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Perspektive und Ethik der (Sport-)Medizin

Doping im Sport

Leider impliziert die Doping-Diskussion mittlerweile weit mehr als unfaires Wettkampfverhalten einzelner Leistungssportler. Die Expansion des Medikamentenmissbrauches in den Breitensport wird künftig wohl zu einer Thematik von politischer, bioethischer, soziologischer, medizinischer und Public-Health-relevanter Tragweite.

Dabei beziffert sich die geschätzte Doping-Prävalenz im Breitensport-Kollektiv auf rund 8,2–12,5%.1 Über 50% dieser Anwender applizieren sich anabole androgene Steroide und dies in rund 80% der Fälle ausschliesslich zur Optimierung des körperlichen Erscheinungsbildes.2 Hierbei ist zu bedenken, dass sich aufgrund eines positiven Feedback-Mechanismus im Nucleus accumbens (mesolimbisches «Belohnungssystem» im basalen Vorderhirn) bei rund 30% der Konsumenten im Verlauf eine klassische Abhängigkeitssymptomatik entwickelt.3

Abb. 1: Medikamentöser Beikonsum (anekdotische Auswahl) bei Konsum von anabolen androgenen Steroiden

Was Anabolika für Ästhetik-orientierte Kraftsportler so gefährlich macht, ist deren Effektivität und Dosisabhängigkeit. Bereits eine kurzfristige Einnahme über 6–8 Wochenkann zu einem Kraftzuwachs von bis zu 20% und einer Körpergewichtszunahme um 2,5kg führen.4 Durch die Anabolika-bedingte Erhöhung der «fettfreien Körpermasse» und die damit einhergehende Reduktion des Unterhaut-Fettgewebes bedienen sich zunehmend auch Damen derartiger Präparate. Dies, um gewisse Körperpartien zu akzentuieren bzw. im Sinne eines «Tunings» zu definieren. AAS sind grundsätzlich peroral als Tabletten, mittels intramuskulärer Injektionen oder als Pflaster/Creme über die Haut applizierbar. Betrachtet man die herkömmlichen Dosierungen bei Testosteronersatz-Studien (z.B. aufgrund von Testosteronmangel im Alter oder bei Hodenunterfunktion), gelten wöchentliche Mengen von 100mg als sicherer.5 In einer Umfrage unter 500 männlichen Anabolika-Konsumenten gaben allerdings rund 60% (298/500) der Kraftsportler an, sich wöchentlich mindestens 1000mg Testosteron (oder entsprechende Äquivalente) zu verabreichen.6 Aus medizinischer Sicht ist jedoch nicht nur der Anabolika-Konsum selbst kritisch, sondern auch der damit assoziierte Beikonsum von anderweitigen Substanzen/Medikamenten im Sinne einer «Trainingsoptimierung» sowie «Nebenwirkungskontrolle». Konsekutiv repräsentieren die AAS oft nur die Spitze des Eisberges und lösen nicht selten eine ganze Kaskade von Folgemedikationen aus, welche die Sportler häufig in Eigenregie verwalten (vgl. Abb.1).

Im Leistungssport gibt es seit Begründung der Weltantidoping-Agentur im Jahr 1999 international anerkannte Richtlinien, wie mit Doping im Spitzensport umgegangen werden soll. Die Basis dieser Antidoping-Politik wird dabei durch eine «Verbotsliste» repräsentiert, welche Substanzen und Methoden definiert, deren Anwendung dem Athleten inner- und ausserhalb des Wettkampfes untersagt ist. Die Gründe für den Medikamentenkonsum im Breiten-/Kraftsport sind jedoch multifaktoriell und tangieren Bereiche wie Entwicklungspsychologie, Soziologie und Psychiatrie. Entsprechend muss eine multifaktorielle Problemstellung auch interdisziplinär angegangen werden. Aus medizinethischer Sicht wäre es folglich sinnvoll, entsprechende Präventionsmassnahmen sowohl in eine allgemeininternistische als auch in eine sportmedizinische Sprechstunde einbetten zu können. Die Umsetzung hierfür gestaltet sich jedoch schwierig, da die Sportmedizin grundsätzlich kein Interesse hat, ein delikates Thema wie «Doping» oder Medikamentenmissbrauch im Breitensport auch noch aktiv im Rahmen einer Sprechstunde aufzugreifen. Die Schweizerische Gesellschaft für Sport- und Bewegungsmedizin (SEMS, Sport & Exercise Medicine Switzerland) hat sich dieser Problematik dennoch angenommen und im Rahmen ihres Jahreskongresses 2019 eine entsprechende Ethik-Charta verabschiedet.7 Diese soll dem klinisch tätigen Sportmediziner als Handlungsempfehlung dienen. Im Sinne der Doping-Prävention ist dies jedoch bei Weitem nicht genug. Ein partieller Lösungsansatz der grassierenden Doping-Problematik im Breitensport sollte deshalb die entsprechende (Kommunikations-)Ausbildung der Allgemein- und Sportmediziner an der Front in den Fokus stellen.

SGPP-Jahreskongress, 25.–27. August 2021, virtuell

1 Stubbe JH et al.: Drug Test Anal 2014; 6: 434-8 2 https://www.youtube.com/watch?v=0u0Qo2x1JB8 3 Kanayama G et al.: Addiction 2009; 104: 1966-78 4 Hartgens F, Kuipers H: Sports Med 2004; 34: 513-54 5 Rhoden EL, Morgentaler A: N Engl J Med 2004; 350: 482-92 6 Parkinson AB, Evans NA: Med Sci Sports Exerc 2006; 38: 644-51 7 Gähwiler R et al.: Swiss Sports & Exercise Medicine 2019; 67: 5-6

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