
Intervall-Ausdauertraining in der Behandlung von Personen mit depressiven Störungen
Autor:
Prof. Dr. med. Markus Gerber
Departement für Sport, Bewegung und Gesundheit
Universität Basel
E-Mail: markus.gerber@unibas.ch
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Intervall-Ausdauertraining mit zum Teil hoher Trainingsbelastung hat sich bei gesunden Personen als praktikable und effiziente Alternative zu herkömmlichem kontinuierlichem Ausdauertraining erwiesen. Ob sich diese Trainingsform auch für Personen mit depressiven Störungen eignet, soll in diesem Artikel erörtert werden.
Keypoints
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Kontinuierliches Ausdauertraining wirkt sich bei Personen mit depressiven Störungen positiv auf die Fitness, die kardiovaskuläre Gesundheit sowie das Wohlbefinden aus.
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Zu Intervalltraining existieren erst wenige Studien mit psychiatrischen Populationen.
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Erste Befunde zeigen, dass Intervalltraining auch bei Personen mit depressiven Störungen umsetzbar ist und empfehlenswert erscheint.
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Es ergeben sich ähnliche Effekte auf die Fitness wie bei kontinuierlichem Ausdauertraining, und die Motivation wird nicht beeinträchtigt.
Depressionen gehören weltweit zu den am weitesten verbreiteten psychischen Störungen.1 Neben der Standardbehandlung von depressiven Störungen mittels Psychopharmaka und Psychotherapie2 haben in den letzten Jahren sport- und bewegungstherapeutische Massnahmen stark an Anerkennung gewonnen. Inzwischen sieht auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Sport- und Bewegungstherapie als einen integralen Bestandteil der Standardbehandlung depressiver Störungen.3 Passend dazu sind inzwischen auch internationale Psychiatriegesellschaften dazu übergegangen, Bewegung und Sport als mögliche primäre oder sekundäre Interventionsstrategie zu empfehlen,4 und in der Schweiz gibt es kaum eine psychiatrische Einrichtung ohne sport- und bewegungstherapeutische Angebote.5 Diese Empfehlungen sind als Spiegelbild der empirischen Evidenzlage zu betrachten, die das Potenzial der Sport- und Bewegungstherapie unterstützt.
Insgesamt zeigen die Befunde empirischer Studien, dass mittels Bewegung und Sport bei Personen mit depressiven Störungen die Symptombelastung abgemildert werden kann6,7 und Sport- und Bewegungstherapie zu ähnlichen Effekten führt wie eine psychopharmakologische Behandlung.8 Auch bei Patienten mit behandlungsresistenten Depressionen scheinen sport- und bewegungstherapeutische Behandlungsansätze mit einer erhöhten Remissionsrate verbunden zu sein.9 Hinzu kommt, dass Personen mit depressiven Störungen häufig ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und dementsprechend für einen frühzeitigen Tod aufweisen.10 Diesem Risiko kann mit regelmässiger körperlicher und sportlicher Aktivität entgegengewirkt werden.11
Bisheriger Fokus auf kontinuierlichem Ausdauertraining
Einschränkend gilt es anzufügen, dass die Mehrzahl der vorliegenden Studien auf kontinuierliches Ausdauertraining (mit mittlerer Intensität) abzielte. Über alternative Formen des Ausdauertrainings ist in dieser Zielgruppe bislang wenig bekannt. Dies ist insofern bedauerlich, als Intervalltraining bei Personen ohne psychische Störungen zu vielversprechenden Effekten geführt hat.12,13
Unter dem Begriff Intervalltraining wird in der Fachsprache eine Vielzahl verschiedener Trainingsprotokolle zusammengefasst. Deren gemeinsamer Nenner besteht darin, dass sie innerhalb einer einzelnen Trainingseinheit mehrere Phasen relativ intensiver Belastung beinhalten, die jeweils von einer (mehr oder weniger) langen Erholungsphase unterbrochen werden.12 Im Vergleich zu kontinuierlichem Ausdauertraining fällt der gesamte Energieverbrauch beim Intervalltraining geringer aus (bis zu 10%).13–15 Untersuchungen mit gesunden Populationen16–18 und Gruppen mit erhöhtem Risiko für kardiometabolische Erkrankungen oder Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen19 zeigen jedoch, dass Intervalltraining zu ähnlichen Effekten auf die Fitness und die Gesundheit führt wie moderat intensives kontinuierliches Ausdauertraining.
Ein Vorteil dieser Trainingsform ist, dass die Effekte in wesentlich kürzerer Zeit und mit geringerem (zeitlichem) Trainingsaufwand erreicht werden können.12 Diese Zeiteffizienz ist mitunter ein Grund, weshalb das Interesse der öffentlichen Gesundheitsförderung an dieser Trainingsform in den letzten Jahren stark zugenommen hat.20,21 Als Folge davon haben Forscher damit begonnen, die Wirkungen von Intervalltraining auch bei psychiatrischen Patienten, einschliesslich Personen mit Schizophrenie und depressiven Störungen, zu untersuchen.22,23
Intervalltraining ist nicht gleich Intervalltraining
Ein weiterer Vorteil eines Intervall-Ausdauertrainings ist es, dass es sehr flexibel gestaltet und an die Bedürfnisse einer Person angepasst werden kann. Umgekehrt bedeutet dies aber auch, dass die Trainingsprogramme zum Teil stark voneinander abweichen. Dies erschwert einen Vergleich sowie die Generalisierbarkeit von Studienbefunden.
Variieren können Intervalltrainings im Hinblick auf die Dauer insgesamt, die Anzahl aktiver Trainingsphasen, die Intensität und die Länge der jeweiligen Belastungs- und Erholungsphasen.
Die intensivste Form von Intervalltraining wird in der Fachsprache mit «Sprint- Intervall-Training» (SIT) bezeichnet.24 Während der aktiven Phasen gehen die Teilnehmenden an die Grenzen ihrer Belastbarkeit («all-out»). In Tabelle 1 finden sich zwei Beispiele, wie eine längere24 und eine kürzere Variante25 von Sprint- Intervall-Training aussehen könnten. Beide Varianten haben sich bei gesunden (inaktiven) Personen als wirksam erwiesen.24–27
Eine etwas weniger intensive Form des Intervalltrainings ist in der Fachsprache als «hochintensives Intervall-Training» (HIIT) bekannt.24 Im Gegensatz zu SIT gehen hier die Teilnehmenden nicht ganz an ihre Belastungsgrenzen, sondern trainieren in den aktiven Phasen mit einem Intensitätsniveau von 80–90% der maximalen Herzfrequenz (Anmerkung: Die maximale Herzfrequenz lässt sich beispielsweise mit der Faustregel 220 minus Alter abschätzen). In Tabelle 1 sind wiederum zwei unterschiedliche Varianten von hochintensivem Intervall-Training beschrieben. Die Wirksamkeit dieser Trainingsform ist ebenfalls gut dokumentiert.19,28
Die am wenigsten intensive Form wird in der englischen Fachsprache als «body weight interval training» (BWIT) bezeichnet.29 Hier handelt es sich meistens um ein in Circuit-Form stattfindendes Kraft(Ausdauer-)Training, bei dem die Teilnehmenden während jeder aktiven Phase eine andere Kraftübung durchführen. Ein solches BWIT kann individuell oder in Gruppenform sowie mit oder ohne Zuhilfenahme von Kraftmaschinen durchgeführt werden.29, 30
Mangel an empirischen Erkenntnissen bei psychiatrischen Populationen
Obschon erste Befunde darauf hindeuten, dass Intervalltraining auch bei Personen mit psychischen Störungen positive Effekte hervorrufen kann, ist die Befundlage aktuell noch wenig zufriedenstellend.22,23
Dies hat am Departement für Sport, Bewegung und Gesundheit der Universität Basel Forschende aus verschiedenen Arbeitsbereichen veranlasst, weltweit erstmalig eine randomisierte Kontrollgruppenstudie (RCT) durchzuführen, und zwar mit Personen, die sich wegen «Major Depressive Disorders» (Diagnose F32.1, F32.2, F33.1 oder F33.2) in stationärer Behandlung befinden. Insgesamt konnten knapp 60 Personen (n=59) randomisiert einem Intervalltraining bzw. einem moderat intensiven kontinuierlichen Ausdauertraining zugewiesen werden. Bei beiden Trainingsformen dauerten die einzelnen Trainingseinheiten 30–35 Minuten (inklusive 5 Minuten Aufwärmen und 5 Minuten Cool-down). Das Intervalltraining bestand aus 25 Serien (à 30 Sekunden) hochintensivem Training auf einem Fahrrad-Ergometer (bei 80% der maximalen Sauerstoffaufnahmefähigkeit), gefolgt von jeweils einer 30-sekündigen Erholungsphase. Das kontinuierliche Ausdauertraining fand ebenfalls auf einem Fahrradergometer statt (20 Minuten), und zwar bei 60% der maximalen Sauerstoffaufnahmefähigkeit. Für beide Gruppen dauerte die Intervention 4 Wochen mit 3-wöchentlichen Trainingseinheiten (unter Aufsicht von geschultem Personal).
Zusammenfassend zeigen die Befunde unserer Studie, dass bei beiden Trainingsformen ähnliche Verbesserungen im Hinblick auf die kardiorespiratorische Fitness (VO2max), kardiovaskuläre Gesundheitsmarker (Blutdruck, arterielle Steifheit) sowie die depressive Symptomatik zu beobachten sind (siehe Abb.1).31,32 Einschränkend gilt es anzumerken, dass die beiden Trainings als Zusatz zur gängigen Standardbehandlung durchgeführt wurden. Da im Studiendesign keine Kontrollgruppe ohne Training vorgesehen war, können die Verbesserungen hinsichtlich der Symptomschwere nicht eindeutig auf das Ausdauertraining zurückgeführt werden.
Kritische Stimmen und Gegenargumente
Ungeachtet dieser vielversprechenden Ergebnisse wird von einigen prominenten Wissenschaftlern bzw. Wissenschaftlerinnen bezweifelt, ob sich Intervalltrainings mit hohen Belastungsintensitäten tatsächlich für körperlich weitgehend inaktive Populationen eignen.33,34 Insbesondere argumentieren die Gegner von Intervalltraining, dass die Befürworter lange Zeit ausschliesslich auf physiologische Anpassungsprozesse fokussierten, während die psychologische Seite vernachlässigt wurde. Insbesondere befürchten sie, dass hochintensive Trainingsformen von untrainierten oder inaktiven Personen als zu anstrengend/belastend wahrgenommen werden könnten35 und deshalb zu Gefühlen von Inkompetenz, Versagen und zu einem Verlust an Selbstwirksamkeit beitragen können. Dies wiederum könnte sich ungünstig auf die Motivation und das Bewegungsverhalten der Teilnehmenden auswirken.36 Oftmals wird in diesem Zusammenhang auch auf die «Dual-Mode-Theorie» der körperlichen Aktivität hingewiesen.37,38 Diese geht davon aus, dass Personen mit mehr negativem Affekt auf körperliche Aktivität reagieren, wenn deren Intensität über der sogenannten «anaeroben Schwelle» liegt (und somit der Sauerstoffbedarf nicht mehr ausschliesslich über die aerobe Energieversorgung – ohne Laktatbildung – gewährleistet werden kann). Zudem wird angenommen, dass sich solche negativen affektiven Reaktionen nachteilig auf das zukünftige Bewegungsverhalten auswirken.39,40 Dies wird insbesondere damit begründet, dass nach Überschreitung der anaeroben Schwelle ein Sauerstoffmangel auftritt, Laktat gebildet wird, die Atmung stark ansteigt und freie Nervenenden stimuliert werden, wodurch es zu einer Aktivierung der affektiven Zentren des Gehirns (z.B. der Amygdala) kommt.37
Befürworter von Intervalltraining halten diese Kritik jedoch zu grossen Teilen für ungerechtfertigt.33,41 Insbesondere wird argumentiert, dass Kritiker ausblenden, dass es nicht «das» Intervalltraining gibt, sondern dass unterschiedliche Intervalltrainingsprotokolle unterschiedliche Auswirkungen auf die affektiven Reaktionen der Teilnehmenden haben können. Zweitens geben sie zu bedenken, dass die Erkenntnisse der «Dual-Mode-Theorie» zwar auf der Berücksichtigung von hochintensivem Training basieren, jedoch primär aus hochintensiven kontinuierlichen Belastungsformen abgeleitet wurden. Diese Erkenntnisse (unkritisch) auf intervallbasierte Trainingsformen zu übertragen scheint nicht legitim. Ferner geben auch die vorliegenden empirischen Befunde den Befürwortern von Intervalltraining (zumindest teilweise) recht. So zeigt ein kürzlich erschienenes Review,41 dass sich die affektiven Reaktionen während eines Intervalltrainings nicht wesentlich von denjenigen während eines kontinuierlichen Ausdauertrainings unterscheiden (obschon in einigen wenigen Studien bei Intervalltraining tatsächlich etwas mehr negativer Affekt festgestellt wurde). Umgekehrt zeigt sich, dass die Zufriedenheit sowie die Präferenz der jeweiligen Trainingsform durch die Teilnehmenden in mehreren Studien nach Abschluss einer Intervalltrainingseinheit besser eingeschätzt wurden als bei einem kontinuierlichem Ausdauertraining.20,42
Effekte auf die Motivation bei Personen mit depressiven Störungen
Damit stellt sich die Frage, ob sich diese Befunde auch auf Personen mit depressiven Störungen übertragen lassen. Davon kann jedoch nicht unbedingt ausgegangen werden: Studien zeigen zum Beispiel, dass bei Personen mit depressiven Störungen verschiedene Faktoren, die einen starken Einfluss auf die Steuerung des Bewegungsverhaltens haben (z.B. Absichtsstärke, Selbstwirksamkeit, negative Konsequenzerwartungen, wahrgenommene Barrieren, Planungstiefe), weniger günstig ausgeprägt sind als bei gesunden Kontrollpersonen.43,44 Dies kann als ein wesentlicher Grund betrachtet werden, weshalb Personen mit depressiven Störungen in der Regel weniger körperlich aktiv sind als gesunde Kontrollpersonen.45 Personen mit depressiven Störungen können somit im Hinblick auf ihr Bewegungsverhalten als besonders «vulnerabel» betrachtet werden. Mit anderen Worten stellt bei ihnen der Aufbau eines körperlich aktiven Lebensstils eine besondere Herausforderung dar.46,47 Deshalb ist es wichtig, bei der Umsetzung strukturierter Trainingsprogramme im Rahmen der Standardbehandlung dafür zu sorgen, dass die oben genannten Faktoren durch unangenehme Erfahrungen/Erlebnisse nicht weiter negativ beeinflusst werden.
Vor diesem Hintergrund wollten wir in unserer Untersuchung als weiteres Studienziel herausfinden, ob ein hochintensives Intervalltraining bei Personen mit depressiven Störungen zu negativen Effekten auf ihre Motivation führt bzw. ob die affektiven Reaktionen bei Intervalltraining negativer ausfallen als bei einem kontinuierlichen Ausdauertraining. Dieser Frage gingen wir in unserer Studie mit unterschiedlichen methodischen Zugängen auf den Grund: Erstens wurden die Teilnehmenden darum gebeten, vor und nach Abschluss der Intervention Angaben zu ihrer Motivation für Bewegung und Sport zu machen und subjektiv ihren Fitnesszustand einzuschätzen. Zweitens wurden die Teilnehmenden bei jeder Trainingseinheit vor, während und nach dem Training nach ihrem aktuellen Befinden gefragt. Drittens wurden die Teilnehmenden darum gebeten, vor und nach Ende der Intervention Auskunft über ihr Bewegungsverhalten zu geben.
Die Ergebnisse zeigen, dass die Motivation der Teilnehmenden im Laufe der Studie zugenommen hat.48 Gleiches gilt für die wahrgenommene Fitness, in der insgesamt eine sehr starke Verbesserung beobachtet werden konnte. Interessanterweise fallen diese Verbesserungen von prä zu post Intervention bei beiden Interventionsgruppen gleich stark aus. Im Hinblick auf die affektive Reaktion stellen wir fest, dass sich die Stimmungslage während des Trainings in beiden Interventionsgruppen im Vergleich zum Ausgangsniveau verbessert. Als noch besser schätzen die Teilnehmenden ihre Stimmung jedoch nach Abschluss des Trainings ein.
Auch hier zeigen sich keine Unterschiede zwischen einem Intervall- und einem kontinuierlichen Ausdauertraining. Einzig im Hinblick auf das von den Teilnehmenden eingeschätzte Bewegungsverhalten schnitt das kontinuierliche Ausdauertraining besser ab als das Intervalltraining. Während sich der Anteil der Teilnehmenden mit unzureichendem Aktivitätsniveau (<150 Minuten moderate oder kräftige körperliche Aktivität pro Woche) in der Intervalltrainingsgruppe von 80% auf 52% verringerte, gaben nach Abschluss der Intervention in der Gruppe mit kontinuierlichem Ausdauertraining nur noch 36% an, sich nicht ausreichend zu bewegen (ursprünglich 84%).
Fazit aus der eigenen Studie
Im Fazit ergibt sich, dass weder ein Intervalltraining noch ein kontinuierliches Ausdauertraining negative Effekte auf die Motivation und den Affekt von Personen mit depressiven Störungen hervorrufen. Im Gegenteil: Die Motivation für Bewegung und Sport nahm im Lauf der Studie zu und die Stimmung hellte sich während einzelner Trainingseinheiten deutlich auf. Intervalltraining scheint somit auch bei Personen mit depressiven Störungen empfehlenswert zu sein.
Dies sind insofern «good news», als sich somit die Möglichkeit ergibt, den betroffenen Personen im Rahmen bestehender Therapieangebote Wahloptionen anzubieten und somit ihre Präferenzen (im Hinblick auf die Trainingsform und -intensität) zu berücksichtigen. Wie Studien zur Selbstdeterminationstheorie49 zeigen, wirken sich Möglichkeiten zur Mitbestimmung nicht nur positiv auf das Bewegungsverhalten von Menschen aus,36 sondern sind auch ein wichtiger Prädiktor für das mentale Wohlbefindens.50,51 Angemerkt sei an dieser Stelle, dass sich bei Personen mit depressiven Störungen auch Krafttrainingsformen als ähnlich wirksam erwiesen haben wie Ausdaueraktivitäten.52
Verbesserungen der Fitness wichtig
In einer Sekundäranalyse der Daten unserer RCT-Studie konnten wir des Weiteren nachweisen, dass bei den Trainingsteilnehmenden die depressiven Symptome umso mehr abnahmen, je mehr sich bei ihnen ihre kardiorespiratorische Fitness (VO2max) verbesserte.53 Ein ähnliches Befundmuster ergab sich im Hinblick auf das wahrgenommene psychische Wohlbefinden und Schlafbeschwerden. Ferner zeigte sich, dass auch Veränderungen in der subjektiven Fitnesswahrnehmung mit Veränderungen im psychischen Wohlbefinden assoziiert waren. Insbesondere liess sich beobachten, dass Personen, bei denen sich die Wahrnehmung ihrer Fitness verbesserte, am Ende der Intervention über weniger dysfunktionale schlafbezogene Kognitionen berichteten und sich mental fitter für den Umgang mit Stress fühlten.
Mögliche Praxisempfehlungen
Die Befunde unserer Studie unterstreichen, dass durch verschiedene Formen von Ausdauertraining in kurzer Zeit (4 Wochen) klinisch relevante Verbesserungen der VO2max erzielt werden können und sich somit bei Personen mit depressiven Störungen dem Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen entgegenwirken lässt. Zudem waren die Verbesserungen in der VO2max positiv mit dem Wohlbefinden der Teilnehmenden assoziiert. Auch die psychologischen Effekte des Trainings sollten mitberücksichtigt werden: Kompetenzerfahrungen im Sinne einer verbesserten subjektiven Fitnesseinschätzung können sich positiv auf das mentale Wohlbefinden auswirken und dazu beitragen, dass sich für die Bewegungssteuerung massgebende Faktoren (z.B. Selbstwirksamkeit) verbessern.
Aus praktischer Sicht lässt sich daraus ableiten, dass Trainings durch regelmässige Fitnesstests begleitet werden sollten, um den Patienten Veränderungen hinsichtlich Kraft und Ausdauer vor Augen zu führen. Regelmässige Tests helfen dem Klinikpersonal auch, den Verlauf des Trainings besser zu steuern, an den Trainingszustand der Teilnehmer anzupassen und individuelle Trainingsziele zu formulieren. Eine Verbesserung der kardiorespiratorischen Fitness sowie der Muskelkraft sollte per se als wichtiges Ergebnis sport- und bewegungstherapeutischer Massnahmen gesehen werden. Weitere Untersuchungen sind erforderlich, um herauszufinden, welche Fitnesstests für den Einsatz in psychiatrischen Settings am besten geeignet sind (Thema Kosteneffizienz, Akzeptanz seitens der Patienten) und mit welchen Trainingsprogrammen die Fitness der Teilnehmenden am wirksamsten gesteigert werden kann.
Literatur:
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