliche Aktivit&auml;t unabh&auml;ngig von Alter und geografischer Region als protektiver Faktor f&uuml;r die Entstehung von MDD best&auml;tigt werden.</p> <p><strong>Fazit</strong><br /> Empfohlen wird betreute aerobe/ anaerobe k&ouml;rperliche Aktivit&auml;t bestehend aus 2&ndash;3 Sitzungen/Woche zu jeweils 45&ndash;60 Minuten, als zus&auml;tzliche Behandlung bei milder/moderater Depression (Evidenzklasse A). Protektiv wirken 1&ndash;2 Stunden k&ouml;rperliche Aktivit&auml;t in der Woche.</p> <h2>Game Changer Ketamin &ndash; der schnelle Weg aus der Depression?</h2> <p>Die therapieresistente Depression (TRD) (definiert als fehlendes Ansprechen auf die Standarddosis von zwei unterschiedlich wirkenden Antidepressiva nach einer Behandlungsdauer von sechs bis acht Wochen) stellt eine grosse Herausforderung f&uuml;r den behandelnden Arzt und das Gesundheitssystem dar. Etwa 30&ndash;40 % der Patienten mit MDD sprechen auf die Behandlung mit Antidepressiva nicht an.<sup>5</sup> Andere hochpotente Therapieoptionen wie die Elektrokonvulsionstherapie (EKT) werden nur an spezialisierten Zentren durchgef&uuml;hrt und sind dadurch limitiert. Zu den weiteren Problematiken z&auml;hlen ein verz&ouml;gerter Wirkungseintritt der bisher verwendeten Antidepressiva, eine erh&ouml;hte Suizidalit&auml;t, insbesondere in der Jugend, und hohe Rezidivraten nach dem Absetzen. Ketamin und sein Enantiomer S-Ketamin sind vielversprechende Kandidaten, um eine schnell einsetzende antidepressive Wirkung zu erzielen. Die Hauptwirkung von Ketamin besteht als Antagonist am Glutamat- N-Methyl-D-Aspartat(NMDA)-Rezeptor, wobei der antidepressive Wirkmechanismus wesentlich komplexer scheint. Das Enantiomer S-Ketamin zeigt in vitro eine etwa vierfach h&ouml;here Affinit&auml;t f&uuml;r den Glutamat-NMDA-Rezeptor als R-Ketamin. Bisher erfolgte die Therapie off-label mit Ketamin 0,5&ndash;1 mg/kg KG intraven&ouml;s, basierend auf robusten Daten zu kurzfristiger signifikanter antidepressiver und antisuizidaler Wirkung. Die Ansprechrate lag bereits 4,5 Stunden nach Verabreichung der ersten Einzeldosis bei &uuml;ber 60 % , die anhaltende Wirkung nach 24 Stunden und nach 7 Tagen lag &uuml;ber 40 % .6 Diese Wirkung konnte bei regelm&auml;ssigen Einzeldosen (2&ndash;3 x/Woche) &uuml;ber mehrere Wochen wiederholt erzielt werden.6 In der 2018 ver&ouml;ffentlichten Phase-III-Studie von Janssen wurde die antidepressive Wirkung f&uuml;r die intranasale Anwendung bei TRD erneut best&auml;tigt. In der internationalen doppelblinden randomisiert-kontrollierten Multicenterstudie mit 346 TRD-Teilnehmern erfolgte die Behandlung mit S-Ketamin (56 mg/84 mg) oder Placebo plus einem neu begonnenen oralen Antidepressivum in Standarddosis. Das Assessment mit der Montgomery-&Aring;sberg Depression Rating Scale (MADRS) wurde ab Tag 1 (vor Randomisierung) bis zum Ende der vierw&ouml;chigen Induktionsphase durchgef&uuml;hrt. Wie in den anderen Phase-II- und -III-Studien beobachtet, lagen die Ansprechraten (MADRS &ge; 50 % Symptomreduktion) und die Remissionsraten (MADRS-Gesamtwert &le; 12) am Tag 28 f&uuml;r beide Gruppen mit S-Ketamin plus oraler Antidepressiva h&ouml;her als f&uuml;r die Gruppe mit oralen Antidepressiva plus Placebo (Tab. 1).<br /> In einem kritischen Review von Molero P et al. wurde besonderes Augenmerk auf die Vertr&auml;glichkeit gelegt. Es ist vor allem mit einer vor&uuml;bergehenden Erh&ouml;hung des Blutdrucks sowie passager auftretenden leichten dissoziativen und psychotomimetischen Effekten zu rechnen.<sup>6</sup> Bedenken bestehen nach wie vor in Bezug auf die Langzeitsicherheit von Ketamin und S-Ketamin, insbesondere hinsichtlich neurologischer und urologischer Toxizit&auml;t sowie einer m&ouml;glichen Suchtentwicklung. Intranasales S-Ketamin hat im Vergleich zur intraven&ouml;sen Anwendung insgesamt eine vergleichbare antidepressive Wirkung bei besserem Vertr&auml;glichkeitsprofil.<sup>6</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Neuro_1902_Weblinks_lo_neuro_1902_s29_tab1_carlberg.jpg" alt="" width="550" height="159" /></p></p> <p class="article-quelle">Quelle: 27<sup>th</sup> European Congress of Psychiatry, 6.–9. April 2019, Warschau </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Strauss GP et al.: Network analysis reveals the latent structure of negative symptoms in schizophrenia. Schizophr Bull 2018; doi: 10.1093/schbul/sby133. [Epub ahead of print] <strong>2</strong> Dollfus S et al.: Self-evaluation of negative symptoms: a novel tool to assess negative symptoms. Schizophr Bull 2016; 42(3): 571-8 <strong>3</strong> Stubbs B et al.: EPA guidance on physical activity as a treatment for severe mental illness: a meta-review of the evidence and Position Statement from the European Psychiatric Association (EPA), supported by the International Organization of Physical Therapists in Mental Health (IOPTMH). Eur Psychiatry 2018; 54: 124-44 <strong>4</strong> Schuch et al.: Physical activity and incident depression: a meta-analysis of prospective cohort studies. Am J Psychiatry 2018; 175(7): 631-48 <strong>5</strong> Ionescu DF, Papakostas GI: Experimental medication treatment approaches for depression. Transl Psychiatry 2017; 7(3): e1068 <strong>6</strong> Molero P et al.: Antidepressant efficacy and tolerability of ketamine and esketamine: a critical review. CNS Drugs 2018; 32(5): 411-20</p> </div> </p>
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