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Das muskuläre Ideal

Körperbild und Diätverhalten

Seit den 1970er-Jahren wird für Männer als auch für Frauen ein zunehmend muskulöser und gleichzeitig schlanker Körper propagiert, der nur durch regelmässigen Sport und bewusste Ernährung erreicht werden kann.1 Neben dem medial propagierten Körperideal tragen vor allem wichtige Bezugspersonen aus dem näheren Umfeld zu dessen Internalisierung bei.

Diese Internalisierung stellt zwar einen Risikofaktor dar, führt aber nicht in jedem Fall gleichermassen zu einer Körperunzufriedenheit. Welche Faktoren genau dabei eine Rolle spielen, ist noch nicht abschliessen geklärt. In extremen Fällen jedoch kann das Streben nach einem muskulösen Körper zu einer Störung führen, die erstmals 1993 von Pope et al. als Muskeldysmorphie beschrieben wurde.2 Betroffene, die an einer Muskeldysmorphie leiden, befürchten, nicht ausreichend muskulös zu sein, und nehmen sich in der Regel als schmächtig wahr.3 Um dieser Befürchtung zu begegnen, praktizieren sie einen Lebensstil, der durch ein rigides Sport- und Diätprogramm gekennzeichnet ist.

Klinisches Erscheinungsbild der Muskeldysmorphie

Klinisch lässt sich die Muskeldysmorphie gut anhand der kognitiven, emotionalen und Verhaltensebene beschreiben: Auf der kognitiven Ebene findet sich eine unablässige gedankliche Beschäftigung mit der Vorstellung, nicht ausreichend muskulös zu sein, die mehrere Stunden am Tag in Anspruch nehmen kann. Auf der emotionalen Ebene dominieren negative Emotionen, die vielfach bei der Konfrontation mit dem eigenen Körper ausgelöst werden. Diese negativen Emotionen führen auf der Verhaltensebene wiederum zu einem Kontroll- und Vermeidungsverhalten. So wird beispielsweise nur noch sehr weite Kleidung getragen, um die Körperform zu verstecken (camouflaging) oder der Körper wird mehrfach täglich in reflektierenden Oberflächen auf Makel hin überprüft (checking). Betroffene weisen einen hohen Leidensdruck auf und sind in ihrer Lebensführung deutlich beeinträchtigt, sodass es mitunter zu beträchtlichen sozialen und funktionellen Einschränkungen kommt.

Ess- und Sportverhalten im Zusam-menhang mit Muskeldysmorphie

Um mögliche Pathologien zu untersuchen, die mit der Verfolgung des muskulären Schönheitsideals assoziiert sind, sollen auch Diät- und Sportverhaltensweisen berücksichtigt werden, die nicht durch die Muskeldysmorphie abgebildet werden. Dies gelingt in der Umsetzung bisher kaum. Ein wesentliches Problem stellt dabei die Konzeption der Muskeldysmorphie dar, die hauptsächlich als Körperbildstörung verstanden wird und gestörtes Essverhalten nur als Komorbidität zulässt. Das gemeinsame Erfassen und Diskutieren von muskelorientiertem Ess- und Sportverhalten würde dabei von einem transdiagnostischen Verständnis, wie wir es von den Essstörungen her kennen, profitieren.4 Hierdurch würden statt der Unterschiede zwischen den Diagnosen deren Gemeinsamkeiten in den Vordergrund rücken, sodass gemeinsame Ursachen und Wirkfaktoren diskutiert werden könnten. Erste Untersuchungen und eine bislang unveröffentliche Studie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich zeigen, dass die Muskeldysmorphie von einer transdiagnostischen Perspektive profitiert und sich dabei das Verständnis für die Symptomatik erweitert.5,6

SGPP-Jahreskongress, 25.–27. August 2021, virtuell

1 Benton C, Karazsia BT: Body Image 2015; 13: 22-7 2 Pope Jr. HG et al.: Comprehensive Psychiatry 1993; 34: 406-9 3 Olivardia R et al.: Am J Psychiatry 2000; 157: 1291-6 4 Fairburn CG et al.: Behav Res Ther 2003; 41: 509-28 5 Murray SB et al.: Body Image 2012; 9: 193-200 6 Murray SB et al.: Int J Eat Disord 2010; 43: 483-91

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