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«Erhöhung der Mindestfranchise ist unverantwortlich»

Gesundheitsökonom Heinz Locher erklärt im Interview die Vorteile einer einheitlichen Finanzierung (Efas) und was er von einer Erhöhung der Mindestfranchise hält.

Im schweizerischen Gesundheitswesen sorgen derzeit mehrere Themen für Debatten – eine davon ist die drohende Erhöhung der Krankenkassenprämien. Die SVP möchte nun die Bevölkerung in die Pflicht nehmen und hat eine Erhöhung der Mindestfranchise vorgeschlagen. Was halten Sie davon? Ich halte eine Erhöhung der Mindestfranchise für sozialpolitisch unverantwortlich und gesundheitspolitisch wirkungslos. Die Funktion der Franchise soll sein, Leute abzuhalten, das Medizinsystem unnötig zu beanspruchen. Durch eine Erhöhung der Mindestfranchise würden weiterhin jene benachteiligt werden, die aufgrund sozioökonomischer Nachteile ohnehin schon vom System vernachlässigt werden. Viel klüger wäre es, die Menschen besser zu informieren. Es ist wichtig, Angebote zu schaffen, um die Health Literacy zu verbessern. Auch niederschwellige Informationsangebote, beispielsweise in den Apotheken, könnten Abhilfe schaffen. Das Stichwort hier ist Empowerment – die Bevölkerung muss ermächtigt werden, sich so zu verhalten, wie es für sie selbst und das Gesundheitswesen richtig wäre. Ich halte den Vorschlag der SVP für populistisch und denke, er wird schlussendlich durchfallen.

Wie könnte man den steigenden Prämien der Krankenkassen dennoch entgegenwirken? Welche Entwicklungen erwarten Sie hier? Die Prämien werden meiner Meinung nach weiter um mehr als zwei Prozent pro Jahr steigen. Als Mitglied einer Expert:innenkommission des Bundesrates kann ich sagen, dass die Bereitschaft und der Wille, etwas zu ändern, nicht vorhanden sind. Jede Lobby-Gruppe ist stark genug, die Vorhaben anderer auszubremsen, aber nicht stark genug, eigenes voranzubringen. Es braucht personelle Veränderungen im Parlament, aber selbst, wenn neue Personen kommen, dauert es einige Zeit, bis sie sich durchsetzen können, oder sie schaffen es gar nicht in die richtige Kommission. Im Moment ist das System leider nicht in der Lage, grössere Reformen zu ermöglichen.

Und das, obwohl die Schweiz gerade in einer grossen Spitalfinanzierungskrise steckt und im Herbst über das Reformprojekt Efas abgestimmt wird. Richtig. Efas, also die einheitliche Finanzierung ambulant und stationär, ist derzeit das wichtigste Reformprojekt und könnte einer weiteren Krise, nämlich dem Personalmangel, entgegenwirken. Das Vorhaben ist aber auch sehr umstritten und ich befürchte, es wird schwierig werden, der Bevölkerung bis zur Abstimmung am 24. November die Vorteile von Efas zu erklären.

Und was genau sind die Vorteile? Vereinfacht gesagt sollen die Kantone in Zukunft ein gutes Viertel und die Versicherer knapp drei Viertel der Nettokosten übernehmen – und zwar über alle Bereiche, also ambulant, stationär und im Pflegebereich. Die Finanzierung würde also nicht mehr von der Leistungsart abhängen, so wie es jetzt der Fall ist. Das soll im besten Fall dazu führen, dass mehr Leistungen im – billigeren – ambulanten Bereich durchgeführt werden – und so mehrere Milliarden Franken gespart werden können. Gleichzeitig könnte so dem Personalmangel entgegengewirkt werden, denn die ambulante Leistungserbringung erfordert insgesamt weniger Personal sowie weniger «unattraktive» Dienste und Dienstzeiten. Und: Wenn Versicherte zu Patient:innen werden, wird der Ort ihrer Behandlung durch Efas vermehrt von medizinischen Notwendigkeiten und persönlichen Präferenzen und weniger von Tarifstrategien der Leistungserbringer:innen bestimmt werden. (Das Interview führte Katrin Grabner)

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