<p class="article-intro">Der Konsum von Cannabis beeinflusst im Zusammenspiel mit genetischen und weiteren Umweltfaktoren das Risiko für die Entwicklung einer schizophrenen Psychose. Zudem zeigt der Konsum von Cannabis gravierende Auswirkungen auf den klinischen Verlauf einer Schizophrenie. Dauerhafte Abstinenz kann den Verlauf und die Prognose nachhaltig verbessern.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Regelmässiger, exzessiver und frühzeitiger Konsum von hochpotentem Cannabis ist ein anerkannter Risikofaktor für die Entwicklung einer schizophrenen Psychose.</li> <li>Cannabiskonsum ist weder ausreichende noch notwendige Ursache für die Entwicklung schizophrener Psychosen.</li> <li>Cannabiskonsum begünstigt die Ausbildung einer schizophrenen Psychose im Zusammenspiel mit weiteren Risikofaktoren im Sinne einer Gen-Umwelt-Interaktion.</li> <li>Cannabiskonsum hat einen negativen Einfluss auf Psychopathologie, Niveau der psychosozialen Funktionen und Therapieadhärenz bei Patienten mit einer Schizophrenie.</li> <li>Abstinenz verbessert den Verlauf und die Prognose einer schizophrenen Psychose signifikant.</li> </ul> </div> <h2>Cannabis und Psychose</h2> <p>Cannabis-assoziierte Psychosen können in Abhängigkeit vom zeitlichen Auftreten, von der Dauer und von der klinischen Relevanz in drei Kategorien unterteilt werden.<sup>1</sup> Akute Intoxikationspsychosen (ICD-10: F12.0) treten unmittelbar nach dem Konsum von Cannabis auf, sind geprägt von dem Gefühl der Entspannung, gehobener Stimmung sowie «Bewusstseinserweiterung» bis hin zu leichtem paranoid-halluzinatorischem Erleben und klingen in der Regel nach wenigen Stunden vollständig ab. Eine medizinische Intervention ist meist nicht erforderlich.<br /> Cannabis-induzierte psychotische Störungen (ICD-10: F12.5) entwickeln sich ebenfalls unmittelbar nach dem Konsum von Cannabis, halten jedoch über die Dauer der akuten Intoxikation hinaus an. Das klinische Bild zeigt floride psychotische Symptome einer Schizophrenie mit eindeutigem paranoid- halluzinatorischem sowie Derealisations- und Depersonalisations-Erleben und bildet sich in der Regel innerhalb von 15 Tagen wieder zurück. Eine medizinische Intervention kann erforderlich sein.<br /> Cannabis-induzierte psychotische Störungen, die mit einer zeitlichen Verzögerung nach dem letzten Konsum auftreten und sich nicht innerhalb eines Monats zumindest teilweise zurückgebildet haben, können dem schizophrenen Formenkreis (ICD-10: F2) zugeordnet werden, sofern die diagnostischen Kriterien gemäss ICD-10 hierfür erfüllt sind. Eine medizinische Intervention ist in der Regel notwendig.</p> <h2>Cannabis und Psychoserisiko</h2> <p>Cannabiskonsumstörungen kommen bei Patienten mit einer Schizophrenie überdurchschnittlich häufig vor. Die mittlere Lebenszeitprävalenz von 27,1 % und die mittlere Punktprävalenz von 16,0 % sind im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung (Westeuropa: 3,9 % bzw. 0,34 % ) signifikant höher.<sup>2</sup> Ein Lebensalter unter 30 Jahren (45,0 % vs. 17,9 % ), männliches Geschlecht (33,8 % vs. 13,2 % ) und eine erste psychotische Episode (44,4 % vs. 12,2 % ) sind mit noch höheren Lebenszeitprävalenzen für Cannabiskonsumstörungen assoziiert. Im umgekehrten Fall zeigen Patienten mit einer Cannabiskonsumstörung eine erhöhte Lebenszeitprävalenz für eine schizophrene Psychose von 6,0 % im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung (1,5 % ).<sup>3</sup><br /> Die hohe Komorbiditätsrate ist bis heute noch nicht eindeutig geklärt, es wird jedoch ein kausaler Zusammenhang zwischen Cannabis und Schizophrenie diskutiert. Epidemiologische Längsschnittuntersuchungen mit einem Follow-up von bis zu 30 Jahren zeigten in diesem Zusammenhang, dass der Konsum von Cannabis das Risiko für die Entwicklung einer schizophrenen Psychose erhöhen kann.<sup>4</sup> Das Ausmass der Exposition spielt hierbei eine entscheidende Rolle.<br /> Laut einer aktuellen Metaanalyse ging ein regelmässiger moderater Konsum von Cannabis mit einem 2-fach erhöhten Psychoserisiko einher, wohingegen ein täglicher und exzessiver Konsum mit einem knapp 4-fach erhöhten Risiko verbunden war.<sup>5</sup> Hierbei ist jedoch festzuhalten, dass der Konsum von Cannabis weder eine notwendige noch ausreichende Ursache für die Entwicklung einer Schizophrenie darstellt, sondern die Interaktion von Cannabis mit weiteren Risikofaktoren ausschlaggebend ist.</p> <h2>Gen-Umwelt-Interaktion</h2> <p>Das Zusammentreffen von Cannabiskonsum und spezifischen Varianten von Kandidatengenen der Schizophrenie, deren Genprodukte an der Aktivität des dopaminergen Systems beteiligt sind, kann das Risiko für die spätere Entwicklung einer schizophrenen Psychose deutlich erhöhen.<sup>6</sup> Vor allem die Gene DRD2 und AKT1 sind hierbei von besonderem Interesse. Das Vorliegen der jeweiligen Risikoallele der Varianten rs1076560 auf DRD2 und rs2494732 auf AKT1 erhöhte in Kombination mit dem Konsum von Cannabis das Psychoserisiko auf das 3-Fache bzw. auf das 2-Fache, bei täglichem Konsum sogar auf das 5-Fache bzw. 7-Fache.<sup>7, 8</sup> Interessanterweise zeigte sich zudem ein additiver Effekt der beiden Kandidatengene auf das Risiko für die Entwicklung einer schizophrenen Psychose. Das Zusammentreffen von Cannabiskonsum mit beiden oben genannten Risikoallelen war mit einem 7,3-fach, bei täglichem Konsum sogar mit einem 10-fach erhöhten Psychoserisiko assoziiert.<sup>9</sup></p> <h2>Zusammensetzung und Potenz</h2> <p>Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) konnte als psychotroper Hauptwirkstoff der Cannabispflanze identifiziert werden und ist für die psychotischen Symptome im akuten Rauschzustand verantwortlich.<sup>10</sup> THC wirkt im zentralen Nervensystem als partieller Agonist an spezifischen Cannabinoidrezeptoren (CB1) und moduliert nachfolgend die Aktivität der dopaminergen und glutamatergen Transmission, die an der Pathogenese der Schizophrenie massgeblich beteiligt ist.<sup>11, 12</sup> Mithilfe spezieller Züchtungsverfahren hat der THC-Gehalt der gehandelten Cannabisprodukte drastisch zugenommen, von etwa 4 % 1995 auf etwa 12 % im Jahr 2014.<sup>13</sup> Gleichzeitig ging der Gehalt des Cannabidiols (CBD), dem antipsychotische Eigenschaften zugeschrieben werden,<sup>14</sup> von etwa 0,28 % im Jahr 2001 auf unter 0,15 % 2014 zurück.<br /> Diese zunehmende Potenz der Cannabisprodukte hat einen gravierenden Einfluss auf das Risiko der Entwicklung einer schizophrenen Psychose. Eine kürzlich veröffentlichte Studie konnte hierzu zeigen, dass der sporadische Konsum sowohl von niederpotenten (THC <10 % ) als auch von hochpotenten (THC ≥10 % ) Cannabisprodukten mit keinem erhöhten Psychoserisiko verbunden war, das Risiko jedoch mit Zunahme der Konsumfrequenz und der Potenz auf das etwa 5-Fache anstieg.<sup>15</sup> Hierbei ist zu beachten, dass mehr als die Hälfte der untersuchten Patienten mit erstmaliger Manifestation einer schizophrenen Psychose (N=901) hochpotentes Cannabis konsumierten, hiervon die Hälfte täglich. Eine hohe Konsumfrequenz und eine grosse Potenz der Cannabisprodukte waren darüber hinaus mit einer vorzeitigen Erstmanifestation der Psychose assoziiert. Patienten mit einem täglichen Konsum von hochpotentem Cannabis erkrankten durchschnittlich etwa 6 Jahre früher als Patienten ohne Konsum.<sup>16</sup></p> <h2>Verlauf und Prognose</h2> <p>Der fortgesetzte Konsum von Cannabis nach Erstmanifestation einer schizophrenen Psychose hat im weiteren Verlauf einen ungünstigen Einfluss auf die Psychopathologie und das Niveau der psychosozialen Funktionen. Insbesondere zeigte sich eine stärkere Ausprägung der Positivsymptomatik, wohingegen die Negativsymptomatik weitgehend unbeeinflusst blieb.<sup>17</sup> Darüber hinaus zeigten Patienten mit einer ersten Episode einer Schizophrenie und fortgesetztem Cannabiskonsum ein mehr als 3-fach erhöhtes Risiko für einen weiteren psychotischen Rückfall, häufigere Rückfälle, kürzere Abstände bis zum nächsten Rückfall sowie eine intensivere Inanspruchnahme psychiatrischer Versorgung.<sup>18</sup> Dieser Effekt war umso ausgeprägter, je häufiger konsumiert wurde und je potenter die konsumierten Cannabisprodukte waren. Es wird davon ausgegangen, dass zwischen 20 und 36 % dieser negativen Auswirkungen einer unzureichenden Medikamentenadhärenz zuzuschreiben sind.<sup>19</sup> Das Risiko für Nonadhärenz bei ersterkrankten Patienten mit fortgesetztem Cannabiskonsum wird mit einem Faktor von 2,4 und das damit häufig verbundene Risiko für Therapieabbrüche mit einem Faktor von 6,4 angegeben.<sup>20</sup> Bei den Patienten, die den Konsum von Cannabis in den folgenden 5 Jahren beenden konnten, verbesserten sich die psychotische Symptomatik und das Niveau der psychosozialen Funktionen signifikant und erreichten das Niveau von Patienten, die zuvor kein Cannabis konsumiert hatten, unabhängig von der initialen Ausprägung der Symptome und von der antipsychotischen Medikation.<sup>21</sup> Eine fortwährende Abstinenz war zudem mit einem signifikanten Rückgang der Rate an psychotischen Rückfällen und einer signifikanten Verbesserung der Medikamentenadhärenz assoziiert.<sup>18</sup></p></p>
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