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SGSPP-Nachrichten Nr. 21/2-2023

Gesundheitssport

Die Schweizerische Gesellschaft für Sportpsychiatrie und -psychotherapie (SGSPP) hat das Ziel, die Sportpsychiatrie und -psychotherapie über die Lebensspanne im Leistungssport und in der Allgemeinbevölkerung in der Schweiz zu fördern. In Leading Opinions Neurologie & Psychiatrie wird regelmässig über die jüngsten Entwicklungen der Sportpsychiatrie und -psychotherapie (in der Schweiz) und ihre Tätigkeitsfelder – im Breiten-, Gesundheits- und Leistungssport – berichtet.

Keypoints

  • Körperliche Aktivität ist bei vielen psychiatrischen Erkrankungen als Add-on-Therapie sinnvoll und empfohlen.

  • Dies gilt insbesondere für Patienten mit Depressionen, Angststörungen und Suchterkrankungen, sowie mit alterstypischen Erkrankungen wie Demenzen oder Altersdepression, und auch für Patienten mit Schlafstörungen allgemein, v.a. aber auch bei psychischen Erkrankungen.

  • Die SGSPP setzt sich für die Entwicklung von Evidenz und schliesslich für den praktischen Einsatz bei Menschen mit solchen Erkrankungen ein.

In dieser Ausgabe bildet der Gesundheitssport den Schwerpunkt, im Speziellen wird auf den Stellenwert von Sport in der Prävention und Behandlung von psychischen Erkrankungen eingegangen. Besonders interessant ist dazu eine sehr spannende, aktuell laufende Studie (PACINPAT-Studie) in der Schweiz.

In mehreren psychiatrischen Kliniken der Schweiz wird PACINPAT («lifestyle physical activity counselling in in-patients with major depressive disorder») derzeit unter Leitung von Prof. Markus Gerber von der Universität Basel durchgeführt. Das Ziel dieser Studie ist, in einem multizentrischen Projekt die Wirksamkeit eines Lifestyle-Bewegungscoachings bei Menschen mit schwerer depressiver Erkrankung zu untersuchen. Die Studie läuft bereits seit mehreren Jahren und wird vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) gefördert,1 auf die ersten Resultate kann man gespannt sein.

Körperliches Training und Sport haben – in wohldosiertem Mass – positive Effekte auf die körperliche und psychische Gesundheit. Körperliches Training und Sport stellen somit ein Element der Prävention und Behandlung dar, das vom Individuum selbst gut angewendet werden kann und in adäquater Intensität weitgehend nebenwirkungsfrei ist. Die von der WHO empfohlene Frequenz und Intensität (regelmässige körperliche Aktivität – mind. 150min/Woche und mind. 3x/Woche – moderates Training) gilt auch für die Anwendung bei psychischen Erkrankungen, wenngleich die Durchführung immer an den individuellen Fall angepasst werden soll.

Initiativen zur Vorbeugung und Behandlung von psychischen Erkrankungen durch den Einsatz von Sport und Bewegung sind daher zu unterstützen und müssen gefördert werden. Im Folgenden wird beispielhaft an mehreren psychiatrischen Erkrankungen die – bisher nachgewiesene – Wirkung von körperlicher Aktivität und Sport dargestellt.

Sucht und Sport

Suchterkrankungen, die zu den häufigsten psychiatrischen Erkrankungen zählen, können durch körperliches Training und sportliche Aktivität positiv beeinflusst werden. So nimmt die Abstinenzrate bei Abhängigkeitserkrankungen zu, wenn regelmässig körperliches Training durchgeführt wird, insbesondere bei Konsum von Nikotin, Alkohol und illegalen Drogen. Zudem kann es bei Patienten mit Abhängigkeit zur Verbesserung von Entzugssymptomen, Angst und depressiven Symptomen kommen.2

Sport kann, wenn er exzessiv betrieben wird, auch selbst Suchtcharakter annehmen und mit einem gesundheitsschädigenden Verhalten verbunden sein (Sportsucht als Verhaltenssucht). Dies kann zu gravierenden Folgen für den Sportler selbst und sein Umfeld führen3 und betrifft nicht nur Leistungssportler, sondern ist auch ein im Breitensport zu beobachtendes Phänomen.

Depression und Sport

Die Wirksamkeit von Sport und körperlichem Training bei Depressionen sowohl in der Prävention wie auch der Behandlung konnte in verschiedenen Studien gezeigt werden.4,5 Aus diesem Grund haben körperliches Training und Sport bereits Einzug in verschiedene Behandlungsleitlinien der Depression genommen und werden als Add-on-Therapie zur Pharmako- und Psychotherapie empfohlen.6 Neben der direkten positiven Wirkung von körperlicher Aktivität und Sport auf die Stimmung spielen gerade bei Patienten mit Depression die Zunahme der Tagesaktivität wie auch der Erhalt bzw. die Entwicklung einer Tagesstruktur mit einer Verbesserung des Tag-Nacht-Rhythmus durch die körperliche Aktivität eine Rolle für den Behandlungserfolg. Körperliche Aktivität als Teil des antidepressiven Behandlungspakets ist in jedem Fall zu empfehlen. Es sei denn, es liegen Kontraindikationen vor. Dies können Begleiterkrankungen sein, die keine körperliche Aktivierung zulassen oder dadurch verschlechtert werden.

Schlaf und Sport

Schlafstörungen sind in der Bevölkerung weit verbreitet, sie können als Folge einer anderen Erkrankung auftreten, sowohl einer psychischen wie auch körperlichen Erkrankung. Langfristig bestehende Schlafstörungen können unbehandelt zu psychischen und körperlichen Störungen und Erkrankungen führen, daher ist eine schnelle und konsequente Behandlung notwendig. Hier sind primär nicht medikamentöse Massnahmen indiziert, wenngleich in der Praxis oft Hypnotika verschrieben werden. Körperliche Aktivität und Sport sind hier eine wirksame und leicht anzuwendende Methode. Es hat sich gezeigt, dass regelmässig durchgeführte körperliche Aktivität (mind. 150min/Woche und mind. 3x/Woche mind. moderates Training) zu einer signifikanten Verbesserung des Schlafs, der Stimmung und der Lebensqualität führt.7 Bei moderatem Training konnten signifikante Verbesserungen des Schlafs mit einer Reduktion der Einschlafzeit um 55% und der Wachzeit um 30% sowie einer Zunahme der Schlafzeit um 18% und der Schlafeffizienz um 13% erzielt werden.8

Alter, Demenz und Sport

Der Alterungsprozess ist eng mit physiologischen Prozessen verbunden, die zu einer erhöhten Anfälligkeit für die Entwicklung körperlicher Erkrankungen und kognitiver Störungen führen. Eine reduzierte körperliche Aktivität kann diese Prozesse beschleunigen und verstärken. Körperliches Training und sportliche Aktivität können diesen Prozessen entgegenwirken und somit zu einem – im Vergleich zum kalendarischen Alter – geringeren biologischen Alter führen.9

Risikofaktoren für die Entwicklung von kognitiven Störungen im Alter, insbesondere Demenzen, sind u.a. Hypertonie, Diabetes mellitus, aber auch mangelnde Bewegung. Durch körperliche und sportliche Aktivität können diese kardiovaskulären und metabolischen Risikofaktoren reduziert werden, und auch das Risiko für das Auftreten kognitiver Störungen wie auch für die Entwicklung und den Verlauf von Demenzen kann gesenkt werden.

Körperliche Aktivität hat daher, wie in mehreren Studien gezeigt bei der Prävention, aber auch der Therapie von Menschen mit Demenzen einen hohen Stellenwert.10 Während bei leichten kognitiven Störungen auch kognitive Funktionen (Gedächtnis, Aufmerksamkeit) verbessert werden konnten, wurde dies bei Patienten mit Demenz bisher nicht klar gezeigt. Erste Studien deuten jedoch an, dass körperliche Aktivität die behavioralen und psychologischen Symptome bei Demenz (BPSD, Verhaltensstörungen, herausforderndes Verhalten) verbessern kann.9

Ausblick

Es gibt bereits zahlreiche Untersuchungen zu vielen psychiatrischen Krankheitsbildern, in denen oft ein Nutzen von körperlicher Aktivität und Sport gezeigt wird. Es braucht aber noch weitere Untersuchungen und Forschungsanstrengungen, um eine sichere Evidenz dafür zu schaffen. Die Schweizer Gesellschaft für Sportpsychiatrie und -psychotherapie setzt sich auch dafür ein.

Gut informiert!

Weitere Informationen und aktuelle Nachrichten zur Schweizerischen Gesellschaft für Sportpsychiatrie und -psychotherapie finden sich auf der SGSPP-Homepage .

1 Gerber M et al.: The impact of lifestyle Physical Activity Counselling in IN-PATients with major depressive disorders on physical activity, cardiorespiratory fitness, depression, and cardiovascular health risk markers: study protocol for a randomized controlled trial. Trials 2019; 20: 367 2 Wang D et al.: Impact of physical exercise on substance use disorders: a meta-analysis. PLoS One 2014; 9: e110728 3 Glick ID et al.: Managing psychiatric issues in elite athletes. J Clin Psychiatry 2012; 73: 640-4 4 Ngamsri T et al.: Sport als Prävention und Therapie psychischer Erkrankungen. ARS MEDICI 2020; 7: 224-8 5 Harvey SB et al.: Exercise and the Prevention of depression: results of the HUNT cohort study. Am J Psychiatry 2018; 175: 28-36 6 Holsboer-Trachsler E et al.: Die Akutbehandlung depressiver Episoden. Schweiz Med Forum 2016; 16: 716-24 7 Kelley GA, Kelley KS: Exercise and sleep: a systematic review of previous meta-analyses. J Evid Based Med 2017; 10: 26-36 8 Passos GS et al.: Effect of acute physical exercise on patients with chronic primary insomnia. J Clin Sleep Med 2010; 6: 270-5 9 Hemmeter UM, Ngamsri T: Physical activity and mental health in the elderly. Praxis 2022; 110: 193-8 10 Ngamsri T et al.: Physical activity and sports in dementia. Sports & Exercise Medicine Switzerland 2019; 31

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