
Biomarker in der Praxis: mehr Erfolg in der Behandlung der Depression?
Autor:
PD Dr. med. Thorsten Mikoteit
Psychiatrische Dienste Solothurn
Kliniken für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik
E-Mail: thorsten.mikoteit@spital.so.ch
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Depressionen gehören zu den häufigsten und teuersten psychischen Erkrankungen. Gründe dafür sind unter anderem die lang anhaltende Erkrankungsdauer, das verzögerte Ansprechen und die niedrige Responserate von Antidepressiva. Um den individuellen Therapieerfolg zu optimieren und das Leiden zu verkürzen, wäre der Einsatz von Biomarkern wünschenswert, die das Ansprechen auf eine individuelle Therapie früh und zuverlässig prädizieren können.
Keypoints
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Biomarker haben das Potenzial, durch endophänotypische Stratifizierung die Responserate der antidepressiven Therapie zu erhöhen.
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Damit könnten die Behandlungs- und Leidensdauer deutlich verkürzt werden. In letzter Zeit werden aussichtsreiche elektrophysiologische Biomarker erforscht, die aufgrund von hoher Trennschärfe für den Einzelfall nützlich wären.
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Andere Möglichkeiten der Therapieoptimierung liegen in der pharmakogenetisch gesteuerten Auswahl der Wirkstoffe.
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Prospektive Studien sind nötig, um den Nutzen für die Praxis zu belegen und die breite Anwendung zu rechtfertigen.
Die klinische Diagnose Depression
Depression ist eine der häufigsten psychischen Erkrankungen weltweit. Nach aktuellen Schätzungen der WHO sind ungefähr 5% der Bevölkerung weltweit betroffen, dies entspricht ungefähr 280 Millionen Menschen, und nicht alle Betroffenen erhalten eine angemessene und zielführende Therapie.1
Nach heutigem Standard wird die Diagnose einer Depression rein klinisch und deskriptiv anhand von Symptomen gestellt, wie sie in den Klassifikationssystemen der WHO nach ICD-10 oder neuerdings nach ICD-11 festgelegt sind. Nach der ICD-11 gehören depressive Stimmung sowie Interesse- und Freudverlust zu den Hauptsymptomen, zusätzlich gibt es folgende Nebenkriterien: verminderter Antrieb, Verlust an Selbstvertrauen oder Schuldgefühle, Suizidalität, kognitive Defizite, psychomotorische Symptome, Schlafstörungen, Appetitstörungen und Hoffnungslosigkeit. Für die Diagnose «depressive Episode nach ICD-11» müssen mindestens 5 Symptome vorliegen, davon mindestens ein Hauptsymptom.2 Neu wird in der ICD-11 der Schweregrad anhand der Anzahl beeinträchtigter Lebensbereiche festgelegt.2 Diese Art der Diagnosestellung führt allerdings zu einer grossen Heterogenität der Krankheitsbilder innerhalb der Entität «Depression». Andererseits werden Antidepressiva ebenfalls nach rein klinischen Abwägungen ausgewählt, ohne das Ansprechen im Einzelfall vorhersagen zu können. Vielmehr ist aufgrund der Wirklatenz vieler Antidepressiva eine Wartezeit von 4 Wochen bis zur Evaluation der Therapie notwendig.
Folgt man den Ergebnissen der STAR*D-Studie, sprechen tatsächlich weniger als 50% der Patient*innen auf den ersten Behandlungsversuch mit einem Antidepressivum an.3 Das bedeutet, dass sich im relativ häufigen Fall einer Non-Responses und des folglichen Wechsels der Behandlungsstrategie wiederum eine Wartezeit von ca. 4 Wochen anschliesst. Schlussendlich zieht sich die Leidens- und Behandlungszeit für viele Patient*innen in die Länge.
Aufgrund dieser Problematik ergibt sich die Frage nach frühen Prädiktoren des Behandlungserfolges. Würde man schon in den ersten Tagen der Therapie feststellen, dass eine Behandlungsstrategie für eine Person ungeeignet ist, könnte man schon sehr früh die Therapie anpassen oder intensivieren und würde kostbare Zeit gewinnen.
Leidensweg verkürzen durch Biomarker?
Zu diesem Zweck werden nun prädiktive Biomarker gesucht, die eine optimalere, personalisierte Therapieführung ermöglichen. Vielversprechende Kandidaten für derartige Biomarker wurden bereits in den Bereichen Pharmakokinetik, Neuroendokrinologie, Elektrophysiologie sowie Neuroimaging beschrieben.4,5 Im Folgenden nun eine Auswahl der aktuell aussichtsreichsten Kandidaten.
Frontale Alpha-Asymmetrie
Die frontale Alpha-Asymmetrie (FAA) ist ein elektrophysiologischer Biomarker, der mit einer quantitativen EEG-Ableitung im Wachzustand bestimmt wird. Dabei handelt es sich um die Differenz zwischen rechter und linker Alpha-Aktivität über den frontalen Hirnregionen. Nachdem die FAA als diagnostischer Marker für eine Depression nicht bestätigt werden konnte,6 ergab sich Evidenz, dass die FAA genderabhängig für die Response-Prädiktion einer Antidepressivatherapie nützlich ist: Bei Frauen kann die FAA vorhersagen, ob mit einem Ansprechen auf ein Antidepressivum aus der Gruppe der selektiven Serotoninwiederaufnahmehemmer (SSRI) zu rechnen ist.7
REM-Dichte
Die Forschung an schlafbasierten Biomarkern der Depression hat eine lange Tradition, da es bei Depressionen v.a. charakteristische Veränderungen des «Rapid eye movement»(REM)-Schlafes gibt. Bei depressiven Patient*innen findet sich häufig eine verkürzte REM-Schlaflatenz und vermehrter REM-Schlaf während des ersten Schlafzyklus.8,9 Die REM-Dichte, d.h. die Frequenz der schnellen Augenbewegung im REM-Schlaf, stellte sich als der beste REM-Schlaf-basierte Biomarker zur Prädiktion des Therapieverlaufes heraus, doch seine Trennschärfe ist unzureichend und somit für den Einzelfall in der klinischen Praxis unbrauchbar.10
Präfrontale Theta-Cordance
Vielversprechender scheint derzeit die sogenannte präfrontale Theta-Cordance (PTC) zu sein. Die PTC ist eine weitere qEEG-Variabel, die aus der präfrontalen, Z-normierten, relativen und absoluten Theta-Power berechnet wird und mit der medialen präfrontalen Hirnaktivität korreliert.11
Eine Studie, die die PTC als Biomarker im Wachzustand untersuchte, stellte bei Respondern bereits nach 48 Stunden medikamentöser Behandlung eine signifikante Veränderung der PTC fest. Die positive Vorhersagekraft der PTC über den Behandlungserfolg lag nach 48 Stunden bei 64% und nach einer Woche bei 75%.12
Die Vorhersagekraft der PTC kann weiter verbessert werden, indem die PTC im REM-Schlaf bestimmt wird. Im REM-Schlaf ist die mediale präfrontale Hirnaktivität ähnlich hoch wie im Wachzustand. Eine Woche nach Beginn einer Antidepressivabehandlung betrug der positive Prädiktionswert der PTC im REM-Schlaf (PTC-R) 92%,13 d.h., wenn die PTC-R zum Zeitpunkt Woche 1 positiv war, sprachen die Patient*innen mit einer Wahrscheinlichkeit von 92% auf die Therapie an; war die PTC-R zu dem Zeitpunkt negativ, war mit 86%iger Wahrscheinlichkeit mit einem Nichtansprechen zu rechnen.13
Eine nun laufende randomisiert kontrollierte Studie überprüft, ob die prospektive Steuerung einer stationären Depressionsbehandlung mit dem Biomarker PTC-R die Responserate verbessern kann. In der Interventions- sowie in der Kontrollgruppe wird nach einer Woche Therapie ein Schlaf-EEG abgeleitet. In der Interventionsgruppe wird die PTC-R direkt bestimmt und bei einer negativen Prädiktion die antidepressive Medikation umgestellt bzw. bei positiver Prädiktion unverändert fortgeführt. In der Kontrollgruppe erfolgt die Therapie wie gewöhnlich, also ohne Kenntnis des Biomarkers. Ziel ist es, zu prüfen, ob eine Biomarker-gesteuerte Therapie eine höhere Ansprechrate erzielt als das Vorgehen nach bisherigem Standard.
Bisherige Zwischenergebnisse zeigen, dass die Ansprechrate durch den präzisen Einsatz der PTC-R von 60% auf 72% erhöht werden konnte. Insbesondere scheint es wertvoll, die drohenden Non-Responder mit dem Biomarker frühzeitig zu identifizieren und durch Therapieumstellung in über 85% der Fälle zu Respondern zu machen. Diese Zwischenergebnisse sind hoffnungsvoll und zeigen, dass bei der hohen Trennschärfe des Biomarkers PTC-R sein Nutzen auch für den Einzelfall gegeben ist.14
Optimierung der Therapie durch Pharmakogenetik?
Präemptive Pharmakogenetik
Andere Möglichkeiten der Personalisierung einer Antidepressivatherapie bestehen in den Möglichkeiten pharmakogenetischer Analysen. Während das häufig angewandte therapeutische Drug-Monitoring (TDM) nur Aussagen über die Serumspiegel von angewandten Wirkstoffen im Verhältnis zur verabreichten Dosis erlaubt, sind Genotypisierungen auch präemptiv, d.h. vor Einsatz eines Antidepressivums und zur Unterstützung der personalisierten Auswahl eines Antidepressivums nützlich. Ein kürzlich veröffentlichter Review zeigt den Nutzen, welche solche Analysen haben könnten. Der Fokus liegt auf polymorphen Genen vom metabolischen Phänotyp, Transportproteinen sowie von Zielstrukturen der Antidepressiva.15 Anhand pharmakokinetischer Genotypisierung, z.B. der Cytochrom P450-Isoenzyme 2D6 oder 2C19, können Patient*innen in «poor» oder «rapid metabolizer» klassifiziert werden. Bei «poor metabolizern» besteht die Gefahr einer Überdosierung mit unerwünschten Nebenwirkungen, bei «rapid metabolizern» ist mit einer Unwirksamkeit bei Standarddosen zu rechnen. Berücksichtigt man nun die bekannten Metabolisierungswege einzelner Wirkstoffe, so ist im Einzelfall eine pharmakogenetisch optimierte, personalisierte Auswahl des Antidepressivums möglich. Ob der präemptive Einsatz einer pharmakogenetischen Genotypisierung mit pharmazeutischer Beratung zu einer erhöhten Responserate führt, ist wiederum Gegenstand einer prospektiven Studie.16
Fazit
Die aktuelle Praxis der medikamentösen Depressionsbehandlung orientiert sich weitgehend am klinischen Phänotyp der Depression und ist von relativ niedrigen Responseraten geprägt. Um die Therapie zu optimieren, stellt sich die Frage nach personalisierter Therapieplanung. Zurzeit scheint hierfür v.a. eine Endophänotypisierung mittels elektrophysiologischer Biomarker aussichtsreich zu sein, speziell die präfrontale Theta-Cordance im REM-Schlaf. Diese Biomarker sind allerdings noch Gegenstand der Forschung und nicht allgemein verfügbar. Andere Möglichkeiten der Optimierung bestehen in der individuellen Genotyisierung pharmakokinetischer Gene. Hier wäre ein präemptiver Einsatz wünschenswert, um eine gezieltere Auswahl eines Wirkstoffes zu ermöglichen.
Literatur:
1 Depression: fact sheet. WHO, World Health Organisation. Published Geneva 2017. Accessed December 30, 2022. https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/depression 2 International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (11th ed.). World Health Organization. Published 2019. https://icd.who.int/en 3 Trivedi MH et al.: Evaluation of outcomes with citalopram for depression using measurement-based care in STAR*D: Implications for clinical practice. AJP 2006; 163(1): 28-40 4 Breitenstein B et al.: Are there meaningful biomarkers of treatment re-sponse for depression? Drug Discovery Today 2014; 19(5): 539-61 5 Biomarkers Definitions Working Group: Biomarkers and surrogate endpoints: Preferred definitions and conceptual framework. Clin Pharmacol Ther 2001; 69(3): 89-95 6 van der Vinne N et al.: Frontal alpha asymmetry as a diagnostic marker in depression: Fact or fiction? A meta-analysis. Neuroimage Clin 2017; 16: 79-87 7 van der Vinne N et al.: Stability of frontal alpha asymmetry in depressed patients during antidepressant treatment. Neuroimage Clin 2019; 24: 102056 8 Buysse DJ et al.: Sleep and treatment response in depression: new findings using power spectral analysis. Psychiatry Research 2001; 103(1): 51-67 9 Hatzinger M et al.: Electroencephalographic sleep profiles in treatment course and long-term outcome of major depression: as-sociation with DEX/CRH-test response. J Psychiatr Res 2004; 38(5): 453-65 10 Palagini L, Baglioni C, Ciapparelli A, Gemignani A, Riemann D.: REM sleep dysregulation in depression: State of the art. Sleep Med Rev 2013; 17(5): 377-90 11 Leuchter A: Relationship between brain electrical activity and cortical perfusion in normal subjects. Psychiatry Res 1999; 90(2): 125-40 12 Cook I: Early changes in prefrontal activity characterize clinical responders to antidepressants. Neuropsychopharmacology 2002; 27(1): 120-31 13 Pawlowski MA et al.: Heart rate variability and cordance in rapid eye movement sleep as biomarkers of depression and treatment response. J Psychiatr Res 2017; 92: 64-73 14 Mikoteit T et al.: Antidepressant response prediction by early response, prefrontal theta cordance in rapid-eye movement sleep and ABCB1 genotype. European Neuropsychopharmacol 2021; 53 Suppl. 1: 517 15 Jukic M et al.: Pharmacogenomics in treatment of depression and psychosis: an update. Trends Pharmacol Sci 2022; 43(12): 1055-69 16 Stäuble CK et al.: Pharmacist-guided preemptive pharmacogenetic testing in antidepressant therapy (PrePGx): study protocol for an open-label, randomized controlled trial. Trials 2021; 22(1): 919