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„Interessante neue Eigenschaften“
Jatros
30
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09.05.2019
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<p class="article-intro">Klappt das wirklich, schwere Depressionen einfach wegzusprühen? Wir haben mit Dr. Christoph Kraus von der MedUni Wien gesprochen, der sich mit dem Wirkstoff Ketamin wissenschaftlich befasst hat.</p>
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<p class="article-content"><p><strong>Ronald Duman nennt Ketamin bei Depressionen „a new era in the battle against depression and suicide“. Sehen Sie das auch so?</strong><br /> <strong>C. Kraus:</strong> In der Tat bietet Ketamin mehrere interessante und neue Eigenschaften, sowohl in der klinischen Behandlung von Patienten, die nach Medikamenten erster Wahl kein oder nur kaum Therapieansprechen hatten, als auch für die neurobiologische Grundlagenforschung. In der Behandlung hat die rasche, nach mehreren Stunden einsetzende antidepressive Wirkung für diese Patienten wesentliche Vorteile. Außerdem wurde nachgewiesen, dass Ketamin gegen Suizidgedanken im Rahmen einer Depression Wirkungen zeigt. Für die Grundlagenforschung bieten die neurobiologischen Mechanismen von Ketamin ein neues Betätigungsfeld, um die biologischen Grundlagen von schweren Verläufen einer Depression zu verstehen.</p> <p><strong>Bei welchen Patienten wenden Sie Ketamin an?</strong><br /> <strong>C. Kraus:</strong> Die bisherige Datenlage zeigt antidepressive Wirksamkeit bei Patienten mit schwerer unipolarer oder bipolarer Depression, die zuvor in derselben depressiven Episode auf mindestens zwei aufeinanderfolgende Antidepressiva in ausreichender Therapielänge und Dosierungshöhe nicht ausreichend angesprochen haben. Die Behandlung muss unter einer strengen Indikationsstellung im Rahmen einer Off-label-Therapie erfolgen und die Patienten müssen über Wirkungen und mögliche Nebenwirkungen aufgeklärt werden. Da für die Indikationsstellung inklusive Suizidanamnese psychiatrisches Vorwissen notwendig ist, ist die Therapie ausschließlich durch Fachärzte für Psychiatrie vorgesehen – siehe dazu ein Statement der ÖGBP (https://oegpb.at/2016/09/14/vorsichtsorgfalt- bei-der-ketamin-therapie/).</p> <p><strong>Wie beurteilen Sie das Nebenwirkungsprofil?</strong><br /> <strong>C. Kraus:</strong> Generell ist Ketamin in den subanästhetischen Dosen, wie sie bei antidepressiver Therapie verwendet werden, gut verträglich.<sup>1</sup> Während der Gabe kann es zu Veränderungen der Sinneswahrnehmung, Übelkeit und Anstieg des Blutdrucks kommen. Am Tag der Behandlung sowie an den Tagen danach können vermehrte Unruhe und Kopfschmerzen auftreten.</p> <p><strong>Gibt es Erfahrungen zur Langzeitanwendung?</strong><br /> <strong>C. Kraus:</strong> In den längsten kontrollierten Langzeitstudien hat sich eine 10-wöchige Behandlung mit 2–3-maliger Gabe pro Woche als effizient antidepressiv und nebenwirkungssicher gezeigt. Ketamin ist, ähnlich wie die Elektrokonvulsionstherapie, eine Intervalltherapie; es gibt keine Evidenz für die antidepressive Wirksamkeit einer Daueranwendung. Vereinzelt sind Blasenentzündungen bei Langzeitanwendungen bekannt. Ein Abhängigkeitspotenzial wird diskutiert. Im Tiermodell, sowie bei Patienten mit Abhängigkeitserkrankung, die Ketamin missbrauchen, ist außerdem bei langen und hohen Dosen Neurotoxizität beschrieben worden, sodass Patienten mit gleichzeitiger Alkoholabhängigkeit oder anderen Suchterkrankungen (abgesehen von Nikotin) Ketamin als antidepressive Therapie nicht erhalten sollten. Ein etwaiges Abhängigkeitspotenzial ist jedenfalls geringer einzuschätzen als das von Opiaten.</p> <p><strong>Wird der Spray Ihrer Meinung nach genauso gut sein wie eine Infusion?</strong><br /> <strong>C. Kraus:</strong> Die intranasale Anwendung umgeht – ebenso wie die Infusion – einen „First-Pass-Effekt“, wie er bei oraler Aufnahme zu finden wäre. Der Vorteil der intranasalen Anwendung liegt in der geringeren Invasivität. In den untersuchten Dosierungen erreicht Ketamin ausreichend hohe Blutkonzentrationen, um antidepressive Wirkungen zu zeigen.</p> <p><strong>Was halten Sie von anderen Ketamin-ähnlichen Substanzen wie Ketamin- Metaboliten oder Stereoisomeren?</strong><br /> <strong>C. Kraus:</strong> Am National Institute of Health in den USA wird zurzeit die Wirkung des Ketaminmetaboliten Hydroxynorketamin untersucht, der in Tierstudien ähnliche Effekte wie Ketamin zeigte, jedoch andere pharmakologische Eigenschaften besitzt. Dies ist ein sehr interessanter Ansatz. Weitere Substanzen, die in das Glutamat-Neurotransmittersystem eingreifen, befinden sich in Phase-III-Studien, was nach 15 Jahren Forschung an neuen Wirkmechanismen eine Art Revolution bedeutet. Stereoisomere, also S-Ketamin und R-Ketamin, haben beide antidepressive Wirkung, weisen jedoch Unterschiede in Metabolismus und Wirksamkeit im Tiermodell auf. Eine FDA-Zulassung ist für intranasales S-Ketamin im Herbst letzten Jahres beantragt worden und in Bearbeitung.</p> <p><br />Lesen sie auch: <a href="https://at.universimed.com/fachthemen/1000001234" target="_blank">Schwere Depressionen wegsprühen?</a></p></p>
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<p><strong>1</strong> Kraus C et al.: Administration of ketamine for unipolar and bipolar depression. Int J Psychiatry Clin Pract 2017; 21(1): 2-12</p>
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