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Gemeinsam psychische Gesundheit fördern

Bildungsangebot «Recovery College»

Wer sich in der Region Bern mit dem Thema psychische Gesundheit auseinandersetzen möchte, kann von dem vielfältigen Kursangebot des «Recovery College Bern» profitieren, das Ende 2019 ins Leben gerufen wurde. Seitdem werden die Kurse im Kornhaus, im Zentrum der Stadt Bern, von Menschen mit eigenen Krankheitserfahrungen, Angehörigen und Fachpersonen gleichermassen rege besucht.

Keypoints

  • Das Thema psychische Gesundheit hat in unserer Gesellschaft enorm an Bedeutung gewonnen. Um die Auseinandersetzung mit dieser Thematik zu erleichtern, müssen neue Wege und Angebote entwickelt werden.

  • Ein vielversprechender Ansatz sind die «Recovery Colleges», die sich in den letzten Jahren weltweit in zahlreichen Ländern etabliert haben.

  • «Recovery Colleges» sind Bildungsangebote, die die Förderung der psychischen Gesundheit und des Empowerments zum Ziel haben. Sie tragen auch dazu bei, die Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen abzubauen.

Der Begriff «Recovery» bezeichnet einen persönlichen Genesungsprozess, bei dem Personen trotz psychischer Erkrankung oder Beeinträchtigung ein sinnvolles und selbstbestimmtes Leben aufbauen.1 In internationalen Fachkreisen wächst die Einigkeit darüber, dass die psychiatrische Gesundheitsversorgung Recovery unterstützen muss.2 Zentrale Prinzipien einer Recovery-orientierten Gesundheitsversorgung sind die Personenzentrierung sowie die Förderung von Selbstbestimmung und Wahlmöglichkeiten.3 Die Angebote sollen nicht nur die Behandlung der Erkrankung umfassen, sondern auch Individuen dabei unterstützen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.4

Von England ausgehend, wo 2009 das erste Recovery College (RC) in London gegründet wurde, haben sich mittlerweile 221 solcher Bildungsangebote in 28 Ländern etabliert.5 RC richten ihre Angebote gleichermassen an Menschen mit eigenen Krankheitserfahrungen, Angehörige und Fachpersonen. Sie verstehen sich nicht als therapeutische Einrichtung, sondern als Bildungsangebot. Interessierte Personen melden sich für Kurse an, in denen sie sich mit bestimmten Themen auseinandersetzen und etwas Neues lernen möchten.

Gemeinsam gestalten & lernen

Der grundlegende Ansatz der RC liegt in der Idee der Koproduktion. Dies bezeichnet die Zusammenarbeit zwischen Fachleuten, Personen mit persönlichen Erfahrungen im Bereich psychischer Krankheit und Genesung sowie Angehörigen. Statt vorgefertigter Angebote, die von Fachleuten erarbeitet werden, besteht das Ziel darin, gemeinsam Angebote durch koproduktive Arbeitsmethoden zu entwickeln und anzubieten.6 Auf allen Ebenen der Organisation der RC wird Wert auf Koproduktion gelegt. Dies gilt auch für die einzelnen Kurse, die in Zusammenarbeit einer Fachperson mit beruflicher Erfahrung und Expertise sowie einer Person, die über persönliche Krankheits- und Genesungserfahrungen verfügt, entwickelt und durchgeführt werden.7

Die Kurse werden so gestaltet und moderiert, dass es den Teilnehmenden ermöglicht wird, gemeinsam Themen, Fragen und Probleme zu bearbeiten.8 Insbesondere für Fachpersonen bietet das RC die Gelegenheit, sich ausserhalb des klinischen Alltags an einem Ort mit Menschen mit Krankheitserfahrungen und Angehörigen auszutauschen, gemeinsam zu lernen und sich koproduktive Kompetenzen anzueignen.

Breites Spektrum an Themen

Die Auswahl der Kursinhalte orientiert sich an den Bedürfnissen und Anregungen der Teilnehmenden, wodurch ein breit gefächertes Kursangebot entsteht. Neben der Bewältigung krankheitsspezifischer Herausforderungen, wie dem Umgang mit Depressionen, werden auch Ansätze zur Förderung der psychischen Gesundheit und des Wohlbefindens, wie z.B. das Gestalten der Genesung, sowie Empowerment-Methoden, wie Photovoice (partizipative Methode, die visuelle Erfahrungen mit dem Prozess des Erzählens verbindet), angeboten.

Was bewirken Recovery Colleges?

Seit der Gründung des ersten RC wurden verschiedene Evaluationsstudien durchgeführt. Die positiven Rückmeldungen und die grosse Zufriedenheit mit den RC-Angeboten wurden in mehreren Studien beschrieben.9–11 Die Teilnahme an RC-Kursen war mit einer verbesserten Erreichung von Genesungszielen verbunden,12,13 führte zu einer Steigerung des Wohlbefindens und der sozialen Inklusion14 und beeinflusste die Arbeitsweise von Fachpersonen positiv.15,16 Es gibt auch Hinweise darauf, dass über die RC Kosten im Gesundheitswesen eingespart werden können.17,18 Zusammenfassend kann davon ausgegangen werden, dass die RC sich positiv auf die persönliche Gesundheitskompetenz der Teilnehmenden auswirken, die soziale Teilhabe fördern und zur Reduzierung von Stigmatisierung beitragen.

Recovery College Bern

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Koproduktion ist der grundlegende Ansatz der Recovery Colleges. Personen mit persönlichen Krankheitserfahrungen und Fachpersonen gestalten gemeinsam Kurse, die ausserhalb des klinischen Settings angeboten und thematisch bearbeitet werden

Im Jahr 2019 wurde das Recovery College Bern (RCB) als erstes RC in der deutschsprachigen Schweiz gegründet. Die Initiative ging von den Universitären Psychiatrischen Diensten (UPD) Bern aus. Dank einer Anschubfinanzierung durch das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung (EBGB) und die UPD Stiftung konnte mit der Entwicklung der Kursangebote und ihrer Umsetzung begonnen werden. Seitdem ist es gelungen, das Kursangebot, das in Frühlings- und Herbstsemester unterteilt ist, kontinuierlich auszubauen. Im aktuellen Frühlingssemester sind 36 Kurse ausgeschrieben. Es ist uns ein grosses Anliegen, sicherzustellen, dass alle Kurse dem RC-Konzept entsprechen, was wir durch verschiedene qualitätssichernde Massnahmen gewährleisten. In Zusammenarbeit mit der Berner Fachhochschule konnten wir auch eine Begleitforschung durchführen. Die Auswertungen ergaben signifikante Verbesserungen der Recovery, der Lebensqualität und der Selbststigmatisierung bei den Teilnehmenden mit Erfahrungen von Krankheit (der Artikel befindet sich derzeit im Publikationsprozess).

Plattform für die Region

Das RCB versteht sich als «Brücke» zu bereits vorhandenen und etablierten Dienstleistungen in der Region. Daher legen wir grossen Wert auf Netzwerkarbeit, um gemeinsam mit anderen Organisationen Programme zu entwickeln und Informationen über vorhandene Angebote an die Teilnehmenden weiterzugeben. Dadurch möchten wir die soziale Teilhabe in der Region fördern.

Um sicherzustellen, dass alle Interessierten an den Kursen teilnehmen können, werden die Kursgebühren an die finanziellen Möglichkeiten der Teilnehmenden angepasst. Dies führt jedoch dazu, dass das RCB nicht allein durch die Kursgebühren finanziert werden kann und auf Drittmittel angewiesen ist. Um langfristig die Verfügbarkeit der Kurse zu sichern, wurde kürzlich ein Verein gegründet.

Factbox

Interessierte können sich entweder über das Angebot auf der Website oder über den Instagramkanal des RCB informieren. Darüber hinaus werden regelmässig Informationsveranstaltungen angeboten, um einen Einblick zu vermitteln.
Website: www.recoverycollegebern.ch
Instagram: recoverycollege_bern

Weitere Recovery Colleges in der Schweiz
RC Zürich
www.recoverycollegezuerich.ch

RC St. Gallen
www.psychiatrie-sg.ch/unternehmen/aktuellesveranstaltungen/recovery-college

RC Ostschweiz
recoverycollege-ostschweiz.ch

RC Genf
www.recoverycollege.ch

1 Anthony WA: Recovery from mental illness: The guiding vision of the mental health service system in the 1990s. Psychosoc Rehabil J 1993; 16: 11-23 2 WHO: Comprehensive Mental Health Action Plan 2013-2030. Geneva: WHO; 2021 3 Farkas M: The vision of recovery today: what it is and what it means for services. World Psychiatry 2007; 6: 68-74 4 Repper J, Perkins R: Social inclusion and recovery a model for mental health practice. Edinburgh: Baillière Tindall; 2003 5 Hayes D et al.: Organisational and student characteristics, fidelity, funding models, and unit costs of recovery colleges in 28 countries: a cross-sectional survey. Lancet Psychiatry 2023; 10(10): 768-79 6 Zuaboni G: Koproduktion: Wie Zusammenarbeit gestaltet werden kann. In: Zuaboni G et al. (Hrsg.): Recovery und psychische Gesundheit: Grundlagen und Praxisprojekte. Köln: Psychiatrie Verlag; 2019: 102-11 7 Perkins R et al.: ImROC 1. Recovery Colleges. London: Centre of Mental Health; 2012 8 Ambord N, Heiniger S, Zuaboni G: Recovery College Bern: Gemeinsam, lernen, genesen. Kerbe 2023; 3 9 Ebrahim S et al.: Recovery Colleges; how effective are they? The Journal of Mental Health Training, Education and Practice 2018; 13: 209-18 10 Meddings S et al.: Student perspectives: recovery college experience. Mental Health and Social Inclusion 2014; 18: 142-50 11 Lucchi FA et al.: Programma FOR: a recovery college in Italy. Journal of Recovery in Mental Health 2018; 1: 29-37 12 Sommer J et al.: The role of recovery colleges in supporting personal goal achievement. Psychiatr Rehabil J 2019; 42(4): 394 13 Toney R et al.: Mechanisms of action and outcomes for students in recovery colleges. Psychiatr Serv 2018; 69(12): 1222-9 14 Wilson C et al.: A mixed-methods evaluation of a Recovery College in South East Essex for people with mental health difficulties. Health Soc Care Community 2019; 27: 1353-62 15 Gill KH: Recovery colleges, co-production in action: The value of the lived experience in “Learning and growth for mental health”. Health Issues 2014, 113: 10-14 16 Perkins AM et al.: Impacts of attending recovery colleges on NHS staff. Mental Health and Social Inclusion 2017; 21: 18-24 17 Kay K, Edgley G: Evaluation of a new recovery college: delivering health outcomes and cost efficiencies via an educational approach. Mental Health and Social Inclusion 2019; 23: 36-46 18 Bourne P et al.: An evaluation of service use outcomes in a Recovery College. J Ment Health 2018; 27: 359-66

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