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Neue Leitlinie zur Therapie der Multiplen Sklerose

„Ein kleiner Schritt für Neurologen, aber ein großer für die MS-Therapie in Europa“

<p class="article-intro">Anfang 2017 soll eine neue Leitlinie zur Pharmakotherapie der Multiplen Sklerose erscheinen. Auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) in Mannheim kommentierte einer der Hauptautoren, Prof. Dr. med. Ralf Gold aus Bochum, den Entwurf. Die neue Leitlinie breche eine klare Lanze für die Frühtherapie, so der Neurologe. Die neuesten Daten zu Benefits und Sicherheit der einzelnen Medikamente werden zusammengefasst und helfen dem Arzt bei der Therapiewahl. Für den Standard der Therapie in Europa ist die Leitlinie ein großer Schritt.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Die neue Leitlinie zur Pharmakotherapie der Multiplen Sklerose (MS) definiert zum ersten Mal f&uuml;r ganz Europa, wie man bisherige und neue Medikamente einsetzen soll. Auf dem Kongress der DGN in Mannheim kommentierte Prof. Ralf Gold, einer der Hauptautoren und Direktor der Neurologie an der Ruhr-Universit&auml;t Bochum, den Entwurf. &bdquo;Wir wollten eine einheitliche Therapiestrategie f&uuml;r Europa definieren, obwohl wir nat&uuml;rlich wissen, dass manche L&auml;nder sie nicht umsetzen k&ouml;nnen, weil es die Pr&auml;parate dort nicht gibt oder sie zu teuer sind.&ldquo; Herausgegeben haben die Leitlinie das European Committee for Treatment and Research in Multiple Sclerosis (ECTRIMS) und die European Academy of Neurology (EAN). &bdquo;Als sich die beiden Neurologenorganisationen ENS und EFNS vor einigen Jahren zur EAN zusammenschlossen, kam der Gedanke auf, f&uuml;r die wichtigsten Krankheitsbilder Leitlinien herauszugeben&ldquo;, erz&auml;hlt Prof. Heinz Wiendl, Mitautor und Direktor der Klinik f&uuml;r Neurologie an der Uni M&uuml;nster und einer der Leitlinienautoren. Die ECTRIMS habe damals begonnen, Leitlinien nach und nach zu erstellen. &bdquo;Sie ersetzen nicht die nationalen Leitlinien, sondern sind ein notwendiger und politisch gemeinter Versuch, den Standard der Versorgung der wichtigsten Erkrankungen zu vereinheitlichen.&ldquo; <br />Mit den neuen MS-Medikamenten, die es seit einigen Jahren gebe, sei es eine gro&szlig;e Herausforderung, dem einzelnen Patienten zur richtigen Therapie zu raten, sagte Hauptautorin Dr. Susana Otero-Romero von der Universit&auml;t Barcelona auf dem ECTRIMS-Kongress<sup>1</sup> in London, an dem sie den Entwurf vorgestellt hatte. &bdquo;Es werden demn&auml;chst auch neue Pr&auml;parate auf den Markt kommen, deshalb fasst die neue Leitlinie die neuesten Daten zu Benefits und Sicherheit der einzelnen Medikamente zusammen und hilft dem Arzt bei der Wahl.&ldquo;</p> <h2>Europa im Blick</h2> <p>Die Leitlinie richtet sich an Erwachsene mit MS und mit klinisch isoliertem Syndrom (CIS), die nicht die Kriterien f&uuml;r eine MS erf&uuml;llen. Nat&uuml;rlich habe man mit der Leitlinie Europa im Blick, sagte Otero-Romero, aber die Empfehlungen ber&uuml;cksichtigten individuelle Gegebenheiten in den einzelnen L&auml;ndern nicht. Die Leitlinie fokussiert auf krankheitsmodifizierende Medikamente, die aktuell von der EMA zugelassen sind, und gibt keine Empfehlungen f&uuml;r die Therapie von Sch&uuml;ben oder zur Linderung von Symptomen.</p> <p>Die Leitlinien-Arbeitsgruppe &ndash; &Auml;rzte und Vertreter von Patientenorganisationen &ndash; hat sich auf bestimmte Fragen konzentriert:</p> <ol> <li>Wie man CIS-Patienten therapiert</li> <li>Wie man remittierende und progressive MS behandelt</li> <li>Wie man das Ansprechen auf die Therapie &uuml;berwacht</li> <li>Wann man auf ein anderes Medikament umsteigt oder ein Medikament stoppt</li> <li>Wie man in besonderen Situationen therapiert, etwa in der Schwangerschaft</li> </ol> <p>&bdquo;Ehrlich gesagt &auml;ndert sich mit der neuen Leitlinie nichts Wesentliches&ldquo;, sagt Wiendl. Sie sei aber trotzdem wichtig. &bdquo;Es ist wie bei der Europ&auml;ischen Union: Der Konsens z&auml;hlt.&ldquo; Er findet alle Punkte wichtig, denn sie sorgten daf&uuml;r, dass ein Minimalstandard in der Therapie f&uuml;r alle L&auml;nder formuliert und so die Therapie vereinheitlicht werde. &bdquo;Die Immuntherapie wird immer anspruchsvoller und komplexer&ldquo;, sagt er, &bdquo;deshalb ist es immer wichtiger, die Nebenwirkungen zu ber&uuml;cksichtigen &ndash; vor allem weil wir jetzt mehrere wirk&shy;same Medikamente zur Auswahl haben.&ldquo;</p> <h2>Eine Lanze f&uuml;r die Fr&uuml;htherapie</h2> <p>Die neue Leitlinie breche klar eine Lanze f&uuml;r die Fr&uuml;htherapie, kommentierte Gold auf dem DGN in Mannheim. &bdquo;Reichen Basistherapeutika nicht aus, sollte man st&auml;rker wirksame Medikamente einsetzen.&ldquo; Alle krankheitsmodifizierenden Medikamente sollten nur in Zentren verschrieben werden, in denen die Patienten ad&auml;quat monitoriert und umfassend untersucht und unerw&uuml;nschte Wirkungen rasch detektiert und kompetent behandelt werden k&ouml;nnen, berichtete Otero-Romero in London. Patienten mit CIS und einer abnormalen MRT, die nicht die MS-Kriterien erf&uuml;llen, k&ouml;nnen mit Interferon oder Glatirameracetat behandelt werden. Patienten mit schubf&ouml;rmig-remittierender MS sollte man fr&uuml;hzeitig krankheitsmodifizierende Medikamente anbieten. Die Art des Pr&auml;parates w&auml;hlt man in Absprache mit dem Patienten und gem&auml;&szlig; seinen Komorbidit&auml;ten, der Schwere und Aktivit&auml;t seiner MS, potenziellen Nebenwirkungen des Pr&auml;parates und je nach Verf&uuml;gbarkeit. &bdquo;Die Leitlinie gibt aber keine konkreten Empfehlungen f&uuml;r einzelne Pr&auml;parate, denn es gibt ja keine Head-to-Head-Studien&ldquo;, sagte Gold.</p> <p>Der Therapieerfolg wird mittels klinischer Untersuchung und MRT &uuml;berpr&uuml;ft. Die MRT sollte zu Beginn der Behandlung und nach 12 Monaten durchgef&uuml;hrt werden und kann nat&uuml;rlich angepasst werden je nach Art des Pr&auml;parates oder wenn die Krankheit voranschreitet. Spricht ein Patient schlecht auf Interferon oder Glatiramer&shy;acetat an, sollte man ihm ein wirksameres Medikament vorschlagen. Muss man dieses absetzen, entweder weil es auch nicht wirkt oder weil der Patient unter zu vielen Nebenwirkungen leidet, kann man ihm ein weiteres hochwirksames Pr&auml;parat anbieten. Hierbei muss man aber zum einen die Krankheitsaktivit&auml;t ber&uuml;cksichtigen &ndash; je mehr die Krankheit voranschreitet, desto wichtiger ist eine weitere Therapie &ndash;, zum anderen sind auch die Halbwertszeit und die pharmakologische Wirkung des vorherigen Pr&auml;parates zu ber&uuml;cksichtigen und die M&ouml;glichkeit, dass die Krankheit erneut aufflammen kann, was insbesondere bei Natalizumab der Fall ist. Die Arbeitsgruppe habe sich auf erste Empfehlungen geeinigt, so das Fazit von Otero-Romero in London, &bdquo;aber die Arbeit geht weiter&ldquo;.</p> <h2>Ein enormer Fortschritt auf politischer Ebene</h2> <p>L&auml;nder wie Deutschland, in denen seit vielen Jahren eine differenzierte MS-Therapie stattfinde, k&ouml;nnten entt&auml;uscht sein, sagt Wiendl, denn die neue Leitlinie sei l&auml;ngst nicht so detailliert wie die deutsche Version. &bdquo;Wir beantworten nur die wichtigsten Fragen und diese auch nur auf Basis eines Evidenzrahmens, der f&uuml;r alle Beteiligten gleicherma&szlig;en erreicht werden konnte &ndash; also so etwas wie der kleinste gemeinsame Nenner.&ldquo; Bei vielen Punkten entspreche das aber den Empfehlungen, die Neurologen in Deutschland seit einigen Jahren bereits verfolgen. Manche Kritiker sagen, die Leitlinie w&uuml;rde keinen wesentlichen Fortschritt darstellen. &bdquo;Es war aber ein enormer Fortschritt auf politischer Ebene: Allein die Tatsache, dass mehrere europ&auml;ische L&auml;nder sich geeinigt haben, ist ein Erfolg.&ldquo; Abgesehen davon findet Wiendl das pr&auml;zise methodologische Vorgehen vorbildlich. &bdquo;Die Leitlinie hat ein hohes Evidenzniveau und wir sind nach der anspruchsvollen GRADE-Klassifikation vorgegangen. F&uuml;r den behandelnden Neurologen ist sie vielleicht nur ein kleiner Schritt, aber f&uuml;r den Standard der MS-Therapie in Europa ein sehr gro&szlig;er.&ldquo;</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Otero-Romero S et al: ECTRIMS-EAN Clinical Practice Guideline on Pharmacological Management of Multiple Sclerosis. ECTRIMS-EAN MS Treatment Guideline. <br />ECTRIMS Online Library. Sep 16, 2016; 147082</p> </div> </p>
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