
«Es wäre eine traurige Welt, würde ein Computer den Arzt ersetzen»
Das Interview führte: Dr. Gabriele Senti
Unsere Gesprächspartner:
Dr. med. Mark Ebner
Chefarzt
Zentrum für Erwachsenenpsychiatrie Akut
Clienia Littenheid AG
Dino Zanchelli
Bereichsleiter Pflege/Pädagogik
Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
Clienia Littenheid AG
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Einige Inhalte sind aufgrund rechtlicher Bestimmungen nur für registrierte Nutzer bzw. medizinisches Fachpersonal zugänglich.
Sie sind bereits registriert?
Loggen Sie sich mit Ihrem Universimed-Benutzerkonto ein:
Sie sind noch nicht registriert?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos auf universimed.com und erhalten Sie Zugang zu allen Artikeln, bewerten Sie Inhalte und speichern Sie interessante Beiträge in Ihrem persönlichen Bereich
zum späteren Lesen. Ihre Registrierung ist für alle Unversimed-Portale gültig. (inkl. allgemeineplus.at & med-Diplom.at)
Digitalisierung findet unaufhaltsam statt. Nicht nur in Industrie und Handel – auch das Gesundheitswesen muss sich Digitalisierungsfragen stellen. Wie aber gehen einzelne Kliniken damit um?
Dino Zanchelli und Mark Ebneter gaben uns Einblicke in die digitalen Entwicklungen innerhalb der Clienia-Gruppe. Am Beginn standen Überlegungen von Dino Zanchelli, die Terminkoordination und Kommunikation mit den Patienten effizienter zu gestalten. Eine App basierend auf einem Terminkalender, welche die Eintritts-, Therapie- und Austrittsphase für den Patienten vereinfachen sollte, schwebte ihm vor. Die App wurde geplant, programmiert und mittlerweile ausgebaut. Sie entwickelte sich an einer Klinikgruppe, die dem Thema Digitalisierung hohe Priorität beimisst, zu einem Erfolgsprojekt.
Wie hat das Thema Digitalisierung in Ihre Klinik Eingang gefunden?
M. Ebneter: Bereits 2016 hat unsere Klinikgruppe einen Kadertag unter dem Motto «Clienia in der digitalen Welt» veranstaltet. Dort wurde das Digitalisierungsthema erstmals breit aufgenommen und man hat begonnen, die Offenheit für dieses Thema im Betrieb zu fördern. 2017 wurde dann auf Gruppenleitungsebene ein «Masterplan Digitale Transformation» erarbeitet und der Ausschuss «DigiPsy» gegründet. In diesem Gremium sind, neben dem Verwaltungsratspräsidenten Adrian Ill, Clienia-CEO David Bosshard, Clienia-CIO Peter Steiner, Business Analyst Louis Chopard sowie «myClienia» Projektleiter Tarik Martinovic auch zwei Vertreter des Kerngeschäftes dabei nämlich Dino Zanchelli und ich. Der Ausschuss «DigiPsy» ist ein strategisches Gremium für neue Digitalisierungsentwicklungen im Sinne von innovativen Angeboten. Die Digitalisierung bestehender betrieblicher Prozesse hingegen ist weiter im ICT-Team beheimatet.
Ist die Clienia Privatklinik in Littenheid ein Pionier in Sachen Digitalisierung?
M. Ebneter: Das ist schwer zu sagen. Die meisten Kliniken sind in der einen oder anderen Form auf dem Weg. Ich glaube aber, dass Kliniken in privater Trägerschaft einen gewissen Vorteil haben, weil sie geringere administrative Hürden bewältigen müssen. In einem Kantonsbetrieb sind Entscheidungswege länger und schwieriger. Etwas Neues auszuprobieren kann dort mitunter herausfordernder sein.
Warum widmet sich eine Klinik dem Thema Digitalisierung?
M. Ebneter: Digitalisierung geschieht ja laufend, auch in internen Prozessen. Hier erleben wir Erleichterung und Einsparung von Ressourcen. Die so gewonnene Zeit kann man im persönlichen Kontakt mit dem Patienten einsetzen. Eine durch die Digitalisierung ausgelöste Einsparung von Personal im Kerngeschäft sehe ich eher nicht auf uns zukommen. Es herrscht in der Psychiatrie ein Mangel an Fachkräften. Im Idealfall haben wir dank der Digitalisierung zusätzliche personelle Ressourcen zur Betreuung der Patienten.
D. Zanchelli: Es hat aber auch mit Glaubwürdigkeit zu tun. Als grosse, renommierte Klinikgruppe muss man mit der Zeit gehen. Sich der Digitalisierung zu widmen signalisiert Interesse am neuesten Stand der Dinge. Die Möglichkeit zu haben und auch zu nutzen spricht für eine gewisse Qualität, die man dem Patienten anbieten will.
Sind Ihre Kollegen der Digitalisierung gegenüber besonders aufgeschlossen?
M. Ebneter: Das ist eine gute Frage! Einerseits glaube ich, dass die Clienia- Gruppe doch Fachkräfte anzieht, die eher offen sind für Entwicklung und Innovation. Andererseits haben wir wie auch Kolleginnen und Kollegen in anderen Kliniken einen sehr gedrängten Alltag. Eine Neuerung einzuführen bedeutet nicht automatisch Arbeitserleichterungen. Gerade zu Beginn braucht es zusätzliche Ressourcen. Da merken wir natürlich auch eine gewisse Zurückhaltung der Kollegschaft. Wichtig ist, hier Motivationsarbeit zu leisten, Ziele zu kommunizieren und vor allem genau abzuklären, was Sinn macht. Bei unserem jährlichen Kadertag war die Digitalisierung schon mehrmals ein Thema. Auch dadurch wurden die Mitarbeitenden sensibilisiert.
Wie entwickelt man eine App?
D. Zanchelli: Initial habe ich eine Patientenbefragung durchgeführt, um herauszufinden, was unseren Patientinnen und Patienten bei einem stationären Aufenthalt helfen würde, welche Prozesse man vereinfachen könnte. Ein erster Schritt war dann die klassische Internetrecherche: Wie entsteht eine App? Welche Profis könnten uns unterstützen? Die Bereichsleitung und später die Geschäftsleitung waren meinen Vorschlägen und Konzepten gegenüber von Anfang an sehr offen. Für die Umsetzung der App entschieden wir uns für einen Dienstleister aus St. Gallen, finanziert wurde das Projekt von der Klinik. Nach circa anderthalb Jahren stand der erste Prototyp. Dann kam auch schon der Feldtest.
Wie wurde die App von den Patienten angenommen?
D. Zanchelli: Das Roll-out erfolgte zuerst an der Station Pünt Nord, einer Station für junge Erwachsene, evaluiert wurde erstmals nach 3 bis 6 Monaten. Die Terminkalender-App wurde dort sehr gut angenommen. Ich schätze, 95 Prozent der Patientinnen und Patienten haben sie genutzt.
Und bei den Kollegen?
D. Zanchelli: Bei der ersten Vorstellung der App in der Klinik kamen Bedenken, dass ältere und psychisch beeinträchtigte Patienten nicht in der Lage wären, damit umzugehen. Das Roll-out in der gesamten Klinikgruppe zeigte, dass die App in allen Altersgruppen gut akzeptiert wurde. Frühere Bedenken der Kollegen entpuppten sich als unbegründet.
M. Ebneter: Die App hat sich zu einer Erfolgsgeschichte entwickelt, weil mit diesem Therapieplaner ein lange bestehendes Bedürfnis gedeckt wurde. Bisher hat man immer noch Termine auf kleine Zettelchen geschrieben und dem Patienten mitgegeben. Die App war also ein Gewinn für alle – die Patienten, das Pflegeteam und das medizinische Personal.
Wie ging es dann weiter?
M. Ebneter: In der Medizin lag bisher der Fokus der Digitalisierung eher innerbetrieblich, oder beim Informationsaustausch zwischen Kliniken und externen Fachpersonen. Für die Patienten gibt es relativ wenig, eine Broschüre zum Eintritt vielleicht und einen Austrittsbericht. Da ist noch viel Potenzial, und wir haben beschlossen, die App weiterzuentwickeln. Sie wurde in «myClienia» umbenannt, im Sinne eines Tools, das den Patienten durch den Aufenthalt an unserer Klinik, aber auch während einer ambulanten Behandlung begleitet. Mit m.Doc haben wir einen Anbieter gefunden, der viel von dem, was wir uns für «myClienia» wünschen, bereits im Portfolio hat. Wir werden also «myClienia» so adaptieren, dass m.Doc im Hintergrund läuft. Unsere Patienten können sich dadurch ihre Medikation anzeigen lassen, es wird eine Medikamentenerinnerungsfunktion geben, eine Orientierungshilfe am Areal, Informationen zur Station und mehr.
Welche anderen digitalen Projekte werden oder wurden noch umgesetzt?
M. Ebneter: Neben «myClienia» haben wir eine zweite digitale Schiene auf dem Prinzip der «Blended Therapy» aufgebaut. Dabei wird das Gespräch vor Ort beim Therapeuten durch digitale Module ergänzt. Die Idee ist, dass der Therapeut beispielsweise einem Patienten mit depressivem Zustandsbild in der Therapie anbieten kann, sich über die Plattform daheim selbstständig Informationen zum Thema Depression anzusehen, ein Stimmungstagebuch zu führen oder gewisse Aufgaben zu erledigen. So hat der Patient zwischen den Therapieeinheiten die Möglichkeit, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Wir arbeiten hier mit der Firma Minddistrict, die schon zu vielen Krankheitsbildern Blended-Therapy-Module entwickelt hat. Im Moment sind die beiden Schienen noch getrennt, wir planen jedoch, die digitalen Module ebenfalls über «myClienia» zu spielen.
Welchen Stellenwert hat dieser «Blended Therapy»-Ansatz?
M. Ebneter: «Blended Therapy»-Ansätze sind sehr gut untersucht und zeigen eine gute Wirksamkeit. Vorteil ist, dass der Patient dabei autonomer ist und sich Aufgaben selber einteilen kann.
D. Zanchelli: Trotz allem: Virtuelle Angebote sind als Bereicherung der konventionellen Therapieoptionen zu verstehen, aber keinesfalls als Ersatz für das persönliche Gespräch zwischen Therapeut und Patient. Es ist eine Möglichkeit, dem Patienten eine vollumfängliche Therapie zukommen zu lassen.
Digitale Transformation – wo geht hier die Reise für die Medizin hin?
M. Ebneter: Spricht man von digitaler Transformation, geht es ja auch immer um disruptive Entwicklungen. Fremde Anbieter dringen in den Markt ein und krempeln eine Branche völlig um. Tesla in der Autoindustrie ist so ein Beispiel. Ich hoffe natürlich, dass das in der Psychiatrie nicht passieren wird, dass beispielsweise Google uns plötzlich mit einem virtuellen Therapeuten Konkurrenz macht. Es ist für mich nicht vorstellbar, dass man das Menschliche in der Medizin ersetzen kann. Andererseits dachte vor 15 Jahren auch noch niemand, dass Autos einmal autonom fahren werden.
Sie denken also, eines Tages werden Computer Ärzte oder Therapeuten ersetzen?
M. Ebneter: Es gibt bestimmte Bereiche, im diagnostischen Bereich der Radiologie beispielsweise, da sind digitale Programme bereits dem erfahrenen Mediziner überlegen. In bestimmten Bereichen kann das also durchaus der Fall sein. In der Psychiatrie, wo es ja um das Zwischenmenschliche geht, hoffe und denke ich, dass man den persönlichen Kontakt nicht wird ersetzen können. Das wäre eine traurige Welt, wenn das Menschliche in der Psychiatrie keinen Platz mehr hätte.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Unsere Gesprächspartner:
Dr. med. Mark Ebner
Chefarzt
Zentrum für Erwachsenenpsychiatrie Akut
Clienia Littenheid AG
Dino Zanchelli
Bereichsleiter Pflege/Pädagogik
Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
Clienia Littenheid AG
Das könnte Sie auch interessieren:
Psychotherapie der chronischen insomnischen Störung: Stand der Forschung und aktuelle Entwicklungen
Die chronische insomnische Störung ist durch Beschwerden zu gestörtem Schlaf und eine damit verbundene reduzierte Leistungsfähigkeit charakterisiert. Die kognitive Verhaltenstherapie der ...
Machine Learning zur Verbesserung der Versorgung ausländischer Patient:innen
Die zunehmende Diversität aufgrund von Migration bringt spezifische Herausforderungen hinsichtlich Kommunikation, kultureller Deutung von Symptomen sowie institutioneller Strukturen mit ...
Selbsthilfe als Ergänzung zur psychiatrischen Versorgung
Gesundheitsbezogene Selbsthilfe stellt ein komplementäres Versorgungsangebot entlang der Gesundheitspfade dar. Daher sollten Fachkräfte anhand von Behandlungsempfehlungen beurteilen, ob ...