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Paranoia

Mit dem Computer den Wahn bekämpfen

<p class="article-intro">In der virtuellen Realität lassen sich paranoide Gedanken lindern. Gerade bei computeraffinen Patienten ist diese Art der Therapie eine sinnvolle Ergänzung.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Sie sind überzeugt, der Geheimdienst sei hinter ihnen her. Sie haben grosse Angst, in ein Café zu gehen oder Tram zu fahren &ndash; schliesslich will einem ja jeder etwas B&ouml;ses. Paranoide Gedanken sind typisch für Patienten mit Schizophrenie. &laquo;Die Patienten leiden enorm&raquo;, sagt Prof. Gregor Hasler, Leiter der Abteilung Psychiatrie an der Universit&auml;t Freiburg. &laquo;Das st&auml;ndige Gefühl, die Mitmenschen seien feindselig gesinnt, ist schwer zu ertragen. Hinzu kommt, dass keiner die &Auml;ngste teilt &ndash; das l&ouml;st oft Wut oder Scham aus.&raquo; Ein Besuch im Caf&eacute; oder eine Fahrt mit dem Bus sind f&uuml;r viele unm&ouml;glich. Die Betroffenen gehen kaum noch unter Leute, haben keinen Partner und verlieren ihren Job.<br />Als Standard der Behandlung wird eine kognitive Verhaltenstherapie empfohlen. Damit sollen sich die Betroffenen in die angstauslösenden Situationen begeben und etwa im Caf&eacute; etwas bestellen oder beim Bäcker einkaufen. Doch eine solche Konfrontationstherapie wirkt oft nur mässig. Zum einen lässt sich die Reaktion des Umfeldes nicht vorhersagen &ndash; vielleicht reagieren Bedienung oder Verkäuferin unfreundlich, und der Patient fühlt sich in seiner Wahnvorstellung bestätigt. Zum anderen ist der Therapeut auf die Erzählungen des Patienten angewiesen, und im Nachhinein könnte dieser die Situation positiver oder negativer beurteilen. &laquo;Viele haben schlichtweg auch zu grosse Angst, sich hinauszubegeben&raquo;, sagt Prof. Hasler.</p> <h2>Konfrontation am Computer</h2> <p>Besser w&auml;re, die Patienten k&ouml;nnten die Konfrontation in einer virtuellen Umgebung üben, in der der Therapeut die Situation kontrollieren kann. Dass dieses Konzept, das bei Angstst&ouml;rungen bereits erfolgreich eingesetzt wird, auch bei Paranoia funktioniert, zeigten Forscher der Universit&auml;t in Amsterdam.<sup>1</sup> 166 Patienten bekamen eine Standardbehandlung aus Medikamenten und regelmässigen Besuchen beim Therapeuten, aber keine spezifische Psychotherapie. Die Hälfte der Probanden wurde zusätzlich am Computer behandelt. Sie setzten sich eine spezielle Brille auf und waren damit in virtuellen Umgebungen, die ihnen Angst machten, etwa im Caf&eacute;, auf der Strasse, im Bus oder im Supermarkt. Der Therapeut konnte mit der Software bis zu 40 Computerpersonen auftreten und sie neutral oder feindselig reagieren lassen. Er liess sie bestimmte Sätze sagen oder dem Patienten direkt in die Augen schauen, was bei Wahnvorstellungen grosse Angst auslösen kann. W&auml;hrend der Patient in der virtuellen Welt war, berichtete er von seinen misstrauischen Gedanken. Der Therapeut ermutigte ihn, den Augenkontakt mit den Computerpersonen zu halten, mit ihnen zu kommunizieren, statt sich zu entfernen, und half ihm zu verstehen, dass seine argwöhnischen Gedanken nicht begr&uuml;ndet waren. Nach der dreimonatigen Behandlung hatten die in der virtuellen Therapie behandelten Patienten weniger Wahn und Angst. &laquo;Unser Gehirn scheint keinen grossen Unterschied zwischen virtueller Realität und der realen Welt zu machen, wenn es um Situationen geht, die für uns von existenzieller Bedeutung sind&raquo;, sagt Nexhmedin Morina, Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Münster, der seit Jahren &uuml;ber Expositionstherapie in der virtuellen Realit&auml;t forscht. &laquo;Wenn ich in der realen Welt Menschen misstraue, tue ich dies auch bei virtuellen Menschen.&raquo; Morina sieht einige Vorteile der virtuellen Welt: &laquo;Wir k&ouml;nnen die Behandlung besser auf die Patienten zuschneiden und die Computerpersonen zum Beispiel das gleiche sagen lassen wie die inneren Stimmen beim Patienten.&raquo; Den Patienten falle es leichter, sich auf eine virtuelle Exposition einzulassen. &laquo;Man kann die Konfrontation ja jederzeit unterbrechen &raquo;, sagt Morina.<br />Auch der Psychologe Prof. Steffen Moritz vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf macht mit Therapien in der virtuellen Welt gute Erfahrungen. Gemeinsam mit seinem Team hat er ein Computerprogramm mit virtuellen Welten entwickelt. In einer geht der Patient eine Strasse entlang; Moritz berichtet von einer Sitzung. &laquo;Der Patient sieht in der virtuellen Welt Passanten und ist &uuml;berzeugt, dass diese etwas im Schilde f&uuml;hren und feindselig blicken. Sp&auml;ter zeige ich ihm Bilder der Personen und mache ihm klar: Nein, die Personen hatten einen neutralen Gesichtsausdruck. &raquo; Gerade hat Moritz seine Studie abgeschlossen,<sup>2</sup> Ergebnisse sollen in K&uuml;rze ver&ouml;ffentlicht werden. &laquo;Ich darf nat&uuml;rlich noch nicht alles detailliert berichten, aber wir sehen, dass mit der Behandlung in virtueller Realit&auml;t der Verfolgungswahn deutlich weniger wird. Vermutlich liegt das daran, dass wir den Patienten r&uuml;ckmelden, dass ihre Urteile häufig fehlerhaft sind. Wir säen Zweifel an zu sicheren Einschätzungen. &raquo;</p> <h2>Hilft allein das Eintauchen in die virtuelle Realit&auml;t?</h2> <p>Untersucht hat sein Team 80 Patienten mit Schizophrenie. Alle wurden zwei Mal jeweils eine Stunde in der virtuellen Realit&auml;t behandelt und fanden sich in zuf&auml;llig ausgew&auml;hlten Szenen wieder: auf der Strasse, in einer U-Bahn-Station, am Strand oder auf einem Campingplatz (Abb. 1). Nach der Behandlung wurden die Teilnehmer gefragt, was f&uuml;r einen Gesichtsausdruck die Passanten hatten und was f&uuml;r Objekte am Strand oder am Campingplatz lagen. Die Wissenschafter hatten dabei bewusst Objekte entfernt, die man dort erwarten w&uuml;rde, also etwa ein Handtuch oder ein Zelt. Bei der H&auml;lfte der Studienteilnehmer korrigierte oder best&auml;tigte der Therapeut die Wahrnehmung des Patienten, bei den &uuml;brigen nicht. &laquo;Das Problem bei Wahnvorstellungen ist n&auml;mlich, dass die Patienten &uuml;berzeugt sind, ihre Wahrnehmung sei richtig&raquo;, sagt Prof. Moritz. &laquo;Diese &Uuml;berkonfidenz m&ouml;chten wir reduzieren. &raquo; Noch ist nicht klar, wie wichtig die Richtigstellung der Therapeuten ist: In beiden Gruppen liessen die Wahngedanken nach jeder Sitzung immer mehr nach, am Ende sogar auch bei denen ohne Rückmeldung. Hilft also schon das Eintauchen in die virtuelle Realität?<br />Prof. Peter Falkai, Chefpsychiater an der Ludwig-Maximilians-Universit&auml;t in M&uuml;nchen, lobt die bisherigen Studien. &laquo;Wir werden die Behandlung in der virtuellen Realit&auml;t bei einigen Patienten versuchen. Vor allem f&uuml;r junge, computeraffine Patienten w&auml;re das eine gute Option.&raquo;<br />Dennoch: Bisher ist noch nicht klar, welche der virtuellen Welten besser ist und ob sie effektiver sind als klassische Psychotherapie &ndash; dazu gibt es noch nicht gen&uuml;gend Untersuchungen. Auch die Therapie an sich ist noch zu verbessern: In der Amsterdamer Studie verbrachten die Patienten danach nicht mehr Zeit mit anderen Menschen und empfanden immer noch ihr soziales Umfeld als bedrohlich. &laquo;Objekte und Räume lassen sich bereits hervorragend simulieren, aber bei Mimik und Gestik hapert es noch&raquo;, sagt Steffen Moritz. Er w&auml;re aber schon froh, wenn Menschen mit Wahn &uuml;berhaupt die Standardbehandlung bek&auml;men, n&auml;mlich eine kognitive Verhaltenstherapie mit Konfrontation.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Neuro_1903_Weblinks_lo_neuro_1903_s__abb1_witte.jpg" alt="" width="650" height="350" /></p> <h2>Evolution&auml;rer Vorteil durch Paranoia</h2> <p>W&auml;hrend Therapeuten noch &uuml;ber die richtige Strategie diskutieren, suchen Wissenschafter nach der Ursache der Paranoia. Forscher vom University College in London sehen sie als evolution&auml;ren Vorteil, um in der modernen Gesellschaft klarzukommen, und zwar mit der Bedrohung durch Gr&uuml;ppchenbildung.<sup>3</sup> Menschen schliessen sich in Gruppen zusammen, wodurch andere stigmatisiert und ausgegrenzt werden. St&auml;ndig Angst habend, ausgeschlossen zu werden, sp&uuml;ren die Menschen Druck, sich ebenfalls einer Gruppe anzuschliessen und andere entweder als Verb&uuml;ndeten oder als Bedrohung anzusehen. &laquo;F&uuml;hlt man st&auml;ndig diese soziale Bedrohung, kann das durchaus das Risiko erh&ouml;hen, dass man irgendwann Verfolgungsgedanken entwickelt&raquo;, sagt Psychiater Falkai. &laquo;Dazu passt, dass eine Schizophrenie sich meist im jungen Erwachsenenalter entwickelt, zur Zeit der Cliquen- und Gr&uuml;ppchenbildungen.&raquo; So ist es auch typisch, dass sich Verfolgungsgedanken oft auf konkrete Gruppen beziehen, zum Beispiel die Nachbarn oder den amerikanischen Geheimdienst. Die Londoner Forscher beschreiben das, was bei anderen psychischen Problemen als &laquo;psychiatrisches Kontinuum&raquo; bezeichnet wird: &laquo;Wir sehen sämtliche Symptome bei psychischen St&ouml;rungen als normale menschliche Phänomene, also als ein Kontinuum menschlichen Verhaltens&raquo;, sagt Morina. &laquo;Es wird erst dann pathologisch, wenn es am äusseren Rand des Kontinuums liegt und Leiden verursacht und wenn der Verfolgungswahn beispielsweise zu sozialer Isolation und so grosser Angst f&uuml;hrt, dass man nicht mehr rausgeht.&raquo; Jeder Mensch habe irgendwann einmal paranoide Gedanken, best&auml;tigt Psychiater Gregor Hasler. &laquo;Psychologisch hat das den Vorteil, dass alle Probleme von aussen kommen und man selbst das Opfer ist. Es erh&ouml;ht auch das Selbstwertgef&uuml;hl, denn man ist ja wichtig, weil alle einen verfolgen. &raquo; Der Preis daf&uuml;r ist aber hoch: Offene, bereichernde soziale Beziehungen sind nicht mehr m&ouml;glich, wenn man st&auml;ndig davon ausgeht, die anderen w&uuml;rden sich gegen einen verschw&ouml;ren. &laquo;Ein guter Realitätssinn ist langfristig hilfreicher als paranoides Denken&raquo;, sagt Hasler. &laquo;Den kann man auch in der virtuellen Realit&auml;t trainieren.&raquo;</p> <p>Kontaktadresse f&uuml;r das VR-Programm Paradigma: Karsten Grzella, grzella@uke.de</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Pot-Kolder R et al.: Lancet Psychiatry 2018;<strong> 5</strong>: 217-26 2 https://www.drks.de/drks_web/navigate.do?naviga tionId=trial.HTML&amp;TRIAL_ID=DRKS00013947<strong> 3</strong> Raihani NJ et al.: Nature Human Behaviour 2019; 3: 114-21</p> </div> </p>
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