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Das breite Spektrum der Süchte
Jatros
30
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28.06.2018
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<p class="article-intro">Nach einem Alkohol-Schwerpunkt 2017 standen beim diesjährigen Fachtag Sucht wieder unterschiedliche Suchtformen im Fokus. Neben vielen stoffgebundenen Formen wurden auch die verschiedenen Aspekte und neuen Herausforderungen der stoffungebundenen Süchte „Sportwetten“ und „Social Media“ diskutiert.</p>
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<p class="article-content"><p>Facebook, Twitter, Snapchat, Instagram u.v.a. – ein Leben ohne Internet oder Social-Media-Dienste ist für viele kaum noch vorstellbar. Viele Jugendliche und alle zukünftigen Generationen haben ein solches Leben nie kennengelernt und die Onlinepräsenz ist Teil ihrer Identität. „Die intensive Nutzung verschiedener sozialer Plattformen ist prinzipiell nicht problematisch und auch die Nutzungsdauer stellt kein Indiz für ein Suchtverhalten dar“, erklärte Prim. Dr. Roland Mader, Anton- Proksch-Institut, Wien. Die zunehmende Vernetzung im Internet bringe aber trotzdem Gefahren mit sich, die erst in den letzten Jahren deutlich geworden sind.</p> <p>So können beispielsweise bestehende psychische oder soziale Probleme durch eine problematische Mediennutzung verstärkt werden. Auch „Cybermobbing“ – die Bedrohung oder Beleidigung über das Internet – ist ein ernst zu nehmendes Problem an vielen Schulen. „Konnte sich früher der in der Schule Gemobbte zu Hause an einen sicheren Ort zurückziehen, ist dies heutzutage nicht mehr möglich. Das Mobiltelefon ist ein ständiger Begleiter und Mobbing macht keine Pause mehr“, gab Mader zu bedenken. Doch birgt auch das Leben mit ausschließlich positiven Social-Media- Kontakten nicht zu unterschätzende Gefahren. Die intensive Nutzung von (mehreren) Diensten führt zu stetig steigendem Stress und sinkendem Wohlbefinden: Schlafmangel, verminderte Schlafqualität, Bewegungsmangel und Haltungsschäden wirken sich auf lange Sicht negativ auf die Gesundheit aus. Um dem entgegenzuwirken hat Mader Tipps zum bewussteren Umgang mit dem Internet und den sozialen Medien zusammengestellt (siehe Kasten).</p> <p>„Die technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen im Social-Media- Bereich werden nicht aufzuhalten sein. Eine konsequente Internetabstinenz ist in unserer Gesellschaft kaum noch möglich. Es wird daher umso wichtiger sein, die Gesellschaft und vor allem die Jugendlichen für diese Problematiken zu sensibilisieren und die Gefahren bewusst zu machen“, resümierte Mader.</p> <h2>Risikofaktoren bei „Sportwettern“</h2> <p>Eng verbunden mit der Ausbreitung des Internets und der sozialen Medien sind Sportwetten. Sie erwirtschaften rund 1,5 Mrd. Euro Umsatz pro Jahr in Österreich. Gerade in den letzten Monaten ist die Präsenz des Themas „Sportwetten“ in den Medien stark gestiegen. „Sportwetten wurden in letzter Zeit besonders aktuell. Zum einen natürlich wegen der bevorstehenden Fußball- Weltmeisterschaft, zum anderen weil 2017 das Wiener Wettengesetz in Kraft trat und 2018 nochmals überarbeitet wurde“, erklärte MMag. Dr. Aron Kampusch, Psychotherapeut und Klinischer Psychologe in Wien. „Natürlich sind sowohl das Sportwettengesetz als auch das Glücksspielgesetz wichtig. Es ist allerdings zu kritisieren, dass beide den Aspekt des Internets komplett außer Acht lassen und auch auf die Interaktion zwischen den Organisationen und den Spielern nicht eingegangen wird. Diese Punkte müssten noch gelöst werden.“</p> <p>Weit komplexer gestaltet als simple Glücksspiele haben Sportwetten ihren Platz in den Unterhaltungsmedien gefunden und werden dort von umfangreichen Marketingmaßnahmen gestützt. Es existieren weit über 100 Möglichkeiten, Sportwetten zu platzieren, und umfangreiche Maßnahmen, Bonussysteme und scheinbar kostenlose Wettabgaben bewirken, dass die Spieler nach einigen wenigen Einsätzen dauerhaft gehalten werden. Hing et al. untersuchten die Risikofaktoren bei „Sportwettern“.<sup>1</sup> Zu den allgemeinen demografischen Risikofaktoren zählen: männliches Geschlecht, Altersgruppe 18–34 Jahre, alleinstehend, guter Ausbildungsstand, Vollzeitbeschäftigung (angestellt oder Student). Demografische Risikofaktoren ermittelt anhand des Problem Gambling Severity Index (PGSI) identifizierten darüber hinaus ein höheres Risiko für</p> <ul> <li>niemals Verheiratete (im Vergleich zu Geschiedenen oder aktuell Verheirateten)</li> <li>Alleinstehende (im Vergleich zu in Partnerschaft Lebenden oder Paaren mit Kindern)</li> <li>Paare mit Kindern (im Vergleich zu kinderlosen Paaren)</li> <li>Angestellte (im Vergleich zu Selbstständigen oder Pensionisten)</li> </ul> <p>Das Risiko stieg mit dem Bildungsstand; das Haushaltseinkommen hingegen war kein Risikomarker.</p> <h2>Koffein: Genussmittel mit Suchtpotenzial</h2> <p>Ob eine Erkrankung „Koffeinabhängigkeit“ existiert, wird kontrovers diskutiert. „58 Prozent des Gesundheitspersonals meinen, dass es so etwas wie Koffeinabhängigkeit gibt, deutlich weniger sehen Koffeinabhängigkeit jedoch als Krankheit an, die einer Behandlung bedarf“, erklärte Univ.- Lektor Dr. Wolfgang Beiglböck, Anton- Proksch-Institut, Wien. Auch ICD-10 und DSM-5 sind in diesem Punkt unterschiedlicher Auffassung. Während bei der Koffeinabhängigkeit mit den im ICD-10 angeführten Diagnosekriterien (Craving, Kontrollverlust, Entzugserscheinungen, Toleranzentwicklung, Einengung des Denkens auf Koffein und anhaltender Konsum trotz Folgeschäden für den Konsumenten) 5 von 6 diagnostiziert werden können, ist eine Diagnose nach den umfassenderen Kriterien des DSM-5 nur eingeschränkt möglich.</p> <p>Gerade in Verbindung mit anderen Suchterkrankungen kann ein übermäßiger Koffeinkonsum problematisch sein. Suchtkranke konsumieren deutlich mehr Koffein als andere psychiatrische Patienten. Bei Alkoholkranken liegt der Konsum bei 390mg pro Tag – im Vergleich zu 240mg in der Gesamtpopulation psychisch Kranker. Koffein führt zum einen zu einem erhöhten Alkoholkonsum, zum anderen auch zu einer erhöhten Alkoholtoleranz. Ähnlich wird auch Nikotin vermehrt konsumiert, wenn gleichzeitig Koffein aufgenommen wird – Koffein wiederum gilt als einer der Auslöser eines Rezidivs. Ebenso liegen Daten zur Wechselwirkung mit Kokain und Amphetaminen vor. Koffein verstärkt in dieser Situation das Craving und gilt als potenzieller Auslöser eines Rezidivs. „Aus der Suchtbehandlung ist bekannt, dass während einer Entzugsbehandlung eine Suchtverschiebung auftritt auf Koffein. Dies bringt Wechselwirkungen mit Medikamenten mit sich, das Auftreten von Angsterkrankungen. Daher ist es empfehlenswert, in der Suchtbehandlung immer auch den Koffeinkonsum im Auge zu behalten und gegebenenfalls einzuschränken“, so Beiglböck.</p> <p>Entzugserscheinungen nach der Einschränkung übermäßigen Koffeinkonsums sind gut belegt. Sie treten in Einzelfällen bereits ab einem Konsum von 100mg pro Tag auf, erreichen ihren Höhepunkt nach frühestens 20–52 Stunden, können bis zu 9 Tage andauern und reichen von Kopfschmerzen und Konzentrationsstörungen bis hin zu grippeähnlichen Symptomen und depressiver Verstimmung. Auch wenn das plötzliche Absetzen von koffeinhaltigen Produkten im Gegensatz zu anderen Drogen nicht zu längeren Gesundheitsbeeinträchtigungen führt, lassen die teilweise ausgeprägten Entzugserscheinungen die meisten Entzugswilligen rasch zum alten Konsummuster zurückkehren. Beiglböck empfiehlt daher eine abgestufte Vorgangsweise und ein langsames Ausschleichen der Koffeinmenge.</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Fachtag Sucht, 7. April 2018, Wien
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<p><strong>1</strong> Hing N et al.: Risk factors for gambling problems: an analaysis by gender. J Gambl Stud 2016; 32: 511-34</p>
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