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Depressionsbehandlung 2018: Was bringt die Zukunft?

<p class="article-intro">Die Behandlung einer Depression ist schwierig und stellt den Arzt vor große Herausforderungen wie Behandlungsresistenzen und hohe Rezidivraten. Auch persistierende Einschränkungen abseits der depressiven Symptomatik werden ein immer wichtigeres Thema. Patienten und Behandelnde hoffen auf neue, rasch wirkende oder multimodale Wirkstoffe, die hier ansetzen.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Die Depression z&auml;hlt zu den weltweit h&auml;ufigsten psychischen Erkrankungen mit weitreichenden Konsequenzen f&uuml;r die Betroffenen und die Gesellschaft.<br /> Sie f&uuml;hrt zu einer erheblichen Beeintr&auml;chtigung der Lebensqualit&auml;t und verk&uuml;rzt die durchschnittliche Lebenserwartung. Laut WHO f&uuml;hrt die unipolare Depression das Ranking der durch psychische Krankheiten verlorenen Tage an, weit vor Alkoholmissbrauch, Demenz und Schizophrenie.<sup>1</sup><br /> Die Produktpalette an Antidepressiva (AD) ist relativ gro&szlig; &ndash; in &Ouml;sterreich stehen rund 30 Substanzen zur Verf&uuml;gung &ndash;, trotzdem bestehen noch immer &bdquo;unmet needs&ldquo; in der Depressionsbehandlung. Diese haben sich in den letzten Jahren gewandelt. Stand bis Mitte der 2000er-Jahre die Linderung der depressiven Symptomatik im Mittelpunkt, w&uuml;nschen sich Patienten heute immer mehr die rasche R&uuml;ckkehr zu mentaler Gesundheit sowie zum urspr&uuml;nglichen kognitiven Funktionsniveau und die Minimierung der unerw&uuml;nschten Wirkungen.<sup>2</sup><br /> Dies erfordert einen Paradigmenwechsel in der antidepressiven Pharmakotherapie von der ausschlie&szlig;lichen Symptomlinderung hin zu einer emotionalen Normalit&auml;t und sozialen Reintegration. Multimodale Wirkmechanismen und Therapieans&auml;tze gewinnen daher immer mehr an Bedeutung.</p> <h2>Eine breite Palette an therapeutischen Optionen</h2> <p>Dual bzw. multimodal wirkende Substanzen stehen seit den 1990er-Jahren zur Verf&uuml;gung, beispielsweise als duale selektive AD in Form von Serotonin-Noradrenalin- Wiederaufnahmehemmern (SNRI; Milnacipran, Venlafaxin, Duloxetin). Bei unzureichendem Ansprechen auf ein bestimmtes AD kann eine pharmakotherapeutische Augmentation mit einem atypischen Antipsychotikum (z.B. Quetiapin, Olanzapin, Aripiprazol), einem modernen Hypnotikum oder einem Stimmungsstabilisierer oft den erw&uuml;nschten Erfolg bringen. Bei den nicht medikament&ouml;sen, biologischen Therapieverfahren stehen Elektrokrampftherapie, repetitive transkranielle Magnetstimulation, Vagusnervstimulation, &bdquo;deep brain stimulation&ldquo;, Schlafentzugsbehandlung und Lichttherapie zur Wahl.</p> <h2>Normalisierung des Schlaf-wach-Rhythmus</h2> <p>Agomelatin ist ein multimodaler Wirkstoff, dessen Wirkprofil &uuml;ber die Reduktion der antidepressiven Symptomatik hinausgeht. Es handelt sich dabei um ein Analogon des Melatoninmolek&uuml;ls, das agonistisch auf die melatonergen MT1- und MT2-Rezeptoren sowie antagonistisch auf die postsynaptischen serotonergen 5-HT<sub>2C</sub>-Rezeptoren wirkt.<sup>3, 4</sup> Die Effizienz von Agomelatin wurde in mehreren Studien untersucht, Sie belegen einen antidepressiven Effekt bei moderaten und schweren Depressionen und eine Regulation gest&ouml;rter zirkadianer Rhythmen bei depressiven Menschen.<sup>5, 6</sup> Agomelatin verbesserte die Schlafqualit&auml;t und die Schlafarchitektur.<sup>7, 8</sup> Im Vergleich zu anderen AD zeigt Agomelatin ein geringes Nebenwirkungspotenzial: Typische ADNebenwirkungen wie Gewichtszunahme, Libidoverlust und Erektionsst&ouml;rungen wurden nicht beobachtet.<sup>9</sup></p> <h2>Zur&uuml;ck zur kognitiven Leistungsf&auml;higkeit</h2> <p>Studien belegen, dass kognitive Beeintr&auml;chtigungen neben Niedergeschlagenheit und Schlafbeeintr&auml;chtigung zu den Kernsymptomen der Major Depression geh&ouml;ren.<sup>10</sup> Gerade diese kognitiven St&ouml;rungen sind oft besonders schwer zu behandeln. Vortioxetin ist ein multimodaler Wirkstoff, mit dem hier gute Erfolge erzielt werden k&ouml;nnen. Er kombiniert die Funktion eines selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmers sowohl mit agonistischen als auch antagonistischen Effekten an f&uuml;nf verschiedenen pr&auml;- und postsynaptischen Serotoninrezeptoren (5HT<sub>1a</sub>, 5HT<sub>1b</sub>, 5HT<sub>1d</sub>, 5HT<sub>3</sub>, 5HT<sub>7</sub>). Vortioxetin bewirkt somit nicht nur eine erh&ouml;hte Freisetzung von Serotonin, sondern f&ouml;rdert auch die cholinerge, dopaminerge, histaminerge und noradrenerge Neurotransmission. Die signifikante Verbesserung der depressiven Symptomatik und der kognitiven Defizite wurde in mehreren Studien belegt.<sup>11&ndash;14</sup></p> <h2>Ketamin: wirkt rasch, auch antisuizidal</h2> <p>Verschiedene Studien haben in den letzten Jahren eine rasch (innerhalb weniger als einer Stunde) einsetzende, transiente antidepressive und antisuizidale Wirksamkeit von Ketamin, einem Phencyclidinderivat, belegt.<sup>15&ndash;17</sup> Neben antagonistischen Eigenschaften an NMDA-Rezeptoren hat Ketamin auch Bindungsaffinit&auml;ten zu Serotonin- und Dopamintransportern sowie Opioid-, Glutamat- und AMPA-Rezeptoren. Der komplexe Wirkmechanismus ist nicht eindeutig gekl&auml;rt, Forschungsergebnisse lassen Interaktionen mit Rezeptoren und Transportern, Steigerung der synaptischen Plastizit&auml;t, Freisetzung von neuronalen Wachstumsfaktoren, Modulation von Transkriptionsfaktoren und Signaltransduktionswegen innerhalb der Zelle vermuten.<sup>18</sup> Der relevanteste Wirkort scheint am Glutamat-NMDARezeptorkomplex zu sein, wodurch das bisher kaum genutzte glutamaterge System in der Erforschung der Depression neue Bedeutung erlangt.<br /> Eine Zulassung als Antidepressivum liegt f&uuml;r Ketamin noch nicht vor, es kommt deshalb als &bdquo;Off-label&ldquo;-Behandlung bei therapieresistenten uni- und bipolaren Depressionen im station&auml;ren psychiatrischen Setting zum Einsatz. Eine antidepressive &bdquo;Off-label&ldquo;-Therapie mit Ketamin in anderen Fachabteilungen, ambulanten Arztpraxen, sogenannten &bdquo;Ketamin-Kliniken&ldquo; oder &bdquo;Ketamin-Ambulanzen&ldquo; ist laut der &Ouml;sterreichischen Gesellschaft f&uuml;r Neuropsychopharmakologie und Biologische Psychiatrie (&Ouml;GPB) nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft nicht zu bef&uuml;rworten.<sup>19</sup><br /> Der Einsatz von Ketamin sollte rechtlich und medizinisch gut abgesichert erfolgen und bedarf daher einiger grundlegender Voraussetzungen, wie der m&uuml;ndlichen und schriftlichen Aufkl&auml;rung sowie der Einholung einer Einverst&auml;ndniserkl&auml;rung des Patienten. Die Behandlung soll gut dokumentiert erfolgen, damit der Therapieverlauf (Indikationsstellung, Einverst&auml;ndnis des Patienten, Ketaminverabreichung, Therapieansprechen) z.B. im Fall von Komplikationen nachvollzogen werden kann. Zur Unterst&uuml;tzung der Ketamintherapie haben Kraus et al. einen Leitfaden zur Ketamintherapie entwickelt.<sup>20</sup> Ein Einverst&auml;ndnisformular kann ebenfalls bei den Autoren angefordert werden.</p> <h2>In der Pipeline</h2> <p>Vilazodon und Levomilnacipran wurden von der FDA bereits zugelassen. L-4-Chlorokynurenin, Rapastinel, Apimostinel und Botulinumtoxin befinden sich in laufenden Phase-IIStudien oder in der Vorbereitung f&uuml;r Phase-III-Studien und sind somit Kandidaten f&uuml;r neue Therapieoptionen in der Behandlung der MDD in den n&auml;chsten Jahren. Ketamin k&ouml;nnte bereits in naher Zukunft die Zulassung als Antidepressivum bei therapieresistenter Depression erhalten und die bestehenden Therapieoptionen erg&auml;nzen.</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: PWP – Psychiatrie in Wissenschaft und Praxis, 24. Februar 2018, Wien </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> GBD 2015 Disease and Injury Incidence and Prevalence Collaborators: Lancet 2016; 388: 1545-1602 <strong>2</strong> Danner M et al.: Int J Technol Assess Health Care 2011; 27: 369-75 <strong>3</strong> Audinot VF et al.: Naunyn-Schmiedeberg's Arch Pharmacol 2003; 367: 553-61 <strong>4</strong> Millan MJ et al.: J Pharmacol Exp Ther 2003; 306: 954-64 <strong>5</strong> Kennedy SH et al.: Eur Neuropsychopharmacol 2006; 16: 93-100 <strong>6</strong> Oli&eacute; JP, Kasper S: Int J Neuropsychopharmacol 2007; 10: 661-73 <strong>7</strong> Lemoine P et al.: J Clin Psychiatry 2007; 68: 1723-32 <strong>8</strong> Kasper S et al.: Int J Neuropsychopharmacol 2008; 11(Suppl 1): 193 <strong>9</strong> Loo H et al.: Int Clin Psychopharmacol 2002; 17: 239-47 <strong>10</strong> Conradi HJ et al.: Psychol Med 2011; 41: 1165-74 <strong>11</strong> Alvarez E et al.: Int J Neuropsychopharmacol 2012; 15: 589-600 <strong>12</strong> Montgomery SA et al.: Hum Psychopharmacol Clin Exp 2014; 29: 470-82 <strong>13</strong> Katona C et al.: Int Clin Psychopharmacol 2012; 27: 215-22 <strong>14</strong> McIntyre RS et al.: Int J Neuropsychopharmacol 2014; 17: 1557-67 <strong>15</strong> McGirr A et al.: Psychol Med 2015; 45: 693-704 <strong>16</strong> Coyle CM: Hum Psychopharmacol 2015; 30: 152-63 <strong>17</strong> Reinstatler L, Youssef NA: Drugs 20 2015. 15; 37-43 <strong>18</strong> Duman RS et al.: Nat Med 2016; RD. 238-49 <strong>19</strong> http://oegpb.at/2016/09/14/ vorsicht-sorgfalt-bei-der-ketamin-therapie <strong>20</strong> Kraus C et al.: Administration of ketamine for unipolar and bipolar depression. Int J Psychiatry Clin Pract 2017; 21(1): 2-12</p> </div> </p>
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