
Drogenmärkte im Internet
Kompetenzzentrum Sucht/
Austrian REITOX Focal Point
Gesundheit Österreich GmbH
Wien
E-Mail: ilonka.horvath@goeg.at
Der Drogenhandel im Internet rückt zunehmend in den Blickwinkel medialer Berichterstattung und in den Fokus wissenschaftlicher Forschung. Die Arbeiten des Kompetenzzentrums Sucht an der Gesundheit Österreich GmbH zu diesem Thema beleuchten insbesondere gesundheitsrelevante Aspekte der Prävention und Schadensminimierung im Kontext von Online-Drogenmärkten. Damit präventive und schadensminimierende Interventionen zielgruppenadäquat bleiben, werden sie oftmals direkt an die Strukturen der Online-Drogenmärkte angeknüpft.
Keypoints
- Online-Drogenmärkte gibt es im „visible web“ und im Darknet. Sie sind zusätzliche Bezugsquellen und lösen herkömmliche Drogenmärkte nicht ab. Es ist von einer Verschränkung der Märkte und einer Erhöhung der regionalen Verfügbarkeit von Substanzen auszugehen.
- Kaufentscheidungen basieren auf Empfehlungen von Gleichgesinnten und auf Käufer- und Substanzbeurteilungen in den marktinhärenten Feedbacksystemen.
- Informationen zu Substanzen, Konsumrisiken und Wirkungsweisen werden in einschlägigen Onlineforen geteilt. Erfahrungen zeigen, dass in diesen Foren – unter bestimmten Voraussetzungen – professionelle Risikokommunikation angenommen wird.
Der Drogenhandel spielt bei Darknet-Marktplätzen eine zentrale Rolle
Betrachtet man die Struktur des Internets, so ist auffällig, dass nur vier Prozent aller dort verfügbaren Inhalte über Suchmaschinen zugänglich sind. Dieses sogenannte „visible web“ oder „surface web“ stellt somit die sichtbare Spitze eines Eisbergs dar. Das „deep web“, welches mit 96 % der Inhalte dessen größten Teil ausmacht, besteht aus Seiten mit beschränkten Zugängen, u. a. privaten oder firmeninternen Seiten. Innerhalb dieser nicht öffentlich zugänglichen Struktur befindet sich auch das sogenannte „dark net“, in dem Inhalt und Zugang bewusst verschlüsselt werden (Abb. 1). Online-Drogenmärkte existieren grundsätzlich auf all diesen Internetebenen. Technische Anonymisierungen ermöglichen es Händlerinnen/Händlern und Käuferinnen/Käufern, anonym, ohne Preisgabe ihrer Identität oder ihres Standorts, zu interagieren. Um auch finanzielle Transaktionen anonym zu halten, werden Kryptowährungen (bspw. Bitcoin) verwendet. Darknet-Märkte sind ausschließlich über einen speziellen Browser (z. B. The Onion Router – Tor) zugänglich. Für Online-Drogenmärkte findet in der wissenschaftlichen Literatur oftmals der Begriff Drogen-Kryptomärkte Verwendung.
Laut der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) wird auf zwei Dritteln der vorhandenen Darknet-Marktplätze vorwiegend mit illegalen Drogen bzw. drogenbezogenen Chemikalien gehandelt. Verglichen mit den Schätzungen des jährlichen Handelswerts des gesamten EU-Drogenmarkts, erscheinen die Umsatzzahlen der Darknet- Drogenmärkte derzeit noch relativ gering, es wird ihnen jedoch definitiv ein Wachstumspotenzial zugeschrieben (EMCDDA 2017). Tzanetakis (2018) schätzte in einer Studie das gesamte Umsatzvolumen auf dem damals aktiven Marktplatz Alphabay zwischen September 2015 und August 2016 auf ca. 94 Mio. USD.
Online-Drogenmärkte sind schnelllebige, anpassungsfähige und zusätzliche Märkte
Online-Drogenmärkte sind eine relativ neue Möglichkeit des Drogenhandels. Spezifisch ist ihr globaler Charakter, ihre Schnelllebigkeit und Dynamik. Sie unterliegen, auch aufgrund kriminalpolizeilicher Aktivitäten, einem permanenten Wandel, nach Schließungen tauchen rasch neue Marktplätze auf. Studien zeigen, dass Online-Drogenmärkte Konsumierenden eine neben den gängigen Erwerbsarten eher zusätzliche Bezugsquelle bieten (Kamphauser & Werse 2017; Schmutterer 2017). Derzeit kann noch nicht abgeschätzt werden, inwieweit der herkömmliche Handel mit illegalen Substanzen zukünftig vom elektronischen ersetzt werden wird.
Sicherheit und Verfügbarkeit sind zentrale Kaufmotivationen
Studien über die Nutzer/innen der Drogen- Kryptomärkte beschreiben die durchschnittliche Käuferschaft als vorwiegend männlich (zu 80 % ) und im Alter zwischen Anfang und Mitte zwanzig befindlich. Onlinekäufer/ innen erscheinen in Bezug auf Ausbildung bzw. Arbeit sozial integriert und zeichnen sich durch einen Gelegenheits-, Freizeit- oder (teilweise riskanten) Experimentierkonsum und mehr oder weniger Konsumerfahrungen aus. Personen mit problematischem und abhängigem Konsum illegaler Substanzen sind weniger häufig Online-Kundinnen/-kunden. Dies wird auch durch die Tatsache ersichtlich, dass Substanzen wie Heroin und Methamphetamin, die typischerweise mit einem problematischen Drogenkonsum in Verbindung gebracht werden, weniger häufig online gehandelt werden. In dieser Form erworben werden vorwiegend Freizeitund Partydrogen wie Cannabis, Kokain, Ecstasy und ecstasyähnliche Substanzen, psychedelische Substanzen, verschreibungspflichtige Medikamente und neue psychoaktive Substanzen (NPS), die in kleinen oder mittleren Mengen hauptsächlich direkt an die Konsumierenden verkauft werden (EMCDDA 2017, Aldridge 2017, Tzanetakis 2018, Van Hout & Bingham 2014, Barratt et al. 2016).
Die Entscheidung, Drogen im Internet zu bestellen, stützt sich auf unterschiedliche Faktoren, etwa die Verfügbarkeit eines breiten Spektrums an Substanzen, niedrigere Preise und mehr Bestellkomfort. Vertrauen und Reputation werden als wesentliche Elemente des Online-Drogenhandels beschrieben. Marktinhärente Bewertungsund Feedbackschleifen erhöhen das individuelle Sicherheitsgefühl der Kundinnen/ Kunden in puncto Transaktion und Qualität der bestellten Substanzen. Empfehlungen reeller oder virtueller Gleichgesinnter spielen bei Kaufentscheidungen eine Rolle, Angst vor Strafverfolgung wird als Hindernis wahrgenommen. Keine Barriere stellen technische Herausforderungen des verschlüsselten Zugangs dar, auch aufgrund online verfügbarer Anleitungen (Tzanetakis 2018, Schmutterer 2017, Kamphausen & Werse 2017, Aldridge 2017).
Auf der Suche nach gesundheitsbezogenen Ansätzen innerhalb der Marktplatz-Strukturen
Um jene Herausforderungen bewältigen zu können, die sich aus den Merkmalen der Drogen-Kryptomärkte ergeben, verweisen Expertinnen/Experten auf einen zwischen Strafverfolgung und gesundheitsbezogenen Interventionen ausgewogenen Ansatz. Diese Schlussfolgerung wurde auch 2016 bei einem eigens von der Europäischen Kommission organisierten Internet and Drugs Expert Meeting gezogen. Aus gesundheitspolitischer Sicht resultiert daraus die Notwendigkeit, Angebote der Prävention und Schadensminimierung zu entwickeln, die an den vorhandenen Strukturen der Drogen-Kryptomärkte ansetzen. Hierfür erscheint es notwendig, zwei Erkenntnisstränge aus vorliegenden Studien zu berücksichtigen:
Zum einen scheint sich in den klassischen Online-Drogenkäufergruppen eine für die traditionelle Suchtprävention und Suchthilfe schwer erreichbare Zielgruppe zu verbergen: junge und sozial integrierte Menschen ohne manifesten problematischen Substanzkonsum, die in der Anonymität der Kryptomärkte ihr substanzspezifisches Wissen in eigenen Netzwerken und selbstorganisierten Peer-Communitys teilen und erweitern. Nicht zu unterschätzen sind in diesem Zusammenhang Aspekte der reellen sozialen Isolierung durch Aufenthalt in virtuellen Realitäten und die Frage der Erreichbarkeit dieser Personengruppen durch existierende Drogenhilfeangebote.
Zum anderen sind Feedbackstrukturen und Onlineforen, denen Ansätze der Prävention und Schadensminimierung inhärent sind, wesentliche Bestandteile dieser virtuellen Welt: Feedbacksysteme auf Drogenmarktplätzen unterscheiden sich nicht von solchen bekannter Verkaufsplattformen wie ebay oder willhaben.at. Mittels Kundenbewertungen ermöglichen sie einen auf der wahrgenommenen Reputation basierenden Überblick über Verkäufer/ innen, über Marktplätze, fußend auf Empfehlungen Gleichgesinnter, und über Substanzen anhand der beschriebenen Qualität. Vor dem Hintergrund der Konsumsicherheit erleichtert diese Information die Auswahl und beeinflusst Kauf- und Konsumentscheidung (Caudevilla et al. 2016, Van der Gouwe et al. 2017). Onlineforen wird eine zentrale Rolle in Bezug auf Informations- und Wissensaustausch unter Konsumierenden zugeschrieben. Wissen betreffend Substanzen, Inhaltsstoffe/Reinheit, (un)erwartete Wirkungen, Dosierungsempfehlungen sowie Informationen zu Wechselwirkungen werden dort aktiv und offen ausgetauscht. Als positiver Nebeneffekt resultiert daraus ein geografisch unabhängig verfügbares Wissen bezüglich Substanzen. Zwar ist dieses Informationssystem unvollkommen und läuft Gefahr, Mythen zu reproduzieren, es bietet den Benutzer/innen dennoch zuverlässigere Informationen, als sie in traditionellen Drogenmärkten verfügbar sind. Vor allem im Kontext der NPS sind Konsumerfahrungen zeitnah in den Foren vorhanden. Onlineforen wie Erowid oder Bluelight (Abb. 2) sind im „surface web“ leicht auffindbar. Foren im Darknet bieten das Spezifikum, dass Verkäufer/innen direkt mit Käuferinnen/Käufern kommunizieren können und zudem Informationen zu Bezugsquellen ausgetauscht werden (Schmutterer 2017, Aldridge et al. 2017, Tzanetakis & Laufenberg 2016, Barratt et al. 2013, Van Hout & Bingham 2013a, 2013b und 2014, Van Hout 2014, Van Hout & Hearne 2015, Bancroft & Reid 2016, Nurmi et al. 2017).
Gesundheitsrelevanten Nutzen aus vorhandenen Onlinestrukturen ziehen
Im Sinne der Prävention und Schadensminimierung zeigen bereits verfügbare Angebote der Suchthilfe, dass niederschwellig ausgerichtete Beratungsangebote zweckmäßig sind, um spezifische Zielgruppen adäquat zu erreichen. Internationale Erfahrungen zeigen, dass diese Ansätze auch in Darknet-Drogenmärkten implementierbar sind.
Professionelle Onlineberatungen wie z. B. jene der Wiener Einrichtung „checkit!“ setzen sich zum Ziel, auf anonymer Basis professionelle Risikokommunikation und Information zu schadensminimierenden Maßnahmen bereitzustellen. Diese Form internetbasierter aufsuchender Intervention ist auch in Darknet-Foren möglich, wie die Erfahrungen eines spanischen Arztes (Dr. X) zeigen, der unter dem Titel „Ask a Drug Expert Physician about Drugs & Health“ Vertrauen zu Forenmoderatorinnen/ moderatoren und Konsumierenden aufbaute, um sein medizinisches Fachwissen direkt in den Foren zur Verfügung stellen zu können. Ziel seiner Intervention war die Risikoreduktion beim Konsum durch überlegte Konsumentscheidungen auf Basis objektiver Substanzinformationen. Vorteile dieser professionellen Onlineaktivität sieht er in der niederschwelligen, kosteneffektiven Risikokommunikation. Nachteile erwachsen aus den beschränkten Kommunikationsmöglichkeiten und potenziellen Verständnisfehlern, die Onlinekommunikationen eignen können (Caudevilla 2018).
Die chemische Analyse von Substanzen, die im Rahmen eines „drug checking“ angeboten wird, bietet Konsumierenden vor dem Konsum eine Identifizierung von Inhaltsstoffen, Reinheit, Dosierung. Mögliche Gesundheitsrisiken können zeitnah kommuniziert werden. Insbesondere im Kontext der NPS ist diese Form der niederschwelligen Risikokommunikation zielführend (Van Buskirk et al. 2016, Pirona et al. 2017). Im Rahmen eines Pilotprojekts der spanischen NGO Energy Control International zur Testung von Substanzen, die auf Kryptomärkten gekauft worden waren, wurde erstmalig Ocfentanil in einer eingeschickten Heroinprobe festgestellt. Über diese Substanz gab es zu diesem Zeitpunkt keine Einträge in einschlägigen Foren. Dies ließ den Schluss zu, dass sie davor nicht am Markt erhältlich war. Die Ergebnisse der chemischen Analyse und der Warnbericht wurden in diversen Foren veröffentlicht. Binnen vier Tagen waren die Dokumente, in fünf verschiedene Sprachen übersetzt, verfügbar, in Darknet-Foren gab es zudem konkrete Hinweise auf zwei spezifische Verkäufer (Quintana et al 2017). Dieses Beispiel zeigt eindrücklich, wie rasant professionelle gesundheitsbezogene Informationen aktiv unten Nutzer/innen der Onlinemärkte verfügbar gemacht werden.
Fazit
Gesundheitsbezogene und schadensminimierende Onlineinterventionen sind sowohl im „surface web“ wie auch im Darknet möglich und zielen darauf ab, angemessene und faktenbasierte Informationen über Substanzen und deren Wirkungsweise zeitnah zur Verfügung zu stellen. Internationale Erfahrungen zeigen, dass unten den Käufer/innen ein Interesse an professionellem Wissen betreffend Substanzen und ihre Wirkungsweisen besteht. Für die Suchthilfe stellt sich die Frage, inwiefern diese Art von Onlineprävention im Rahmen von schadensminimierenden Angeboten systematisch implementiert werden kann.
bei der Verfasserin
Empfohlene weiterführende Literatur zum Thema:
• EMCDDA: Drugs and the darknet: perspectives for enforcement, research and policy. EMCDDA-Europol Joint publications, Publications Office of the European Union, Luxembourg, 2017 • EMCDDA: Health and social responses to drug problems: a European guide. Publications Office of the European Union, Luxembourg, 2017 • EMCDDA: m-health applications for responding to drug use and associated harms. EMCDDA Papers, Publications Office of the European Union, Luxembourg, 2018 • http://www.emcdda. europa.eu/darknet
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