© Getty Images/iStockphoto

Interview

„Interessante neue Eigenschaften“

<p class="article-intro">Klappt das wirklich, schwere Depressionen einfach wegzusprühen? Wir haben mit Dr. Christoph Kraus von der MedUni Wien gesprochen, der sich mit dem Wirkstoff Ketamin wissenschaftlich befasst hat.</p> <hr /> <p class="article-content"><p><strong>Ronald Duman nennt Ketamin bei Depressionen &bdquo;a new era in the battle against depression and suicide&ldquo;. Sehen Sie das auch so?</strong><br /> <strong>C. Kraus:</strong> In der Tat bietet Ketamin mehrere interessante und neue Eigenschaften, sowohl in der klinischen Behandlung von Patienten, die nach Medikamenten erster Wahl kein oder nur kaum Therapieansprechen hatten, als auch f&uuml;r die neurobiologische Grundlagenforschung. In der Behandlung hat die rasche, nach mehreren Stunden einsetzende antidepressive Wirkung f&uuml;r diese Patienten wesentliche Vorteile. Au&szlig;erdem wurde nachgewiesen, dass Ketamin gegen Suizidgedanken im Rahmen einer Depression Wirkungen zeigt. F&uuml;r die Grundlagenforschung bieten die neurobiologischen Mechanismen von Ketamin ein neues Bet&auml;tigungsfeld, um die biologischen Grundlagen von schweren Verl&auml;ufen einer Depression zu verstehen.</p> <p><strong>Bei welchen Patienten wenden Sie Ketamin an?</strong><br /> <strong>C. Kraus:</strong> Die bisherige Datenlage zeigt antidepressive Wirksamkeit bei Patienten mit schwerer unipolarer oder bipolarer Depression, die zuvor in derselben depressiven Episode auf mindestens zwei aufeinanderfolgende Antidepressiva in ausreichender Therapiel&auml;nge und Dosierungsh&ouml;he nicht ausreichend angesprochen haben. Die Behandlung muss unter einer strengen Indikationsstellung im Rahmen einer Off-label-Therapie erfolgen und die Patienten m&uuml;ssen &uuml;ber Wirkungen und m&ouml;gliche Nebenwirkungen aufgekl&auml;rt werden. Da f&uuml;r die Indikationsstellung inklusive Suizidanamnese psychiatrisches Vorwissen notwendig ist, ist die Therapie ausschlie&szlig;lich durch Fach&auml;rzte f&uuml;r Psychiatrie vorgesehen &ndash; siehe dazu ein Statement der &Ouml;GBP (https://oegpb.at/2016/09/14/vorsichtsorgfalt- bei-der-ketamin-therapie/).</p> <p><strong>Wie beurteilen Sie das Nebenwirkungsprofil?</strong><br /> <strong>C. Kraus:</strong> Generell ist Ketamin in den suban&auml;sthetischen Dosen, wie sie bei antidepressiver Therapie verwendet werden, gut vertr&auml;glich.<sup>1</sup> W&auml;hrend der Gabe kann es zu Ver&auml;nderungen der Sinneswahrnehmung, &Uuml;belkeit und Anstieg des Blutdrucks kommen. Am Tag der Behandlung sowie an den Tagen danach k&ouml;nnen vermehrte Unruhe und Kopfschmerzen auftreten.</p> <p><strong>Gibt es Erfahrungen zur Langzeitanwendung?</strong><br /> <strong>C. Kraus:</strong> In den l&auml;ngsten kontrollierten Langzeitstudien hat sich eine 10-w&ouml;chige Behandlung mit 2&ndash;3-maliger Gabe pro Woche als effizient antidepressiv und nebenwirkungssicher gezeigt. Ketamin ist, &auml;hnlich wie die Elektrokonvulsionstherapie, eine Intervalltherapie; es gibt keine Evidenz f&uuml;r die antidepressive Wirksamkeit einer Daueranwendung. Vereinzelt sind Blasenentz&uuml;ndungen bei Langzeitanwendungen bekannt. Ein Abh&auml;ngigkeitspotenzial wird diskutiert. Im Tiermodell, sowie bei Patienten mit Abh&auml;ngigkeitserkrankung, die Ketamin missbrauchen, ist au&szlig;erdem bei langen und hohen Dosen Neurotoxizit&auml;t beschrieben worden, sodass Patienten mit gleichzeitiger Alkoholabh&auml;ngigkeit oder anderen Suchterkrankungen (abgesehen von Nikotin) Ketamin als antidepressive Therapie nicht erhalten sollten. Ein etwaiges Abh&auml;ngigkeitspotenzial ist jedenfalls geringer einzusch&auml;tzen als das von Opiaten.</p> <p><strong>Wird der Spray Ihrer Meinung nach genauso gut sein wie eine Infusion?</strong><br /> <strong>C. Kraus:</strong> Die intranasale Anwendung umgeht &ndash; ebenso wie die Infusion &ndash; einen &bdquo;First-Pass-Effekt&ldquo;, wie er bei oraler Aufnahme zu finden w&auml;re. Der Vorteil der intranasalen Anwendung liegt in der geringeren Invasivit&auml;t. In den untersuchten Dosierungen erreicht Ketamin ausreichend hohe Blutkonzentrationen, um antidepressive Wirkungen zu zeigen.</p> <p><strong>Was halten Sie von anderen Ketamin-&auml;hnlichen Substanzen wie Ketamin- Metaboliten oder Stereoisomeren?</strong><br /> <strong>C. Kraus:</strong> Am National Institute of Health in den USA wird zurzeit die Wirkung des Ketaminmetaboliten Hydroxynorketamin untersucht, der in Tierstudien &auml;hnliche Effekte wie Ketamin zeigte, jedoch andere pharmakologische Eigenschaften besitzt. Dies ist ein sehr interessanter Ansatz. Weitere Substanzen, die in das Glutamat-Neurotransmittersystem eingreifen, befinden sich in Phase-III-Studien, was nach 15 Jahren Forschung an neuen Wirkmechanismen eine Art Revolution bedeutet. Stereoisomere, also S-Ketamin und R-Ketamin, haben beide antidepressive Wirkung, weisen jedoch Unterschiede in Metabolismus und Wirksamkeit im Tiermodell auf. Eine FDA-Zulassung ist f&uuml;r intranasales S-Ketamin im Herbst letzten Jahres beantragt worden und in Bearbeitung.</p> <p><br />Lesen sie auch: <a href="https://at.universimed.com/fachthemen/1000001234" target="_blank">Schwere Depressionen wegspr&uuml;hen?</a></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Kraus C et al.: Administration of ketamine for unipolar and bipolar depression. Int J Psychiatry Clin Pract 2017; 21(1): 2-12</p> </div> </p>
Back to top